Editorial
Sektierertum in Aktionvon Karl Mueller
10/2017
trend
onlinezeitungIm September schickte uns der Genosse Peter S. eine email, in der er schrieb:
"Hallo Trendies,
ich lese Euer Onlinemagazin regelmäßig, weil es strömungsübergreifend berichtet. Daher hat mich besonders Eure informative Sonderseite zur Kandidatur der drei revolutionärsozialistischen Organisation gefreut. Ich habe deshalb am 15. September folgende Nachricht bei Indymedia gepostet:Nach kurzer Zeit war diese Nachricht von den Indy-Admins gelöscht. Ich halte dies für skandalös. Schließlich versteht sich Indymedia als unabhängig und strömungsübergreifend und seine Subdomain "Linksunten" wurde gerade im August von staatswegen wegzensiert."Die revolutionäre Linke und die Bundestagswahl 2017
Für alle, die (aus taktischen Erwägungen) revolutionär wählen wollen, weil sie einen Wahlboykott für falsch halten, gibt es bei der diesjährigen Bundestagswahl drei Alternativen: DKP, Internationalistische Liste/MLPD und SGP. TREND Onlinezeitung hat dazu eine Sonderseite eingerichtet, wo mensch sich über deren Wahlprogramme und Kandidat*innen sowie deren Wahlwerbspots informieren kann, ohne sich die Infos durch langes Surfen im Internet zusammensuchen zu müssen. Außerdem dokumentiert TREND aus Gründen der Ausgewogenheit kritische Stellungnahmen zur Wahlteilnahme dieser Organisation aus dem linken und radikalen Spektrum. http://www.trend.infopartisan.net/BTW2017/index.html"Mit solidarischen Grüßen
Peter"Das Fremdwörterbuch aus der DDR aus dem Jahre 1960 definierte als politisches Sektierertum die "Gesamtheit der Bestrebungen eigenbrötlerische Gruppen zu bilden". Dieses Phänomen - seit den 1970er Jahren aus der BRD nicht mehr wegzudenken - ist Ausdruck und zugleich Ursache der politischen Marginalierung der Linken. Da gibt es zig trotzkistische Kleinstgruppen, die entweder entristisch in der sozialdemokratischen "Links"partei rumwuseln - oder eben nicht - und sich trotzdem ideologisch spinnefeind sind. Im nostalgisch ausgerichteten ML-& MLM-Spektrum sieht es nicht viel anders aus, wenngleich die vermeindlichen Differenzen auf anderen Feldern zu finden sind. Noch diffuser gestaltet sich sich das sogenannte Anarcho- und autonome Spektrum, wo oft ein lokaler Minizirkel sich selbst sein Wohnzimmer ist. Deren bündnisorientierte Kampagnenpolitik vermittelt hingegen den Eindruck von Konsens. Doch nach Abschluss einer Kampagne flammen die Differenzen just in time wieder auf, was gewöhnlich zu Um- und Neugruppierungen führt.
Kurzum: Das jeweilige Organisationsmodell dient als Selbstschutz in der politisch selbstverschuldeten Isolation und Indymedia bietet speziell dem Anarcho- und autonomen Spektrum die virtuelle Bühne für die passenden ideologischen Einreden. Das ist Sektierertum in Aktion.
Von daher ist es auch nicht verwunderlich, dass Peters Hinweis auf die TREND-Sonderseite der Löschung anheimfiel. Hinzu kam allerdings noch strafverschärfend, dass durch die Sonderseite das Projekt "Internationalistische Liste" bekannt gemacht wurde, die ein bewußter Schritt ist, die politische Eigenbrödlerei dauerhaft und eben nicht nur wegen der Bundestagswahl zu überwinden. Dies widerspiegelte sich auch darin, dass im Gegensatz dazu die Wahlwerbung für die DKP durch das re:volt magazine am 23.09.2017 bei Indymedia unbehelligt blieb, obgleich seit längerem bekannt ist, dass die DKP keine abweichenden Meinungen duldet und zur Strafe mal eben gewählte Funktionäre ihres Amtes enthebt. Oder gerade auch deswegen, weil auch dies Sektierertum in Aktion ist?
Siegfried Buttenmüller, dessen Kommentare zum Zeitgeschehen, schon seit einiger Zeit bei uns regelmäßig veröffentlicht werden, schrieb uns bezüglich des Artikels von
Günther Stamer Marx veröffentlicht seinen "Faust" in der letzten Ausgabe: "An die Redaktion
Hallo !
Ich bin doch erstaunt über diesen Artikel und möchte euch kurz meine Meinung mitteilen. Der Autor Herr Stahmer scheint DKP Mitglied zu sein und eigentlich halte ich beide Flügel der Partei für vernünftig. Ich verstehe aber überhaupt nicht wieso er Herrn Sinn unkritisch zitiert. Herr Sinn ist ja Chef des sogenannten IFO Institutes, einer neoliberalen Bande die ständig unsoziale Forderungen erhebt. Sollte so Jemand ein Vorwort zur Veröffentlichung vom Kapital von Karl Marx schreiben ? Das kann ja nur Unfug sein und das ist es auch.
Zum zweiten wird Marx und sein Kapital mit von Goethe und seinem Stück Faust verglichen. Das basiert auf den unsinnigen Auftritten von Frau Wagenknecht zusammen mit Herrn Gauweiler. Dort wird ständig Marx mit von Goethe verglichen und behauptet Marx hätte irgend etwas mit diesem Führenden Reaktionär der Adelsklasse in Deutschland gemeinsam.
