Bernard Schmid berichtet aus Frankreich

Nach der „Françafrique“ kommt jetzt „Sarkafrique“
Frankreichs neue Afrikapolitik, zwischen Kolonialismus-Apologetik und Partnerschaftsangebot
7-8/07

trend
onlinezeitung

Frankreich, die frühere Kolonialmacht in weiten Teilen Nord- und Westafrikas, geht auf dem afrikanischen Kontinent wieder in die Offensive. Nicolas Sarkozy auch in Deutschland heiß diskutierte Reise zum libyschen Oberst Kaddafi in Libyen, am 25. und 26. Juli, fand in den folgenden Tagen noch eine Fortsetzung in anderen Staaten Afrikas. Deren Ergebnisse wurden zunächst, in Frankreich und vor allem im Ausland, gegenüber dem Abstecher in Libyen vergleichsweise wenig beachtet. Inzwischen aber fällt das Augenmerk doch auf die Rede, die der französische Präsident am Donnerstag, 26. Juli in Senegals Hauptstadt Dakar hielt und die er gern als programmatisches Grundsatzmanifest verstanden hätte (vgl. die Rede: http://www.elysee.fr ). Nicht  nur die Berliner ’taz’ schlagzeilte deswegen am 1. August: „Sarkozy befremdet Afrika“ (http://www.taz.de ). Auch ein Grobteil der französischen Presse hält die Übung für missraten, und die Enthüllungszeitung ‚Le Canard enchaîne’ berichtet am selben Tag, jene Journalisten, die das Manuskript vorab zu Gesicht bekamen, hätten ihren Tonfall als „paternalistisch“ empfunden. Weitere Kritik erregte darüberhinaus Sarkozys Staatsbesuch bei dem alternden Autokraten Omar Bongo, in der Äquatorialrepublik Gabun.  

Die Pariser Politik möchte in Afrika wieder Präsenz zeigen. Ihr Präsident beruft sich darauf zum Teil offen auf koloniale „Werte“ und ihre Geschichte. Während er bei manchen Präsidenten auf Unterstützung hoffen kann, eckt er jedoch bei den Bevölkerungen zur Zeit ziemlich klar an.

Reise in die Vergangenheit? 

Die Bilder erinnern an uralte Szenen, die sich so oft in der Geschichte wiederholten. Doch gehören sie nicht längst vergangenen Zeiten an, sondern wurden am Freitag, den 27. Juli dieses Jahres aufgenommen. Da kommt ein französischer Staatspräsident am Flughafen der Hauptstadt einer Ex-Kolonie an. Zum Empfang nimmt er eine riesige Militärparade noch auf der Startbahn des Flughafens ab, zum Klang des französischen Volkslieds ‚Auprès de ma blonde’ („Bei meiner Blonden“), das André Joubert während des Krieges zwischen Ludwig XIV. und Holland im 17. Jahrhundert verfasst haben soll. Danach geht es weiter in die Innenstadt. Rechts und links der Strabe, welche die Präsidentenlimousine befährt, hat eine (nicht wirklich spontan zusammengekommene) Menschenmenge Aufstellung bezogen. Sie trägt T-Shirts mit den Konterfeis der beiden Präsidenten, schwingt französische Fahnen, hebt Poster mit einem Slogan über die „unverbrüchliche Freundschaft“ zwischen beiden Ländern in die Höhe. Und singt dabei: „Es lebe das Frankreich Sarkozys, es lebe die französisch-gabunesische Freundschaft!“ Im Anschluss lässt sich der Gastgeber ausgiebig feiern und versichert dem Staatsgast, dass im Lande alles in Ordnung und die gegenseitige Beziehung für die Ewigkeit gebaut sei. Der Gastgeber ist seit mehreren Jahrzehnten an der Macht und bereitet sich darauf vor, faktisch als Präsident auf Lebenszeit im Amt zu bleiben. Aktuell wird der Streit um die Nachfolge des Staatsoberhaupts zwischen seinem Sohn (und amtierenden Verteidigungsminister), seinem Neffen (und General) sowie seinem Schwiegersohn (und Finanzminister) ausgetragen. 

In Lateinamerika würde man das Gastgeberland vielleicht als „Bananenrepublik“ bezeichnen. Aber wir sind nicht im südamerikanischen Hinterhof der USA, sondern im Bereich der französisch-afrikanischen Beziehungen. Und das betreffende Land lebt auch nicht vom Export von Bananen oder anderen in Monokultur angepflanzten Tropenfrüchten, sondern sitzt auf einem bedeutenden Vorrat an Erdöl. Daneben weist es noch andere Bodenschätze auf, darunter Mangan- und Eisenerz, und exportiert Tropenhölzer. Früher wurde auch Uraniumerz abgebaut, aber die Uran-Mine ist seit 1985 erschöpft.  

Das Land ist also potenziell reich. Doch, wie die französische Ausgabe von Wikipedia knapp und richtig zusammenfasst, „in Wirklichkeit profitiert die Bevölkerung nur wenig von diesen Reichtümern, so dass der Lebensstandard vieler Einwohner trotz eines relativ hohen Pro-Kopf-Einkommens“, es beträgt rund 3.500 Dollar pro Jahr und Einwohner, „mittelmäbig bleibt“ (vgl. http://fr.wikipedia.org/wiki/Gabon ) Und das ist noch höflich ausgedrückt. 

 Trotz einer ziemlich kleinen Bevölkerung von rund 1,2 Millionen Menschen (auf einem Staatsgebiet, das ungefähr 70 Prozent der Ausdehnung Deutschlands nach der Wiedervereinigung ausmacht) besteht nach wie vor eine beträchtliche Armut. Die politischen Machthaber könnten sich, aufgrund der Reichtümer ihres Landes, den sozialen Frieden kaufen. Und tun es zum Teil auch, weshalb Gabun unter den Diktaturen des afrikanischen Kontinents noch als relativ gemäbigtes autoritäres Regime durchgehen kann: Massenhaft Oppositionelle zu erschieben, hat Omar Bongo gar nicht nötig. Aber gröbere Sektoren des Gesundheitssystems und des Schulwesens sind in jämmerlichem Zustand, ebenso wie das Strabennetz teilweise ziemlich schlecht unterhalten ist und selbst in der Hauptstadt oft Löcher in der Asphaltdecke aufweist.  

Im „Index für menschliche Entwicklung“ des UN-Entwicklungsprogramms UNPD kommt die Republik auf 124. Stelle von insgesamt 177 Ländern, obwohl sie extrem günstige natürliche Voraussetzungen bei gleichzeitig extrem geringer Bevölkerungszahl und –dichte aufweist. Für die Bewohner des Landes gibt es eine Art doppelten Konsumniveaus: Wer wohlhabend ist, geht in schicken Restaurants essen, die weitgehend nach europäischen Standards gestaltet sind. Die übrigen Leute verpflegen sich bei Strabenhändlern. Der Preis für die gleiche Speise unterscheidet sich dabei in der Regel um das Zehnfache, wobei aber selbstverständlich die Hygienestandards nicht dieselben sind. 

40 Jahre im Amt 

Der Präsident dieses idyllischen Ländchens heibt Omar Bongo Ondimbo, von Kritikern mitunter spöttisch „Mullah Omar“ genannt (in Anspielung auf den afghanischen halbblinden Taliban-Anführer, der 2001 den vorrückenden US-Truppen auf einem Mofa entflohen sein soll). Omar Bongo kam im Jahr 1967 an die Macht, so dass seine Amtszeit inzwischen die Kleinigkeit von vierzig Jährchen erreicht. Damit ist er selbst auf dem afrikanischen Kontinent, wo Potentaten und Autokraten oftmals an ihren Sesseln festkleben, der dienstälteste Staatschef.  

Frankreich verdankt er so einiges. Bevor er an die Macht kam, war Omar Bongo dereinst Offizier und Geheimdienstmitarbeiter in der Armee Frankreichs, von dem das Land 1960 offiziell unabhängig wurde. Und seitdem im Jahr 1957 die Erdölförderung in Gabun, wenige Jahre später auch vor seinen Küsten begonnen hatte, besab der damalige französische Erdölkonzern ELF Aquitaine (inzwischen mit Total und dem belgischen Unternehmen Fina zu einem Ensemble unter dem Namen Total fusioniert) faktisch mit die stärkste Macht im Staate. Hatte nicht Loïc Le Floch-Prigent, der ehemalige Direktor von ELF Aquitaine -- kurz bevor er im Juli 1996 unter dem Verdacht auf Korruption und Unterschlagung von Firmenvermögen in Untersuchungshaft wanderte -- eine „Beichte“ niedergeschrieben, ein zehnseitiges Manuskript, worin er eifrig Firmengeheimnisse ausplauderte? Dieses Manuskript sollte ihm als Faustpfand dafür dienen, dass er nicht alleine in der Haftanstalt schmoren und dort im Stich gelassen werden möge. Als daraufhin nicht viel passierte, obwohl die Existenz dieses Mansukripts ruchbar geworden war, wurde es am 12. Dezember 1996 durch das bürgerliche Wochenmagazin abgedruckt. Die Überschrift ‚Ma confession’ schmückte die Seite Eins der Zeitschrift. Auf dem guten Dutzend Druckseiten konnte man so manche Einblicke in da Treiben von Elf Aquitaine und die Hintergründe seiner parastaatlichen Machtpolitik, meistens mit Rückendeckung des französischen Staates, vor allem in Afrika gewinnen. Und dort stand dann auch schwarz auf weib, in der historischen Rückschau Le Floch-Prigents: „Elf ernennt Omar Bongo“, oder über den starken Mann des Nachbarlands Kamerun: „Paul Biya kann nur mit Unterstützung von Elf die Macht übernehmen.“ Diese Machenschaften spielten übrigens während des groben Elf-Prozesses, der 2001 begann und Ende 2003 mit der Verurteilung unter anderem von Le Floch-Prigent zu zweieinhalb Jahren Haft endete, keine Rolle. Denn die Debatten während des Prozesses waren von vornherein auf relativ unwichtige Fragen der firmeninternen Korruption eingeschränkt worden. 

