Thesen
Die Verhältnisse sind reif für eine Revolution

von W. Bücker und W. R. Gettél

9/2017

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Einleitung

Die kommunistische Intention findet in Marx´ Kategorischen Imperativ ihren entschiedensten Ausdruck. Das Werk von Marx und Engels ist grundsätzlich als Wegbereitung zu diesem Ziel zu verstehen. Sie waren Revolutionäre, die ihr ganzes erwachsenes Leben dem Kampf gegen Ausbeutung und Unterdrückung gewidmet haben. Weist ihr Werk Lücken, Fragmente, Ungereimtheiten etc. auf, erfährt es dadurch keine Schmälerung. Das „Kapital“ ist kein Buch der Weisen, keine Rezeptur. Es ist eine Pionierarbeit, die von der Nachwelt weiterzuführen ist, eine unveräußerliche Grundlage der sozialistischen Revolution.

Sie haben den Kapitalismus entmystifiziert, seine Bewegungsgesetze offengelegt und ihn als Ausbeutungsverhältnis entlarvt. Sie hoben aber auch seine progressive Funktion in der Geschichte hervor. Er ist ein auf Wachstum beruhendes dynamisches ökonomisches System, das sich nach Überschreiten seine innere Schranke selbst zerstört.

Nach Maßgabe ihrer Kräfte und unter den Bedingungen ihrer Zeit haben sie den Kapitalismus wissenschaftlich analysiert und damit die theoretische Grundlage seiner revolutionären Überwindung geschaffen. Ihr Werk hat nichts an Aktualität eingebüßt. Für die Kritik der politischen Ökonomie von heute ist es unverzichtbare Grundlage. Ohne sie versandet Herrschaftskritik, verliert sich in moralischen Appellen.

Die bürgerlichen ökonomischen Lehren aller Schulen und Schattierungen haben den Kapitalismus nur mystifiziert. Befangen in ihren Erklärungsmustern sind sie außerstande, Wesen und Ursache der aktuellen Systemkrise zu erfassen. Die Politik exekutiert krisenverschärfend ihre sich hinter Dogmatismus verschanzende Ratlosigkeit.

Marx wird nicht nur wiederentdeckt. Er wird von der Jugend neuentdeckt. Angesichts des Niederganges der bürgerlichen Demokratie wird die Diskreditierung des Marxismus zwar an Wirkungskraft verlieren, zugleich aber werden Rechtradikalismus und Neofaschismus an Boden gewinnen. Die einzige Kraft, die der Rechtsentwicklung wirkungsvoll entgegentreten kann, ist eine marxistisch orientierte revolutionäre Initiative. Nur sie bietet eine alternative Perspektive.

Die Wiederbelebung des Marxschen Ansatzes fordert die vorbeugende ideologische Konterrevolution heraus. Mit den Mitteln der Exegese ist sie bemüht, Marx mit Marx zu bekämpfen. Der junge Marx gegen den alten, Engels gegen Marx, Marx gegen Marx, Uminterpretieren von Textstellen usw. sind die gängigen Muster. Was sich im Säurebad der Exegese nicht auflösen lässt, wird ins Museum der Geistesgeschichte verfrachtet.

Es ist eine bestimmte Sorte Exegeten, die sich nicht auf die Krise und ihre Ursachen stürzen – als gäbe es da nichts zu beanstanden –, sondern sich dafür umso eifriger über Marx hermachen, als brächte die Zerlegung seines Werkes in sich gegenseitig aufhebende Einzelteile wieder Ordnung in die Verhältnisse. Das Problem besteht nicht darin, dass ihnen das gelänge. Ihr Horizont gibt das nicht her. Es besteht darin, dass sie einen unbrauchbar gemachten Marx als Einführung in sein Werk verkaufen und damit interessierte junge Menschen desorientieren.

Die marxistische Theorie ist eine Befreiungstheorie, die von ihrer Anwendung lebt und durch sie weiterentwickelt wird. Es ist sinnlos, diesen speziellen Exegeten wiederum mit Exegesen und Richtigstellungen entgegenzutreten. Sie zimmern sich ihren Marx zurecht, bevor sie ihn auseinandernehmen; und fast immer entsteht der Eindruck, sie werfen ihm vor, eine Entwicklung verschlafen zu haben, die erst hundertdreißig Jahre nach seinem Tod stattgefunden hat.

