Bernard Schmid  berichtet aus Frankreich

Hintergrundinformationen und Einschätzungen
zur Berichterstattung über die Arbeitsrechts-“reform“ unter Emmanuel Macron.

10/2017

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Lange Monate hindurch sah es so aus, als bleibe die aktive Opposition gegen Macrons arbeits-, sozial- und wirtschaftspolitische Vorhaben – dazu zählen die nun bevorstehende so genannte Reform des Arbeitsrechts sowie ein geplanter radikaler Umbau des Sozialversicherungssystems – kleinen Zirkeln vorbehalten. Bei Kundgebungen des Front social, eines im Frühjahr entstandenen Zusammenschlusses linksradikaler Gewerkschaftsflügel, im Juni nahmen etwa in Paris rund 1.000 Menschen teil. Zwar wurde damals noch in 33 weiteren französischen Städten demonstriert (vgl. für eine unvollständige Übersicht vorab: https://www.bastamag.net/ sowie einen Nachklang: https://www.anti-k.org/), doch es handelte sich stets um eine kleine aktive Minderheit. Doch diese Situation ist nun vorüber.

Die Berichte

In der Mehrheit der Bevölkerung herrscht ein begründetes Misstrauen gegenüber den Regierungsplänen beim Arbeitsrecht und ihren Konsequenzen für die Lohnabhängigen. Ende August dieses Jahres erklärten bei einer Umfrage etwa 68 Prozent der Teilnehmenden, sie rechneten mit einer Verschlechterung der Rechte von abhängig Beschäftigten. Am 18. September d.J. publizierte die sozialdemokratische Tageszeitung Libération eine Befragung, wonach 60 Prozent der Antwortenden „eine stärkere Prekarisierung der Beschäftigten befürchten“. Und anlässlich der ersten Demonstrationen gegen die regressive Arbeitsrechtsreform, die am 12. September 17 stattfanden und zu denen vor allem die CGT sowie die linken Basisgewerkschaften SUD/Solidaires aufriefen, erklärten sich laut einer weiteren Umfrage 57 Prozent im Prinzip mit den Teilnehmer/inne/n einverstanden.

Zwar sind die Statistiken, die von demoskopischen Instituten entwickelt werden, im Grundsatz mit Vorsicht zu genießen und hängen oft von der genaueren Fragestellung ab. Doch gibt es in diesem Falle keinerlei gegenläufige Ergebnisse und kein Indiz dafür, dass irgendwo eine für Staat und Kapital günstigere Stimmungslage existieren würde.

Dennoch kommt die Protestdynamik bislang nicht genügend in die Gänge, um die Regierung zu Zugeständnissen oder gar einem Rückzieher zwingen zu können. Die weitere Entwicklung hierbei bleibt natürlich noch abzuwarten. Hier seien nun einige Faktoren benannt, die dazu beitragen können, die aktuelle Situation zu begreifen.

Einbindung der Gewerkschaften

Zwei Monate lang dauerten die „Konzertierungsgespräche“, mitten im Hochsommer. Zwischen Juni und August 2017 wurden Gewerkschaften und Arbeit„geber“verbände insgesamt 43 mal durch die französische Regierung unter Premierminister Edouard Philippe und Arbeitsministerin Muriele Pénicaud angehört. Es ging dabei offiziell darum, die nächste „Reform“ im französischen Arbeitsrecht vorzubereiten – nach jener vom vergangenen Jahr in Gestalt der Loi travail („Arbeitsgesetz“), das nach fünfmonatigen, teils heftigen Protesten am 08. August 2016 in Kraft trat.

43 Treffen: Diese Zahl umfasst alle Einzelgespräche mit den unterschiedlichen Richtungsgewerkschaften, die jeweils getrennt voneinander, nie zusammen eingeladen wurden, außer bei der Einleitung und zum Anschluss des Verfahrens. Am Ende behauptete die Regierung dann, alle Voraussetzungen für eine entwickelte „soziale Demokratie“ erfüllt zu haben, da man sich auf derart viele Gesprächstermine eingelassen habe.

