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Ausländerfeindlichkeit, Leitkulturen und Rechtspopulismus

von Bernhard Müller
11/04

trend

onlinezeitung
Der Mord an dem niederländischen Filmregisseur Theo von Gogh hat innerhalb der Europäischen Union zu einer Intensivierung der Debatte über Integration von Arbeitsmigranten, Asylanten und Flüchtlingen geführt. Im Zentrum stehen die moslemischen Bürgerinnen und Bürger. »Der bestialische Mord (...) hat (...) gefährliche Hysterien ausgelöst, eine antikoranische Tollwut, er hat antitürkischen und antiarabischen Rassismus angestachelt, eine Debatte ausgelöst, die in erschütternd pauschaler Dummheit den gemeinen Muslim, Araber, Nachbarn zum Sicherheitsrisiko erklärte.« (Heribert Prantl) Siehe dazu auch

Sowie folgende Artikel in der bürgerlichen Presse

FAZ:
Die Niederlande nach dem Mord
Freitag: Muselman und die Brandstifter
Spiegel:
Interview mit Leon de Winter

Süddeutsche: Kampf der Kulturen
taz:
Van Gogh und die Menschenrechte
Weltwoche:
Radikale Muslime und radikale Demokraten können nicht friedlich zusammenleben.

und Van Gogh`s Submission im Internet

Außerdem aus dem rechtsextremen Lager:

Nationaljournal:
Kultur-Krieg unter dem
Banner von "911"
Deutsches Kolleg:
Semitischer Ritualmord

Eine Mischung aus realen Problemlagen (Ghettoisierung, miserable Ausbildungssituation, überdurchschnittliche Betroffentheit von Arbeitslosigkeit etc.) und islamophobischen Stimmungen, die heute Bestandteil des rechtspopulistischen Vorurteilssyndroms sind, bringt eine Konstellation hervor, in der rechte Populisten ihre rassistischen und antidemokratischen Narreteien ausbreiten können. Die Forderung nach »Deutsch für Immame« gehört dabei zu den eher harmloseren Abwegigkeiten.

In dieser Debatte wird erneut eine charakteristische Verschiebung des gesellschaftlichen Diskurses sichtbar. Über die Ursachen für die gescheiterte Integration, soziale Ausgrenzung oder auch des Rückzugs bestimmter Teile der BürgerInnen nichtdeutscher Herkunft in (religiöse) Subkulturen wird kaum geredet. Dabei ist die Geschichte der Immigration in die Bundesrepublik eine beredte Geschichte der Ignoranz gegenüber den damit verbunden sozialen, kulturellen und politischen Problemen und der gebrochenen Integrationsversprechen. Davon legt jede Arbeitslosen-, Ausbildungs- oder Sozialstatistik Zeugnis ab. Die jüngste PISA-Studie etwa belegt eindrücklich, dass die Migrantenkinder die großen Verlierer der sozialen Auslese unseres Bildungssystems sind. Diese Situation reflektiert sich in den Stimmungen der BürgerInnen nichtdeutscher Herkunft. »Die Lebenseinstellung (der zweiten Generation der Einwanderer) ist laut RWI-Auswertung von Pessimismus und Selbstzweifeln geprägt. Zudem nähmen sie ihr Leben als wenig selbstbestimmt wahr. Mehr als 50 Prozent der Befragten sähen es als ›von Schicksal und Glück‹ regiert und nicht von den eigenen Leistungen.....Die große Mehrheit der Türken in Deutschland fühlt sich zunehmend diskriminiert. 80 Prozent fühlen sich im Alltagsleben ungleich behandelt, ergab eine Studie des Essener Zentrums für Türkeistudien - etwa bei der Arbeit, bei der Wohnungssuche und bei Behörden. 1999 waren es nur 65 Prozent.« (Joachim Wille FR vom 22.11.2004) Von dieser Selbsteinschätzung hin zur verstärkten Hinwendung zur eigenen Subkultur und Religion bei Teilen der Migrationsbevölkerung ist es nur ein kleiner Schritt.


Die Ein- und Zuwanderer gehören, wie die unteren sozialen Schichten insgesamt, zu den Opfern des neoliberalen Umbaus dieser Gesellschaft. Der politische Wille und damit die Bereitschaft, für ihrer sozialen Problemlagen Ressourcen zur Verfügung zu stellen, schwindet in einem abenteuerlichen Tempo. An die Stelle von Integrationspolitik tritt die Forderung an die Bürgerinnen und Bürger nichtdeutscher Herkunft, sich an- und einzupassen. Während Sozialdemokratie und Grüne nach dem Motto des »Forderns und Förderns« »darauf bestehen, dass unserer Integrationsbereitschaft ein Integrationswille bei denen entspricht, die zu uns kommen« (Schröder), nutzt das bürgerliche Lager die Gelegenheit zu einer dem Wahlkampf der US-Republikaner nachempfunden Reaktualisierung christlicher Werte und Leitkulturen, um der immer bedrohlicheren Gefahr einer starken rechtsradikalen Konkurrenz zu begegnen. Die »nichtchristlichen« Zuwanderer als Projektionsfläche zur Aktivierung nationalistischer Vorurteile: »Die Zunahme der rechtsradikalen Wählerschaft bei uns hing sehr stark zusammen mit der Verunsicherung durch Hartz IV. Wir gehen die notwendigen Reformen zu technisch an. Wir fragen nicht: Wozu? Wozu haben wir den Solidarpakt? Weil wir wieder eine vereinte Nation sind. Auch die Reform der Sozialsysteme ist eine Frage der Gerechtigkeit in der Nation...Wir haben im zunehmenden Druck des internationalen Wettbewerbs nur eine Chance, wenn wir als Deutsche gemeinsam darangehen, etwas zu ändern« (Schönbohm)