Was Marx und Engels geschrieben haben, haben sie geschrieben. Sie haben nach Wahrheit und Erkenntnis gesucht und nicht den Versuch unternommen, die Welt für immer und ewig schlüssig zu erklären. Marx hat immer wieder aufkommende Zweifel offenbart, seine Randnotizen, selbstkritischen Reflexionen etc. sind bekannt. Bei bürgerlichen Ideologen ist das weniger der Fall. Marx und Engel haben ein undogmatisches, schöpferisches und wissenschaftliches Werk hinterlassen, das gerade dadurch von bleibendem Wert ist. Revolutionäre Initiativen sollten sich nicht mit Krämerseelen herumplagen, die sich mit mickrigem Weltverständnis an einer großen Idee versuchen. Vielmehr gilt es die schöpferische Kraft dieses Vermächtnis aufzugreifen und gegen die bürgerliche Klassenherrschaft zu wenden.

I. Ausgangslage

1.)

Die Krise des westlichen Spätkapitalismus vertieft sich nach innen und außen. Ihre Ursache liegt in der systemsprengenden Verengung der Kapitalverwertungsbedingungen. Marx´ Analyse und die daraus folgende Prognose haben sich empirisch bestätigt. Die Produktivkräfte sind an die innere Grenze des Produktionsverhältnisses gestoßen, was in der gesamten Geschichte des Kapitalismus bisher nicht vorgekommen ist. Zyklische Krisen haben ihre reinigende Funktion weitestgehend verloren. Schumpeters schöpferische Zerstörung ist nicht mehr schöpferisch, sondern nur noch zerstörerisch. Der Widerspruch zwischen Produktivkraftentwicklung und Produktionsverhältnis hat den Punkt erreicht, an dem progressive Entwicklungen in Regression und Destruktivität umschlagen. Was an Zivilisation erreicht worden ist, verfällt. Die bürgerliche Legitimationsideologie sucht das zu leugnen, doch die Verheerungen sind evident. Die bürgerliche Herrschaft geht von der indirekten Kapitaldiktatur der parlamentarischen Demokratie zur direkten über. Demokratische und rechtsstaatliche Errungenschaften stehen ihr zunehmend im Wege.

Ob sich in diesem Prozess Profite und Einnahmen steigern oder nicht: sie gehen so oder so zu Lasten der gesellschaftlichen Mehrheit. Die Zeiten, in denen wirtschaftliche Erfolge die allgemeine Lage der Lohnabhängigen verbessern, sind vorbei. Versprechungen, die das übergehen und neuen Fortschritt verheißen, bleiben von vornherein die Erklärung schuldig, wie und mit welchen Mitteln das inzwischen Verlorene zunächst zurückzuholen ist, um überhaupt erst wieder voranschreiten zu können. Die Massenarmut wächst trotz gesellschaftlich erzeugten Reichtums weiter.

Da sich wachsende Unzufriedenheit immer weniger eindämmen lässt, werden rechtsstaatliche Errungenschaften niedergerissen und parallel zur Krisendynamik durch direkte staatliche Repression ersetzt. Reißt diese Dynamik zivilisatorische Errungenschaften in ihren Sog, folgt daraus die Zunahme und Beschleunigung autodestruktiver Prozesse. Ausdruck dafür, dass die Politik immer weniger Einfluss darauf hat, sind ihre hanebüchenen Erklärungsmuster. Solide erscheinen sie nur, weil das System auf seiner Oberfläche, d.h. in der anfänglichen Phase der Selbstnegation noch funktioniert. Die Politik beschränkt sich auf Krisenverwaltung und Anpassung des Herrschaftsverhältnisses an die Krise und ihre Sicherung unter sich verändernden Bedingungen.

2.)

Fortschreitende Verengung der Kapitalverwertungsbedingungen bedeutet, dass sich Kapital immer weniger verwertet. Dem Warenangebot kommt die bezahlbare Nachfrage unumkehrbar abhanden. Absolute Überakkumulation lässt sich nicht mehr in Profit verwandeln. Sie ist nicht mehr durch Kapitalvernichtung abbaubar, so dass ihr ein neuer, auf höhere Stufe gehobener Konjunkturzyklus folgen kann.

Mit dem Fortschreiten der wissenschaftlich-technologischen Entwicklung, inzwischen der digitalen Revolution, wird lebendige Arbeit entsprechend überflüssig. Die ausgezahlte Lohnmasse nimmt sukzessive ab. Ihre Wertgröße zählt, nicht die Menge der Beschäftigten. Billigjobs und prekäre Arbeit gleichen sie nicht aus. Fehlende Lohnmasse bedeutet fehlende Nachfrage. Hinzu kommt die Konkurrenz, insbesondere die Weltmarktkonkurrenz. Um mitzuhalten, bzw. voranzugehen werden Löhne gekürzt, Sozialleistungen reduziert oder gestrichen, Arbeit in Billigländer ausgelagert usw. Stockte die Reproduktion des Kapitals, entstand die bekannte zyklische Krise. Nimmt die Überakkumulation aber Ausmaße an, wie es jetzt der Fall ist, geht die Investition in die reale Wertschöpfungsproduktion zurück, weil sich die produzierten Waren nicht mehr in erforderlichem Maße verkaufen lassen. Die zyklische Krise, die sowohl als reinigender Faktor als auch als Motor der Produktivkraftentwicklung wirkt, hat diese Funktion im hochentwickelten westlichen Spätkapitalismus weitestgehend verloren. Die Massenarbeitslosigkeit ist nicht mehr zu beseitigen. Fehlende Nachfrage zerfrisst auf Dauer den gesellschaftlichen Zusammenhalt. Denn lässt sich immer weniger Mehrwert erlangen, der nur durch lebendige Arbeit entsteht, fällt die Profitrate. Das Kapital sucht Auswege – im Großen wie im Kleinen.