Seitens der Gewerkschaften oder jedenfalls ihres kritischen Teils – das meint in diesem Falle vor allem die CGT, also den historisch ältesten, 1895 gegründeten Dachverband in Frankreich, denn die tendenziell links von ihr stehenden Basisgewerkschaften der Union syndicale Solidaires waren zur „Konzertierung“ nicht eingeladen – sieht man dies anders. Hier macht man geltend, dass es sich eher um eine Art Beschäftigungstherapie gehandelt habe: Monatelang wurden die Vorstände der Gewerkschaftsdachverbände sowie ihre Arbeitsrechtsexperten und –expertinnen auf diese Weise in Atem gehalten. Inhaltlich hätten ihre Anmerkungen und Änderungswünsche hingegen kaum, ja so gut wie gar nicht Einfluss auf die Konturen einer „Reform“ genommen, von welcher der linke Abgeordnete François Ruffin1 im Parlament unwidersprochen behauptet hat, ihre 150 Seiten Text seien in Wirklichkeit letztendlich von nur zehn Personen in abgeschlossenen Räumen des Arbeitsministeriums verfasst worden.

Hinterhalt im Sommerloch?

Hinzu kommt, dass diese zahlreichen Anhörungen überwiegend mitten im Hochsommer stattgefunden haben. Also in einem Zeitraum, in welchem – jedenfalls in Paris und in anderen urbanen Zentren – das politische Leben bis zur letzten Augustwoche zum Erliegen kommt und die Hauptstadt wochenlang vorwiegend dem Tourismusgewerbe gehört. Ein solches Vorgehend ist bei französischen Regierungen nicht völlig unüblich, wenn es darum geht, sozialpolitische Weichenstellungen vorzunehmen, von welchen erwartet wird, dass sie bei einer Mehrheit der Bevölkerung (und erst recht unter den Lohnabhängigen) eher schlecht ankommt.

Zuletzt versuchte auf just diesem Wege, die Regierung des damaligen Premierministers Dominique de Villepin im Hochsommer 2005 – im Elyséepalast saß noch Jacques Chirac als Staatsoberhaupt – entscheidende Änderungen besonders am Kündigungsschutz durchzuhebeln. Am 02. August jenes Jahres legte die Regierung de Villepin insgesamt sechs ordonnances (durch die Exekutive ausgearbeitete Rechtsverordnungen mit Gesetzeskraft) vor, von denen eine den Contrat nouvelle embauche (CNE, „Neueinstellungsvertrag“) einführte. Dabei handelte es sich um einen neuartigen Arbeitsvertrag, den kleinere Unternehmen mit bis zu zwanzig Beschäftigten abschließen konnten und der den Kündigungsschutz für die Dauer von bis zu zwei Jahren schlicht abschaffte.

Dieses Vorgehen mittels eines sozialpolitischen Überraschungsangriffs mitten im Hochsommer ersparte de Villepin jedoch erhebliche Ungemach nicht auf Dauer. Einerseits kassierten französische Arbeitsgerichte wiederholt Arbeitsverträge vom Typus CNE, indem sie erklärten, diese seien mit höherrangigem supranationalem Recht unvereinbar, konkret mit der Konvention Nummer 159 der International Labour Organisation (ILO) zum Thema Schutz vor ungerechtfertigten Kündigungen. Erstmals geschah dies infolge einer Arbeitsgerichtsverhandlung am 27. März 2006 in Longjumeau im südlichen Pariser Umland, deren Ergebnis wurde jedoch später bis hin zum Obersten Gerichtshof (in einem Urteil vom 1. Juli 2008) bestätigt. Zum Anderen biss der konservative Premier bei dem Versuch, den zunächst vermeintlich reibungslos durchgesetzten Mechanismus des CNE auf die unter dreißigjährigen Lohnabhängigen auszudehnen, auf Granit. Dieses Mal ging es um die Einführung des Contrat première embauche (CPE, „Ersteinstellungsvertrag“), welcher für jüngere Beschäftigte den Kündigungsschutz aushebeln sollten. Gegen dieses Vorhaben gingen im März und Anfang April 2006 bis zu drei Millionen Menschen gleichzeitig auf die Straßen, es kam zu teilweise gewaltsamen Auseinandersetzungen, und Präsident Chirac musste am 10. April jenes Jahres die Notbremse ziehen. Er ordnete an, den CPE - zehn Tage nach seiner offiziellen gesetzlichen Einführung – wieder abzuschaffen. Es handelt sich bis heute um die letzte soziale Bewegung in Frankreich, welche einer Regierung zu einer totalen Niederlage bei einem Gesetzesvorhaben auf dem Feld der Arbeits-, Sozial- und Wirtschaftspolitik brachte.

