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THE TRUMAN SHOW

oder von einer Welt, in der wir gemeinsam leben, oder an der wir gemeinsam teilnehmen, die uns gemeinsam ausmacht. kann keine Rede mehr sein 

von DIETMAR KESTEN

46./47. Woche 1998

 

SEAHAVEN (1) liegt nicht in den Staaten; die idyllische Küstenstadt ist der Punkt, auf den wir lossteuern. Das wäre schon die Quintessenz aus PETER WEIRs (2) Film 'TRUMAN SHOW'. Im ersten Augenblick mag man sich nicht zurechtfinden, mit der reinen Illusion, mit der Raffinesse der funktionierenden Apparate, der aufgesetzten akademischen Ethiken, mit dem Dualismus von Wirklichkeit; wenn da nicht die Bilder wären, die das menschliche Leben als Einrichtung nebst Fakten, die uns prägen, zeigen; die gröbste Zerspaltung unseres Lebens, auf das wir uns fein säuber -lich voneinander abgrenzen mögen. 

TRUMAN BURBANK (3), der mediengerechte Star, der Hauptdarsteller, eigens für eine Serie gezeugt, fristet sein Dasein Tag für Tag in einer sog. Reality-Show, die als 24stündige Fernsehserie Millionen Zuschauer vor den Geräten fesselt. Was den Deutschen unter der LINDENSTRAßE (4), oder lebensnäher aus Nordrhein-Westfalen durch die FUSSBROICHS (5) bekannt ist, wird in 'ON THE AIR, UNAWARE' - der Slogan der Serie, konsequent weitergestrickt, vor allem, weitergedacht: das Realitätsfernsehen als Präsentation im Kampf um die täglichen Einschaltquoten.  

TRUMAN, ein Geschöpf des Medienspektakels, der Mediengesellschaft, immer gegenwärtig, niemals aus der Rolle fallend, eben der klassische Heimarbeiter, der keine Privatsphäre hat, immer beobachtet, kontrolliert wird, der die Ereignisse seines Lebens stereotyp abliefert, die lebendige Gegenwart, postmoderne Sentimentalitäten eines unverfälschten Menschen. Der Konsument hat zu jeder Zeit die Möglichkeit, Zugang zu TRUMAN zu bekommen; er braucht nur den berühmten Knopf zu drücken und der 'Hausfriedensbruch' des Fernsehzeitalters bietet ihm Freude, Schablonen, Ersatz; Plagiat eines genährten Wesens, daß Ich und Wir, daß Selbst, daß Wir-Selbst, das Schauspiel, die nachhegelsche Epoche, Theater und Experiment. 

Was ist das leibhaftige Phantom, daß die Kultur-Kritik (6) strenggenommen als 'DIE ALLTÄGLICHE WAHRNEHMUNGSWELT' (7), als 'ILLUSIONSTHEATER' (8) bezeichnet hat? Ist es die Verdichtung des menschlichen Lebens, die Inszenierung einer imaginären Endstufe, ein Werbeunfall, der Hang zum Mythos, der künstliche Mensch, oder wirkliche Welt? Das alltägliche Leben mag eine 'Soap-Opera' sein, in der das eigentümliche die selbstgeschaffene Situation jener Schlaraffenweld ist, wie sie uns mit der überschaubaren Stadt SEAHAVEN, in der die Einwohner keine Sorgen kennen, nur Frohsinn und Glückseligkeit produzieren, die Zufriedenheit des Serienhelden, das Wahrhaftige und die Wahrheit, die keine Lüge kennt, dargeboten wird. 

Das Erschreckende, das Beklemmende, die Symphonie des Schreckens, beginnt dort, wo niemand mehr nachfragt, wer derjenige ist, der das Chiffre- Dasein verkörpert: die Verkümmerungsform des menschlichen Lebens in der Moderne beginnt, das Neutralisierungsmoment, simultan und synchron allgegenwärtig: das Gegenwärtige schlechthin, von der GÜNTHER ANDERS gesagt hat, daß es nicht mehr möglich ist, 'DESSEN VERGÄNGLICHKEIT zu widerrufen' und daß wir uns be- reits in einer Zeit 'AUßERHALB DER GEGENWART' (8) befinden.  

