Die
weitere Durchsetzung eines
neuen Ausbeutersystems in der DDR in den 1960er
Jahren
Lag die Führung
des Wettbewerbs früher weitgehend in Händen der
Gewerkschaften, so ging sie jetzt verstärkt
auf die Werksleitung über. "Der Leiter neuen
Typs muß das Prinzip der Delegierung der
Verantwortung auch in anderer Richtung
durchsetzen. Er darf sich weder von oben noch
von der Seite ins Handwerk pfuschen lassen.
Wenn der Generaldirektor zum Beispiel eine
konkrete Orientierung für die Arbeit der
Werktätigen seines Industriezweiges gegeben
hat, so kann die Gewerkschaft nicht einen
allgemeinen Wettbewerb veranstalten, dessen
Ziele sich nicht mit den Hauptaufgaben decken,
die der Generaldirektor gestellt hat. Solche
Wettbewerbe müssen in Zukunft mit dem
Generaldirektor vereinbart werden, oder sie
können nicht stattfinden."(573) Allerdings
sollten ohnehin keine allgemeinen Wettbewerbe
mehr stattfinden. "Die Erfordernisse der
wissenschaftlich-technischen Umwälzung
gestatteten es nicht mehr, den Wettbewerb in
allen Zweigen der Volkswirtschaft nach
allgemeingültigen Zielen und Beispielen zu
organisieren. "(574) Als weitere Begründungen
wurden die mannigfaltigen Verflechtungen und
Kooperationsbeziehungen, die zunehmende
Arbeitsteilung und das neue ökonomische System
genannt. Es sollten von nun an vor allem
Komplexwettbewerbe stattfinden, die von
der Herstellung eines bestimmten Produkts
abgeleitet wurden. "Der Komplexwettbewerb geht
aber auch über den einzelnen Betrieb hinaus. Er
umfaßt, ausgehend vom Finalprodukt, alle
Betriebe, die entscheidend an der Herstellung
des Produkts beteiligt sind, also sowohl
Finalproduzent als auch
Zulieferbetriebe."(575)
Ferner wurde
1962/63 in einem Kraftfahrzeugwerk in Werdau im
Rahmen der Wettbewerbsbewegung das
Haushaltsbuch als eine Form der
wirtschaftlichen Rechnungsführung auch für
die kleinste Produktionseinheit eingeführt. Im
Verlauf der weiteren Entwicklung wurde diese
Form der Rechnungsführung immer mehr zum,
Bestandteil der Wettbewerbsbewegung.(576) "In
den fortgeschrittenen Betrieben wird bereits
der gesamte Komplex der
Produktionsrationalisierung vom Wettbewerb auf
der Grundlage des Haushaltsbuches erfaßt."(577)
Hinsichtlich der
Neuererbewegung zeigten Untersuchungen, daß die
meisten Kollektivvorschläge
von zwei bis vier Neuerern eingebracht wurden.
Bei diesen handelte es sich überwiegend um
Facharbeiter wie Einrichter, Schichtleiter,
Reparaturschlosser und Meister. Viele Leiter
wandten sich immer wieder an den gleichen
Kreis von qualifizierten Neuerern und wurden
dabei nicht selten auch noch von der
Gewerkschaftsleitung unterstützt.(578) Diese
Untersuchungen bestätigen nur den hier bereits
ausführlich geschilderten Charakter der
Neuererbewegung und die Tatsache, daß in dieser
das Prinzip des sozialistischen Wettbewerbs,
die Hilfe für die Zurückgebliebenen zum Zwecke
eines allgemeinen Aufschwungs nicht realisiert
wurde.