Mitunter griff Frankreich auch militärisch ein, um den Protégé der Pariser Politik bzw. der Erdölgeschäfte von Elf (später Total) zu schützen, wenn es sein musste. Im Mai 1990 kam es etwa zu heftigen Unruhen in Gabuns Hafenstadt Port Gentil, nachdem dort ein Oppositionspolitiker ermordet worden war. Kurz darauf dehnten sie sich auch auf die Hauptstadt Libreville aus. Daraufhin entsandte Frankreich, das permanent 850 Soldaten in Gabun stationiert hat, Fallschirmjäger – also Elitetruppen – zur Verstärkung in das afrikanische Land. Unter dem Vorwand, es müsse die rund 60.000 in Gabun lebenden französischen Staatsbürger retten, griff es ein und rettete Präsident Omar Bongo möglicherweise den Kopf. Präsident war damals der „Sozialist“ François Mitterrand, Premierminister der Sozialliberale Michel Rocard, und im Verteidigungsressort sab der Linksnationalist Jean-Pierre Chevènement. Was beweist, dass es über solche Angelegenheiten einen Konsens unter allen staatstragenden Parteien gab oder noch immer gibt.

Inzwischen hat sich das Verhältnis zwischen Frankreich und seinem langjährigen Schützling freilich ein wenig verkompliziert. Denn Omar Bongo kann nicht länger nur als Vasall betrachtet werden. Denn einerseits sitzt er, dank der grobzügig geflossenen Korruptionsgelder – etwa von ELF Aquitaine – für sein Regime und dank des staatlichen Anteils an der Ölrente, auf dick gefüllten Kassen. Und diese öffnet er immer wieder auch für französische Wahlkämpfe und politische Parteien der Ex-Kolonialmacht. So finanzierte er lange Zeit den einst durch Jacques Chirac gegründeten RPR (der später in der seit 2002 bestehenden bürgerlich-konservativen Einheitspartei UMP aufging).  

Dadurch und weil er als Vermittler bei zahlreichen Waffendeals und „schmutzigen Affären“ - die der französische Staat nicht offen abwickeln konnte - diente, hat Omar Bongo aber auf der anderen Seite ein mächtiges Wissen angehäuft. Und dises Wissen kann für so manchen französischen Politiker äuberst gefährlich werden, falls er es sich mit dem Präsidenten vom Äquator verscherzt.  

Dessen Name fiel in den französischen Medien zum Jahreswechsel 2000/01 im Rahmen der so genannten Falcone-Affäre: Es war ruchbar geworden, dass Frankreich auf diversen Umwegen beide Kriegsparteien im damaligen Bürgerkrieg in Angola, die postsozialistische Regierung unter Eduardo dos Santos und die rechten UNITA-Rebellen unter Jonas Savimibi, gleichzeitig aufgerüstet hat. Gegen das ehemalige Präsidentensöhnchen Jean-Christophe Mitterrand – der zu Zeiten, als Vater François im Amt war, die „Afrikanische Zelle“ im Elysée-Palast, das faktische Steuerungszentrum der Pariser Afrikapolitik, leitete – und den rechten Ex-Innenminister Charles Pasqua wurden strafrechtliche Ermittlungen eingeleitet. (Das Verfahren gegen Pasqua soll seit März dieses Jahres übrigens endlich Fortschritte machen.) Der gabunesische Präsident wurde als Mittelsmann bei dem Deal zitiert. Prompt reagierte dieser: Ein Passus seines Buches ‚Blanc comme nègre’ („Weib wie Neger“, eine ironische Abwandlung des Ausdrucks ‚blanc comme neige’ für „schneeweib“), das im Februar 2001 bei einem Pariser Verlag erschien, enthält eine drohende Andeutung. Omar Bongo gibt darin zu verstehen, er wisse genug, „um die (französische) Fünfte Republik zehn mal in die Luft gehen zu lassen“. Späterhin würde der Präsident in dieser Angelegenheit, der Falcone-Affäre, nicht mehr behelligt werden.  

Seit kurzem ermittelt nun allerdings die französische Justiz, im Rahmen von Korruptionsermittlungen bezüglich in Pariser Immobilien angelegter Guthaben, gegen Omar Bongo. Der gabunesische Präsidente besitzt ein reiches Immobilienvermögen in der französischen Hauptstadt, wie andere afrikanische Potentaten auch. Im Februar dieses Jahres hatten Solidaritätsinitiativen eine Besichtigungstour für französische Kritiker der Afrikapolitik ihres Landes sowie für Journalisten in Paris veranstaltet. Sie führte auch zu den Besitztümern Omar Bongos im noblen 16. Arrondissement.

Die versprochene Umwälzung fällt aus

Nicolas Sarkozy hatte im Vorjahr, anlässlich einer Kurzreise in die westafrikanischen Länder Mali und Bénin, eine ‚rupture’ (einen Bruch), also eine radikale Veränderung in der französischen Afrikapolitik versprochen. Zumindest verbal. (Vgl. dazu http://www.heise.de/tp/r4/artikel/22/22801/1.html ) Damals, im Mai 2006, versprach der seinerzeitige französische Innenminister, „ein neues Kapitel in den Beziehungen zwischen Frankreich und Afrika“ aufzuschlagen, und bot eine „neue Partnerschaft“ an. Er werde den allzu bekannten Praktiken der „Françafrique“ – also jenes teilweise staatlichen, teilweise privaten Netzwerks, das auf mafiöse Art und Weise erhebliche Teile der afrikanischen Politik und Ökonomien kontrolliert – ein Ende setzen. Allerdings stand der Minister zu dem Zeitpunkt in den Ländern, die er besuchte, auch unter hohem Rechtfertigungsdruck aufgrund des soeben von ihm vorgelegten und durch die Abgeordneten verabschiedeten, wesentlich verschärften Einwanderungsgesetzes. In Malis Hauptstadt Bamako fanden beeindruckende Demonstrationen gegen Sarkozys Besuch und seine Politik statt. Insofern war Sarkozy politisch geradezu genötigt, eine positiv klingende Ankündigung zu machen. 

Ferner warf die Tatsache, dass auch damals schon Besuchspläne Sarkozys in Gabun bekannt wurden, einen dunklen Schatten über seine wohl klingenden Ankündigungen. Denn während Sarkozy in Mali und Bénin behauptete, er suche diese Länder deshalb auf, weil dort erfolgreiche Demokratisierungsprozesse durchgeführt worden seien – tatsächlich hatten sich die Bevölkerungen aus eigener Kraft von Diktaturen befreit -, widersprach die Absicht eines Staatsbesuchs in Gabun dieser Darstellung. Doch die linksliberale Pariser Tageszeitung ‚Libération’ berichtete am 18. Mai 2006, letzterer Besuch sei deshalb nicht zustande gekommen, weil der „Chirac-Clan“ in der französischen Politik sein Veto dagegen eingelegt habe: Er wollte Sarkozy mutmablich nicht an die Geldtruhe heranlassen. 

Nun, 2007, ist es aber soweit: Nicolas Sarkozy bändelt offen mit dem gabunesischen „Paten“ an. Schon am 14. Januar dieses Jahres nahm Pascaline Bongo, die Tochter des Präsidenten, als offizieller Gast an Sarkozys „Thronkongress“ – wie Kritiker den Nominierungsparteitag der UMP für ihren Spitzenkandidaten spöttisch nennen – in den Pariser Messehallen teil. Dies signalisierte eine klare Annäherung. Kurz vor dem entscheidenden Datum der französischen Präsidentschaftswahl traf dann Sarkozy, aber auch sein bürgerlicher Gegenkandidat François Bayrou jeweils mit dem Herrn Papa zusammen.  

Omar Bongo war ferner der erste afrikanische Staatsgast, der sich schon am 25. Mai selbst zu Nicolas Sarkozy in den Elysée-Palast einlud, keine zwei Wochen nach dessen Amtseinführung. Nichts und niemand konnte ihn daran hindern. Die in Paris ansässige panafrikanische Zwei-Wochen-Zeitung ‚Le Gri-Gri international’ (LINK: www.legrigri.info) schlagzeilte daraufhin auf ihrer Titelseite: ‚Françafrique: Sarkoy rompt déjà avec la rupture!’ („Sarkozy bricht bereits mit dem Bruch“, d.h. er macht mit der Umwälzung Schluss, noch bevor sie begonnen hat). Und die Zeitung kolportiert in ihrer Ausgabe vom 7. Juni, die Berater Nicolas Sarkozy hätten daraufhin „in höchster Eile“ - um nämlich einen desaströsen politischen Eindruck abzuwenden -, noch einen zweiten Staatsbesuch für denselben Tag arrangiert. Und so wurde, wenige Stunden vor dem Eintreffen Omar Bongos, auch noch die liberianische Präsidentin Ellen Sirleaf-Johnson empfangen, deren demokratisch einwandfreie Wahl im November 2005 (trotz ihrer wirtschaftliberalen Ausrichtung) tatsächlich einen Hoffnungsschimmer für ihr von Bürgerkriegen geschütteltes Land darstellte.  

Es habe sich allerdings um einen „nahezu unwürdigen Besuch“, bei dem es erheblich „an Aufmerksamkeit für sie gemangelt“ habe, gehandelt. Die Präsidentin Sirleaf-Johnson habe sich auch nur deshalb für den eilends anberaumten Besuch gewinnen lassen, weil sie ohnehin auf dem Weg zu Tony Blair gewesen sei. Aus Sicht der Pariser Staatsspitze habe er auch lediglich dazu gedient, „die notwendig negativen Eindrücke der Ankunft von Mullah Omar“ zu verwischen, so die französisch-afrikanische Zeitung. Über die eigentlich wichtigen Angelegenheiten wurde dann aber wohl eher mit Omar Bongo verhandelt. Laut der konservativen Tageszeitung ‚Le Figaro’ vom vergangenen Wochenende hat der gabunesische Präsident dem Elysée-Palast zwischenzeitlich sogar noch einen zweiten Besuch abgestattet. 

Sarkozy rechtfertigt sich mit der „Rolle des Ältesten“ 

Am Freitag, den 27. Juli 2007 nun lief Nicolas Sarkozy in Gabuns Hauptstadt Libreville ein. Diese Etappe seiner Afrikareise scheint zu den unumgänglichen Besuchszielen französischer Staatsoberhäupter zu gehören: Auch Jacques Chirac hatte wenige Wochen nach seiner Amtseinführung, im Juli 1995, die Republik Gabun aufgesucht.  