Auch bei der amtierenden Regierung unter Präsident Emmanuel Macron und seinem Premierminister Edouard Philippe dürfte es nicht funktionieren, der gesellschaftlichen Opposition vollständig den Wind aus den Segeln zu nehmen, indem eine von vielen misstrauisch betrachtete „Reform“ mitten im Hochsommer mit Hochdruck durchgezogen wird. Zwar blieben die Gewerkschaftsapparate die Monate Juli und August hindurch faktisch paralysiert und wurden durch die relativ lange Serie von Anhörungen in Atem gehalten. Aber zum Einen wurde das inhaltliche Endergebnis der „Reform“ dann am 31. August verkündet; also zu einem Zeitpunkt, an dem die rentrée beginnt, also das Wiedererwachen des politischen Lebens in Paris und anderen urbanen Zentren nach der Sommerpause.

Zum Anderen erweisen sich viele Französinnen und Franzosen als skeptisch gegenüber den Inhalten der „Reform“, auch wenn die Stimmen der Gewerkschaften während des Sommers - durch die gewählte Vorgehensweise und „Reformmethode“ – weitgehend stumm gehalten wurden, jedenfalls gegenüber der Öffentlichkeit.

68 Prozent der Umfrageteilnehmerinnen und –teilnehmer erklärten in einer Befragung Ende August dieses Jahres, sie befürchteten, dass die bevorstehende „Reform“ eine Verminderung von Beschäftigtenrechten bedeute. Umgekehrt ergab eines fast zeitgleich, anlässlich der „Sommeruniversität“ des Unternehmerverbands MEDEF publizierte Umfrage, dass 87 Prozent der Arbeit„geber“ die angekündigte „Reform“ unterstützten und ihre zügige Umsetzung forderten.

Inhalte der „Reform“

Doch worum geht es auf den 150 Textseiten, auf denen die insgesamt fünf ordonnances abgefasst sind?

Es handelt sich dabei um Texte, die durch die Exekutive ausgearbeitet wurden und deren Inhalt nicht im Parlament debattiert wurde. Dennoch werden diese Verordnungen künftig Gesetzeskraft aufweisen, weil das Rechtsinstrument der ordonnances dies erlaubt. Es erfordert jedoch die Verabschiedung eines „Ermächtigungs“- respektive „Befähigungsgesetzes“ durch das Parlament, welche der Regierung grundsätzlich das Recht dazu erteilt – es wurde am 13. Juli d.J. durch die Nationalversammlung und kurz darauf auch im Senat angenommen -, die Ausarbeitung der Verordnungen sowie am Schluss die Verabschiedung eines generellen Annahme-Gesetzes. Letzteres steht bei Redaktionsschluss dieses Artikels noch aus; die Parlamentsdebatte dazu wurde nun auf den 20. November 17 angesetzt. (Die ordonnances selbst wurden am 31.08.2017 vom Arbeitsministerium vorgelegt und bei der Kabinettssitzung am 22. September d.J. durch die Gesamtregierung abgesegnet.)

Ihr Inhalt soll das so genannte „Arbeitsgesetz“, das am 08. August 2016 nach der Unterschrift des damaligen Staatspräsidenten François Hollande in Kraft trat, vervollständigen.

Insbesondere soll es Bestimmungen, deren Durchsetzung damals scheiterte, doch noch einführen. Das Kernstück ist dabei die – künftig durch die Arbeitsgerichte verbindliche – Deckelung der Abfindungszahlungen im Falle einer „ungerechtfertigen“, also rechtswidrigen, Kündigung. Bislang war diese Abfindung zunächst durch die Arbeitsgerichte in Abhängigkeit vom Ausmaß des Schadens für den oder die betroffene/n Lohnabhängige/n festgelegt worden, unter Berücksichtigung u.a. der Schwierigkeiten, erneut einen halbwegs vergleichbaren Arbeitsplatz zu finden, sowie der Schwere des Unrechtscharakters im Verhalten des Arbeitgebers. Dabei kam es in der gerichtlichen Praxis zu Abweichungen in einer Größenordnung in etwa von Eins zu Drei.

Seit dem Inkrafttreten des „Arbeitsgesetzes“ vom 08.08.2016 sorgte dieses dafür, dass es bereits zum Einziehen einer Obergrenze für solche Abfindungszahlungen kamen. Diese stellte jedoch, gemäß der letzten Fassung des Gesetzes von 2016 (und anders als im Vorentwurf vom 17. Februar 2016, in welchem sie ebenfalls verbindlich ausfiel) einen Richtwert für die Arbeitsgericht, jedoch keine fest verbindliche Grenze vor. Nunmehr wird sie verpflichtend vorgeschrieben werden.

