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aus: DIE ZEIT 1998 Nr. 23

Braune Esoterik auf dem Vormarsch:
Viele Bücher aus der New-Age-Szene zeichnen ein rassistisches Weltbild


Rechter Wahn
von Oliver Schröm
unter Mitarbeit von Dorit Kowitz & Anton Maegerle


Die Juden hätten 1933 den Deutschen den Krieg erklärt, schreibt Jan van Helsing in seinem zweibändigen Werk "Geheimgesellschaften". Deshalb hätten die Juden "allerhöchstens ein Anrecht auf ein Stück Land irgendwo in Rußland". Selber schuld seien sie am wiedererstarkenden Antisemitismus: Der israelische Geheimdienst Mossad finanziere "größtenteils die deutsche Neonazi-Szene". Helmut Kohl, enthüllt Helsing, sei Mitglied eines jüdischen Geheimbundes. Als Sohn jüdischer Eltern geboren, habe sich "Henoch Kohn" später taufen lassen und "den deutschklingenden Namen Kohl" angenommen.

Die "Geheimgesellschaften", 700 Seiten stark, erschienen 1995 im Ewert-Verlag, der auf Gran Canaria und im nordrhein-westfälischen Lathen residiert. Binnen Wochen wurden mehr als 100 000 Exemplare verkauft, das Stück zu 45 Mark: ein Bestseller, ein Millionengeschäft.

Im Mai 1996 ließ die Staatsanwaltschaft Mannheim den Lagerbestand beschlagnahmen und leitete ein Strafverfahren wegen Volksverhetzung ein. Dabei kam Überraschendes heraus: Der Autor Jan van Helsing heißt mit bürgerlichem Namen Jan Udo Holey und gehörte einst zur Punkerszene im baden-württembergischen Crailsheim. Dort hatte er einmal für Aufsehen gesorgt, als er auf dem Rathausplatz eine Deutschlandflagge verbrannte. Das Pseudonym Jan van Helsing hat sich der 32jährige bei der Hauptfigur aus Bram Stokers "Dracula"-Roman geborgt, um in einer Mixtur aus Hitlers "Mein Kampf", wilder Science-fiction und Schwarzer Magie ungestraft vor einer "jüdischen Weltverschwörung" warnen und den Holocaust leugnen zu können.

Den Vertrieb des Buches organisierte federführend Uli Heerd vom Michaels-Verlag im bayerischen Peiting. Er saß bis vor kurzem für die Grünen im Kreistag. "Zu dem Helsing-Buch gebe ich keinen Kommentar mehr", sagt Heerd jetzt. "Wir haben es nicht mehr im Angebot. Dafür haben wir jetzt andere Bücher, die sich mit Machtmißbrauch beschäftigen."

Bei Esoterikmessen werden derweil die "Geheimgesellschaften" weiterhin verkauft - unter dem Ladentisch. Bei der Leipziger Buchmesse im März dieses Jahres bot der Ewert-Verlag das Buch sogar offen an, jedoch in englischer und französischer Sprache, um sich so dem Zugriff der Staatsanwaltschaft zu entziehen.

Den Käufern, die sich sonst für Bachblütentherapie, Hellseherei und heilende Steine interessieren, scheint es egal zu sein, daß der Bestseller ins Visier der Justiz geraten ist. "Nur wer sich mit Esoterik nicht auskennt, kriegt das in die falsche Kehle", sagte in Leipzig eine Helsing-Anhängerin, die ihren Namen nicht nennen wollte.

"Drei Millionen Reichsdeutsche" sollen sich im Erdinnern versteckt halten

Am Messestand des Ewert-Verlags gab es auch einen neuen Jan van Helsing: "Unternehmen Aldebaran. Kontakt mit Menschen aus einem anderen Sonnensystem", Koautoren: Karin und Reiner Feistle. In dem Buch behaupten die drei, seit ihrer Kindheit regelmäßig von Außerirdischen besucht worden zu sein. Die Außerirdischen hätten am Ende des Zweiten Weltkrieges vielen Deutschen zur Flucht verholfen; "drei Millionen Reichsdeutsche" würden sich noch im Erdinnern versteckt halten.

Direkt neben dem Stand des Ewert-Verlags bot der Verlag für außergewöhnliche Perspektiven (VAP) aus dem nordrhein-westfälischen Preußisch Oldendorf seine Bücher feil. Im Angebot: das zweibändige Werk "Insider". Auf 500 Seiten erklärt es, "wer die Welt wirklich regiert", nämlich ein "weltweites Verschwörungsnetz" aus "westlicher Hochfinanz und Kommunisten", das eine "Neue Weltordnung" schaffen wolle, die für "die Menschheit den Abstieg in die Sklaverei bedeute". Vor zwanzig Jahren wurde es vom US-Bürger Gary Allen geschrieben; die Nachfrage hält bis heute an. "Es gibt in Deutschland 80 Millionen Einwohner", erklärt dazu VAP-Chef Bruno Goll, "ziehen Sie davon 7 Millionen Ausländer ab, bleiben noch immer 73 Millionen Leser übrig."