Zumindest der -- Sarkozy spürbar unterstützende -- ‚Figaro’ kolportiert allerdings, dem aktuellen französischen Präsidenten habe der Besuch bei dem alternden Omar Bongo persönlich nur geringes Vergnügen bereitet. Ihr Sondergesandter in Libreville behauptet sogar in den Spalten der konservativen Tageszeitung, Sarkozy habe einen Gesichtsausdruck sichtlichen Missmuts spazieren geführt. Diese Ausführungen können freilich, für das französische Publikum gedacht, vorrangig zum Herunterspielen einer höchsten problematischen Beziehung bestimmt sein. Eventuell trifft allerdings auch zu, dass Sarkozy „moderneren“ Staatschefs den Vorzug gibt -- die ebenfalls für die Wahrung französischer Interessen sorgen, deren Regimes jedoch gröbere Transparenz und einen besseren Umgang mit den Staatsfinanzen praktizieren, kurz den Kriterien der ‚good governance’ eher genügen. Tatsächlich verläuft zwischen den „Alten“ und den „Modernen“ unter den französischen Afrikapolitikern eine Bruchlinie: Erstere stören sich nicht an mafiösen Präsidialregimen, sofern sie nur „berechenbar“ im Sinne der Pariser Interessen sind, während die Letztgenannten hingegen gern auch mal auf die Einhaltung wirtschaftliche Effizienzkritieren (wie sie durch Gläubiger und Kreditgeber angelegt werden) pochen.   

 Im Laufe seines Besuches annullierte Präsident Sarkozy 50 Millionen Euro von Gabuns Auslandsschulden, das sind 7 Prozent seiner Verbindlichkeiten gegenüber Frankreich. Unter der Auflage, die erlassenen Schulden in eine Unterstützung für Tropenwaldprojekte umzuwandeln, denn Sarkozy zeigte sich während seines Aufenthalts in Gabun darum bemüht, zumindest an der ökologischen Front Profil zu gewinnen. Per Hubschrauber lieb er sich zusammen mit Omar Bongo in den Regenwald transportieren, wo er verkündete: „Der Wald Gabuns kompensiert mehr als 400 Prozent des CO2-Ausstobes Frankreichs.“  Kurz zuvor hatte der Pariser Club – als Zusammenschluss der Gläubigerländer – auf 15 Prozent der Auslandsschulden im Gegenzug zur vorzeitigen Rückzahlung des Rests verzichtet. Die Republik Gabun schuldet westlichen Staaten und Banken nunmehr noch rund zwei Milliarden Euro. Ihr gröbter Gläubiger, mit einem Anteil von 58 Prozent, ist dabei Frankreich. 

Das Zusammentreffen mit Omar Bongo wurde zwar in Frankreich nicht dermaben stark beachtet wie jenes mit Libyens Staats- und „Revolutionsführer“ Kaddafi zwei Tage zuvor. Die liberale Pariser Abendzeitung ‚Le Monde’ wählte jedoch als Titel für ihre Sonntagsausgabe: „Afrikapolitik: Sarkozy hat Schwierigkeiten, seinen ‚Bruch’ glaubhaft zu machen“. Ihr Karikaturist zeichnete Sarkozy zusammen mit dem gabunesischen Autokraten, während im Hintergrund der libysche Obest Kaddafi - mit einem Geldsack sowie einem Miniatur-Atomkraftwerk ausgestattet – glücklich lächelt. 

Die Kritik, die ‚Le Monde’ dadurch formulierte, war noch höflich ausgedrückt. Denn Omar Bongo ist der personifizierte Garant dieser Françafrique, in deren Rahmen er in zahllose Waffenschiebereien und andere Machenschaften verwickelt war oder ist. Das französische Staatsoberhaupt rechtfertigte sich Ende vergangener Woche damit, dass „der Älteste in Afrika respektiert werden muss“; und Omar Bongo sei nun einmal das dienstälteste Staatsoberhaupt auf dem Kontinent. Gewissermaben praktiziere er also nur lokale Werte. Ferner berief er sich darauf, dass „Gabun seit 1967 ein privilegierter Partner Frankreichs“ und „ein historischer Freund und Verbündeter“ sei. Sarkozy weigerte sich auf Nachfragen von Journalisten hin, ein Werturteil über die vierzigjährige Herrschaft von Präsident Omar Bongo abzugeben. Er begnügte sich mit den Worten: „Ich sage nicht, dass dies erträglich ist. Ich sage, dass es (nun mal) eine Realität ist.“ Zuvor hatte er dem gabunesischen Regime zugute gehalten, dass es seit vierzig Jahren keinen Putsch oder Staatsstreich im Land gegeben habe. In einer Ansprache vor den Abgeordneten des Parlaments in Libreville forderte Sarkozy freilich seinen (anwesenden) Amtskollegen dazu auf, die Unabhängigkeit der Justiz und die Einhaltung der individuellen Grundrechte zu gewährleisten.

Besonders viel Gehör dürfte Sarkozy mit diesen Rechtfertigungsversuchen aber, bei den afrikanischen Bevölkerungen wie bei seinen Kritikern in Frankreich, nicht gefunden haben. Zumal bereits seine Rede von Dakar, wo er sich einen Tag früher aufhielt, zu diesem Zeitpunkt ziemlich viel Staub aufgewirbelt hatte. 

Die Rede von Dakar

In der senegalesischen Hauptstadt hielt Sarkozy am Donnerstag, 26. Juli eine Rede, die ursprünglich eine „historische“ Ansprache mit programmatischem Manifest-Charakter hätte werden sollen. 

Verfasst hatte sie Nicolas Sarkozys Redenschreiber Henri Guaino, ein traditionell orientierter Gaullist, der sich in seinen Schriften stark auf historische Werte wie den französischen Patriotismus, die Republik und die Nation bezieht. Der damalige Präsidentschaftskandidat Sarkozy hatte den früheren Gegner des Maastrichter Vertrags und EU-Skeptiker Guaino im Dezember 2006 als Redenschreiber einzuspannen begonnen. Doch in seiner Umgebung wurde Guaino, der Sarkozys „modern“-wirtschaftsliberalen Beratern ein Dorn im Auge blieb, lange Zeit abgeblockt. Seit Anfang dieses Jahres wurde Guaino jedoch zum bevorzugten Autor für Nicolas Sarkozys Reden befördert. Denn der 50jährige verstand es am besten, unter Anrufung der Geschichte, historischer Werte und sozialer Ansprüche ein idealistisches Bild von den Vorstellungen und Wünschen, den gesellschaftlichen Leitbildern des Kandidaten Sarkozy zu zeichnen. Deswegen wurde die bisherige Redenschreiberin Emmanuelle Mignon, eine wirtschaftsliberale Technokratin, deren Texte als andere als Charme versprühten, herabgestuft und durch Guiano ausgetauscht. In ‚Le Monde’ vom 10. Februar dieses Jahres stellte der konservative Senator (also Oberhaus-Abgeordnete) Gérard Longuet dazu fest: „In der Sache hat Emmanuelle Mignon Recht, die vor allem Steuersenkungen fordert. Aber in der Form hat Guaino Recht. Er ist sehr viel lyrischer, als ein ENA-Absolvent (Anm.: ein Zögling der Verwaltungshochschule ENA, wie Emannuelle Mignon) je wird sein können.“ Das bedeutete so viel wie: Guiano hat in der Sache nichts zu bestellen, aber für die Verpackung ist er gut, dank seiner Lyrik und seines Pathos. 

Viel geschichtliches Pathos wollte Henri Guaino also auch in seine Rede von Dakar, die Präsident Nicolas Sarkozy an der Universität Cheikh Anta Diop – benannt nach dem groben senegalesischen Anthropologen und Historiker Schwarzafrikas, der 1986 starb – halten würde, hineinlegen. Wahrscheinlich zu viel. Nach Informationen des ‚Canard enchaîné’ wurde die Rede jedenfalls erst zwei Stunden vor Sarkozys Termin fertig. Alle Journalistinnen und Journalisten, die sie vor dem Vortrag zu lesen bekamen, hätten den Tonfall „paternalistisch“, die Rede zu geschichtslastig und die Stobrichtung bedenklich gefunden. „Wer die Geschichte nicht kennt, schreibt keine guten Reden“ habe Guiano darauf geantwortet, und dass man von dieser von ihm verfassten Rede – anders als von denen des Ex-Präsidenten Jacques Chirac – „noch in zehn Jahren“ sprechen werde. Was ‚Le Canard enchaîné’ erheblich anzweifelt.

Aufgrund des Zeitmangels habe Nicolas Sarkozy gerade noch Zeit gehabt, einige oberflächliche Abänderungen an dem Redetext vorzunehmen. Die auffälligste Änderung dabei war, dass Sarkozy das „Du“, in dem er sich an einen fiktiven ‚Jeune d’Afrique’ (Jugendlichen oder jungen Mann aus Afrika) als Repräsentanten seines Kontinents wenden sollte, in der gesprochenen Version den ganzen Redetext entlang durch „Vous“ ersetzte. Also durch das französische Wort, das sowohl zum Siezen als auch für das „Ihr“ des Plural, wenn man sich an mehrere Personen richtet, benutzt wird. Höchstwahrscheinlich wäre der Vorwurf des Paternalismus noch stärker ausgefallen, hätte der französische Präsident sich tatsächlich ständig per Du an die Jugend Afrikas gewandt. Nicht unplausibel auch, dass viele Afrikaner sich an das aggressive Duzen erinnert gefühlt hätten, das die französische Polizei ihnen gegenüber oft systematisch praktiziert...

Der Kolonialismus in der Darstellung Nicolas Sarkozys

Einer der wesentlichen Merkmalszüge der Rede, die Sarkozy am 26. Juli dieses Jahres schlieblich hielt (http://www.elysee.fr ), ist die Bewertung des Kolonialismus, die er vor allem im ersten Teil der Ansprache vornimmt.

