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aus: /cl/antifa/allgemein

von: K.HEILER@NADESHDA.gun.de

Von der Demo am 9.11.98 in Aachen

Rede der VVN-BdA Aachen:

 

Vor 60 Jahren nahmen die Nazis das Attentat auf den Diplomaten von Rath in Paris zum Anlass, in den Tagen vom 7.-10. November ein Pogrom gegen Juedinnen und Juden zu organisieren. 191 juedische Gotteshaeuser wurden in Brand gesteckt, weitere 76 Synagogen vollstaendig demoliert. Zerstoerte Gemeindehaeuser und 815 Geschaefte sowie 29 gebrandschatzte Warenhaeuser waren der sichtbare Ausdruck des ,organisierten Volkszorns". 30.000 Menschen wurden in den folgenden Tagen in die KZ Buchenwald, Dachau und Sachsenhausen verschleppt. Auch 268 Aachener Buergerinnen und Buerger juedischen Glaubens wurden in die KZ deportiert.

Daran zu erinnern und wie das Motto unserer Demonstration lautet ,Aus der Geschichte zu lernen" ist seit nunmehr 10 Jahren unser Anliegen. Der diesjaehrige Friedenspreistraeger des deutschen Buchhandels, Martin Walser, nennt diese und andere Veranstaltungen veraechtlich ,die Moralkeule", eine ,Drohroutine" und ein ,jederzeit einsetzbares Einschuechterungsmittel". Davon fuehlt er sich ,dauernd attakiert", gegen ,die Dauerpraesentation unserer Schande" wolle er sich wehren.

Fuer solche Aeusserungen erhaelt Walser den zu erwartenden Beifall der Rechten und der Neonazis. Da jubelt die Bildzeitung  ,Lesen Sie seine Buecher! Sie helfen, (wieder) Stolz zu empfinden. Stolz darauf, ein Deutscher zu sein". Die Nationalzeitung des Herrn Frey titelt: ,Ausschwitz als Moralkeule-Walsers Befreiungsrede im Feuer" und ,Auschwitz: zerbricht das Tabu? - Der Kampf zwischen Bubis und Walser". Moechte man Walser nun als Neonazi beschimpfen, dann waere das zu einfach. Von Neonazis erwartet man diese Aeusserungen. Nein Walser ist und war kein Neonazi. Er ist ein National-Konservativer, ein anerkannter und preisgekroenter Literat. Das macht seine Aeusserungen aber inhaltlich nicht besser sondern gefaehrlicher.

Wie tief muss bei Walser - vielleicht unbewusst- das Misstrauen gegen die Deutschen sitzen, wenn die Deutschen bedroht werden mussten, eingeschuechtert und mit Moralkeulen geschlagen werden. Was haetten die Deutschen denn angestellt ohne diese Drohung- ohne diese Keulen? Im ersten Halbjahr 1998 registrierte das Bundeskrminialamt 203 Verletzte durch rassistisch motivierte Straftaten. Waeren es ohne die ,Moralkeule" doppelt so viel? Wuerden statt der 399 antisemitischen Straftaten der ersten 6 Monate diesen Jahres dann 1000 registriert? Waeren die Deutschen ohne ,Einschuechterungsmittel" schon laengst wieder in die Nachbarlaender einmarschiert?

Herr Walser hat das groesste Problem mit seiner Rede in der Rechtfertigung gegen die Kritik von Herrn Bubis selbst vorgebracht: Wenn er , Walser denn ein geistiger Brandstifter in der Naehe der Schoenhubers und Freys sei, warum haette dann die Elite des Staates, immerhin 1200 Menschen  mit hoechstem Einfluss, applaudierend vor ihm gesessen? Und warum fragen wir weiter, hat die Elite des Staates bis heute geschwiegen und Herrn Bubis mit seiner Kritik allein gelassen? Das ist das zentrale Problem: es gibt den Antisemitismus in Deutschland auch nach 60 Jahren in erschreckend hohem Masse. Es ist ein Antisemitismus nicht trotz Auschwitz, sondern wegen Auschwitz. Der Antisemitismus ist nicht der Rassismus der Dummen oder des kleinen Mannes, wie es Engels einmal formulierte. In den Eliten dieses Staates hat der Antisemitismus ueberdauert. Er ist ein Problem der Mitte und nicht des Randes.

