Da ist kein zweiter Mandela
Über die Grüne Bewegung im Iran und über Mussawi (Teil 4)

von Bahman Shafigh

09/09

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Anmerkung zu Teil 4: Zwischen dem dritten Teil dieser Artikelserie und dem jetzigen letzten Teil gab  es einen relativ großen Abstand. Dafür waren persönliche Gründe verantwortlich. Ich hoffe auf Verständnis.

Da ist kein zweiter Mandela

Die Lage im Iran hat sich inzwischen sehr stark geändert. Der grünen Welle ist mittlerweile die Kraft abhanden gekommen, Menschen zu mobilisieren und die Straßen zu besetzen. Die Linie der Konfrontation hat sich zunehmend in den Staatsapparat selbst verlagert. Die Strategen der Bewegung suchen fieberhaft nach Wegen für den Fortbestand der Bewegung. Die Siegerseite wiederum verfügt auch über keine klare Linie. Einerseits veranstaltet sie die abscheulichen Schauprozesse, ohne in der Lage zu sein, daraus eine richtige Siegerjustiz zu machen. Sie haben zwar den Machtkampf für sich entschieden, mussten jedoch schmerzlich erkennen, dass der Sieg im Machtkampf noch nicht die Möglichkeit des Regierens bedeutet. Sie haben gesiegt, können jedoch  nicht ohne die Besiegten regieren. Wie kann man in einer Metropole wie Teheran regieren, wenn die Mehrheit der gebildeten Elite sich weigert, den Sieger anzuerkennen? Wie kann man einen religiösen Staat führen, wenn sich große Teile der klerikalen Hierarchie gegen die religiöse Autorität des Staates stellen? So wird der Kampf weitergehen, wenn auch mit anderen Mitteln und mit anderen Formen. Für die Gesellschaft jedoch, ist die Entwicklung bis jetzt schon eine Katastrophe gewesen. Allein die Tatsache, dass ein durch und durch korrupter Politiker wie Rafsandschani zum Hoffnungsträger für Teile der städtischen Jugend aufsteigen kann, sagt eigentlich genügend über den Verfall der gesellschaftlichen Normen aus. Genau so wie die Tatsache, dass ein Reaktionär wie Ahmadinedschad großen Teilen der Verarmten als Verkörperung ihrer Wünsche nach Gerechtigkeit erscheint. Es scheint so, als ob  im Iran alles was weltweit an Negativem vorhanden ist, in seiner ganzen Dimension auferstanden ist und die Geschicke einer Gesellschaft zu bestimmen versucht. Es scheint so, als ob die iranische Gesellschaft die letzten Reste ihrer Unvollkommenheit, ihrer Rückständigkeit aus ihren Tiefen auf die Oberfläche geholt hat. Es bleibt zu hoffen, dass dies zum Zwecke geschieht, diese Überbleibsel von Jahrhunderten einer letzten Überprüfung zu unterziehen und dann zu überwinden. Wenn dies die Vorboten einer historischen Reinigung eines ganzen Volkes sind, dann kann man auch den Ereignissen der letzten Monate etwas Positives abgewinnen. Dafür muss aber gekämpft werden.

In diesem letzten Teil der Artikelserie befasse ich mich mit den Ereignissen aus einer historisch, weltpolitischen Sicht. Viele Details zu der Entwicklung im Inneren des Landes müssen noch erörtert werden. Doch das würde den Rahmen diesen Artikels sprengen. Ich werde auf einige wichtige Details in einem anderen Artikel eingehen, den ich als Antwort auf  eine Kritik von Mohsen Massarat zu schreiben gedenke. Herr Massarat hat in einem offenen Brief an „die Linke“ in Deutschland relativ ausführlich meine Positionen kritisiert. Dies bedarf einer würdigen Antwort, die ich hoffentlich in den nächsten Tagen verfassen kann. 

