Bernard Schmid berichtet aus Frankreich

Frankreich und Afrika - Françafrique und Franzhollande
Die Beziehungen Frankreichs zu dem Kontinent unter dem neuen Präsidenten. Zwischen Anpassung der Strukturen des Neokolonialismus, symbolischen Brüchen und einschlägigen Kontakten...

10-2012

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Du kannst nicht ins Paradies kommen, ohne zuvor gestorben zu sein“, besagt ein Sprichwort im französischsprachigen Afrika. Frankreichs Staatspräsident François Hollande scheint es sich insofern zu Herzen zu nehmen, als er sich gegen eine Politik des leeren Stuhls entschieden hat, bevor der nächste internationale Gipfel in neokolonialer Tradition auf afrikanischem Boden stattfinden würde. Es ging um den „Gipfel der Francophonie“ – des internationalen Zusammenschlusses französischsprachiger Staaten – vom 12. bis 14. Oktober 2012 in der kongolesischen Hauptstadt Kinshasa.

Ähnlich wie bereits sein konservativ-wirtschaftsliberaler Amtsvorgänger Nicolas Sarkozy (2007 bis 2012) hat auch der jetzige sozialdemokratische Präsident einen „Bruch mit zweifelhaften Praktiken Frankreichs in Afrika“ versprochen. Also mit einem System, das KritikerInnen seit einem 1997/98 publizierten, gleichnamigen Buch von François-Xavier Verschave – dem inzwischen verstorbenen Sprecher der NGP Survie – als Françafrique bezeichnen, und das eine Verlängerung kolonialer Kontrolle über den Kontinent mit anderen Mitteln (unter ihnen die früher an den Franc und jetzt an den Euro gekoppelte Währung franc CFA) darstellt.

Im Wahlkampf 2006/07 hatte der rechte Kandidat Sarkozy relativ lautstark einen „Bruch mit der Françafrique“ versprochen. Dabei hatte er es zum Teil sogar ernst gemeint, da in manchen wirtschafts- und neoliberalen Kreisen damals ein Diskurs gepflegt wurde, der im Hinblick auf die französische Präsenz in Afrika das „Abschneiden alter Zöpfe predigt“. Aus dieser Sicht war ein Dominanzsystem, das u.a. den Unterhalt ständig stationierter französischer Truppen und von Militärbasen in mehreren Ländern Afrikas (Senegal, Gabun, Djibouti) beinhaltet, längerfristig zu teuer. Den darüber erreichten Vorteil, also den privilegierten Zugang zu Rohstoffen, könnte man mit anderen Mitteln – etwa durch das Aushandeln von Verträgen – billiger haben, behauptete dieser wirtschaftsliberale Diskurs. Nach wenigen Monaten im Amt vollzog Nicolas Sarkozy damals jedoch eine radikale Kehrtwendung gegenüber seinem eigenen Wahlkampfdiskurs. Die Kosten-Nutzen-Rechnung schien nunmehr zu besagen, dass die französische Wirtschaft doch erhebliche Sondervorteile und Extraprofite zu verlieren hätte, gäbe die Staatsmacht Frankreichs bisherige Dominanzpositionen in Afrika auf. Allerdings wurde die militärische Präsenz Frankreichs zumindest auf der Westflanke des Kontinents reduziert – die Militärbasis im Senegal wurde 2011 an die dortigen Behörden übergeben -, im Sinne der im offiziellen „Weißbuch Verteidigung“ von 2008 festgelegten Doktrin. Demnach ist es kostengünstiger und effizienter, die permanent in Afrika stationierten Truppen zu reduzieren und im Bedarfsfall zusätzliche Truppen vom französischen Territorium aus einzufliegen.