Bei Kündigungen gilt künftig also die verbindliche Obergrenze. Diese greift jedoch nicht in Fällen nachweisbarer gesetzeswidriger Diskriminierungen oder bei Kündigungen im Zusammenhang mit Schwangerschaftsfällen oder Mutterschaft.

Diese Obergrenze ist gestaffelt und beginnt bei drei Monatslöhnen bei bis zu zweijähriger Betriebzugehörigkeit (anciennté); danach erfolgt eine Anhebung bis auf zwanzig Monatslöhne bei dreißigjähriger Betriebszugehörigkeit. Bislang bestand – vor dem „Arbeitsgesetz“ von 2016 – keinerlei Ober-, sondern eine gesetzliche Untergrenze. Diese betrug mindestens sechs Monate ab zweijähriger Betriebszugehörigkeit; darunter legten die Arbeitsgerichte eine „angemessene“ Entschädigung fest.

Als „Zuckerl“ wird im Gegenzug die gesetzliche Abfindungszahlung, die bei „wirtschaftlich begründeten“ (d.h. bei betriebsbedingten) Entlassungen fällig werden, um 25 Prozent angehoben. Dabei handelt es sich allerdings um Kleinkram. Die gesetzlich vorgeschriebene Abfindungszahlungen in diesen Fällen beträgt ein Fünftel eines Monatslohns (vor 2001 war es noch ein Zehntel Monatslohn) pro Jahr verstrichener Betriebszugehörigkeit.

Zusätzlich, und dies war nicht zuvor angekündigt, wird die Anfechtungsfrist – also die Frist für das Einreichen einer Kündigungsschutzklage – für alle Entlassungen von bislang zwei Jahren auf nun noch ein Jahr verkürzt. Vor einem Gesetz vom 14. Juni 2013 war es noch möglich, bis zu fünf Jahren nach einer Kündigung die Arbeitsgerichte anzurufen.

Dies kann sich vor allem bei Lohnabhängigen, die noch auf Beweise für ihre Arbeitsgerichtsverfahren warten, etwa auf Zeugenaussagen von früheren Arbeitskollegen und –kolleginnen (die vor allem nach einem eventuellen Arbeitsplatzwechsel aussagebereit werden), negativ auswirken.

Ebenfalls „bereinigt“ wurde eine andere Bestimmung im „Arbeitsgesetz“ von 2016, welche infolge der zahlreichen inneren und äußern Konflikte – im damaligen sozialdemokratischen Regierungslager und auf den Straßen – im Laufe der Gesetzesdebatte abgeändert und abgeschwächt worden war. Ursprünglich sollte bereits das damalige „Arbeitsgesetz“ klarstellen, dass im Falle eins multinationalen Unternehmens oder Konzerns, das oder der in Frankreich Lohnabhängige beschäftigt, dieses/r im Falle betriebsbedingter Kündigungen nur die wirtschaftliche und finanzielle Situation seiner Filiale in Frankreich darlegen muss. Geht es also anderen „Ablegern“ des multinationalen Unternehmens oder Konzerns in Nachbarländern wie bspw. Belgien blendend, ja hat die Direktion oder Konzernzentrale lediglich finanzielle Mittel zwischen ihren verschiedenen nationalen Filialen verschoben – um etwa eine von ihnen „auszutrocknen“-, so soll dies die französische Arbeitsgerichtsbarkeit nichts angehen. 2016 scheiterte die Umsetzung dieses Vorhabens jedoch noch. Nun erfolgt sie mit den neuen Bestimmungen dennoch.

In Unternehmen mit bis zu fünfzig Lohnabhängigen soll der Arbeit„geber“ künftig mit nicht gewerkschaftlich organisierten Ansprechpartnern und -partnerinnen verhandeln können. Und zwar in Unternehmen mit bis zu zwanzig abhängig Beschäftigten mit einem/r Lohnabhängigen, der oder die weder „gewählt“ noch gewerkschaftsgebunden ist. Und zwischen 21 und 50 Lohnabhängigen mit gewählten Vertrauensleuten, die jedoch nicht – wie es bislang rechtlich erforderlich war – ein „Mandat“ (einen Verhandlungsauftrag) durch eine extern bleibende Gewerkschaftsorganisation erhielten.

In Unternehmen ab fünfzig Beschäftigten bleibt es dabei, dass dort délégués syndicaux – also die Gewerkschaften vertretende, und durch diese mit einem permanenten Mandat ausgestattete – Vertrauensleute verhandeln. Es kam jedoch für Regierung und Kapital nicht in Frage, diese Schwelle herunterzusetzen, während sie sich über das „Fehlen von Diskussionspartnern vor allem in kleineren Unternehmen“ beklagten.