Von Radio Tirana bis zur Voice of America 

Es gab Zeiten, in denen ein Dutzend Radiosender weltweit in persischer Sprache die Idee der Revolution verbreiteten und diese Idee mit Sozialismus verbanden. Diese Radiostationen waren die Hauptquelle der Nachrichten, Informationen und Analysen sowohl für die jungen, als auch für die alten Dissidenten im Iran. Viele Länder des sog. Sozialistischen Blocks pflegten zumindest eine Radiosendung pro Tag in persischer Sprache auszustrahlen, egal ob moskautreue oder an Peking Orientiert. Radio Tirana, Radio Peking, Radio Moskau, Radio Bukarest und Radio Sofia um einige Namen der staatlichen Sender zu nennen. Darüber hinaus gab es auch eine Reihe Radiosender der im Exil lebenden Iraner, die ebenso von diesem Block finanziert und unterstützt wurden und täglich Programme in Persisch sendeten. Radio Peike Iran von der Tudeh Partei und die zwei der radikaleren Volksmudschahedin und Volksfedaiian nahestehenden Sender Radio Soroush und Radio Mihan-Parastan mit Sitz in der damaligen „Sozialistischen“ Volksrepublik Jemen. Nicht wenige engagierte linke Iraner und Iranerinnen haben über diese Sendungen Lenins „Was Tun“ und Marxsche „Kapital“ kennen gelernt, die Sendungen trotz ihrer schlechten Qualität auf Band aufgenommen, Skripte niedergeschrieben und handschriftlich oder mit primitivem Stencil Druck vervielfältigt und heimlich veröffentlicht. Es gab auch Radio BBC, Radio Deutsche Welle und später Radio Voice of America. Diese Sendungen  hörten aber die Wenigsten. Zusätzlich gab es noch ein persischsprachiges Programm von Radio Israel, das überwiegend mit dem Senden von iranischer Pop Musik und etwas Propaganda in eigener Sache beschäftigt war. Dies waren die Zeiten unter der Schah-Diktatur. Gegen Ende der Schah Zeit begann sich das Bild zu ändern. Auf Druck der Entspannungspolitik wurden die offiziellen Ostblock Sender zunehmend neutraler und berichteten nur über ihre eigenen Regierungen und die inoffiziellen Sender der persichen Schwesterparteien wurden einfach Dicht gemacht. Mit Beginn der Revolution des Jahres 1979 änderte sich diese Landschaft schlagartig. Die BBC Sendung um viertel vor acht abends wurde zu einem Straßenfeger. Die Macher der Sendung wussten sich zu positionieren. Die Sendung wurde zum Sprachrohr des im Exil lebenden Khomeini. Tag für Tag verbreitete sie die letzten Entscheidungen der Clique um Khomeini und analysierte die Lage mit ihren Experten. Dies war der Beginn einer neuen Ära in der Medienlandschaft Irans. BBC gehörte fortan dieser Landschaft an und war nicht von ihr wegzudenken. Die Achse der in der iranischen Politik einflussreichen Medien verschob sich zunehmend von dem alten Ostblock in Richtung Westen. Je mehr das politische System in Konflikt mit dem Westen geriet, umso größer wurde diese Verschiebung. Nach dem Fall der Berliner Mauer, waren es die Westmedien, die die ganze Unzufriedenheit im Iran formulierten und ausdruckten.

Doch was in den letzten vier Jahren passierte, stellte alles bis dahin Vorhandene völlig in den Schatten. Binnen kurzer Zeit entstanden eine Reihe Radio- und Fernsehprogramme in persischer Sprache. Radio Zamaneh mit Sitz in Holland, Radio Farda, TV Washington und schließlich einige Monate vor den Wahlen BBC Television mit täglichen Sendungen von 17:00 bis 01:00 Uhr. Die regressive Medienpolitik der Regierung Ahmadinedschad trieb viele Iraner und Iranerinnen in Richtung dieser Medien. Ein dichtes Netz von Satellitenempfänger und die Verbreitung von Internet erledigten den Rest. Die Propagandaschlacht der letzten vier Jahre zwischen staatlich gelenkten Medien und denen im Ausland bedarf einer eigenständigen Analyse. Hier muss auf jeden Fall festgestellt werden, dass Voice Of America (VOA) nun zum Inbegriff ausländischer Medien wurde, die sich in die inneren Angelegenheiten des Landes einmischten. Der Wechsel von Radio Tirana zu VOA kennzeichnete einen Epochenwechsel, der sich auch in den Köpfen der Menschen niederschlagen sollte.