In der Tat droht den Unionsparteien eine starke Konkurrenz von rechts zu erwachsen, die auf der Klaviatur von Fremdenfeindlichkeit und Nationalismus spielt. Die Erfolge von NPD und DVU im Sächsischen bzw. Brandenburger Landtag sind Ausdruck eines bemerkenswerten Prozesses der Neugruppierung der extremen Rechten. Haben sich die diversen rechtsradikalen Parteien und Sekten in der Vergangenheit wechselseitig blockiert und neutralisiert, suchen sie jetzt durch Wahlabsprachen, die Verständigung auf bestimmte programmatische Forderungen und die Ausklammerung strittiger Fragen (etwa zur Verfassung) die Voraussetzungen dafür zu schaffen, aus ihrer politischen Randexistenz herauszutreten.


Der Übergang der Sozialdemokratie zur Politik der Agenda 2010 und die Entscheidung des bürgerlichen Lagers für einen Kapitalismus angelsächsischen Typs haben eine politische Konstellation geschaffen, in der die extreme Rechte die Chance wittert, größere Teile der von der herrschenden Politik betroffenen und enttäuschten Bürgerinnen und Bürger für sich zu gewinnen. Die NPD spricht dies offen aus »Die Agenda 2010 mit Hartz IV wird es uns leichter machen, den Bürgern zu erklären, dass die etablierte Politik auf der ganzen Linie versagt hat...Obwohl selbst für Laien erkennbar die verfehlte Ausländerpolitik, die Globalisierung und die vergrößerte EU ständig für leere Kassen sorgen, fand keine politisch-ökonomische Gegensteuerung durch die Herrschenden statt. Die etablierten Parteien sind sich zudem einig darin, den Sozialabbau voranzutreiben, statt neue Arbeitsplätze zu schaffen. Alternative Programme und Visionen gibt es nur noch bei den an nationaler Politik orientierten Parteien...Gerade zu Beginn des Jahres, wenn die ALG II-Empfänger ihre Bescheide erhalten, werden wir da sein, um zu zeigen, dass es auch anders gehen würde, wenn in Deutschland deutsches Geld für deutsche Ausgaben eingesetzt und verantwortungsvolle Politik für das eigene Volk betrieben würde.« (Voigt, NPD)


»Deutsches Geld für deutsche Ausgaben« bedeutet dann praktisch: »Heimführungsgesetz, welches die Ausgliederung der hier lebenden Ausländer aus dem Sozial-, Renten- und Arbeitslosenversicherungssystem beinhaltet...Die bislang eingezahlten Beiträge werden ausgezahlt und sind eine Aufbauhilfe für den Ausländer, der heimgeht, da diese nur in seinem Heimatland ausgezahlt werden. Ein Arbeitsplatzsicherungsgesetz regelt, dass solange keine Arbeitsplätze an Ausländer vergeben werden dürfen, solange noch gleich qualifizierte Deutsche arbeitslos sind. Ein weiteres Gesetz regelt, dass Ausländer, die länger als drei Monate arbeitslos sind, ausgewiesen werden...Jeder noch beschäftigte Ausländer, der nach Hause geht, macht einen Arbeitsplatz für Deutsche frei, der besser als mit 1 Euro bezahlt wird.« Der organisatorische und politisch-programmatische Umgruppierungsprozess der extremen Rechten ist keineswegs abgeschlossen. Die vermeintlichen Lösungen, die sie anbietet, bedienen Vorurteilstrukturen, bieten aber keine Zukunftsperspektiven. Ob es ihr dauerhaft gelingt, die internen Differenzen zurückzustellen, muss offen bleiben. Die flaue Konjunkturentwicklung und die Dauerkrise der öffentlichen Haushalte und Sozialkassen werden ihr Terrain sicherlich eher erweitern. Entscheidend für die Eingrenzung der extremen Rechten wird deshalb sein, ob es der Linken gelingt, das demokratische Potential im Lande zu aktivieren und eine umfassende Aufklärung über die gesellschaftlichen Hintergründe von Rassismus und Rechtsextremismus zum Thema zu machen.
 

Editorische Anmerkungen

Der Artikel erschien am 25. November 2004 bei http://www.sozialismus.de/socialist/index.html