Preise werden ständig erhöht. Geringe Einkommen üben sich in Überlebensakrobatik. Sie sparen hier und sie sparen dort, sie kaufen minderwertige Nahrungsmittel, weil sie billig sind und verzichten auf alles, was sie sich in der Vergangenheit noch leisten konnten. Doch es gibt Zwänge, denen sie nicht entrinnen können: An erster Stelle ist das die Miete, die ununterbrochen steigt. Die Katastrophe, die sich damit aufbaut, wird zwar rhetorisch behandelt, aber nicht abgewendet, weil die Systemkrise das nicht mehr zulässt. Überakkumuliertes Geld sucht Anlagemöglichkeiten. Da es sich in der realen Produktion immer weniger unterbringen lässt, wird es in Grundeigentum investiert. Der daraus gezogene Gewinn ist Grundrente, nicht Profit. Damit breitet sich die Rentenökonomie aus. Eine hochgefährliche Entwicklung. Ein quasi neofeudales Grundherrentum wächst heran. Sein politischer Einfluss ist jetzt schon erheblich. Dem Staat entgehen mit der lebendigen Arbeit Steuereinnahmen. Er verkauft oder verschleudert öffentliches Land und erteilt dafür postwendend die Genehmigungen, die sich die neue Grundherrenklasse wünscht. In der Regel werden Eigentumswohnungen gebaut oder Mietwohnungen in Eigentum verwandelt. Überakkumuliertes Geld ist in Massen vorhanden und wird durch permanent nachgedrucktes zusätzlich aufgebläht. Nicht zur Verfügung der Lohnabhängigen, sondern nur für die, die an den Quellen sitzen. Um die Grundrente zu steigern, werden Mieten und Pachtzahlungen rücksichtslos erhöht. Wie im Feudalismus geraten die Menschen mehr und mehr in Schuldknechtschaft. Das herrschende Recht schützt sie nicht. Es verwandelt sich sukzessive in eine hauseigene Gerichtsbarkeit der Grundeigentümer. Feudalkapitalistische Verhältnisse reißen ein. Hohe Mieten kürzen die Nachfrage in anderen Bereichen, was die Verwertungskrise ebenfalls befeuert. Die lohnabhängige Bevölkerung wird bis zum existenziellen Ersticken eingeschnürt. Die fortschreitende Privatisierung der öffentlichen Infrastruktur und der Natur vernichtet Schritt für Schritt ihre Lebensgrundlagen. Diese Widerspruchsverquickung entzieht sich als autodestruktives Moment der Beherrschbarkeit. Es ist nicht das einzige im Ensemble der Krisendynamik. Die Ausbreitung von Schuldknechtschaft lässt sich innersystemisch nicht mehr aufhalten.

3.)

Das System legitimiert sich damit, dass es allen gut gehe, floriert die Wirtschaft. Wie und wodurch bleibt in der Regel unerwähnt. Gewinne werden genannt. Was die Gesellschaft insgesamt davon hat, wird nicht beantwortet. Deswegen nicht, weil es die Allgemeinheit wirklich befriedigende Antworten darauf nicht gibt. Gibt es keinen Ausweg aus sich zuspitzender Verwertungsenge, gibt es auch keinen aus der Krise. Das Kapital ist längst dabei, Auswege zu suchen, betitelt sie aber nicht als das, was sie objektiv sind. Um der Verwertungskrise zu entkommen exekutiert es nach innen eine immer rigidere Kürzungspolitik und nach außen eine immer aggressivere Kriegspolitik. Was den Innenbereich betrifft, sind es standortsichernde Maßnahmen und dergleichen, und was den äußeren belangt, sind es Menschenrechtskampagnen.