Fiktives ist Wirkliches, Wirkliches ist Fiktives; kein Ort mit  wirklichen Menschen, Geschehen mit Nippes wie in einem Disney-Park, dem Centro- Oberhausen, den deutschen Trabantenstädten. Die wirklichen Teilnehmer von 'true man' sind Gefangene ihrer Dummheit, der Skrupellosigkeit, Phantomproduktionen mit Scherz, Ernst und Schmerz, niemand weiß am Ende der Show, was die Allegorie als solche ist: ist sie die Unverwechselbarkeit des Furchtbaren, ist das Leben nur ein Traum, wann gibt es den Ernstfall, können wir wie BURBANK einfach mit einem Schritt die Leinwand verlassen, um als wirkliche Zeugen hinter den Kulissen auf das zu warten, was kommt? 

1938 erregte ORSON WELLES 'Der KRIEG DER WELTEN' (9) als Hörspiel Aufsehen in Amerika, eine harmlose Rundfunkreportage mit Endzeitvision entpuppte sich als 'THEATER IM THEATER', und doch war die Katastrophenschilderung so real, daß sie als klassisches Modell der Verführbarkeit der Warenseele in die Rundfunkgeschichte einging. Die Mittel heiligen die Zwecke: der Invasionssinn: Farcenspieler, die Desillusionierung des 'Herrn und Knecht' (10), die Ebene der Abstraktion ist längst verlassen, die Kommandozentrale, die ganze Existenz ist surreal, die Suche, die Exkursion, die Sendung mit den Ereignissen, die wahre Identität gibt es nicht, nur gebrauchsfertiger Jogurth; eine Einwegverpackung zum wegwerfen.

Noch finsterer, noch hoffnungsloser hat GEORG ORWELL in seinem berühmten Roman '1984' die 'VERSTECKTE KAMERA' (11) beschrieben, den 'GLÄSERNEN MENSCHEN', der mit dem 'GROßEN BRUDER' kämpft, wo nur das Schicksal übrigbleibt, die blutige Spur der Geschichte, die Alpträume, die Visionen des Friedens, wo die Tragödie mit dem Mysterium vereint erscheint, die Obsession die Vergewaltigung des Warenmenschen ist, wo nur noch Trauer und Verzweifelung spricht, ein Unheil nach dem nächsten angekündigt wird. Gerade diese Momente sind es, die anzeigen, daß das gestrickte Kalkül letztlich ohne Dramaturgie auskommt, da das menschliche Leben Dramaturgie ist, Präzision im Unterdrückungsbetrieb des modernen Kapitalismus, wo die Untertöne der Melancholie wie das Wetter sind, die Gefühle, die Stimmungen, die gesteuert werden, dem Abgrund entgegen, das Ende dieser unheilvollen Geschichte. 

Die reale Gegenwart ist tatsächlich keine Show, die satirenhafte  bitterböse Medienschelte, die Kaperung des Individuums, die seit DAVID RIESMANNs (12) 'Die Einsame Masse' und NEIL POSTMANs 'WIR AMÜSIEREN UNS ZU TODE' (13) bekannt ist, vermag 'THE TRUMAN SHOW' nur im Ansatz darzustellen; die Tragödien der Menschheitsgeschichte im globalen Herrschaftssystem gefangen, der ökonomische Terrror und die ständige Bedrohung durch die Gigantomanie der modernen Ware, deren Grausamkeit; das ist das eigentliche Phänomen und die Ursache schlechthin: aus einer scheinbaren Komödie für Herz und Kehle wird die totale Erniedrigung des Lebens im Geld-Ware-System.  

Hat man schon alles gesehen? Dann gäbe es kein Kino mehr. Gewiß brechen Bilder über uns herein, die die Zustände von Gefangenschaft, Verknotungen und furchtbaren Mienenspielen (14) in Panik ertrinken lassen, als seien wir an einen Herzschrittmacher angeschlossen, Nachlaß und Absurditäten a la Hollywood, wo jene Internet-Site der JENNI-CAM als Vorbild (15) gedient haben mag, ein Leben als abrufbarer Zwischenschnitt, zusammengeträumt, zusammengestellt; Werbe-Trailer der Fernsehstationen, wo nichts mehr heilig ist, alles zusammen: die epische Ironie, schon ein Kunstwerk:und deswegen ist die Entfaltung der äußersten Verzweifelung auf die BURBANK zusteuert, im übertragenen Sinne das globale Weltsystem, das uns die Kehle zuschnürt. 

Eine vielleicht oberflächliche Geschichte, die niemals die Dichte von GATTACA (16) erreicht, führt die Gesichter im Kinosaal in die Tiefen des Entsetzens; leider werden sie im Show-Down, auf der Höhe der Panik allein gelassen: Nervenschock (?) Augenlust; Triumph des Guten über die Mächte der Finsternis, die Bilder kriechen hinterher, der thrill unterbleibt, taube Abspannung und bewegungslose Verängstigung: eine Zukunftsvision, kein politischer Film. TRUMAN - SHOW hätte einer werden können, endlich  mal Hollywoods Schatten überspringend, in den Abgrund blicken, die unaufhörliche Bewegung des menschenverachtenden globalen Kapitalismus mit filmiischen Mitteln darstellend, wenn das überhaupt machbar ist.