Tatsache ist das Marx von den reaktionären Truppen des Herrn von Goethe verfolgt wurde und emigrieren musste. Engels und viele Mitglieder der 1. Internationale kämpften 48 / 49 aktiv auf Seiten der radikalen Demokraten und viele wurden Helden, gegen die Reaktionäre zu denen von Goethe gehörte.
Da kann man doch nicht hingehen und behaupten das dieser Adelige Reaktionär von Goethe irgend etwas mit Marx zu tun gehabt hätte oder eine Nähe bestand ?
Ich bin eigentlich erstaunt so etwas auf Infopartisan lesen zu müssen. In die bürgerliche Presse schafft es solcher Schund kaum.
Ansonsten gefällt mir Eure Seite, ist gut und informativ. Und danke das ihr auch Artikelvorschläge von mir berücksichtigt.
RG
Siegfried Buttenmüller"Lieber Genosse Buttenmüller, Deine Aversionen gegen Goethe teile ich nicht und um die Sache nicht unnötig argumentativ auszudehnen, lasse ich Franz Mehring zu Wort kommen, der im Hinblick auf die politisch-kulturelle Bedeutung Goethes folgendes resumiert:
"Wohl aber sehen wir den Tag näher und näher heranrücken, wo die Wolken verschwunden sein werden, die sie heute nur mit gedämpftem Lichte strahlen lassen. Der Tag, an dem das deutsche Volk sich ökonomisch und politisch befreit hat, wird Goethes Jubeltag werden, weil an ihm die Kunst ein Gemeingut des ganzen Volkes werden wird." (Franz Mehring: Goethe und die Gegenwart, 1899)
Ein Artikel, in dem auf ein demnächst erscheinendes Buch nicht abwertend, sondern fragend hingewiesen wird, kann schon deswegen nicht einer Zensur unterworfen werden, nur weil er einen Hinweis auf Hans-Werner Sinn als Mitautor eines Sammelbandes enthält. Im übrigen handelt es sich dabei um ein Buch, welches in ideologischer Breite die gegenwärtige akademische Marxrezeption widerspiegelt und damit zur theoretischen Auseinandersetzung nahezu verpflichtet, anstatt es als "Schund" zu dissen.
Eine Klärung politisch-strategischer Grundfragen, die mit ideologischen Kontaktverboten arbeitet, mag möglicherweise die eigene Denke vor ideologischen Ausrutschern bewahren - doch um welchen Preis?
In der vorliegenden Ausgabe befinden sich wieder zwei Artikel, die diesmal aus meiner Sicht problematisch sind. Doch um über die darin enthalten Fehler diskutieren zu können, bedarf es ihrer Kenntnis, d.h. Untersuchung vor Debatte.
Der Artikel
Mietpreise sind Monopolpreise trägt seinen zentralen Fehler bereits im Titel: Mietpreise sind nämlich keine "Monopolpreise" und von daher ist auch die Schlussfolgerung falsch, dass der "öffentliche Wohnungsbau" die Lösung der heutigen Wohnungsfrage bringt. Zu dieser Ansicht kann mensch jedoch gelangen, wenn er/sie dem Credo anhängt, dass durch transformatorische, d.h. nichtrevolutionäre Politik Wohnungsnot und Mietpreistreiberei im Kapitalismus verschwinden würden. Ein ähnlichen Irrtum in Sachen sozialer Gerechtigkeit stellt die Hoffung dar, diese durch ein bedingungsloses Grundeinkommen herstellen zu können, wie es im Artikel "Suche nach einem dauerhaften Bündnis" als quasi politischer Königsweg empfohlen wird. Die Begründungen für meine Kritik folgen alsbald. Wie theoretisches Ringen aussehen kann/sollte, zeigt sich anschaulich in dieser Ausgabe durch die
Bemerkungen von Guenther Sandleben zu den Thesen "Die Verhältnisse sind reif für eine Revolution" von Wolfram Bücker und Willi Gettèl, die in der Septemberausgabe erschienen sind. Die Genossen Bücker und Gettèl sehen den heutigen Kapitalismus am Abgrund seiner "finalen Krise" und treffen im Hinblick auf die politische Organisierung des Proletariats Schlussfolgerungen, die explizit eine Abkehr vom Oktoberrevolutionsmodell darstellen. Genosse Sandleben konzentriert sich zurecht mit seinem Beitrag auf die "finale Krise", denn sie soll ja nach Bückers/Gettèls Meinung im Bewußtsein der lohnabhängigen Massen die sozialistische Alternative als Selbstermächtigung hervorbringen. Darüberhinaus listet der Genosse Sandleben sechs weitere Punkte auf, die diskutiert werden sollten.
Im Oktober wird der TREND-Herausgeber*innenkreis zusammenkommen, um mit den drei Genossen zu diskutieren. Wir hoffen, das diese Debatte anhält und würden uns freuen, wenn weitere Autor*innen dazustoßen. Abschließend noch ein Blick auf Frankreich - auch dort gibt es politische Sekten. Doch anscheinend ist dieser Virus nicht so stark wie in der BRD verbreitet. Davon zeugen wieder Bernard Schmids Berichte
von den Kämpfen gegen die Arbeitsrechts-"reform" Teil 09 - 25.09.17 und Teil 10 - 29.09.17 . Verkürzt gesprochen kämpft hier die Klasse, während in der BRD die linken Spektren und Grüppchen eigenbrötlerich und ohne Bezug zur Klasse für sich vor sich hinwerkeln.
Derzeitig aktuelle Ausnahmen in der BRD: Der Versuch der MLPD, gegen die Fusion von Thyssenkrupp und dem indischen Tata-Konzern eine betriebliche Streikfront aufbauen zu helfen, sowie der bundesweite Aktionstag der Pflegekräfte.
TREND-Infopartisan Jahresübersicht Oktober 2016-Oktober 2017