Auf Unternehmensebene können künftig zu einer Reihe von Themen - zusätzlich zu den bisher dafür vorgesehenen- Vereinbarungen getroffen werden, die von den Branchenkollektivverträgen (conventions collectives de branche) – in der Schweiz heißen sie „Kollektivarbeitsverträge“, in Deutschland „Flächentarifverträge“ - abweichen.

Dies gilt insbesondere für die Arbeitszeit, die heraufgesetzt werden kann, sowie für die Lohnpolitik. Und dabei insbesondere für variable Vergütungsbestandteile (außerhalb des Grundlohns) wie Prämien, um diese ihrerseits herunter- oder in besonders erfolgreichen Unternehmen auch mal heraufzusetzen; Letzteres war gemäß dem „Günstigkeitsprinzip“ (französisch principe de faveur) allerdings schon immer möglich. Denn auf für die Beschäftigten günstige Weise durfte der Unternehmens- schon immer vom Flächentarifvertrag abweichen. Nur eben bislang nicht auf für Lohnabhängige Ungünstige Weise.

Voraussetzung für eine solche Abweichung im „ungünstigen“ Sinne auf Unternehmensebene wird dabei künftig sein, dass die Unternehmensvereinbarung durch Gewerkschaftsvertreter abgeschlossen wird, deren Organisationen mindestens 50 Prozent der Stimmen bei Wahlen im Unternehmen repräsentieren. (Dies ist in Frankreich ansonsten keine generelle Gültigkeitserfordernis: Um ein Abkommen rechtsgültig werden zu lassen, genügen ansonsten in der Mehrzahl der Fälle bereits 30 Prozent.)

Gilt es, durch eine Vereinbarung im Unternehmen zentrale Regeln wie die zur Dauer und Verteilung der Arbeitszeit oder (generell) zum Lohn abzuändern – also auch für die Lohnabhängigen ungünstige Weise -, „wenn dies zum Funktionieren des Unternehmens, zum Erhalt oder zur Schaffung von Arbeitsplätzen erforderlich ist“. Eine ausgesprochen vage Formulierung. Bislang waren solche faktische Verzichts-Abkommen auf Unternehmensebene bereits möglich – auf der Grundlage der Rechtsprechung sowie in jüngerer Zeit durch das „Gesetz zur Beschäftigungssicherung“ vom 14. Juni 2013, unter François Hollande verabschiedet -, allerdings unter viel engeren Voraussetzungen. Erforderlich war dabei, dass Arbeitsplätze wirklich nachweisbar akut bedroht waren. Eine weitere Bresche schlug allerdings bereits das „Arbeitsgesetz“ vom 08.08.2016, das die „Schaffung“ von Arbeitsplätzen neben den Erhalt von bedrohten Arbeitsstellen rückte. Nunmehr werden bisherige Riegel endgültig aufgesprengt, so scheint es.

Im Jahr 2010 waren die rechtlichen Voraussetzungen für so genannte comptes de pénibilité geschaffen -, also für eine Art „Konten für Erschwernispunkte“, welche ab 2014 dann real eingerichtet wurden. Dabei geht es darum, aufgrund einer Reihe von Tätigkeitsmerkmalen Kriterien für bestimmte „erschwerte“ – etwa körperlich harte, oder zu den Körper schädigenden Haltungen zwingende – Arbeiten zu bestimmen. Durch das Sammeln von „Erschwernispunkten“ sollte eine frühere Verrentung ermöglicht werden. Dabei handelte es sich um ein Zugeständnis der Regierung des konservativen Präsidenten Nicolas Sarkozy an die Gewerkschaftsdachverbände CGT und CFDT, das im herbst 2010 abgegeben wurde, im Gegensatz zur faktischen Beendigung der Streiks und (Raffinerie-)Besetzungen gegen die damalige „Rentenreform“. Das Renten-Mindestalter wurde damals generell um zwei Jahre von 60 auf 62 Jahre angehoben, neben weiteren Erschwernissen beim Abgang in die Rente. Doch für „erschwerte“ Tätigkeiten sollte durch ein Punktsystem ein gewisses Vorziehen des Rentenalters ermöglicht werden.