Stattdessen: kalkulierbares Kino, sicher gewagt, jedoch ein Spiel, bei dem jede Einstellung gewinnen kann. So bleibt das Event ein Sammelsurium von Zitaten, Klischees, Verkümmerungen, Tricks, Kitsch: die Kunst des Kinos ist einfach: sie besteht darin, nicht von dem abzulassen, was man liebt und filmt: Bewegungsabläufe für Mann und Macher, für alles, für Gattungen und Stoff, für Fälschungen und Resignationen, für Tragödien, Mysterien und Untergänge, vibrierende Bekenntnisse, Qual und Mordlust, jeder Zoom ein Todesurteil, immer zählt nur der Augenblick, der Zauberkasten des Magiers. 

Weil der Betrachter all das wahrnimmt muß er sich gegen das mechanische Gehirn eines Apparates eintauschen, alle Bewegungen sind eführt, der Horizont ist konstruiert, das starre Auge gaukelt eine Bewegung vor während im Kopf alles stillsteht: TRUMAN, ein Exemplar des mechanischen Kinos, ein Kino der Umnachtung, in dem alle Sinne der 'FREUNDLICHKEIT DES GEGNERS' entsprechen; der Feind als Freund; Kinodramaturgie mit glattrasierten Typen, glanzvollen Spielen mit der Sprache, aber die Bilder, die eingelöst werden sollen, erscheinen nicht (dürfen nicht erscheinen!) sie plätschern an der Oberfläche, werden in der immer wieder gebremsten Handlungsfülle kaum reflektiert.  

Die notwendigen Schritte einer Multimediakritik unterbleiben in der traurigschönen Komödie. Darauf wäre es angekommen: die schillernde Dekadenz der Untergangsgesellschaft, den wirkliche 'STAND DER DINGE'  festzumachen, ohne wenn und aber, weg von den Genrefilmen, des Thriller- und Aktionskinos, die Hinwendug zur Genese von Kulturproduktion Überhaupt. Die weltanschaulichen Debatte, die die traditionellen Grenzen des bisherigen Formats überspringen könnte, sich zur Kritik an der Zerfallskultur- und Ökonomie aufrafft, wäre das wirkliche Neue, der Höhe der Zeit angemessen. So gibt es immer wieder klassische Tendenzen, die selbst hinter ANDY WARHOL (17) zurückfallen, das Konzert des Stumpfsinns weiterspielen, den zerpflückten Medienmenschen plakativ als wandelnden PROMETHEUS (18) entmostern, der zum guten Schluß immer wieder in die Fänge der allgegenwärtigen Macht seiner Peiniger gerät. 

'WENN EIN VOLK SICH VON TRIVIALITÄTEN ABLENKEN LÄßT, WENN DAS KULTURELLE LEBEN NEU BESTIMMT WIRD ALS EINE ENDLOSE REIHE VON UNTERHALTUNGSVERANSTALTUNGEN, ALS GIGANTISCHER AMÜSIERBETRIEB, WENN DER ÖFFENTLICHE DISKURS ZUM UNTERSCHIEDSLOSEN GEPLAPPER WIRD, KURZ, WENN AUS BÜRGERN ZUSCHAUER WERDEN UND IHRE ÖFFENTLICHEN ANGELEGENHEITEN ZUR VARIETE-NUMMER HERUNTERKOMMEN, DANN IST DIE NATION IN GEFAHR - DAS ABSTERBEN DER KULTUR WIRD ZUR REALEN BEDROHUNG' (19)

Anmerkungen: 

(1) SEAHAVEN: Der Ort, die Kleinstadt, die Filmkulisse, Küstenstadt programmiertes riesiges Studio, Statistenarena, wo jeder seine Rolle bestens beherrscht; in der die Live-Fernsehshow das komplette Leben des Hauptdarstellers nachzeichnet, seit seiner Geburt, Tag für Tag, Monat für Monat und Jahr für Jahr. 

(2) PETER WEIR: Australischer Regisseur von 'THE TRUMAN SHOW'; 'CLUB DER TOTEN DICHER', 'FEARLESS'.