François Hollande hat seinerzeit im Wahlkampf 2011/12, als damaliger Oppositionspolitiker, den Mund nicht ganz so voll genommen. Dennoch stellte auch er, im Diskurs unzweideutig, ein Ende umstrittener neokolonialer Praktiken in Afrika in Aussicht. Parallel dazu bereits allerdings sein Berater – und jetziger Außenminister – Laurent Fabius mehrere afrikanische Länder. In einigen Fällen offenkundig, um den dort amtierenden (und oft dereinst direkt durch Frankreich ausgewählten) Autokraten zu versichern, dass ihnen keine radikalen Brüche im Umgang Frankreichs mit ihren Staaten drohten. So hielt Fabius sich im Februar 2012 in Gabun auf, bei Ali Bongo, einem der vielleicht übelsten Staatschefs in der neokolonialen Einflusssphäre Frankreichs. Ali Bongo ist der Sohn von Omar Bongo, der schlappe 42 Jahre lang – von 1967 bis zu seinem Tod im Juni 2009 – als Präsident der nur eine Million EinwohnerInnen zählenden, aber rohstoffreichen Erdölrepublik Gabun amtierte, bevor ihm dann eben sein Lieblingssohn (nach einer „Wahl“farce Ende August 2009) nachfolgte. Aufgrund seines Reichtums an Petrodollars spielte Gabun Jahrzehnte hindurch eine Schlüsselrolle in der französischen Politik, bis hinein in die Innenpolitik, da das Land als Geldwäscheanlage für illegale Parteienfinanzierung in Paris diente. Davon profitierten alle größeren Parteien mit Ausnahme der KP – wobei es bei deren früherem Vorsitzenden Robert Hue, heute eher ein rechter Sozialdemokrat, noch manche Zweifel gibt –, der Grünen und der radikalen Linken. Selbst wenn die französische Staatsmacht wollte, könnte es ihr also schwer fallen, die Verbindungen zur gabunischen Autokratie zu kappen, da im Präsidentenpalast in Libreville wiederum einiges „belastendes“ Wissen angesammelt wurde.

Der (beinahe) frischgebackene Präsident François Hollande empfing seinerseits seinen Amtskollegen aus Gabun, Ali Bongo, am 05. Juli 2012 im Elysée-Palast. Er hat also ein paar Wochen länger gewartet als sein Vorgänger Nicolas Sarkozy: 2007 zur selben Jahreszeit gewählt, also Anfang Mai, hatte jener den damaligen Autokraten Omar Bongo bereits am 25. Mai 2007 offiziell empfangen. Dennoch war das Symbol eindeutig, und wurde auch durch KritikerInnen der französischen Afrikapolitik so aufgefasst. Allerdings war die Begleitmusik dieses Mal eine etwas andere, so betonte Hollande auf der Pressekonferenz im Anschluss an den Empfang die Werte der Demokratie und der good governance oder Korruptionsbekämpfung, was wie verschlüsselte Mahnungen an die Adresse seines Staatsgasts klingen konnte. Das gabunische Regime von „Ali Bongo und den vierzig Räubern“ ist jedenfalls misstrauisch geworden, während die Opposition – oder jedenfalls ihre „moderaten“ Teile – sich ihrerseits von Paris ermutigt sehen. Ali Bongo hat in den drei Amtsjahren, die er hinter sich hat, 18.000 zusätzliche Militärs einstellen lassen (das gesamte Land zählt rund eine Million Einwohner/innen) und zeigt sich zunehmend nervös.

Ein weiterer umstrittener Staatsbesuch im Elysée-Palast war jener des Präsidenten von Burkina-Faso, Blaise Compaoré, am 18. September 12. Er war und bleibt der Mörder seines revolutionär orientierten Amtsvorgängers Thomas Sankara, eines der wichtigstgen Hoffnungsträger des Kontinents während seiner kurzen Regierungsperiode – 1983 bis 1987 -, der vor nunmehr genau einem Vierteljahrhundert (am 15. Oktober 1987) bei einem Rechtsputsch ermordet wurde. Blaise Compaoré, der daraufhin die Macht an sich riss, versteht es jedoch, seiner Macht eine relativ zivile Verkleidung zu geben. Bei einer „Wahl“ im Herbst 2010 wurde er formell mit über 80 Prozent der Stimmen im Amt bestätigt, von rund zehn Millionen Erwachsenen nahmen allerdings nur 1,5 Millionen an der Inszenierung überhaupt teil. Der Staatsbesuch Compaorés in Paris stand in engem Zusammenhang mit den intensiven Vorbereitungen einer Militärintervention im Norden Malis gegen die Djihadisten, die eine Hälfte des Landes seit März/April 2012 kontrolliert halten; vgl. dazu ausführlich MALI: Vor der Truppenlandung?
Gipfel in Kinshasa