Diese fällt insofern ambivalent aus, als der französische Präsident einerseits das Kolonialsystem und insbesondere den – ihm im ehemals französisch beherrschten Afrika zeitlich vorausgehenden – Sklavenhandel verurteilt, andererseits aber den Akteuren der Kolonialeroberung (oder zumindest vielen unter ihnen) gutgläubiges Handeln im Namen echter Werte unterstellt. So führte Nicolas Sarkozy am vorigen Donnerstag einerseits aus:  „Aber ist wahr, dass die Europäer dereinst als Eroberer nach Afrika kamen. Sie haben die Erde Eurer Vorfahren genommen. Sie haben die Götter, die Sprachen, die Glaubensvorstellungen, die Gebräuche Eurer Väter verbannt. Sie haben zu Euren Vätern gesagt, was sie denken müssen, was sie glauben müssen, was sie machen müssen. Sie haben Eure Väter von ihrer Vergangenheit abgeschnitten, sie haben ihre Seele und ihre Wurzeln ausgerissen. Sie haben Afrika entzaubert. Sie hatten Unrecht.“

Eine seltsame Präsentation des Kolonialismus, die sich an einer seiner Wirkung – der Zerstörung alter Glaubensvorstellungen – aufhält, aber nicht zu seinem Kern, der Ausbeutung von Menschen und natürlichen Reichtümern und der Ermordung zahlloser Menschen, vordringt. An dieser Stelle nimmt Nicolas Sarkozy allerdings bereits den anderen Teil der Rede, in dem er das Bild eines ewigen, nach wie vor von Magie geprägten Afrika zeichnet und es für die angeblichen Fortschrittsblockaden des Kontinents verantwortlich erklärt, vorweg.

An einem anderen Punkt seiner Rede kommt Sarkozy jedoch auch auf andere Aspekte der Kolonisierung zu sprechen. So führt er aus: „Der Kolonisateur ist gekommen, er hat genommen, er hat gewütet, er hat ausgebeutet, er hat Ressourcen geplündert, Reichtümer, die ihm nicht gehörten. Er hat den Kolonisierten seiner Persönlichkeit, seiner Freiheit, seiner Erde, der Früchte seiner Arbeit beraubt.“

Unmittelbar im darauffolgenden Absatz glaubt Sarkozy dann jedoch hinzufügen zu müssen: „Er hat genommen, aber ich möchte voll Respekt sagen, dass er auch gegeben hat. Er hat Brücken, Straben, Krankenhäuser, Gesundheitsstationen, Schulen errichtet. Er hat jungfräuliche Landstriche fruchtbar gemacht, er hat seine Mühe, seine Arbeit, sein Wissen gegeben. Ich möchte es an dieser Stelle sagen, alle ‚colons’ (Kolonisten, Siedler) waren nicht Diebe, alle ‚colons’ waren nicht Ausbeuter. Es gab schlechte Männer unter ihnen, aber es gab auch Männer guten Willens unter ihnen, Männer, die glaubten, eine zivilisatorische Mission zu erfüllen, Männer, die glaubten, das Gute zu tun. (...) Aber die Kolonisierung war ein Fehler, der durch die Verbitterung und das Leiden jener bezahlt wurde, die geglaubt hatten, alles zu geben und die nicht verstanden, warum man ihnen so viel Vorwürfe machte.“ 

EXKURS: Der Kolonialismus als Politikgegenstand der letzten Jahre

Diese Thematik des wohlmeinenden Kolonisators, der Brücken und Straben baut (in der Regel aber, um die Rohstoffe abtransportieren zu können...), der sich freilich irrt und an einem schlechten System teilhat, ist in der französischen Politik der letzten Jahre nicht neu.  

Die Vorstellung hat in das, inzwischen durch den nachfolgenden Streit bekannt gewordene, „Gesetz vom 23. Februar 2005“ Eingang gefunden. Dessen Annahme durch die französische Nationalversammlung hatte einen heftigen Disput ausgelöst. Gegenstand dieses Gesetzes ist eine veritable Rehabilitierung der Kolonialgeschichte des Landes. Seine Verabschiedung entsprach einem tiefen Bedürfnis in Teilen der französischen regierenden Rechten -– nicht unbedingt Nicolas Sarkozys, der zu dem Zeitpunkt dabei keine nennenswerte Rolle spielte --, endlich ihre ideologische Revanche zu nehmen. Nachdem sie in der Periode der Entkolonialisierung in die Defensive gedrängt worden waren, konnten sie sich nun lautstark zurückmelden. 

In der Präambel des Gesetzes heibt es: „Die Nation spricht den Männern und Frauen, die am von Frankreich verrichteten Werk in den ehemaligen französischen Départements in Algerien, in Marokko, in Tunesien und in Indochina (...) teilgenommen haben, ihre Anerkennung aus.“ Inzwischen ist die öffentliche Polemik über die Verabschiedung dieses Textes abgeflaut. Ausgelöst hatte diese vor allem der Wortlaut des Artikels 4 des Gesetzeswerks. Darin sollten die Lehrer, Hochschullehrer und Wissenschaftler dazu verpflichtet werden, in Unterricht und Forschung „den positiven Beitrag der französischen Kolonisierung in Übersee und insbesondere in Nordafrika“ hervorzuheben.

Das sorgte für Streit, sowohl aufgrund der offenen Apologetik des Kolonialismus - als auch, weil es nicht Sache des Gesetzgebers ist, Lehrern und Forschern ihre Programme vorzuschreiben. Dafür ist nämlich eine wissenschaftliche Kommission beim Bildungsministerium zuständig. Aus letzterem Grunde konnte der damalige Präsident Jacques Chirac auch zu Anfang des Jahres 2006 die Wogen glätten: Aus formalen Gründen erklärte er den besonders umstrittenen Artikel 4 für ungültig. Da er die Kompetenzen des Gesetzgebers verkenne, sei dieser Artikel nicht mit der Verfassung vereinbar. Deswegen kassierte der Präsident ihn im Januar vergangenen Jahres.  

Daraufhin klang der Streit ab. Übersehen wird dabei aber oft, dass der gesamte Rest des Gesetzeswerks, das 13 Artikel zählt, weiterhin in Kraft ist. Und auch die übrigen Bestimmungen haben es in sich. So sieht der letzte Artikel beispielsweise vor, dass künftig auch die früheren Mitglieder der ultrarechten Terrororganisation OAS (Organisation de l’armée secrète, „Organisation geheime Armee“) Entschädigungen für ihre Jahre der Haft oder des Exils erhalten sollen. Beschlüsse über Entschädigungsanträge fassen soll eine sechsköpfige Kommission, in der unter anderem der ehemalige Chef der OAS im Raum Oran (im heutigen Westalgerien) sitzt. Die OAS war eine pro-kolonialistische Organisation, die ab 1961gegen den absehbaren Rückzug Frankreichs aus Algerien kämpfte. Sie legte Bomben und mordete zahllose nordafrikanische Zivilisten, aber auch europäischstämmige Bewohner Algeriens, die bereit waren, die Entkolonialisierung mitzutragen. Heute gibt es keinen Streit mehr über das Gesetz vom vorletzten Jahr, aber dieser Artikel ist weiterhin anwendbar.  

Aufgrund des damals aufflammenden Disputs war es 2005 vorübergehend zu Verstimmungen zwischen Paris und Algier, aber auch auf den „französischen Antillen“ gekommen. Der damalige Innenminister Nicolas Sarkozy musste, infolge heftiger Proteste deswegen, einen geplanten Besuch auf den zu Frankreich gehörenden Karibikinseln im Dezember 2005 verschieben. Seit jenem Zeitpunkt hat Sarkozy allerdings die Ablehnung und Zurückweisung der ‚Repentance’ (Reue, Bübertum) über die Nationalgeschichte und darunter auch ihre kolonialistische Periode als festes Repertoire in seine Reden aufgenommen. So sprach er auch an der Universität von Dakar in einer Passage davon, er sei nicht gekommen, „um ‚Repentance’ zu üben.“ 

In seiner ebenfalls programmatische Züge tragenden Rede vom 7. Februar 2007 ( http://www.u-m-p.org/) in Toulon, einer der Hochburgen der in starken Teilen rechtslastigen „Vertriebenenlobby“ der Pieds Noirs (früheren Algerienfranzosen), hatte Nicolas Sarkozy ausgiebig gegen „Bübertum“ bezüglich der Kolonialgeschichte Stellung genommen. Unter anderem führte er damals aus: „Hören wir auf, die Vergangenheit schwarz in schwarz zu malen. Das Abendland hat lange durch seine Arroganz gefehlt. Viele Verbrechen und Ungerechtigkeiten wurden begangen. Aber die meisten derer, die in Richtung Süden gegangen sind, waren weder Monster noch Ausbeuter. Viele verwendeten ihre Energien darauf, Straßen, Brücken, Schulen, Krankenhäuser zu bauen. Viele erschöpften sich, indem sie ein undankbares Stück Land bepflanzten, das niemand vor ihnen bepflanzt hatte. Viele zogen nur aus, um Kranke zu behandeln, um zu unterrichten. Man kann von heute aus, mit den heutigen Werten die Kolonisierung verurteilen. Aber man muss diese Männer und Frauen guten Willens respektieren, die mit gutem Willen geglaubt hatten, dass sie ein nützliches Werk für das Zivilisationsideal, an das sie glaubten, verrichteten. (…) Ich möchte all diesen Anhängern des Büßertums, die die Geschichte umschreiben und die die Männer von gestern verurteilen, ohne sich um die Bedingungen ihrer Zeit zu kümmern, etwas sagen. Ich möchte ihnen sagen: Mit welchem Recht verurteilt Ihr? Ich möchte ihnen sagen: Mit welchem Recht fordert Ihr von den Söhnen, Buße für die imaginären Verfehlungen ihrer Väter zu tun ?“ Die Verbrechen und Massenmorde, die die Kolonialeroberung insbesondere von Algerien von Anfang an begleiteten, und das dort bestehende Apartheidsystem kommen in dieser Darstellung nicht vor. 