(3) TRUMAN BURBANK: Held der Serie; gespielt vom JIM CARREY, amerikanischer Komiker ('DIE MASKE'); hinterläßt leider oftmals den Eindruck, als sei er sein eigener Sozialarbeiter; weiß nicht, daß er bisher - sein ganzes Leben lang - von der Fernsehindustrie verarscht wurde. Ca. 5. 000 versteckte Kameras verfolgen ihn, auf Schritt und Tritt, selbst seine Frau (LAURA LINNEY) ist nur Statistin in diesem hochgradigen Betrug. Im Laufe des Filmes 'merkt' TRUMAN, daß irgendetwas nicht stimmt, er beginnt zu 'rebellieren', sich aufzulehnen gegen die Kaugummi-Idylle; versucht aus der Stadt herauszukommen, bekommt deswegen eine Reihe von Schwierig- keiten, bis er sich schließlich auf die Suche nach seiner wahren Identität macht. 

(4) LINDENSTRAßE: Deutsche TV-Serie. 

(5) DIE FUSSBROICHS: TV-Serie des Westdeutschen Fernsehens; läuft im Dritten Programm. Im Unterschied zur LINDENSTRAßE präsentierten sich dort die Darsteller 'LEBENS- NÄHER'. 

(6) Vgl: MAX HORKHEIMER/THEODOR W. ADORNO: DIALEKTIK DER AUFKLÄ-RUNG, Frankfurt/M. 1969. 

(7) Ebenda S. 134 

(8) GÜNTHER ANDERS: Die ANTIQUIERTHEIT DES MENSCHEN, Bd. 1, München 1987, S. 131.f 

(9) ORSON WELLES: 'THE WAR OF THE WORLD' (1938); amerikanischer  Regisseur und Schauspieler; 'CITIZEN KANE' (1941); gelangte der Durchbruch mit dem hervorragenden Film 'THE THIRD MAN' (DER DRITTE MANN - 1949), der im besetzten Wien spielt. 

(10) SAMUEL BECKET: WARTEN AUF GODOT. 

(11) Die mit Lächerlichkeiten dargebotenen Blödeleien der gleichnamigen Fernsehsendung haben nun gar nichts mit den Fakten eines Überwachungsstaates gemeinsam. Die Serie 'MIT VERSTECKTER KAMERA'' (eine zeitlang von dem Schweizer Ehepaar Kurt und Paola FELIX dargeboten) wurde im übrigen einst von dem legendären CHRIS HOWLAND (MUSIK AUS STUDIO B) in den 60er Jahren kreiert und erreichte bis heute nicht im entferntesten das damalige Unterhaltungsniveau. 

(12) Vgl. DAVID RIESMAN: DIE EINSAME MASSE, Darmstadt 1958. 

(13) Vgl. NEIL POSTMAN: WIR AMÜSIEREN UNS ZU TODE, Frankfurt/M.  1985.

(14) JIM CARREY ist ohne Frage sicher ein Meister der Mimik des Mienenspiels, der Gestik, der seine Gags auf Übertreibung und Nonsens anlegt, hat er gerade in 'DIE MASKE' , aber auch in 'BATMAN FOREVER' (als RIDDLER) bewiesen, daß er zu den besten seines Fachs gehört. Hier ist er in einer ernsten Rolle zu sehen, die man ihm auf Anhieb nicht zugetraut hätte. 

(15) JENNI-CAM: Im amerikanischen Internet hat jene junge Frau eine eigene Web-Site kreiert, läßt sich beim alltäglichen Leben via Kamera zusehen. 

(16) GATTACA: Zukunftvision des Regisseurs ANDREW NICCOLS, mit ETHAN HAWKE (Vincent) und der hervorragenden UMA THURMAN (Irene). GATTACA, als Science-Fiction-Thriller steht in der Tradition von 'BLADE RUNNER' und '1984', dürfte als Vorlage ALDOUS HUXLEYs Ro- man von 1932 'SCHÖNE NEUE WELT' gehabt haben.

 (17) ANDY WARHOL: Vgl. z. B. 'FLESH' (FLEISCH). WARHOL stellte in Zusammenarbeit mit seinem Regisseur PAUL MORRISEY 1970 einen Underground-Film her, der trotz seiner sexuellen Freizügigkeiten als ernstzunehmender Beitrag im Rahmen einer Kulturkritik zu verstehen ist (Medienschelte). 

(18) PROMETHEUS: Im griechischen Mythos gilt der 'TITATENSOHN'  als derjenige, der das Geheimnis des Feuers vom Olymp gestohlen hatte. Verborgen in einem Riesenfenchel, brachte er einen Funken zu den Menschen und verteilte das Feuer unter ihnen (daher: wandelnder Prometheus).

(19) NEIL POSTMAN: WIR AMÜSIEREN UNS ZU TODE, S. 190.


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