Vom 12. bis 14. Oktober d.J. fand nun in Kinshasa, der Hauptstadt der Demokratischen Republik Kongo (RDC), der Gipfel der Organisation französischsprachiger Staaten OIF – Organisation internationale de la francophonie – statt. Dabei handelt es sich um ein langjähriges Instrument indirekter neokolonialer „Ausstrahlung“ Frankreichs, derzeitiger Chef der Organisation ist der frühere senegalesische Präsident Abdou Diouf. Die RDC ist jedoch ein Staat, in dem es seit dem Abgang des alten Mobutu-Regimes 1997 zu Millionen von Toten kam (nicht allein durch Verschulden der Staatsmacht, sondern ebenso auch durch das kriminelle Agieren von Milizen und mehreren Nachbarstaaten wie Rwanda). Anfang Oktober d.J. brach François Hollande deswegen eine kurz anhaltende Polemik vom Zaun, indem er in der Presse erklärte: „Die Menschenrechtssituation in der RDC ist unakzeptabel, auch im Hinblick auf die Demokratie und die Anerkennung der Opposition“, erklärte er am 09. Oktober 12, worauf die kongolesischen Behörden antworteten, ihr Land sei ein souveräner Staat und es seien „die Kongolesen, die wissen müssen, was sie akzeptieren und was nicht“. Am 11. Oktober 12 drückte Hollande unterdessen eine abgeschwächte Kritik aus, indem er erklärte: „Die demokratischen Spielregeln im Kongo sind nicht vollständig zufriedenstellend.“

Hollande hat damit anscheinend sein Gewissen beruhigt, indem er vorab die Situation in dem Land – das nicht direkt zur französischen neokolonialen Sphäre zählt, auch wenn Frankreich dort neben den USA, Belgien oder China einen gewissen Einfluss ausübt – kritisierte, bevor er sich zum Gipfel begab. Seine Präsenz dort sollte aber vor allem signalisieren, dass er die traute Runde der Staatschefs französischsprachiger Länder, von denen viele Diktatoren und/oder Sachwalter neokolonialer Interessen sind, nicht „im Stich lässt“. Wahre Komplizenschaft war oder ist der französischen Staatsmacht insofern nicht so sehr im direkten Verhältnis zur Demokratischen Republik Kongo vorzuwerfen, sondern viel stärker in ihrem Verhältnis zu Regimes, welche unmittelbarer in ihren eigenen Einflussbereich fallen.

Rückblick auf das Gipfeltreffen

Am Sonntag, den 14. Oktober ging in Kinshasa nun dieser Vierzehnte Gipfel der francophonie, also des internationalen Verbunds französischsprachiger Staaten, zu Ende. Dem Verband gehören aus historischen Gründen mehrheitlich afrikanische Länder an, aber auch Vietnam, Haiti, der Libanon und aus nicht genau erfindlichen Gründen auch Moldawien. Er zählt 56 Mitgliedsstaaten und zwanzig Beobachter. Etwa 15 Staats- und Regierungschefs hatten die Reise nach Kinshasa angetreten.

Am Vormittag des Samstag, den 13. Oktober traf François Hollande unter vier Augen mit dem kongolesischen Präsidenten und Gastgeber zu einem Gespräch zusammen, das vom französischen Präsidentenamt „offen und direkt“ – eine diplomatische Bezeichnung, die einen eher rüden Verlauf ausdrückt – genannt wurde. Hollande legte aber auch Wert darauf, mit dem kongolesischen Oppositionspolitiker (und früheren zeitweiligen Premierminister unter dem langjährigen Diktator Mobutu Sese Seko) Etienne Tshisekedi zusammenzutreffen. Er hatte die letzte Präsidentschaftswahl im November 2011 verloren, den Behörden jedoch Wahlbetrug vorgeworfen. François Hollande kündigte auch an, ein besonderes Augenmerk auf den bevorstehenden Prozess gegen die Mörder des Menschenrechtsaktivisten Florent Chebaya zu richten. Chebaya war im Juni 2010 von Polizisten getötet worden. Ihren Prozess hatten die Behörden der RDC im Vorfeld des Francophonie-Gipfels angekündigt – wodurch sie der internationalen Öffentlichkeit scheinbar Garantien gaben -, dann jedoch kurzfristig auf vierzehn Tage nach Abschluss des Gipfels verlegt (auf den 28. Oktober), also nach Abreise der internationalen Gäste. In François Hollands Beisein wurde eine Abteilung des französischen Kulturinstituts in Kinshasa nach Florent Chebaya benannt. Ebenfalls im Vorfeld des Gipfels durch die RDC-Behörden angekündigt, und dann ziemlich kurzfristig auf die Zeit „hinter dem Gipfel“ verschoben wurde die Reform der Wahlkommission.