Er ist selten mutig. Er versteckt sich gern hinter dem Antizionismus. Die Neonazis als Gruppe koennen wenig bewegen, solange sie isoliert sind. Sie brechen aus und werden stark, wenn Steigbuegelhalter und sogenannte Tabubrecher wie Walser aus der Mitte der Gesellschaft die Hand reichen. Der Faschismus in Deutschland ist legal an die Macht gekommen. Er wurde von den Eliten gewuenscht und gefoerdert. Die Erinnerung an die Progrome im November 1938 darf nicht verschweigen, dass der Terror staatlich organisiert war, dass er nur funktionierte durch die Ausschaltung der Nazigegner ab 1933, durch das Stillhalten, die Duldung und teilweise Zustimmung der Bevoelkerung.

Herr Walser nennt unsere und andere Veranstaltungen an diesem Tag ,umgekehrten Nationalismus", den er fuer ,kein bischen besser" haelt als sein Gegenteil. Er bedient damit ein verbreitetes Ressentiment in der Bevoelkerung: das rechts gleich links Schema. Dieses war und ist eine Luege, die Lebensluege dieser Republik. Nein: Nicht Ossietzky hat den Weltkrieg angefangen, nicht Tucholsky die europaeischen Juden umgebracht oder um im Heutigen zu bleiben: nicht die Autonomen haben die Fluechtlingsheime angezuendet, sonder sie haben sich schuetzend davor gestellt.

Wir wollen aus der Geschichte lernen. Nicht alles kann an dieser Stelle gesagt werden. Eins nur noch zu Herrn Walser. Wir werden nicht akzeptieren, dass diese Auseinandersetzung zu einem Zweikampf zwischen Walser und Bubis degradiert wird. Ungeachtet unterschiedlicher Auffassungen in manchen politischen Dingen rufe ich Herrn Bubis zu: Resignieren Sie nicht!

Geben sie nicht auf! Wenn die Elite des Staates sich die Finger wundklopft, wenn mal einer seinen Antisemitismus nach aussen kehrt und stellvertretend fuer diese Elite ,befreiend" wirkt, dann kann das nur heissen, die Illusionen ueber die Eliten in diesem Staat abzustreifen und sich den Realitaeten in Deutschland zu stellen..., um sie zu veraendern!

Es spricht jetzt Jakob Israel Keppels- ein Zeitzeuge,der als Kind das Pogrom  in dieser Stadt miterlebte, ueberlebte, weil er das Land verliess und bis heute im benachbarten Ausland lebt......

Weitere RednerInnen:

  • Ein Vertreter der Kurdinnen und Kurden im Kirchenasyl.
  • Eine Vertreterin des Antirassismusbueros
  • eine Vertreterin der Arbeitsloseninitiativen und ein Vertreter der VVN-BdA.

An Auftakt-und Schlusskundgebungen sowie der Demonstration durch die Stadt beteiligten sich ueber 300 Menschen, etwas mehr als im Jahr zuvor.

Im Anschluss an die Demo folgten einige dem Aufruf, auch die  Gedenkveranstaltung der Gesellschaft fuer christlich-juedische Zusdammenarbeit zu besuchen. Anschliessend fanden Gespraeche in der VHS mit Zeitzeugen der  Pogromnacht statt. Am Tag zuvor hat ein Gespraechsforum kirchlicher Studentinnengruppen mit Liedern und Texten zu Rassismus und Antisemitismus stattgefunden.

Den Aufruf des neuen Innenministers, Fluechtlingsheime anzuzuenden (Das Boot ist voll) kannten wir zur Zeit der Demo noch nicht.


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