Neu in der
Entwicklung des 'sozialistischen' Wettbewerbs
war jedoch, daß dieser in der hier behandelten
Periode auch auf privatkapitalistische Betriebe
mit voller Billigung von Partei und
Gewerkschaft ausgedehnt wurde. Derartige
Bestrebungen hatte es bereits früher seitens
der Privatunternehmer gegeben. Es sei daran
erinnert, daß diese aufs schärfste
zurückgewiesen wurden, da damit nur der Profit
dieser Unternehmer gesteigert würde.(579) Die
Ausdehnung des sozialistischen Wettbewerbs auch
auf die halbstaatlichen und privaten Betriebe
wurde von Ulbricht als Festigung der
politisch-moralischen Einheit aller Schichten
der Bevölkerung gekennzeichnet. Er begründete
die Tatsache, daß nunmehr auch die
Privatkapitalisten vom Wettbewerb der
Arbeiterklasse profitieren konnten, damit, "
... daß sich die Angehörigen dieser Schichten
im Prozeß des gemeinsamen sozialistischen
Aufbaus aus individuellen Kleinproduzenten zu
sozialistisch schaffenden Werktätigen
entwickelt haben und sich auf vielfältige Weise
durch neue Beziehungen mit dem sozialistischen
Aufbau und der Arbeiterklasse verbunden
fühlen."(580) Handelt es sich hier vorwiegend
um eine klassenmäßige Begründung, so wurde die
Ausdehnung des Wettbewerbs ökonomisch mit der
Erzeugnisgruppenarbeit und damit verbunden mit
dem Komplexwettbewerb motiviert. Die Arbeiter
waren vielfach jedoch nicht damit
einverstanden, daß sich durch ihre Leistungen
im Wettbewerb die Profite der
Privatkapitalisten erhöhten. "Solche Kollegen
übersehen allerdings, daß das schrittweise
Einbeziehen der Unternehmer in den
sozialistischen Aufbau und das Nutzbarmachen
ihrer Arbeit für den Sozialismus ein
politisches und ökonomisches Erfordernis bei
der Vollendung des Sozialismus in der DDR ist.
... Leisten die Komplementäre und privaten
Unternehmer einen schöpferischen Beitrag im
Sinne des gesellschaftlichen Fortschritts,
widerspricht das auch nicht dem
Klasseninteresse der Arbeiter, wenn sich
zugleich der Gewinn dieser Betriebe
erhöht."(581) Nicht also die Arbeiter in diesen
privatkapitalistischen Betrieben leisten den
'schöpferischen Beitrag', sondern die
Unternehmer. Das rechtfertigt einen höheren
Profit!
Fußnoten
573) Ulbricht: Die ökonomischen Gesetze des
Sozialismus im gesamten volkswirtschaftlichen
Reproduktionsprozeß einheitlich anwenden, in:
ders.: Probleme der sozialistischen
Leitungstätigkeit, Berlin 1968, S. 257
574) Falk, Waltraud u.M. von Horst Barthel:
Kleine Geschichte einer großen Bewegung, Berlin
1966. a.a.O., S. 222
575) Dzykonski: Initiative warum?, a.a.O., S.
98
576) vgl. Ulbricht: Probleme des
Perspektivplanes bis 1970, in: ders.: Zum
ökonomischen System des Sozialismus in der DDR,
Band 1, Berlin 1968, S. 711
577) Falk: Kleine Gesch a.a.O., S. 228
578) Autorenkollektiv des Instituts für
sozialistische Ökonomik der Hochschule der
Deutschen Gewerkschaften "Fritz Heckert",
Bernau: Ökonomisches System und
Interessenvertretung, Band I, S. 312f. (Berlin
1968)
579) vgl. Fugger: Was lehrt Stalin den
deutschen Aktivisten, Berlin 1949., S. 17
580) Ulbricht: Ergebnisse des sozialistischen
Wettbewerbs zu Ehren des 15. Jahrestages der
DDR, in: ders.: Zum ökonomischen System Band 1,
a.a.O., S. 530 - vgl. auch S. 529
581) Autorenkollektiv: Ökonomisches System und
Interessenvertretung, Bd. II, a.a.O., S. 493f.
Quelle:
Uwe Wagner, Vom Kollektiv zur Konkurrenz,
Westberlin 1974, S.151 (Bild) und S. 179f
(Text)
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