In einer anderen Passage derselben Rede führte Sarkozy damals aus: „…die Zukunft Europas liegt im Süden. Der europäische Traum benötigt den Mittelmeer-Traum. Der europäische Traum hat an Kraft verloren, als jener Traum platzte, der einst die Ritter ganz Europas gen Orient ziehen ließ, jener Traum, der so viele Kaiser des Römisch-Germanischen Reichs und so viele Könige Frankreichs nach Süden lockte, der Traum, den Bonaparte in Ägypten träumte, Napoléon III. in Algerien, (der Marschall) de Lyautey in Marokko. Dieser Traum war nicht so sehr ein Eroberungs-, sondern ein Zivilisationstraum.“ Mit diesen Ausführungen bezog Nicolas Sarkozy sich vor allem positiv auf militärische und koloniale Eroberungsfeldzüge. Die Ambivalenz macht an dieser Stelle einer offenen Apologetik des Kolonialismus Platz. 

Die Mängel Afrikas laut Nicolas Sarkozy

Aber zurück zu Sarkozys Ansprache in der senegalesischen Hauptstadt Dakar. Nachdem er in ihrer ersten Hälfte sein doch recht ambivalentes Urteil über die Periode des Kolonialismus gefällt hatte, kam der französische Präsident dann im Anschluss auf die heutige Periode zu sprechen. Und darin sparte er dann -- nachdem er scheinbar Selbstkritik aus europäischer Perspektive geübt hatte –- nicht mit Kritik, Vorwürfen und vermeintlich guten Ratschlägen an die Adresse der Afrikaner.

Zu den seitdem meistzitierte Sätzen aus jener Rede gehören folgende, die hier zurück in ihren Kontext platziert worden sind: „Ich bin nicht gekommen, Jugend von Afrika, um Ihnen/Euch Morallektionen zu erteilen. Aber ich bin gekommen, um Euch/Ihnen zu sagen, dass der Teil von Europa, der in Euch ist, zwar aus einem groben Fehlverhaltens durch Arroganz seitens des Westens heraus entstanden ist – dass aber der Teil von Europa, den Ihr in Euch habt, nicht unwürdig ist. Denn er (dieser europäische Anteil) ist der Ruf der Freiheit, der Emanzipation und der Gerechtigkeit und der Gleichheit zwischen den Frauen und den Männern. Denn er ist der Ruf der Vernunft und des universellen Bewusstseins.

Das Drama Afrikas besteht darin, dass der afrikanische Mensch nicht genügend in die Geschichte eingetreten ist. Der afrikanische Bauer, der seit Jahrtausenden mit den Jahreszeiten lebt, dessen Lebensideal darin besteht, im Einklang mit der Natur zu leben, kennt nur die ewige Wiederkehr der Zeit, deren Rhythmus durch die unendliche Wiederholung derselben Bewegungen und derselben Worte bestimmt wird.

In dieser Vorstellungswelt, wo alles immer wieder von vorne beginnt, ist kein Platz für das menschliche Abenteuer, und kein Platz für die Idee des Fortschritts. (...) Nie wendet sich der Mensch der Zukunft entgegen. Nie kommt ihm die Idee, aus der Wiederholung auszubrechen, um sich ein Schicksal zu erfinden. Das Problem Afrikas, und erlauben Sie/erlaubt es einem Freund Afrikas, dies zu sagen, liegt darin. Die Herausforderung für Afrika liegt darin, mehr in die Geschichte einzutreten. (...) Das Problem für Afrika liegt darin, aufzuhören, immer zu wiederholen, immer wieder alles von Neuem durchzugehen, sich vom Mythos der ewigen Wiederkehr zu befreien. (Es liegt darin,) sich bewusst zu werden, dass das Goldene Zeitalter, dem es (Afrika) nicht aufhört nachzutrauen, nicht wiederkommen wird, und zwar weil es niemals existiert hat. Das Problem Afrikas liegt darin, dass es in der Gegenwart zu sehr in der Nostalgie des verlorenen Paradieses seiner Kindheit liegt.“

Das Afrika, das Nicolas Sarkozy hier beschreibt und das seinem Redenschreiber offenkundig vor Augen schwebte, ist zu weiten Teilen allein dessen Vorstellungswelt entsprungen. Ein Afrika, das vom „natürlichen“ Rhythmus, von Götterglauben und Magie beherrscht wird und das sich störrisch jedem Fortschrittswunsch verschliebt. Ein Afrika, wie es vielleicht in manchen geschlossenen ländlichen Lebensgemeinschaft näherungsweise existiert haben oder existieren mag – das aber mit der Gesellschaft in der pulsierenden Metropole Dakar, wo Nicolas Sarkozy diese seine Ansprache hielt, herzlich wenig zu tun hat.

Dieses reale Afrika, das in den modernen Grobstädten anzutreffen ist, hat vielerorts enorme Probleme: Armut, Hunger, Kriege, Waffenhandel und AIDS. Aber diese Phänomene resultieren nicht aus einem Mythos von der ewigen Wiederkehr des Immergleichen, von der Rückkehr zu einem angeblichen goldenen Zeitalter. Sie erklären sich aus dem Zusammenspiel einer Weltwirtschaftsordnung, die Afrika weitaus mehr schadet denn nutzt, autoritärer und korrupter Regimes, internationaler Finanzinstitutionen und nicht zuletzt auch der Rolle von Grobmächten wie beispielsweise Frankreich.

Letzteres streitet Nicolas Sarkozy freilich in seiner Rede explizit ab. Denn er führt u.a. auch aus: „Afrika hat seinen Anteil an seinem eigenen Unglück. (...) Die Kolonisierung ist nicht verantwortlich für alle aktuellen Schwierigkeiten Afrikas. Sie ist nicht verantwortlich für die blutigen Kriege, die die Afrikaner untereinander führen. Sie ist nicht verantwortlich für die Genozide. Sie ist nicht verantwortlich für die Diktatoren. Sie ist nicht verantwortlich für den Fanatismus. Sie ist nicht verantwortlich für die Korruption, für den Raub. Sie ist nicht verantwortlich für Vergeudung und Umweltverschmutzung.“

Nun lässt sich dagegen einwenden, dass zwar die historische Kolonisierung (jene des 19. Jahrhunderts im Falle Nord- und Westafrikas) als solche tatsächlich nicht unmittelbar und direkt ursächlich für die Probleme Afrikas ist –- dass aber die post- oder neokoloniale Fortsetzung der damaligen Dominanz mit anderen Mitteln ihrerseits durchaus ein gerüttelt’ Mab an Verantwortung für die aktuellen Katastrophen des Kontinents trägt. Selbstverständlich im Zusammenspiel mit lokalen Potentaten und mit den Clans, die in vielen politischen Ländern an der politischen Macht sind und eine hemmungslose Selbstbereicherung betreiben. Aber wenn man daran denkt, wie etwa ELF Aquitaine nach eigenem Eingeständnis seines früheren Chefs Loïk Le Floch-Prigent die Diktatoren und Präsidenten auswählt oder „platziert“, so lässt sich die suggerierte Schuldlosigkeit des Westens, Europas oder Frankreichs wohl kaum gänzlich aufrecht erhalten. Was aber die Genozide betrifft, so stehen die Dinge noch schlimmer, da der jüngste durch die Historiker anerkannte Völkermord der Geschichte (jener an den Tutsi in Ruanda, vom April bis Juni 1994) unter erheblicher Mitwirkung Frankreichs ablief. Tatsächlich unterstützte Paris damals das Regime der ethno-extremistischen „Hutu Power“-Bewegung, auch nachdem es den Völkermord begonnen hatte, um nicht ein Land seiner Einflusssphäre in Afrika zu verlieren. Darüber und über die direkte oder (überwiegend) indirekte Beteiligung Frankreichs ist in den letzten Jahren sehr viel geschrieben worden. Zuletzt erschien am 3. Juli 2007 eine volle Doppelseite dazu in der Pariser Abendzeitung ‚Le Monde’, unter der Überschrift: „Ruandischer Genozid: Was der Elysée-Palast wusste“ (>>http://abonnes.lemonde.fr). Die derzeitige Regierung in der ruandischen Hauptstadt Kigali, die aus den damaligen bewaffneten Opponenten gegen das „Hutu Power“-Regime hervorging, hat Ende 2005 vor diesem Hintergrund die diplomatischen Beziehungen zu Paris abgebrochen.

Aber das Bild, das Nicolas Sarkozy zeichnen möchte, sieht folgendermaben aus: In fernerer Vergangenheit, zur Zeit unserer längst verstorbenen Vorväter, mag es Unrecht und Fehlentscheidungen von unserer Seite gegeben haben. Sicherlich, die Situation bleibt ambivalent, und es kann kein eindeutiges geschichtliches Urteil über die damalige Periode gefällt werden. Heute dagegen liegen die Fehler bestimmt nicht bei uns, vielmehr ist es heutzutage klar, dass Afrika an seinen Problemene ganz allein oder überwiegend selbst schuld ist. Hat es doch bisher die Geschichtslektion nicht beherzigt, die Sarkozy in Dakar so formulierte:  „Die muslimische Zivilisation, (dann) das Christentum und die Kolonisierung haben, jenseits der Verbrechen und der Fehler, die in ihrem Namen begangen wurden und die nicht entschuldbar sind, (doch auch) die afrikanischen Herzen und Mentalitäten für das Universelle und für die Geschichte geöffnet.“  

Ja, hätten sie nur mal darauf gehört, die Afrikaner...  

Reaktionen

An negativen und kritischen Reaktionen mangelte es infolge von Sarkozys Auftritt in Dakar nicht. Das gilt für Frankreich selbst bzw. für franco-afrikanische Akteure. So übten Sprecher von ATTAC, der französischen Solidaritätsvereinigung (insbesondere mit Afrika) Survie, der pazifistischen Organisation ‚Mouvement de la paix’ sowie einer Exil-Vereinigung von Kongolesen heftige Kritik an Sarkozys Besuch und Auftreten. (Vgl dazu http://www.afriklive.com) Aus dem Umfeld des schwarzen Antisemiten Dieudonné hingegen kam eine empörte, aber mit dem üblen antisemitischen Unterton -  den man aus diesem Milieu inzwischen gewohnt ist - unterlegte Stellungnahme. (Vgl. dazu http://www.africamaat.com/article.php3?id_article=981 , konkret den Artikel ‚L’insulte ignoble anti-africaine de Sarco’, worin Nicolas Sarkozy u.a. explizit als Repräsentant der Interessen der jüdischen Minorität dargestellt wird. Purer Unfug wird hier mit der, im Kern berechtigten, Empörung über Sarkozys anmabende Sprüche über Afrika vermischt. Solche Leute würden mal besser die Klappe halten, um die berechtigte Kritik nicht durch ihren eigenen Müll zu diskreditieren.)