Es sind keine Auswege, sondern krisenverschärfende und hochgefährliche Versuche. Insbesondere die als Demokratieexport verbrämten Ressourcenkriege, die von den USA veranstaltet und ihren NATO-Vasallen mitgetragen werden. Die Lage der NATO-Mächte ist dramatisch. Das Risiko birgt den Atomkrieg in sich. Der Westen muss ganz Asien niederwerfen, insbesondere Russland und China, um an billige Ressourcen und neue Absatzmärkte heranzukommen. Er muss sie zudem als Weltmarktkonkurrenten ausschalten. Mächte, die sich nicht widerstandslos in die Knie zwingen lassen. Die USA sind keine hegemoniale Macht mehr, ihre Gegner werden nicht schwächer. Ob sich ihre Hochrüstung auszahlt, wird immer ungewisser. Die neuanbrechende Epoche wird nicht mehr ihre sein. Es deutet alles darauf hin, dass der westliche Spätkapitalismus keine Auswege mehr hat, ausgenommen den in die Katastrophe.

Es stellt sich die Frage, ob die aktuelle Krise vorübergehend oder final ist. Was aber sollte sie beenden? Wie sollten ihre Ursachen beseitigt werden, wenn sie in der kapitalistischen Entwicklung selbst angelegt sind? Die eingetretene systemische Selbstnegation ist Ausdruck ihrer Finalität. Sie reißt alles in Grund und Boden, was die Zivilisation je errichtet hat. „Sozialismus oder Barbarei“, zog Luxemburg vorausblickend die Konsequenz daraus.

II. Entweder – Oder

1.)

Die Krise ist final. Sie verläuft nicht in gerader Linie. Die bürgerliche Herrschaft stürzt nicht automatisch durch sie. Sie zeigt die Reife der Produktivkräfte an, so dass der objektive Faktor als Voraussetzung des Sozialismus gegeben ist. Die russische Oktoberrevolution von 1917 hatte diese Voraussetzung nicht. Diesmal muss die Produktivkraftentwicklung nicht nachgeholt, sondern von den Fesseln kapitalistischer Eigentumsverhältnisse befreit in einem neuen Möglichkeitsraum weiterentwickelt werden. Ist der objektive Faktor erfüllt, schlägt endgültig die Stunde des subjektiven: des Begreifens der würgenden Enge, der Aussichtslosigkeit des Bestehenden gegenüber des befreienden, weiterweisenden Möglichen. Es wird nicht geschenkt, es muss erkämpft werden.

2.)

Bürgerliche Herrschaft ist nicht an die Staatsform der parlamentarischen Demokratie gebunden. Sieht sie sich bedroht, steht sie ihr im Weg, schafft sie sie ab. Das Recht dazu gibt sie sich selbst – wie alles Recht, mit dem sie ihre Interessen ausstattet. Das ist die Grundlage ihres Rechtsstaates und ihres Verständnisses von ihm. Hinter ihm steht die organisierte Gewalt der Bourgeoisie.

Aus subalterner Sicht wird das unabhängig von jeglichen Folgen akzeptiert. Autonomes, revolutionäres Denken akzeptiert das nicht. Es billigt den Herrschenden dieses Recht nicht zu. Es billigt ihnen nicht zu, dass sie ihre Interessen rücksichtslos über die der Menschheit stellen. Der organisierten Gewalt der Bourgeoisie ist die organisierte Gewalt der Revolution entgegenzusetzen, um ihre auf Ewigkeit angelegte Rechtsanmaßung zu beenden.

Bedeutet die Weiterexistenz ihrer Herrschaft wachsendes Massenelend, wachsende Naturzerstörung, wachsende Atomkriegsgefahr, muss sie im Interesse der Menschheit beseitigt werden. Sie ist nicht mehr zu legitimieren. Über die Philosophie der Appelle, der Unmutsbekundung, der Hungerrevolte und des Mistgabelaufstandes ist grundsätzlich hinauszugehen. Hochentwickelte Produktivkräfte sind weder alleinige Errungenschaften der Bourgeoisie, noch hat sie einen ewigen Anspruch darauf, einzig und allein über sie zu verfügen. Hemmen ihre Eigentumstitel an den Produktionsmitteln die gesellschaftliche Weiterentwicklung, zwingen stattdessen in die Katastrophe, müssen sie revolutionär überwunden werden.

Revolutionäre Überwindung bedeutet nicht ohne konkrete Vorstellung einer alternativen Gesellschaftsordnung die alte Macht zu zerschlagen. Erstens ist das kaum möglich und zweitens sinnlos. Die Vergesellschaftung der Produktionsmittel als Grundlage der sozialistischen Produktionsweise ist ein Ziel, dessen Erreichbarkeit bereits durch den heutigen Stand der Produktivkraftentwicklung vorbereitet ist. Je höher ihre Entwicklung, desto günstiger die Voraussetzung sozialistischer Umgestaltung. Dass Sozialismus den hochentwickelten Kapitalismus voraussetzt, haben Marx und Engels in ihrem Werk deutlich gemacht. Dass es umgekehrt nicht geht, hat der gescheiterte Versuch bewiesen. Sozialismus im Sinne sozialistischer Systemqualität wurde nicht erreicht. Ob nun wie immer geartete Apologetik oder bürgerliche Definition von Sozialismus ihn als historisch existent geworden behaupten, ist aus revolutionärer Sicht zwar taktisch und politisch zu beachten, inhaltlich jedoch ohne Bedeutung. Marx´ Prognose ist historisch bewiesen. Das allein zählt.