Die Basis für diese neuen Medien bildete, neben den nach rechts gerückten alten Leuten aus dem Exil der 80er Jahre, eine Vielzahl der Dissidenten des „Reformlagers“ um Khatami, die nach der Machtübernahme Ahmadinedschads das Land verließ und sich überwiegend in London oder in den USA niederließ. Doch ist dies nicht der einzige Grund für diese Expansion der medialen Präsenz des Westens. Es gibt weltweit viel größere Sprachgemeinden als die der Persischen. Wenn man bedenkt, dass BBC noch immer keine Fernsehprogramme für die Spanisch sprechenden Menschen sendet, die eine weitaus größere Anzahl umfasst und statt dessen Arabische und Persische Programme produziert, dann muss klar sein, dass es hier um eine besondere geopolitische Bedeutung geht. Mehr dazu im Verlaufe des Textes. Zunächst sollte jedoch die Frage beleuchtet werden, welche Rolle die Linke in diesem medialen Krieg spielte.

Selbstverständlich gab es auch seitens der linken Gruppen und Parteien im Exil Bemühungen um eine mediale Präsenz. Tatsächlich haben auch einige der größeren Gruppierungen eine solche mediale Präsenz in gewisser Größenordnung erreicht. Doch dies hat nie das Ausmaß einer wirklichen Einflussnahme auf das politische Geschehen im Lande erreicht. Hinzu kommt, dass ein Teil dieser Präsenz die Aufgabe linker Prinzipien und die Unterordnung unter hegemonialer Herrschaft der Bourgeoise zur Voraussetzung hatte. Die Linke war entweder in ihrer alten Vorstellung von der bipolaren Interpretation der iranischen Gesellschaft mit den zwei Polen „Volk“ und „Regime“ behaftet so, dass sie nicht die Klassenstrukturen durchleuchten und die konkreten politischen Geschehnisse kritisch begleiten konnte oder hat zunehmend versucht, die klassenübergreifenden Themen ins Zentrum ihrer Politik zu stellen. Erst durch den Druck der Arbeitskämpfe in den letzten Jahren kamen die Fragen der Arbeiterbewegung in die Tagespolitik der Linken als Zusatz zu dieser Klassenneutraler Politik hinzu. Zwei Beispiele sollen dies verdeutlichen. Als die im dritten Teil des Artikels erwähnte Israelaffäre sich ereignete, sah die Linke darin ein Scheingefecht der Regierenden und verkannte völlig die darin vorhandene Brisanz für die künftige Politik des Landes insgesamt. Sie verkannte völlig, dass sich hier ein größerer Konflikt um die Machtverteilung im Staate einerseits und um die Nahostpolitik andererseits anbahnte. Ich möchte daran erinnern, dass Ahmadinedschad ca. vor 3-4 Monaten in einem Interview zum ersten Mal in der Geschichte der Islamischen Republik davon sprach, dass das Regime in Teheran eine durch Referendum entstandene Entscheidung des Palästinischen Volkes anerkennen würde, was immer auch diese Entscheidung sei. Was diese Aussage für die gesamte Region bedeutet, dürfte dem Leser klar sein. Es dürfte auch klar sein, dass dies in direkter Fortsetzung der Regierungslinie in der Israelaffäre steht. Für die Linke spielten diese Dinge überhaupt keine Rolle. Ihre Propaganda richtete sich nur gegen das Regime im Allgemeinen. Sie war nicht in der Lage, diese strategische Linie mit den konkreten Entwicklungen der Politik zu verbinden und eine klare Orientierung in den Tageskämpfen zu bieten.