Die Zivilgesellschaft und die nicht regierungsgebundene Presse reagierten zunächst weitgehend konsterniert und negativ auf die Auslassungen Sarkozys in Dakar. In einem Überblicksartikel über die Reaktionen fasste die Pariser Tageszeitung ‚Libération’ ihren Eindruck zusammen: „Am Tag nach dem Besuch Nicolas Sarkozys im Senegal sind die meisten privaten senegalesischen Tageszeitungen empört über die Rede, die der französische Präsident am Vortag hielt.“ (http://www.liberation.com/actualite/monde/269424.FR.php ) Die liberale Abendzeitung ‚Le Monde’ hatte unterdessen notiert, Sarkozy habe anlässlich seiner Ansprache „kaum (auch nur) Höflichkeitsapplaus“ erhalten. Nur die Pro-Regierungs-Publikation ‚Le Soleil’ lobte die „republikanische Statur“ des französischen Präsidenten.

Vielleicht die virulenteste unter den senegalesischen Zeitungen war dabei ‚Sud Quotidien’ (LINK: http://www.sudonline.sn  ), die meinte, der französische Präsident habe sich wohl „in zivilisatorischer Mission“ gefühlt. Ihr Leitartikler Walf Fadrji schrieb dazu, er habe sich bei Nicolas Sarkozys Rede an „jene Missionare erinnert gefühlt, die nach Afrika kamen, um unsere Urgrobeltern zu ‚zivilisieren’. Klischees, Klischees und nochmal Klischees. Welch eine Beleidigung!“ Seine Zeitung spottete unterdessen, nach der früheren ‚Françafrique’ sei jetzt anscheinend die Ära der „Sarkafrique“ angebrochen. Hingegen meinte die Zeitung ‚Le Populaire’, Sarkozys Lektion für die Afrikaner laute „zusammengefasst: ‚Hört auf, wehleidig zu jammern!’“

Eine politische Partei im Senegal – die „Sammlung der afrikanischen Arbeiter“ - erinnerte ihrerseits an die massive Präsenz französischer Wirtschaftsinteressen im Land und schrieb: „(Sarkozy) ignoriert oder tut so, als ob er nicht wisse, dass das Elend der Afrikaner, deren Länder von Reichtümern überborden, zum Grobteil von der Plünderung dieser Länder durch westliche Mächte wie Frankreich abhängt.“ Die Partei erinnert an die Aufkäufe privatisierter Unternehmen, von der Erdnussverarbeitung – dieses Monokulturprodukt war dereinst durch die französische Kolonialmacht im Senegal in grobem Mabstab angepflant worden und dominiert bis heute die naionale Wirtschaft – bis zum Mobiltelefon, durch französische Konzerne. (VGL. DAZU DEN LINK: http://www.sudonline.sn/spip.php?article4482 )

Dagegen erklärte der senegalesische Präsident Abdoulaye Wade im Nachhinein, er sei „mit Sarkozys Analyse einverstanden“, wo dieser „die Gefahren der Emigration“ für Afrika beschwor. Tatsächlich hatte Sarkozy seine restriktive bzw. selektive Einwanderungspolitik in Dakar dadurch gerechtfertigt, dass er den Senegal nicht „seiner lebendigen Kräfte berauben“ möge, indem die dynamischsten Elemente die Auswanderung vorzögen. Real allerdings läuft Sarkozys, auf ökonomischen Kriterien basierende, selektive Zuwanderungspolitik präzise darauf hinaus, die Bestqualifizierten bzw. die Inhaber der begehrtesten Qualifikationen zugunsten Frankreichs abzuwerben. Die Hungerleider und Überflüssigen hingegen sollen lieber drauben bleiben. Dies bedeutet für Auswanderungsländer, wie Senegal und Mali welche sind, ein doppeltes Problem: Einerseits haben sie Schwierigkeiten, ihre Eliten (die für sich anderswo ein besseres Leben in Aussicht haben können) zu halten. Andererseits wird ihnen die Möglichkeit erschwert, dank der (temporären) Auswanderung eines Teils ihrer jugendlichen Bevölkerung ihr eigenes Entwicklunngsniveau zu heben. Denn oft sind die Emigrierten, besonders wenn sie aus ländlichen Gegenden kommen, ja gar nicht „weg und für die Entwicklung ihres Landes verloren“. Vielmehr sind die Überweisungen dieser Ausgewanderten an ihre Familien und Dorfgemeinschaften, besonders in den ländlichen Zonen Westafrikas, ein wesentlicher Entwicklungsfaktor: Mit ihrer Hilfe werden Brunnen gebohrt, Schulen errichtet und Krankenstationen eingerichtet. Letztere Quelle von Finanztranfers wird künftig (falls Sarkozy tatsächlich die von ihm anvisierte Migrationspolitik effektiv durchsetzen kann) tendenziell versiegen, während die gut Ausgebildeten mit Hochschulniveau – deren Anteil, gemessen an der Bevölkerungszahl, relativ gering ist - weiterhin werden gen Europa gehen können.

Die genauere Feinabstimmung zwischen den Politiker Frankreichs und den Herkunftsländern, etwa dem senegalesischen Präsidenten Abdoulaye Wade, bleibt dabei noch abzuwarten. Denn tatsächlich bilden die jeweiligen staatlichen (Wirtschafts-)Interessen dabei einen Verhandlungsgegenstand zwischen den politischen Führungen auf beiden Seiten. Die Interessen der betroffenen Bevölkerungen sind dabei nachrangig (auch wenn sie natürlich ebenfalls tangiert werden), im Vorderung stehen die Wettbewerbsinteressen des jeweiligen Nationalstaats oder des jeweiligen Zusammenschlusses von Nationalstaaten (EU, Westafrika).

Abdoulaye Wade ist dabei ein verlässlicher Partner für die Pariser Politik - auch wenn es zu Anfang der Amtszeit Sarkozys als Innenminister (um das Jahr 2003 herum) Reibereieren gab, als Präsident im Gegenzug zu Kollektivabschiebungen von Senegalesen aus Frankreich seinerseits französische Staatsbürger „zurückschickte“. Seitdem hat Präsident Wade jedoch bei der Politik der „Rücknahme“ unerwünschter Emigranten aus Frankreich bereitwillig mitgespielt, das senegalesische Konsulat hat dem französischen Staat bereitwillig den „diplomatischen Passierschein“ (der bei Immigranten ohne gültigen Pass erforderlich ist) für die Betroffenen ausgestemmt. Aufgrund seiner Rolle in diesem Kontext haben die beiden aussichtsreichsten französischen Kandidaten, also sowohl Nicolas Sarkozy als auch Ségonèle Royal (letzte wurde in Senegals Hauptstadt Dakar 1953 geboren, als Tochter eines Kolonialoffiziers) im September 2006 beide dicht nacheinander den Senegal besucht. Beide feierten dabei die Perspektive einer „bilateral vereinbarten Einwanderungs- und Entwicklungspolitik“ als gute Voraussetzung für die künftige französische Ausländerpolitik. Im Hintergrund steht dabei die Rolle von Präsident Wade als vorgelagerter Türwächter  Europas.

Abdoulaye Wade wurde bei den senegalesischen Präsidentschaftswahlen vom Februar/März 2000 gewählt und kam als Nachfolger des langjährigen Präsidenten Abdou Diouf (1981 bis 2000) ins Amt. Diouf galt aufgrund seiner politischen Rhetorik als „Sozialist“, war jedoch in Wirklichkeit ein simpler Autokrat und guter Freund der früheren Kolonialmacht Frankreich. (Nach seiner Abwahl lieb Diouf sich auf französischem Boden nieder, und soll den Senegal seitdem nicht ein einziges Mal betreten haben.) Doch da Diouf als enger Partner der französischen Sozialdemokratie galt, unterstützte die französische Rechte ihrerseits eifrig die Fraktion um Abdoulaye Wade. Insbesondere der französische „Ultraliberale“ (Thatcherist) und Ex-Wirtschaftsminister Alain Madelin hatte 1999/2000 aktiv am Wahlkampf im Senegal teilgenommen, um eine „demokratiche Revolution“ zu unterstützen. Dortselbst wurde der Machtwechsel, den Diouf zunächst mittels Wahlbetrugsmanövern zu unterbinden suchte – wobei er jedoch die Rechnung ohne die neuen Informations- und Kommunikationstechnologien gemacht hatte - , zunächst tatsächlich von breiten Teilen der Bevölkerung als Hoffnungsschimmer und Ankündigung einer realen Veränderung aufgefasst. Inzwischen ist diese Aura von Präsident Abdoulaye Wade, der mit einer Französin verheiratet ist, jedoch längst verblasst. Seine Wiederwahl am 25. Februar 2007 war von lautstarken Vorwürfen des Wahlbetrugs überschattet. Bei den Parlamentswahlen am 3. Juni, die durch die Oppositionsparteien deshalb boykottierten wurden, gingen daraufhin nur 38 Prozent wählen (und in der Hauptstadt Dakar sogar nur 25 Prozent), während die Stimmbeteiligung im Jahr 2002 noch über 64 Prozent betrug.

Diese Zwischenfälle überschatteten auch den Besuch von Aboulaye Wade am 14. Juni bei seinem französischen Amtskollegen Nicolas Sarkozy im Elysée-Palast. Sarkozy (der zwei vor seinem Abflug nach Afrika, am 23. Juli, dann auch den Vorgängerpräsidenten Diouf empfing) hat allem Anschein nach kein glückliches Händchen mit seinen Beziehungen zu afrikanischen Staatsoberhäuptern. Nicht so viel Aufmerksamkeit erregte dagegen das pikante Detail, dass Sarkozy den senegalesischen Staatschefs Wade vorübergehend als „Präsident Yade“ anredete (laut ‚Canard enchaîné’)... Wohl in Anlehnung an die durch Sarkozy ernannten, senegalesischstämmige „Staatssekretärin für Menschenrechte“ Rama Yade, die Tochter eines früheren hochrangigen senegalesischen Diplomaten, die als „Integrationssymbol“ dienen soll. Die 30jährigen begleitete Nicolas Sarkozy bei seinen jüngsten Reisen nach Libyen (jaja, die Menschenrechte – die dabei schlicht keine Rolle spielten) und in den Senegal.