Dieses Punktesystem erwies sich – so, wie es ab 2014 eingeführt wurde – als ziemlich komplex zu handhabende, technokratische Lösung. Die Arbeit„geber“ heulten seit jenem Zeitpunkt wiederholt dagegen auf und erklärten diese Regelung gleich insgesamt für „unpraktikabel“; der rechtssozialdemokratische Premierminister Manuel Valls kam ihnen auch prompt entgegen, indem er (für vier von insgesamt zehn Merkmalsserien) die Einführung des Punktesystems einfach mal vom Jahresende 2014 auf Anfang 2016 verschob. Danach dann auf den 1. Juli 2016, und im Bausektor schließlich noch weiter, bis zum 30. September 2017. Die neuen Rechtsbestimmungen sollen nun diese vier, besonders umstrittenen Merkmalsserien kurzerhand ganz abschaffen.

Drei von bislang vier bestehenden Instanzen der Personalvertretung in den Unternehmen – die Comités d’entreprise (CE, „Unternehmensausschüsse“) als sehr ungefähre Entsprechung zu den deutschen Betriebsräten mit gewichtigen Unterschieden, die délégués du personnel oder DP als gewählte Vertrauensleute in den Betrieben und die CHSCT als fachliche Ausschüsse für Gesundheitsschutz am Arbeitsplatz und Arbeitsbedingungen – werden künftig zusammengelegt. Sie bilden dann einen so genannten „Wirtschafts- und Sozialrat“. (Per definitionem in größeren Unternehmen, denn CE und CHSCT sind ohnehin erst ab einer Betriebsgröße von fünfzig Beschäftigten vorgeschrieben; DP gibt es ab einer Betriebs- oder Unternehmensgröße von elf Beschäftigten auf der jeweiligen Ebene.)

Die große Gefahr dabei liegt darin, dass dann insbesondere die spezifischen Themen von Gesundheits- und Umweltschutz, für welche bislang das CHSCT (als durch DP und CE per indirektem Wahlrecht gewählte Instanz) zuständig war, völlig unter den Tisch fallen werden. Denn dieselbe Instanz wird künftig etwa auch über die „Rettung von bedrohten Arbeitsplätzen“ debattieren, wie bislang das CE.

Der mit Abstand dickste Brocken ist jedoch folgender: Wie auch bislang das CE oder das CHSCT (auf ihren jeweiligen Zuständigkeitsgebieten) wird diese Instanz das Recht haben, eine Expertise einzuholen. Nur wird sie dieselbe in Zukunft... aus ihren eigenen Mitteln finanzieren müssen, also aus ihrem jährlichen Haushalt. Bislang gilt noch, dass der Arbeitgeber die Expertise bezahlen muss, sofern der Rückgriff auf den Experten oder die Expertin rechtmäßig – d.h. aus einem sachlichen Grund und im Rahmen der gegebenen fachlichen Zuständigkeiten – erfolgt.

Auch auf Branchenebene erfolgt mindestens eine wichtige Änderung: Dort kann der „Branchen-Kollektivertrag“ (d.h. in der deutschen Entsprechung: der Flächentarifvertrag) künftig neue, über die gesetzlichen Befristungsgründe hinausgehende oder von ihnen – zu Lasten der Beschäftigten – abweichende Rechtfertigungsgründe für befristete Verträge oder CDD (Contrats à durée indéterminée) vorsehen.

Ferner entfällt die bisherige Regel, wonach maximal ein Abschluss eines CDD plus eine Verlängerung desselben zulässig waren und danach eine Frist – von einem Drittel der ursprünglichen Laufperiode des Vertrags – eingehalten werden muss, bevor ein neuer befristeter Vertrag mit dem- oder derselben Lohnabhängigen eingegangen werden darf. Dadurch entfällt ein wichtiger Schutz gegen Kettenbefristungen.

Gewerkschaftliche Positionen

Der historisch älteste Dachverband französischer Gewerkschaften, die nach dem Zweiten Weltkrieg und noch bis circa 1995/96 durch die Französische kommunistische Partei erheblich beeinflusste CGT – die, ungefähr gleichauf mit der rechtssozialdemokratisch geführten CFDT, noch immer einen der zwei stärksten Verbände bildet – opponierte seit dem Bekanntwerden der „Reform“inhalte gegen dieselben. Noch im Hochsommer rief die CGT unter Philippe Martinez zu einem ersten „Aktionstag“ mit Demonstrationen und Protesten sowie Arbeitsniederlegungen am 12. September auf. Ihm schlossen sich alsbald auch die linken Basisgewerkschaften der Union syndicale Solidaires sowie die FSU, d.h. der Dachverband von Gewerkschaften im Bildungswesen, an.