Grundsätzlich gilt, das jegliches Weiterkommen davon abhängt, wieweit und wie stark es von revolutionärer Subjektivität getragen ist. Teleologische Träumereien bleiben Träumereien. Geschichte besteht aus menschlichem Handeln. Das revolutionäre Subjekt muss die Initiative ergreifen. Revolutionen bahnen einer höheren Entwicklungsstufe den Weg. Sozialismus wäre kein erstrebenswertes Ziel, bedeutete es nicht Höherentwicklung. Der bürgerliche Einwand, Sozialismus sei das und werde es immer bleiben, was als freiheitsfeindliches totalitäres diktatorisches System untergegangen ist, ist irrelevant. Revolutionäre Initiativen bilden sich grundsätzlich ihr eigenes Urteil. Der bürgerlichen Definition von Sozialismus zu folgen bedeutet nicht nur Kapitulation noch vor Eröffnung des Kampfes, sondern gleichermaßen vor blankem Unsinn.

Subjektstatus wird im Kampf gewonnen – im Kampf um Ideen, im Kampf um Sozialismus. Das revolutionäre Subjekt entwickelt sich in dem Maße, in dem es sich von Bevormundung befreit, aufhört, an der Reproduktion seiner Unterdrückung und Entmündigung mitzuwirken. Das eigene, das sozialistische Ziel ist zu erreichen. Es ist selbstbewusst zu verfolgen, mit höchstem Wissen auszustatten und mit größter Willenskraft voranzutreiben. Konstruktiver Streit, kontroverse Diskussion sind nicht zu meiden. Revolutionäre Initiativen haben es nicht nötig, sich von außen belehren zu lassen. Seien es die ideologischen Agenturen der Herrschenden oder die ihnen ergebene Staatslinke: ihre Deutungsmuster sind souverän zu missachten. Assoziierte und kooperierende revolutionäre Initiativen und Strukturen können sich nicht mehr auf das elende Geschwätz der Staatslinken (Linkspartei, Grüne, SPD) einlassen. Der Reformismus ist tot. Seine künstliche Beatmung ernährt nur noch ihre Führungscliquen. Revolutionäre Selbstbestimmung verbietet, den Ratschlägen von Wasserträgern zu folgen. Sind sie auch gewöhnt, emanzipatorisches Denken an die Leine zu nehmen, ist es nun an der Zeit, ihnen das abzugewöhnen. Es geht nicht mehr darum, Almosen zu erbetteln, um mildere Herrschaftsausübung zu ersuchen; es geht um eine Gesellschaftsordnung, in der der gesellschaftliche erzeugte Reichtum gesellschaftlich angeeignet wird. Das ist die Grundlage wirklicher Demokratie.

3.)

Im 20. Jahrhundert sind zwei Sozialismuskonzeptionen gescheitert: die sozialdemokratische und die stalinistische.

Fiel die sozialdemokratische infolge reformistischer Substanzlosigkeit in sich zusammen, wurde die stalinistische historisch wirkungsmächtig. Zur nachholenden Modernisierung gezwungen beförderte sie die Sowjetunion zwar aus dem Zustand eines halbfeudalen Bauernlandes zu einem modernen Industrieland, nicht aber zu einem führenden. Die SU schaffte es nicht, die hochentwickelten westlichen Industriestaaten einzuholen, geschweige denn zu überholen. Ihr Untergang bestätigte zwei von Marx gesetzte Kriterien: Erfüllte objektive Voraussetzungen und Sozialismus als Tat der herrschenden Völker, gleichzeitig und nach Herstellung des Weltmarktes. Stalins Konzeption setzte auf die Unmöglichkeit des Sozialismus in einem Land. Sozialistische Revolution ist nach Marx Weltrevolution. Die Produktivkraftentwicklung der SU erschöpfte sich zum Ende des 20. Jahrhunderts bis zur Lähmung. Sie brach zusammen. Sozialismus erreichte sie nicht. Die Produktionsmittel wurden nicht vergesellschaftet, so dass es auch kein gesellschaftliches Eigentum an ihnen gab. Es gab nicht die geringste Grundlage sozialistischer Demokratie. An Subjektstatus der Massen war nicht zu denken. Wer das Sozialismus nennt, versteht darunter etwas anderes als Marx und Engels darunter verstanden. Revolutionäre Initiativen von heute können daher keine Rücksicht auf Meinungen nehmen, die zwar die bürgerliche Herrschaft beenden wollen, aber eine strategische Prämisse setzten, die nicht nur der Bourgeoisie in die Hände spielt, sondern den Keim des Scheiterns von vornherein in sich trägt.