Das Gipfeltreffen endete, wie bei solchen Abschlussresolutionen üblich, mit einer Reihe von Resolutionen und gut klingenden Abschlusserklärungen. So wurde ein Engagement des Zusammenschlusses frankophoner Staaten für ein stärkeres Gewicht Afrikas, u.a. auch durch eine überfällige Reform des UN-Sicherheitsrats, angekündigt. Die Gewalttaten in der RDC betreffend, spricht eine Resolution des Gipfels sich für internationale „gezielte Sanktionen“ gegen die Urheber schwerer Menschenrechtsverletzungen im Osten des kongolesischen Staatsgebiets aus. Zu ihnen zählen unterschiedliche Milizen, von denen manche früher durch die kongolesischen Behörden toleriert wurden (die gegen Rwanda kämpfenden Hutu-Extremisten der FDLR), während andere umgekehrt von Nachbarstaaten zur Schwächung und Zerstückelung Kongos unterstützt werden (wie die von Rwanda wohlwollend begleitete Tutsi-Miliz M23). Der Gipfel spricht sich auch für Strafverfolgungen des Internationalen Strafgerichtshofs in diesem Zusammenhang an. Dagegen meldete die rwandische Staatsführung bei dem Gipfel „Vorbehalte“ an, da sie indirekt im Visier steht.

Dakar, Sarkozy & Hollande

Das kommende, fünfzehnte Gipfeltreffen wird 2014 in Dakar stattfinden. Auf für Frankreich politisch und diplomatisch unbedenklichem Terrain. Am 12. Oktober d.J hielt François Hollande seine vielbeachtete Antrittsrede als französischer Präsident auf afrikanischem Boden in der senegalesischen Hauptstadt, wenige Stunden bevor er zum Gipfel in Kinshasa eintraf. Dabei verstand er es, sich in wohltuender Weise vom berüchtigten Auftritt seines Vorgängers Sarkozy in Dakar abzugrenzen.

Am 26. Juli 2007 hielt jener an der Universität Cheikh Anta Diop seine längst berüchtigt gewordene „Rede von Dakar“ (vgl. auch Nach der „Françafrique“ kommt jetzt „Sarkafrique“), zu welcher jener berühmt gewordene Kernsatz gehört: „Das Drama Afrika besteht darin, dass der afrikanische Mensch nicht genügend in die Geschichte eingetreten ist.“ (Sic) Verfasser dieser Sätze, die auf einer haarsträubenden aktualisierten Hegel-Rezeption basieren, war Sarkozys „gaullistisch“-nationalistischer, patriotisch verquaster Redenschreiber Henri Guaino. Demgegenüber fiel es François Hollande mit einer Portion guten Willens nicht allzu schwer, als weniger arrogant, weniger rassistisch oder weniger durchgeknallt in Dakar aufzutreten. In seiner Rede vor dem senegalesischen Parlament vom 12. Oktober 12 drückte Hollande seine „Zuversicht in die Zukunft“ Afrikas aus. Er zollte dem Kontinent Dank für das „afrikanische Blut, das für die Befreiung der Menschheit“ – im militärischen Kampf gegen den Nazismus auf den europäischen Kriegsschauplätzen der Jahre 1940-44/45 – vergossen worden sei. Auch ging François Hollande sogar so weit, den Senegal an „den Anfang der Französischen Revolution“ zu rücken, indem er richtigerweise an die „Beschwerden der Staat Saint-Louis“ anlässlich der Eingaben an den französischen König von 1789 erinnerte. Jene Beschwerdehefte, die Cahiers de doléance, waren es, die damals den Stein des bürgerlich-revolutionären Prozess ins Rollen brachten. Die Einwohner/innen von vier senegalesischen Städten – wo Frankreich schon seit dem 17. Jahrhundert ständige Handelsniederlassungen unterhielt -, unter ihnen Dakar und Saint-Louis, hatten damals die volle französische Staatsbürgerschaft inne.

Insofern konnte François Hollande in Westafrika einen ziemlich guten Eindruck hinterlassen. Abzuwarten bleibt, ob er auch den – durch sämtliche französischen Präsidenten seit Valéry Giscard d’Estaing (1974-1981) in Worten ausnahmslos angekündigten – Bruch mit dem Neokolonialismus und seinen „Sonderpraktiken“ real vollzieht. Angekündigt hat er jedenfalls vollmundig: All „die Emissäre, Zwischenhändler und Sondergesandten“ – die diese Sonderbeziehungen bislang weitgehend unter Ausschluss der Öffentlichkeit und selbst des Parlaments abwickelten, in direktem Zusammenspiel mit der französischen Exekutive und den afrikanischen Diktaturen – „werden künftig im Elysée-Palast geschlossene Türen (/ Tore) vorfinden.“ Gut gesprochen. Nun warten wir darauf, wie es in der Praxis aussehen wird.

Editorische Hinweise

Der Text erhielten wir vom Autor für diese Ausgabe.