Das zweite Beispiel verdeutlicht noch mehr die Auswirkungen der Marginalisierung der Linken. Getrieben durch den historisch berechtigten Wunsch zur Abschaffung des Islamischen Regimes, übersah die Linke völlig die hegemonialen Bewegungen unterschiedlicher bürgerlicher Fraktionen in der Gesellschaft. Dies werden wir später noch eingehender erläutern. Was das Thema Einflussnahme auf die Tagespolitik anbelangt, ist der Punkt von Bedeutung, dass diese Ignorierung des Klassencharakters des Staates und der Wunsch, ihn mit allen Mitteln zu stürzen, zu einer Verschiebung der ideologischen Koordinaten der Linken geführt hat, so dass hier erst die Frage gestellt werden muss, ob diese Linke überhaupt noch als gesellschaftliche Linke zu bezeichnen ist. Ungefähr eine Woche vor der Wahl erschien ein Brief von Mina Ahadi, einem Führungsmitglied der Arbeiterkommunistischen Partei Irans und Vorsitzende des EX-Muslim Verbandes an Barak Obama. Dieser Brief charakterisiert am Besten den Wandel unter den Linken. In der letzten Passage, dem Highlight des Briefes, schreibt Ahadi, dass „wir Iraner keine Atomenergie anstreben, uns eine intensive Beziehung zum Westen wünschen und vor allem das Regime stürzen möchten, wozu wir die Hilfe aller zivilisierten Menschen im Westen auch benötigen“. Dies in einem Brief, gerichtet an Obama. Kurzum versprach Ahadi Obama alles, was der Westen bisher vergeblich von der Islamischen Republik verlangt hatte. Dass so ein Brief unter einem linken Deckmantel erscheint, ist erstaunlich genug. Noch erstaunlicher ist jedoch, dass der Brief unter den Linken überhaupt keine Reaktion ausgelöst hat. Vor 12 Jahren hatte Farrokh Negahdar, einer der Führungespersonen der Volksfedaiian einen ähnlichen Brief an Bill Clinton verfasst. Er ist dabei nicht einmal so weit gegangen wie Ahadi. Der Brief von Negahdar löste eine Welle des Protestes unter den Linken aus, woraufhin viele ihn nicht mehr zu den Linken zählten. Negahdar ist z.Z. ein gern gesehener Gast bei BBC und VOA. Ahadi noch nicht. Doch die Richtung stimmt!!!.

Am Vorabend der Wahlen war alles, was das politische Geschehen im Iran dominierte, rechts. Von links war keine Spur zu sehen. Die langsam aufkommende Arbeiterbewegung wurde somit von der Wucht der ideologischen Offensive, die hinter den Ereignissen steckte, regelrecht überrollt. Spätestens jetzt muss man sich fragen, woher diese explosionsartige Wucht kam? Wir haben bisher einige Aspekte der Machtstrukturen im Staat und der Klassenstruktur der Gesellschaft behandelt. Doch dies alles erklärt noch nicht die ganze Dimension der Ereignisse und deren Tragweite. Erst in einer welthistorischen Perspektive wird das ganze Ausmaß des Bebens sichtbar, das sich im Iran ereignete und so die Welt in Atem hielt.

Weichenstellung für die nächsten Jahrzehnte 

Im heutigen Iran wird nicht nur über die Zukunft des Landes und über das Schicksal irgendeiner Machtelite entschieden. Dies sind Aspekte, die wir bisher versucht haben zu beleuchten. Wir haben gezeigt, wie das „Reformlager“ versuchte, verlorenes Terrain wiederzugewinnen und wie im Gegenzug Ahmadinedschad mit seiner Offensive die Unzufriedenheit der armen Menschen regelrecht beschlagnahmte und sie zu seinen Gunsten instrumentalisierte. Dass dies zu diesem tiefen Riss in der Machtstruktur des Regimes geführt hat, muss hier nicht näher erläutert werden. Doch muss die Frage gestellt werden, warum überhaupt das System als Ganzes eine solche Entwicklung zuließ? Warum haben sich die Strategen des Regimes für einen solchen riskanten Weg entschieden? Sie hätten die Wahl auf niedrigerem Niveau der Beteiligung abhalten können. Das hatten sie früher des Öfteren getan. Auch so hätten Sie einen Sieg von Ahmadinedschad erreichen können. Im äußersten Fall hätte ein Sieg von Mussawi in einem anderen Kontext, in einer ruhigeren Fahrbahn auch keine gravierenden Folgen für das System gehabt. Erst die scharfe Polarisierung der Kämpfe verschärfte auch die Gegensätze so, dass ein Sieg einer Seite für die Gegenseite gefährlich erschien und auch tatsächlich zu einer Gefahr wurde. Also warum ließ das System eine solche Polarisierung zu? Welche Überlegungen steckten dahinter? Man muss im Auge haben, dass die staatliche Fernseh- und Rundfunkanstalt direkt dem „Führer“ untersteht und dessen Chef von ihm nominiert bzw. bestätigt wird. Also warum diese offenen, live übertragenen Fernsehdebatten in einem Land, in dem sogar die internationalen Fußballspiele mit kurzer Zeitverzögerung übertragen werden, damit Zeit bleibt für die Bearbeitung „unmoralischer“ Gesten der Zuschauer?