4.)

Das revolutionäre Subjekt, das Proletariat, ist nicht verschwunden. Es definiert sich nicht nach seinem Erscheinungsbild, sondern wie Marx klarstellte nach seiner Stellung zu den Produktionsmitteln. Die bürgerliche Soziologie ist schon lange bemüht, seine heutigen Merkmale weg zu retuschieren, um es zunächst optisch verschwinden zu lassen. Dass die Bourgeoisie mit der Zeit gegangen ist, ihre Prototypen nicht mehr die alten Industriebarone, Thyssens, Krupps, Fords und Rockefellers sind, gilt als selbstverständlich, nicht aber für das Proletariat. Sein Archetyp, so wie er gezeichnet worden ist, bleibt der Mann im Blauen Anton mit dem Hammer in der Hand. Der ist in der Tat in den kapitalistischen Metropolen seltener geworden, nicht aber im Gesamtbild des Weltproletariats.

Mit der technologischen Entwicklung sind die Anforderungen gewachsen. Was sonst? Im industriell hochentwickelten Kapitalismus ist ein Hightech-Proletariat entstanden, das zu einem Großteil wissenschaftlich ausgebildet ist. Nicht nur das: Es lenkt, organisiert, entwickelt die Produktion. Ohne dieses hochqualifizierte Proletariat wüsste die Bourgeoisie nicht einmal mit sich selbst etwas anzufangen. Es mag sich heute Mittelstand oder auch gehobener nennen oder so genannt werden: es hat keinen maßgeblichen Besitz an den Produktionsmitteln. Es wird von den Herrschenden eingespannt, doch es gehört nicht zu ihnen. Die Bourgeoisie kennt ihre Achillesferse auf dieser Ebene. Nicht von ungefähr wird diese Schicht ideologisch vom Proletariat abgetrennt. Es ist nicht nur die Produktivkraftentwicklung, die dem Sozialismus die Basis gibt; es ist auch der entsprechend qualifizierte Teil des Proletariats, der in der Lage ist sie zu nutzen und im neuen Möglichkeitsraum weiterzuentwickeln.

Hat auch der Übergang von der extensiven zur intensiven Produktion, insbesondere die digitale Revolution, lebendige Arbeit in immer schnelleren Schüben überflüssig werden lassen, ist mit der daraus folgenden Massenarbeitslosigkeit das Proletariat nicht bis zur Bedeutungslosigkeit geschrumpft. Und es kann nicht schon deswegen als unqualifiziert betrachtet werden, nur weil es nicht mehr gebraucht wird. Es ist jederzeit in der Lage, sich neue, notwendige Qualifikationen anzueignen, vorausgesetzt, die Bedingungen lassen es zu. Das herrschende System liefert sie im Gegensatz zum sozialistischen nicht mehr. Das Proletariat ist in den Metropolen nicht verschwunden; und was die Zahl seiner Menschen betrifft, dürfte es die der Herrschenden samt ihren Dienern und Dienerinnen immer noch um Abermillionen übertreffen. Hinzu kommen verbündete Schichten. Und auch die dürften wachsen, verbreitet sich die Einsicht, dass der Spätkapitalismus als Zivilisation kollabiert.

5.)

Mit drei Illusionen ist primär aufzuräumen: dass das bürgerliche Parlament Tribüne der Revolution sei; dass durch Reformen eine gerechte Gesellschaftsordnung erreicht werden könne; dass die Partei alten Typs die Vorhut des Proletariats sei.

Um revolutionäre Aktivitäten im Parlament zu unterbinden, reichten heutzutage bereits simpelste Anträge zur Geschäftsordnung. Es legitimiert die Herrschaft, ist ihr Instrument, lässt sie als Demokratie erscheinen. Ein von revolutionären Mehrheiten beherrschtes Parlament entzieht sich vernünftiger Vorstellungskraft. Es befände sich außerhalb der Rechtsordnung und würde aufgelöst.

Der Reformismus kam zu keinem Zeitpunkt über Versprechungen und Forderungen hinaus. Setzte er in Zeiten der Vollbeschäftigung auch verschiedene Reformen durch, so waren es letztlich doch immer solche, die entweder auch der Kapitalseite nutzten oder ihr zumindest nicht schadeten. Diese Zeiten sind unwiderruflich vorbei. In der finalen Krise, der Widerspruchsdynamik, in der die Schleier in immer rascherer Folge fallen, in der die Fassade des Herrschaftssystem abblättert und verfällt, zerbröckelt auch die letzte Schminke des Reformismus.

