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Editorial

Hundert und mehr

von Karl Müller

 

Unlängst berichtete der Berliner Tagesspiegel über massive staatlichen Restriktionen in China bei der Nutzung des Internets. In diesem Zusammenhang wurde unverhohlen Begeisterung für die Hacker signalisiert, die die Menschenrechtsseite der chinesischen Regierung knackten und mit einem Hyperlinks zu Amnesty International versahen. Selbst für das Plündern von chinesischen Banken oder Erschleichen von kostenlosen Internetzugängen zeigte man in diesem Artikel eine gewisse klammheimliche Freude. Schlußendlich folgte die Feststellung, daß das Internet par excellence ein Medium der (Meinungs-)Freiheit sei.

Spätestens nachdem der trend vor rund einem Dreivierteljahr durch einen einzelnen Provider aus dem Internet vertrieben worden war, der zudem noch die Unverfrorenheit besaß, seine eindeutigen politischen und ökonomischen Motive zu bestreiten, war uns erneut unter Beweis gestellt, daß es Meinungsfreiheit im Internet nur für die geben kann, die über die ökonomischen und technischen dafür Voraussetzungen verfügen.

Als wir die gegen uns gerichtete Zensur und Providerwillkür öffentlich machten, meinten einige ganz Schlaue, unsere Ansichten folgendermaßen korrigieren zu müssen. Erstens stellten sie fest, die Beschränkung von Freiheit durch ökonomische Macht sei im Kapitalismus gang und gäbe. Und folgerten daraus zweitens, daß der Staat für Freiheit/Zensur exklusiv zuständig sei. Weshalb in Sachen Internet & Freiheit dieser auch ausschließlich zu kritisieren sei. Vorauseilender Providergehorsam, willfähriges Erfüllenwollen staatlicher Repression, um schlichtes Profitstreben abzufedern, leugneten sie einfach als Tatbestände. Gerade diejenigen, die aus dem Mailbox-Spektrum kamen, äußerten offene Sympathie für den Provider, sahen sie sich doch mit ihren Mailbox-Hierarchien incl. der dazugehörigen closed shop-Mentalität in einem ähnlichen Spannungsverhältnis wie der Provider zu uns. Die aktuellen Auseinandersetzungen im CL-Netz, ab wann man denn Nazi sei und wer wen ab wann herauszusäubern habe, illustrieren, daß bei den selben Leuten nichts dazugelernt werden wollte.

Wir – d.h. die, die heute das PARTISAN.net selbstorganisieren – zogen aus all dem den Schluß, eine Webpräsenz in eigener gleichberechtigter, libertärer Regie zu schaffen. Nach sechs Monaten des Experimentierens bekommt die Sache nun Hand und Fuß. Und wir verraten nicht zuviel, wenn wir an dieser Stelle mitteilen, was die PartisanInnen an Umsetzung ihrer Konzeptes zur Zeit diskutieren.

Dabei geht es um drei Hauptziele:

  • Ein Büro- und Kommunikationsraum
  • Ein Open Terminal für Nachrichten & Mails
  • Kostenlose Homepages für Leute aus dem linken Spektrum

Einige PartisanInnen sind der Meinung, wenn 100 SponsorInnen bis zum 31.12.1998 jeweils einmal 100 DM (oder mehr) spenden, dann werden diese Ziele ab 1.1.1999 realisiert werden. Diese Einsicht ist Ergebnis einer nüchtern betriebswirtschaftlichen Überlegung, geschuldet der Einsicht ""no money – no honey". Oder etwas programmatischer wie in der "internen" Diskussionsvorlage dazu ausgedrückt:

"Das Internet erfordert erheblichen administrativen, technischen und finanziellen Aufwand zur Teilnahme daran. Für private NutzerInnen ist es nicht möglich, den Zugang und die entsprechenden Dienste allein zu realisieren. Daher besorgen sich immer mehr Leute ihren privaten Zugang zum Internet bei großen kommerziellen Anbietern (Telekom, AOL, Compuserve etc.) Die BetreiberInnen des Partisan.net halten es dagegen für sinnvoller, wenn sich Gleichgesinnte zu einer grösseren Gruppe zusammenschliessen, dort Erfahrungen austauschen, die Vorarbeiten der anderen nutzen und schließlich die Erlöse dem Zusammenschluß wieder zu gute kommen."

Am 3.11. ist PartisanInnen-Treff. Dort wird dieser Komplex beraten und ggf. eine Kampagne "Hundert und mehr" angeschoben.

Wir vom trend sind dabei.

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