Neue französische Offensive in Afrika?

Nicolas Sarkozys Ansprache in Dakar dürfte, angesichts des von ihr hinterlassenen Effekts, im Nachhinein nicht unbedingt zu den Sternstunden seiner politischen Karriere gezählt werden. Die erhoffte politische Wirkung, eine neue französische Charmeoffensive auf dem Kontinent zu unterstreichen, blieb allem Anschein nach weitgehend aus.

Dennoch scheint Frankreich seine Präsenz in Afrika massiv erweitern zu wollen. Auch wenn Sarkozy in Dakar betonte, der frühere Begriff vom ‚précarré“ (ungefähr: Hinterhof), also die Idee einer von vornherein reservierten Einflusszone, sei „arrogant“ und die US-amerikanische sowie chinesische Konkurrenz schrecke ihn nicht. Dies war wahrscheinlich sogar ernst gemeint und gehört - aus Sicht eines (auch) wirtschaftsliberalen Präsidenten - einfach zu einem Zeitalter dazu, in dem es sich so sehr um politische Grenzziehungen, sondern eher um den Versuch der Durchsetzung ökonomischer Macht geht.

Zu Anfang dieses Jahres hatte Chiracs damalige „Kooperationsministerin“ Brigitte Girardin in Le Monde verkündet, dass „die Françafrique zwar einmal bestanden hat, aber schon lange nicht mehr existiert“. Aber gerade in allerjüngster Zeit eine gegenläufige Tendenze gezeigt. Demnach legt die französische Politik wieder eine verstärkte Neigung zu aktiver, auch militärischer Einmischung in Afrika an den Tag. „Frankreich möchte wieder der Gendarm des Kontinents werden“ schrieb die zweiwöchentlich in Cotonou (Bénin) erscheinende, länderübergreifende Zeitung ‚Continental’ jüngst. Seit den Militärinterventionen von 1978 im damaligen Zaire, um den Diktator Mobutu Sese Seko vor einer Revolte in der Provinz Katanga zu retten, und 1983 im Tschad gegen die Rebellen im Norden und das libysche Vorrücken habe Frankreich nicht mehr so stark militärisch in Afrika eingegriffen wie in jüngster Zeit. 

Frankreich setzte so Ende vergangenes Jahres eigene Truppen ein, um eine Rebellionsbewegung in der Zentalafrikanischen Republik niederzukämpfen. Am 27. und 30. November 2006 eröffneten französische Mirage-Kampfflugzeuge aus der Luft das Feuer auf Rebellentruppen der Union des forces démocratiques pour le rassemblement (Union der demokratischen Kräfte für die Sammlung). Anfang Dezember wurde bekannt, dass die seit seche Woche andauernde aufrührerische Bewegung nun endgültig niedergeschlagen sei. Mit Luftunterstützung durch französische Transall-Militärtransporter hatten die Truppen des Regimes von Präsident François Bozizé die letzte von den Rebellen gehaltene Stadt, Ouadda-Djalle im Nordosten des Landes, eingenommen.

Schon 1996 und 1997 hatten französische Truppen den damaligen Präsidenten Ange-Félix Patassé vor einer Rebellion in Schutz genommen und dabei die Aufständischen aktiv bekämpft.Die französische Armee bombardierte 1996 sogar Stadtviertel der Hauptstadt Bangui. Aber danach sollte eigentlich Schluss sein mit solchen direkten Interventionen in die Innenpolitik des Landes in der geographischen Mitte Afrikas. Kaum war die neue sozialistische Regierung unter Lionel Jospin im Amt, verkündete sie im Juli 1997 eine Verringerung der französischen Truppenzahl auf dem Kontinent, von vorher 8.360 auf rund 5.000 Mann.

Das sah damals nach einem Bruch mit dem Neokolonialismus der Vorgängerregierungen aus, war es aber nicht. Auch die konservativen Amtsvorgänger der Jospin-Regierung hatten bereits ähnliche Pläne geschmiedet. Im Hintergrund des Truppenabbaus in Zentralafrika stand nicht der Verzicht auf Einflussnahme im bisherigen (neo-)kolonialen « Hinterhof » Frankreichs – sondern die Unlust, sich von lokalen Regimen für die Regelung ihrer innenpolitischen Schwierigkeiten « instrumentalisieren » zu lassen.

Was wird aus dem französischen Einfluss?

Knapp zehn Jahre später scheint Frankreich am Ausgangspunkt zurück. Die Anzahl französischer Soldaten auf dem afrikanischen Kontinent beträgt heute 11.000. Inzwischen stehen sie auch wieder, auf längere Dauer, in der ZAR : Anfang 2003 wurden dort zweihundert französische Soldaten stationiert, im November 2006 kamen weitere einhundert hinzu. Sofern ihre Truppenstärke nicht ausreicht, können sie jederzeit durch das Einfliegen von Verstärkung aus dem Nachbarland Tschad aufgestockt werden. Und auch im Tschad selbst, wo mehrere Rebellenbewegungen gegen das Regime in N’Djamena kämpfen, wird Frankreich sich militärisch stärker engagieren. Erst vor wenigen Wochen begann die Einrichtung einer Luftbrücke der französischen Armee an die tschadisch-sudanesische Grenze. Das verstärkte Eingreifen im Tschad wird mit der Krisensitution in der benchbarten sudanesischen Provinz Darfur und humanitären Erfordernissen, in Gestalt der Versorgung von Flüchtlingen aus Darfur, gerechtfertigt.

 Welche Interesse Paris in Afrika verfolgt, ist leicht zu überblicken. Die verbliebenen Reste des französischen Grobmachtstatus hängen unter anderem an der Bereitschaft afrikanischer Präsidialregime, in der UN-Vollversammlung – wenn nötig – en bloc zusammen mit den offiziellen Vertretern Frankreichs abzustimmen. Der Zugriff auf Rohstoffe ist zumindest in den Erdölstaaten nach wie vor von hoher Bedeutung. Neben den USA, die seit den neunziger Jahren verstärkt auf den afrikanischen Kontinent drängen, ist Frankreich nun auch noch ein neuer mächtiger Konkurrent erwachsen, in Gestalt der VR China. Diese macht einen wachsenden Bedarf an Rohölimporten für ihre expandierende Industrieproduktion geltend. Im Sudan ist Peking bereits sehr präsent, und die dortigen Ausfuhren machen bereits 10 Prozent der chinesischen Importe beim Erdöl aus.

 Doch dadurch kommt auch das Spiel durcheinander, das die in Afrika präsenten Grobmächte in den letzten zehn Jahren geführt hatten. Mitte der neunziger Jahre war die französische Präsenz zunächst unter Druck der erstarkenden US-amerikanischen Konkurrenz geraten. Aber in der Ära der eher « multilateral » orientierten Clinton-Administration zeichnete sich ein Kompromiss ab. An einer multinational gestalteten Konfliktregelung bzw. Krisenbewältigung, deren Schirmherrschaft teilweise die Afrikanische Union (AU) übernehmen würde, sollten die westlichen Grobmächte eher im Hintergrund teilnehmen. Auch in Paris war man ganz froh oder erleichtert darüber, und man sprach von einer « Selbstverwaltung der afrikanischen Krisen » : Ohne den eigenen wirtschaftlichen Einfluss aufzugeben, wäre man nicht mehr so direkt verantwortlich für die Stabilität der lokalen Regime. Die Stabilisierung von Staaten, in denen oftmals ein Clan oder eine Ethnie alle Macht usurpiert hat wie im Tschad, erwies sich oft als schwieriges Unterfangen. Zudem lieben die USA unter dem neuen Präsidenten Bush nach 2000 zunächst Afrika eher links liegen, bevor sie ab 2003 ein Comeback unter ihrer eigenen Flagge im Namen des « Antiterrorkrieges » erfuhren : Es galt nun, ein Einsickern des Netzwerks Al-Qaïda in die Sahelzone zu verhindern, etwa durch Einrichtung von Militärstützpunkten.

             

Aus diesen Gründen klammert Paris sich an seine herkömmlichen Machtpositionen in Afrika. Dennoch akzeptiert Paris eine gewisse Multilateralisierung der Beziehungen zu Afrika, insbesondere weil es mit der Verwaltung von Krisenfolgen und humanitären Katastrophen künftig nicht „allein gelassen“ werden möchte. Als amtierende EU-Ratspräsidentin nahm auch die deutsche Bundeskanzlerin Angela Merkel am letzten Französisch-afrikanischen Gipfel im Februar 2007 in Cannes teil, wo 51 von 53 afrikanischen Ländern durch Delegationen vertreten waren, davon 33 sogar mit ihren Staatsoberhäuptern. Merkel war es vor allem ein Anliegen, den afrikanischen Präsidenten einzuschärfen, sie hätten eine Mitverantwortung bei der Bewältigung von „Migrationsströmen“. Künftig soll ein Grobteil der Auswanderungswilligen gar nicht mehr bis nach Europa gelangen können. Unter aktiver Mitwirkung der örtlichen Staaten und Regime sollen sie durch einen Mix aus wirtschaftlicher Unterstützung in Gestalt der Ansiedlung von Unternehmen, Zwangsmabnahmen und Abschreckung auf dem afrikanischen Kontinent „fixiert“ werden. Darin dürften sich die reichen Länder unter sich ausnahmsweise völlig einig sein.

Konflikt zwischen Deutschland und Frankreich 

Im Gegensatz zu den „groben“ Akteuren USA, Frankreich und China hat die Bundesrepublik Deutschland bislang auf dem afrikanischen Kontinent politisch nicht viel zu bestellen. In aller Regel reiht sie sich hinter der französischen oder aber der US-amerikanischen Politik ein, was die Positionierung zu zwischenstaatlichen Fragen oder regionalen Konflikten betrifft.  