Unberührt davon hausiert die Staatslinke mit Forderungen, die im Prozess systemischer Selbstnegation nur noch die Illusion erzeugen, sie wären erfüllbar, es müsse nur der politische Wille aufgebracht werden. Sie sind es absolut nicht. Und welchen politischen Willen meinen sie? Doch nicht etwa ihren eigenen!

Von diesem Schwindel leben ihre führenden Cliquen, während ihre Wähler und Wählerinnen jedes Mal aufs Neue in die Röhre gucken. Objektiv legitimieren sie das bürgerliche Herrschaftssystem, wozu sie als Staatslinke auch da sind. In der finalen Krise wird der Kapitalismus kenntlich. Und damit auch alles andere, was ihn stützt und umgibt.

Ist von Vorhut immer noch die Rede, ist zu fragen, nach welchem Vorbild sie sich heute richten sollte. Muster aus der Vergangenheit lassen sich auf heute nicht übertragen. Auch nicht Lenins Parteimodell. Es ist aus den Bedingungen seiner Zeit nicht herauszulösen. Die von Stalin noch verschärfte Parteidisziplin, das Abtöten jeder, auch der geringsten Opposition, die absolute Abwesenheit innerparteilicher Demokratie, ist heute nicht einmal ansatzweise diskussionswürdig. Die kommunistischen Parteien des Ostblockes, die trotz aller Modifikationen nach Stalins Tod aus diesem Schema nie herauskamen, entfallen ebenso. Sie sind samt ihrem System gescheitert. Lenins demokratischer Zentralismus als Organisationsprinzip erstarrte im Zentralismus.

Die kommunistischen Parteien, die den Untergang der Sowjetunion überdauerten, sind bis heute ratlos geblieben. Befangen in alten Denkbahnen ignorieren sie in der Frage neuer sozialistischer Strategie die von Marx gesetzten objektiven Voraussetzungen. Auf die Idee, nach diesem grandiosen Scheitern auf Marx, Engels, Luxemburg u.a. zurückzukommen, kommen sie nicht. Stattdessen stöbern sie nach subjektivem Versagen und verbauen sich damit den Weg, den subjektiven Faktor an den objektiven von heute heranzubringen. Sie reden zwar von Sozialismus, allerdings wie Priester, die den Glauben als Weg dorthin verkünden. Programme werden en masse produziert, Gremien, gebildet, Vordenkertum gepflegt usw. Aber wird die Kritik der politischen Ökonomie auf der von Marx gelieferten Grundlage konsequent auf die heutige Realität angewandt und weiterentwickelt? Sie ist die Grundlage der Herrschaftskritik, der Erkenntnis, dass das bürgerliche Regime der Gesellschaft keine Zukunft mehr bietet, dass seine Fortexistenz die Zivilisation zerstört. Ihre Denkblockade besteht darin, dass sie, obwohl sie bei Marx keine Unterstützung finden, dennoch darauf beharren, was sie immer noch für Sozialismus halten. In diesem Widerspruch verstrickt wissen sie nichts mit der heutigen Situation anzufangen, in der zum ersten Mal in der Geschichte die objektiven Voraussetzungen des Sozialismus vorhanden sind. Wie aber wollen sie zum subjektiven Faktor beitragen, wenn sie selbst subjektiv nicht begreifen, dass Marx und Engels verdammt recht hatten und dass ihre Erkenntnis hochaktuell ist?

Das Proletariat der führenden westlichen Länder hat eine lange historische Phase bürgerlicher Demokratie hinter sich. Es wird keinen Sinn darin sehen, sich altbackenen Parteireglementierungen unterzuordnen, die basisdemokratische Strukturen ausschließen. Die aber sind notwendig, die Komplexität heutiger Verhältnisse zu erfassen. Allwissende Funktionäre, die zwar verstehen, sich jahrzehntelang an der Macht zu halten, sind Relikte aus vergangenen Zeiten. Innerparteiliche Demokratie und hierarchische Machtverhältnisse sind miteinander nicht vereinbar. Gemessen an dem, was heute notwendig ist, besteht auch die Staatslinke aus archaischen Parteimodellen. Nimmt man ihre politischen Verlautbarungen, ihre Wahlkampfparolen, muss man sich fragen, ob all diese Flachheit und Banalität das geistige Produkt einer ganzen Partei ist oder nur das ihrer Führung. Unabhängig von der Qualität dieser Produkte zeigt sich an diesem Beispiel, dass die Parteibasis darauf keinen Einfluss hat. Staatslinke Parteien sind nicht in der Lage, in ihrem Innern ein höheres Verständnis von Demokratie als dem bürgerlichen zu fördern und zu entwickeln. Das lassen die wie Erbbauernhöfe weitergereichten Hierarchien nicht zu. Nicht nur das Proletariat, auch verbündete Schichten und andere Bevölkerungsteile würde gelebte und praktizierte Demokratie mehr ansprechen als alle diese Phrasen zusammen.