Die Leitung der CFDT unter ihrem Generalsekretär Laurent Berger erklärte sich „in mehreren Punkten enttäuscht“ von den Regierungsvorhaben im Arbeitsrecht. Dies dürfte auch darauf zurückzuführen sein, dass sie im vergangenen Jahr – nicht von Anfang an, d.h. beim Vorliegen des ersten Vorentwurfs am 17. Februar 2016, wohl aber nach dem Abschluss von Sonderverhandlungen mit der Regierung am 14. März 2016 – die damalige Regierung unter François Hollande und Manuel Valls bei ihrer „Reform“ des Arbeitsrechts unterstützt hat. Dabei war sie einerseits „der“ privilegierte Ansprech- und Verhandlungspartner für die Regierung, eine Position, die ihr nunmehr durch einen anderen Dachverband in Gestalt von Force Ouvrière (FO, ungefähr „Arbeiterkraft“) strittig gemacht wird. Auf der anderen Seite hatte die CFDT-Leitung im damaligen Kontext in Einzelpunkten Zugeständnisse erreicht, etwa durch die Umwandlung der verbindlichen Obergrenze für Abfindungszahlungen bei rechtswidrigen Kündigungen in eine unverbindliche. Just diese Zugeständnisse werden nun aber durch die neue Regierung explizit kassiert und rückgängig gemacht.

Allerdings stellte die CFDT zugleich klar, dass eine Teilnahme an den Protestzügen auf den Straßen für sie nicht in Betracht komme; und blieb damit ihrer „Linie“ nicht bei allen, doch bei der Mehrheit der größeren sozialen Konflikte in Frankreich in den letzten dreißig Jahren (1988, 1995, 2003, 2016) treu.

Von Widersprüchen zerrissen wird unterdessen der drittstärkste Gewerkschaftsdachverband in Frankreich, also FO (Force Ouvrière, das Namenskürzel wird ohne Artikel verwendet). Dessen Generalsekretär Jean-Claude Mailly unterstützt die Regierungs„reform“ auf quasi unverhüllte Weise. Auch wenn er offiziell behauptet, er könne sich kein Urteil über den Regierungstext erlauben, da positive und negative Punkte sich die Waage hielten und – schwierig, schwierig - für eine Unübersichtlichkeit sorgt. Zugleich bügelte Mailly jedoch von Anfang an jegliche fundierte Kritik an den geplanten ordonnances zum Arbeitsrecht ab. Und jene FO-Bereiche, die dennoch ab Anfang September – neben der CGT und Solidaires - zu den Protesten mit aufriefen, bezeichnete Mailly höhnisch als ewig unzufriedene „Meckerer und Nörgler“.

Mailly wird beim nächsten Gewerkschaftskongress des Dachverbands FO, welcher für April 2018 geplant ist, nicht wieder kandidieren, sondern sein letztes Mandat beenden; er steht dem Verband seit 2005 vor. Möglicherweise ist er auch deswegen für „Argumente“ der Regierung, die ihm Karriere-Aussichten für die Zeit nach dem Amt versprechen, empfänglich.

Vor allem aber handelt Mailly mit seinen Stellungnahmen im Interesse der zentralen Bürokratie des Dachverbands FO. Diese wurde nach der Wahl von Emmanuel Macron vom 07. Mai 2017 mit einigen Posten in der hohen Beamtenschicht des Arbeits- und Sozialministeriums – auf den Posten, die „politischer Ernennung“ unterliegen – bedacht. Ferner hat der zentrale FO-Apparat den Eindruck, bei der diesjährigen „Reform“ bei den Anhörungen ordentlich berücksichtigt worden zu sein; auch wenn dies für die Interessen der Lohnabhängigen selbst nichts ändert. Anlässlich der vorausgegangen Arbeitsrecht-„Reform“ im Frühjahr und Sommer 2016 unter Präsident François Hollande versuchte FO sich noch übergangen, weil der damalige zentrale Partner der sozialdemokratischen Regierung eher die Zentralbürokratie des Dachverbands CFDT war. Damals protestierte FO auch auf den Straßen gegen die „Reform“.

Obwohl die diesjährige zweite „Reform“ inhaltlich noch schlimmer ist (diese führt die „Reform“schneise der Loi Travail oder des „Arbeitsgesetzes“ von 2016 geradlinig fort und führt dabei zusätzliche Bestimmungen ein, deren Durchsetzung im Vorjahr noch scheiterte), ändert der Dachverband FO nun seine offizielle Position um 180° Grad.