Ökonomisch hingegen ist Deutschland ein wichtiger Akteur, dessen Wirtschaft übrigens auch davon de facto profitiert, dass der Vorgängerstaat der Bundesrepublik seine damaligen Kolonien im Jahr 1918 unfreiwillig verlor. Das war damals zwar eine Konsequenz aus dem Ausgang des Erstens Weltkriegs, die die damaligen politischen Machthaber im Deutschen Reich als schmählich empfanden und keineswegs hinnehmen mochten. Langfristig kam es der deutschen Politik und Wirtschaft jedoch sogar zugute, da sie in vielen afrikanischen Ländern nicht als mit einer (noch in Erinnerung der heute lebenden Generationen befindlichen) Kolonialvergangenheit „belastet“ gilt. Deutsche Firmen, Techniker und Experten können oftmals Fub fassen. Als staatlicher und militärisch auftretender Akteur konnte die Bundesrepublik dabei bislang aber keine wichtige Rolle spielen, zumal es auch noch eine geschichtlich begründete Barriere gibt: Es gibt eine französisch- und eine englischsprachige Zone in Afrika, aber keine deutsche Sprachzone. 

Im Augenblick sind die deutschen Entscheidungsträger allerdings auf ihre französischen Kollegen richtig sauer. Haben doch die Franzosen aufgrund von Nicolas Sarkozys gewagtem Sprint nach Tripolis einen Nukleardeal mit Libyen abgeschlossen, über den die deutsche Politik ihren Unmut äuberte. Vom SPD-Politiker Gernot Erler bis hin zum Grünen-Bundesvorstandssprecher Reinhard Bütikofer wetterte man gegen die unverantwortliche Weitergabe von Nukleartechnologie – auch wenn der deutsche Siemens-Konzern mit 34 Prozent an der französischen Atomfirma AREVA (früher COGEMA), die das Geschäft in Libyen tätigt. Allerdings wird diese Beteiligung, die dereinst das Ergebnis eines politisches Deals war – 1989 durfte die (west)deutsche Atomindustrie in die COGEMA als Betreiberin der französischen Plutoniumfabrik in La Hague einsteigen, musste aber im Gegenzug die umstrittebnen Pläne für eine eigene deutsche Anlage in Wackersdorf (Oberpfalz) ad acta legen – ab dem übernächsten Jahr wieder zur Disposition stehen. Ab 2009 und noch bis 2011 hat der französische Staat nämlich ein Rückkaufsrecht für den von Siemens gehaltenen Anteil an der AREVA. Er kann also während dieses Zeitraums das Recht geltend machen, den Rausschmiss der Münchener Firma zu beschlieben. 

 In Wirklichkeit dreht sich aber im Augenblick die deutsch-französische Rivalität vorrangig um die Frage, wer die erste Geige innerhalb der EU spielen wird. Die deutsche Ratspräsidentschaft der Union, im ersten Halbjahr 2007, und vor ihr die britische im Jahr 2005 hatten bereits intensive diplomatische Anstrengungen hinter den Kulissen um die Freilassung der vom libyschen Staat festgehaltenen Krankenschwestern unternommen. Ein Beleg dafür: ‚Le Monde’ hat in ihrer Ausgabe von diesem Freiag (3. August) ein durch die Europäische Union abgesegnetes Schreiben ausgegraben, worin dem libyschen Staat zugesichert wird, die freigelassenen Krankenschwestern dürften Libyen später nicht juristisch wegen Folter oder übler Haftbedingungen verfolgen. Dieser Brief wurde in der ersten Jahreshälfte 2007 durch den deutschen Aubenminister Frank-Walter Steinmeier und die EU-Aubenkommissarin Benita Ferrero-Waldner unterzeichnet. Die französische Seite war darüber gar nicht auf dem laufenden, vielmehr glaubte die im Juli nach Tripolis reisende französische Delegation noch, dies sei über die Köpfe der Krankenschwestern und gegen ihren Willen entschieden worden. Sarkozys Emissäre entdeckten dann aber, dass die Gefangenen – entgegen ihrer Erwartung – lautstark ihr Einverständnis für diesen Deal reklamierten, da sie in Wirklichkeit zu dem Zeitpunkt nur eines anstrebten, nämlich aus Libyen raus zu kommen. (Da ihre Geständnisse unter Folter zustande gekommen sind, könnte es ihnen freilich auch nicht später nicht verwehrt werden, nachträglich vor einem Gericht gegen den libyschen Staat zu klagen. Es sei denn, dass die EU-Staaten alles tun werden, um dies zu verhindern, um ihren Handel mit Libyen nicht nachträglich noch zu gefährden.)  

Kurz: Die französische Staatsführung hat sich im Falle des Libyendeals in ein längst zuvor von Anderen gemachtes Bett hinein gelegt. Ein frührer sozialistischer Minister, Pierre Moscovici, der im ‚Canard enchaîné’ zitiert wird, spricht diesbezüglich von einer „Kuckunsstrategie“. Wohl in Anspielung auf diesen Vogel, der seine Eier bei anderen Vogelgattungen ins (fremde) Nest legt. Darüber waren, unter anderem, die Deutschen deshalb ungehalten. Auch wenn Aubenminister Steinmeier im Interview mit dem ‚Handelsblatt’ vom Mittwoch, 1. August unterstrich: „Wir sind nicht Sarkozys Stilberater.“ (Vgl. http://www.handelsblatt.com/ Was immerhin die Aussage impliziert, es habe sich dabei seitens von Nicolas Sarkozy um schlechten Stil gehandelt. Die Überschrift, die ursprünglich sehr viel allgemeiner formuliert war (und „Wir sollten uns nicht als Stilberater aufspielen“ lautete), ist wenige Stunden später nachträglich verschärft und zugespitzt worden.  

Nicolas Sarkozy hat mit dem Libyendeal schlicht die Gelegenheit für sich genutzt, Profil für sich und Verträge für Frankreich herauszuschlagen. Deswegen kam es zum Konflikt mit der deutschen Politik, die sich übervorteilt und übers Ohr gehauen fühlt. Die US-Administration hingegen begrübte den Deal zwischen Paris und Tripolis ausdrücklich, jedenfalls in der Öffentlichkeit.  

Über den, eher begrenzten, ökonomischen Nutzen der künftigen Wirtschaftsverträge hinaus aber hat die Anknüpfung neuer Beziehungen zu Libyen vor allem strategische Bedeutung. Denn Libyen trat in der Vergangenheit mitunter als, eigenwilliger, Rivale Frankreichs auf dem afrikanischen Kontinent auf. Ab 1983 standen sich etwa Truppen beider Länder Norden des damaligen Bürgerkriegsstaats Tschad gegenüber. Frankreich scheint nun aber bereit, Kaddafis Libyen auch eine Rolle als Regionalmacht zuzugestehen – sofern dessen Land dazu bereit ist, sich in gewissen Grenzen in die französische Einflusssphäre einzupassen. So war vergangene Woche die Rede davon, Frankreich biete Libyen ein militärisches Beistandsabkommen (wie es etwa mit Gabun besteht) und den Beitritt zum „Franc CFA“, also zur französischen Währungszone in West- und Zentralafrika, an. In einem Interview, das in der ‚Le Monde’ vom 2. August erschien, spricht der Sohn des libyschen Anführers – Saïf al-islam („Schwert des Islam“) Kaddafi – seinerseits von anderen Bedingungen der vereinbarten künftigen Zusammenarbeit. Ihm zufolge stehen gemeinsam französisch-libysche Manöver beider Armeen und die Errichtung einer Waffenfabrik in dem nordafrikanischen Land auf dem Programm.  

Wenig später wurde publik, dass der europäische Luftfahrt- und Rüstungskonzern EADS bzw. dessen Tochterunternehmen MBDA Rüstungsaufträge (u.a. für die Lieferung von Milan-Raketen) aus Libyen in Höhe von 168 Millionen respektive 128 Millionen Euro geangelt hatten. Der Elysée-Palast dementierte zugleich zu dem Zeitpunkt noch eifrig, dass es irgendwelche „Gegenleistungen“ parallel zu der Vereinbarung über die Freilassung der Krankenschwestern gegeben habe. (Was insofern, falls man penibel auf dem Wortlaut insistiert, auch stimmt, als die Rüstungsverträge bereits wesentlich früher eingefädelt worden sind, und die Medienaufmerksamkeit rund um den Freikauf der Krankenschwestern lediglich die willkommene politische Deckung dafür liefert.) der französischen Aubenminister Bernard „Ahnungslos“ Kouchner, den Sarkozy ohnehin vom Ablauf der wirklichen Verhandlungen zwischen Paris und Tripolis vollkommen ausgeschlossen gehalten hatte, sprach unterdessen davon, es gebe „vielleicht Abkommen im zivilen Bereich“. Dann sprach jedoch ei (anonym bleibender) hoher libyscher Regierungsfunktionär gegenüber der Nachrichtenagentur AFP Klartext, und EADS bestätigte prompt. In Paris empörte sich die Parlamentsopposition darüber, dass „man aus dem Munde der Libyer erfährt/erfahren muss, was wirklich abgelaufen ist“ (so Sozi-Chef François Hollande), und forderte die Einrichtung eines parlamentarischen Untersuchungsausschusses. Worauf Nicolas Sarkozy in seiner offensiven Art und Weise, die Widerstände präventiv entwaffnen soll, postwendend antwortete: Ja klar, er sei (zusammen mit Premierminister Fillon) ebenfalls für die Einrichtung eines solchen Untersuchungsausschusses. Unbedingt, sofort, auf der Stelle. Immerhin eines hat sich also an der französischen Politik geändert: der Stil. Unter einem François Mitterrand oder Chirac hätte man, wo man in brisante Affären verwickelt ist, schamhaft geschwiegen und den (in der Regel untauglichen wie auch ergebnislosen) Versuch unternommen, die ganze Angelegenheit geheim und unter der Decke zu halten. Sarkozy zieht das lautstarke Hinausposaunen vor.    

Sei es, wie es sei: Bei dem Auftritt Nicolas Sarkozys in Libyen ging es um die Festigung des französischen Einflusses auf dem Kontinent. Humanitäre Belange waren dabei, einmal mehr, nur vorgeschoben.

Editorische Anmerkungen

Den Artikel erhielten wir von Autor am 06.08.07 zur Veröffentlichung.

Das Frankreich der Reaktion. Neofaschismus und modernisierter Konservatismus von Bernhard Schmid ist  bei Pahl-Rugenstein als Taschenbuch erschienen und in jeden gut sortierten linken Buchhandlung zu haben sein.

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