Darum aber geht es. Eine Partei, die eine höhere, eine sozialistische Demokratie anstrebt, muss sie hier und heute schon vorleben. Hält sie aber einen Sozialismus hoch, der mit Demokratie nichts zu tun hatte, und bleibt bei ihrem grundsätzlich nicht veränderten Parteiapparat, hat sie einer westlich geprägten Gesellschaft im Grunde nichts Neues, geschweige denn Erstrebenswertes zu sagen. Hohl oder nicht. Ihr Reformismus weist nicht in einen neuen Möglichkeitsrauf höherer Produktivkraftentwicklung und höherer Freiheit. Damit stellt sich die Frage, ob der herkömmliche Parteityp für ein sozialistisches Ziel noch geeignet ist.

6.)

Revolutionäres Erkennen, die Heranbildung des subjektiven Faktors fallen nicht vom Himmel. Revolutionäre Situationen kommen nicht als Wettermeldungen. Wer stellt sie fest, wer empfindet sie? Es ist der menschliche Geist, das menschliche Empfinden, die in die Wirklichkeit eindringen, Widersprüche wahrnehmen und verarbeiten. Und je wacher und empfindsamer ein Individuum ist, aber auch die Möglichkeiten hat, umso eher und tiefergehender entwickelt es einen kritischen Verstand. Es durchschaut die Verlogenheit Herrschender, die sich von ideologischen Quacksalbern aller Art höchste Tugenden und beste Absichten bescheinigen lassen. Gerät der kritische Geist an die Grenze, ab der er nicht mehr glaubt, dem eigenen Verstand vertraut und nicht mehr der entmündigenden Einrede erliegt, erlangt das Individuum Subjektstatus. Das ist ein anderer Zustand als der, der gemeinhin als normal bezeichnet wird. Entsteht der Gedanke, die Verhältnisse sind reif für eine Revolution, erkennt es eine revolutionäre Situation. Es kann sich dazu verhalten, mit anderen Menschen darüber sprechen, auf Gleichgesinnte treffen. Werden die Gedanken und Empfindungen geteilt, im geistigen Austausch weiterentwickelt und qualifiziert, verbreiten sie sich. Den Herrschenden werden Argumente entgegengesetzt, die sie nicht selbst angeregt haben, deren Eigenständigkeit ihre ideologischen Hexenmeister nicht mehr zügeln können. Dem Herrschaftssubjekt tritt ein autonomes gegenüber. Bilden sich autonome, assoziierte und solidarisch kooperierenden Strukturen, ein weltweites Netzwerk revolutionärer Partikel, entsteht Gegenmacht. Wenn den Herrschenden überhaupt noch etwas abzuringen ist, dann nur durch sie. Das ist aber nicht ihr alleiniger Zweck, sondern nur Nebenprodukt der ersten Etappe.

Bisher war kein Parteityp in der Lage, innerparteiliche Demokratie herzustellen. Wie alle führenden Cliquen bürgerlicher Parteien unterbinden auch die staatslinken ihr Entstehen, weil sie unvereinbar mit ihren Eigeninteressen ist. Was unter die Fittiche der Systemparteien aller Couleur gerät, wird zur Heranbildung des subjektiven Faktors kaum etwas beitragen können. Das ist nur möglich in autonomen Strukturen, in denen der Subjetstatus der Individuen besteht. Sie sind das Wurzelwerk, das neue Qualitäten auf allen Ebenen hervorbringt. Welche Kampformen sie hervorbringen, ist jetzt noch nicht zu sagen. Es herrscht das Prinzip der Organisiertheit, was nichts mit Chaos und Orientierungslosigkeit zu tun hat. Selbstbestimmte Individuen entwickeln höhere Kampfformen als Söldnerorganisationen aller Art. Ihre Strukturen sind nicht mit einem einzigen Akt zu zerschlagen. Ihnen gehört die Zukunft. Nicht aus Gehorsam, aus Einsicht werden sie auch entsprechend disziplinierte Formationen bilden, diktieren es die Bedingungen. Der subjektive Faktor, der das Ancien régime negiert und das sozialistische Ziel will, ist nur auf dieser Basis zu entwickeln. Die Qualität wird es sein, die die Menschen überzeugt. Um sie ist zu ringen. Nichts ist vorwegzunehmen, aber der Boden zu bereiten, auf dem Besseres gedeihen kann.

Editorischer Hinweis

Wir erhielten den Text von den Autoren für diese Ausgabe.