Dieser Zick-Zack-Kurs ist jedoch ferner auch Ausdruck des politisch-ideologisch schillernden Charakters von FO. Dieser Dachverband entstand 1948 aus einer Spaltung der (in den Chefetagen damals durch die Französische kommunistische Partei dominierten) stärkeren CGT im Herbst 1947, im Zuge des beginnenden Kalten Krieges. Er umfasste höchst unterschiedliche Strömungen, von ausgeprägt rechten Kräften über Teile der Sozialdemokratie – Jean-Claude Mailly hat seit über dreißig Jahren ein Parteibuch des Parti Socialiste – bis hin zu einer sehr spezifischen und sehr autoritären Strömung, die der „Lambertisten“, die aus dem Trotzkismus und Anarchosyndikalismus hervorging. Ihr verknüpfendes Band war einerseits der, je nach Diktion der verschiedenen Strömungen, Antikommunismus oder Antistalinismus; Hauptfeind waren Jahrzehnte lang die französische KP und die CGT. Andererseits war es die offizielle Behauptung, man sei unpolitisch und betreibe „ausschließlich Gewerkschaftsarbeit in völliger Unabhängigkeit von der Politik“, was stets die größte Lebenslüge von FO darstellte.

Ab 1995, als der Dachverband FO sich gegen die „Reform“ der gesetzlichen Krankenversicherung unter dem damaligen konservativ-liberalen Premierminister Alain Juppé positioniert und – erstmals überhaupt – gemeinsam mit der CGT demonstrieren ging, hat sich die gewerkschaftspolitische Position dieses Dachverbands scheinbar radikalisiert. Zuvor war er stets betont „reformorientiert“ und oft regierungsfreundlich gewesen, jedenfalls an der Spitze. Dieser Schwenk hing auch mit der Erwartung zusammen, dass nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion der Platz der Opposition im Sozialen System verwaist sei, weil „der Kommunismus nun tot“ sei, und man also die vermeintliche Erbmasse der CGT längerfristig übernehmen könne. Die damit verbundenen strategischen Erwartungen haben sich jedoch eher nicht erfüllt. Stärker „reformorientierte“ Kräfte, die den neuen vermeintlichen „Protestkurs“ kritisierten, spalteten sich 1996 ab und bildeten die „Dachverband unabhängiger Gewerkschaften“ UNSA.

Unter Jean-Claude Mailly kehrt FO nun, im Jahr 2017, relativ unerwartet auf einen umgeschminkt regierungsfreundlichen Kurs zurück.

Dies bleibt unterdessen nicht ohne Widersprüche. Vor allem der Transport-Branchenverband von FO hat sich dagegen jetzt lautstark zu Wort gewandt. Er rief seinerseits zur Unterstützung der Protestdemonstrationen am 12. September d.J. auf. Auch mehrere regionale Untergliederungen des Dachverbands FO, bspw. alle vier Bezirksverbände in den vier Départements der Bretagne, positionieren sich in diesem Sinne. Vor allem jedoch unterstützte die Transporte von FO, zusammen mit jener der CGT, einen Aufruf zu einem Streik der Fernfahrer in der LKW-Branche ab dem 25. September.

Am Wochenende des 30. September/1. Oktober 17 wurde ferner bekannt, dass Jean-Claude Mailly bei einer Vorstandstagung des Gewerkschaftsdachverbands FO in die Minderheiten geraten war und dass dort seine Position zur neuen Arbeitsrechts„reform“ missbilligt wurde. Am Samstag, den 30. September d.J. kündigte Mailly daraufhin an, nunmehr „einen lauteren Ton anzuschlagen“. Einen Rücktritt vom Amt, erklärte er, ziehe er nicht in Erwägung.

Anmerkungen

1 François Ruffin, Jahrgang 1975, wurde im Vorjahr 2016 durch seinen sozialen Dokumentarfilm unter dem ironischen Titel Merci, patron! prominent. Im Juni 2017 wurde er als parteiloser, jedoch durch die Wahlbewegung La France insoumise (ungefähr: Das aufsässige Frankreich) von Jean-Luc Mélenchon unterstützter Kandidat in die Nationalversammlung gewählt. Dort gilt er als einer der unabhängigsten Geister; Videos von seinen Reden oder parlamentarischen Anfragen werden von Zehntausenden bei Youtube verfolgt, während Bürgerliche sich eher dafür interessieren oder darüber echauffieren, wenn er bei seinen Auftritten am Mikrophon wieder einmal das Hemd nicht ordentlich in die Hose gestopft hat.

Editorische Hinweise

Den Artikel erhielten wir vom Autor für diese Ausgabe.