Nach Schätzungen des Börsenblatts, einer Fachzeitung des Buchhandels, werden mit Esoterikliteratur jährlich fünfzehn Milliarden Mark Umsatz gemacht. Der österreichische Esoterikkritiker und Sachbuchautor Roman Schweidlanka schätzt, daß ein Viertel der esoterischen Gemeinschaften im deutschsprachigen Raum rechtsextremistisch eingestellt sei. Schweidlanka spricht bereits von "arischer Esoterik".

Armin Pfahl-Traughber, Mitarbeiter des Bundesamtes für Verfassungsschutz in Köln, bestätigt: "Wenn ich in den Esoterikabteilungen der Buchhandlungen willkürlich ins Regal greife, erwische ich immer öfter ein Buch mit rechtsextremistischem Inhalt." Es ist bemerkenswert, daß diese Bücher nicht nur in den einschlägigen rechten Verlagen erscheinen. So brachte beispielsweise der Goldmann-Verlag das Buch "Schicksal als Chance. Das Urwissen zur Vollkommenheit" heraus. Der Esoterik-Bestsellerautor und Münchner Startherapeut Thorwald Dethlefsen schwadroniert darin im Stürmer-Stil: Der Mensch "hat sich zu bemühen, eine möglichst nützliche Zelle zu sein, so wie er es von seinen Körperzellen erwartet, damit er nicht zum Krebsgeschwür dieser Welt wird. Verläßt er dennoch die Ordnung mutwillig, um seine mißverstandene Freiheit auszukosten, so sollte er sich nicht wundern, wenn er eliminiert wird."

In "Karma und Gnade", erschienen im Münchner Aquamarin-Verlag, vertritt Verlagsleiter Peter Michel die Überzeugung, daß Mongoloide nur ihr schlechtes Karma abtragen: Sie seien in einem früheren Leben zu selbstsüchtig gewesen. Neben klassischen Esoterikwerken über Astrologie und Tod verlegte Michel auch die rassistischen Texte von Gisela Weigl und Franz Wendel, die Dunkelhäutigkeit mit "geistiger Schwerfälligkeit" gleichsetzen.

Dabei ist es nicht so, daß die Esoterikbranche von der rechtsextremen Szene unterwandert würde. Im Gegenteil: "Es ist die Esoterik selbst, von Anfang an und in ihrem Kernbestand, die sich mit Grundauffassungen des rechtsextremistischen Denkens deckt", sagt Holdger Platta, der als Wissenschaftsjournalist unter anderem für Psychologie Heute schreibt. Platta sieht bestürzende Übereinstimmungen zwischen rechtsextremistischen Ideologien und esoterischen Thesen. Da werde Sozialdarwinismus pur propagiert, das Leben als ewiger Kampf zwischen Starken und Schwachen dargestellt und der "Ausleseprozeß" bejaht.

Bereits beim US-Amerikaner Charles W. Leadbeater, einem Esoterikguru der zwanziger Jahre, finden sich Rechtfertigungen für die Ausbeutung und Vernichtung der Völker der Dritten Welt. Das Aussterben der Naturvölker nennt Leadbeater eine "karmische Unvermeidbarkeit", da die Angehörigen der germanisch-nordischen Rasse "als höher entwickelte Seelen bereits über diese hinweggeschritten sind".

Führende Nazis waren bekennende Anhänger der Esoterik. Heinrich Himmler, Reichsführer SS, ließ seine SS-Mannschaften teilweise biologisch-dynamisch ernähren und mit Naturheilmitteln kurieren. Aus seinem elitären Selbstverständnis, ein "Erleuchteter" zu sein, resultierte auch sein Rassenwahn und die Bejahung des Holocaust.

Einige zeitgenössische Esoteriker versuchen nun, die Verantwortung der Nazis an der Judenvernichtung zu relativieren: "Hätten die sechs Millionen wirklich entkommen wollen, wäre es ihnen geglückt", verkündete der amerikanische Esoteriktherapeut Phil Laut auf einem seiner Seminare. Und in einer ORF-Talk-Show behauptete der deutsche Staresoteriker Erhard Freitag schon einmal, das jüdische Volk hätte in den Gaskammern des "Dritten Reiches" Vergehen aus früheren Leben zu büßen gehabt.

Esoterikkritiker Platta weiß für den neuen Boom nur eine altbekannte Erklärung: "Eine wirtschaftliche Rezession geht stets einher mit der Konjunktur des Aberglaubens. Wenn es in einer Gesellschaft kriselt, nimmt leider die Bereitschaft zu, sich solchem Gedankengut zuzuwenden."

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