Um die Entwicklung nochmals vor Auge zu haben: Die Polarisierung des Wahlkampfs begann erst mit den erstaunlich offenen Fernsehdebatten. Bis dahin hatte der Wahlkampf eher einen lahmen Charakter. Kein Mensch interessierte sich richtig für diese Wahlen. Weder im In- noch im Ausland. Alle potentiell gefährlichen Kandidaten wurden ja im Vorfeld vom Wächterrat abgelehnt. Es blieben vier systemtreue Kandidaten übrig, die allesamt sehr hohe Ämter im Regime bekleideten und noch immer noch bekleiden. Also schien das Ganze auf eine Quasi-Wahl zuzulaufen, wie es sie z.B. bei der Wiederahl von Rafsandschani zu seiner zweiten Amtszeit gab. Doch dann kamen die Fernsehdebatten und die stürmischen 3 Wochen danach. Warum dies?

Alles begann mit der Wahl Obamas. Die Wahl Obamas veränderte den politisch-ideologischen Kontext dramatisch und in vielerlei Hinsicht. Erstens war die Wahl Obamas eine ideologische Herausforderung insgesamt für das Islamische Regime. Bis zu diesem Zeitpunkt haben sich die Herrschenden in Teheran ideologisch auf der Gewinnerseite gesehen. Ihnen stand ein ideologisch noch bornierterer George W. Bush gegenüber, der in seinen acht Jahren alles für die Diskreditierung des American Way of Life getan hatte. Das Ansehen Amerikas lag dermaßen am Boden, dass ein islamisches Regime in aller Ruhe seine Überlegenheit über die gesamte westliche Demokratie reklamieren konnte und tatsächlich auch reklamierte. Nun war aber ein Schwarzer Präsident Amerikas geworden. Einer genau aus dem Teil der amerikanischen Gesellschaft, der bis dahin die Rekrutierungsbasis für die Islamisten in Amerika bildete. Von nun an war es praktisch unmöglich, Amerika als ein rassistisches System zu beschimpfen. Im Gegenteil; die Frage war nun, wie es mit dem islamischen System selbst bestellt ist. In Amerika kann ein Schwarzer zum Präsidenten aufsteigen, kann das ein Sunniter im schiitischen Iran, kann das eine Frau unter der Geschlechtsapartheid im Iran, kann dies ein Atheist im islamischen Iran? Nein, er kann es nicht. Auf einmal wurden alle Mängel des Systems vor aller Öffentlichkeit sichtbar. Die Wahl Ahmadinedschads zur ersten Präsidentschaft erfolgte in einem völlig anderen Kontext. Sowohl war im Inland die schon besprochene Mixtur zwischen Islam und Liberalismus völlig gescheitert als auch verlor im Ausland der in Europa verkörperte Liberalismus mit George W. Bush und mit den Neocons an jeglicher Anziehungskraft. Im Inland hatten die sog. Prinzipalisten die Oberhand über die sog. Reformer gewonnen und machten schon damals das Gros des Staatsapparats aus. Ahmadinedschad war nicht der einzige Kandidat aus diesem Kreis. Es gab andere, ebenso einfluss- und aussichtsreiche Kandidaten wie der spätere Atomunterhändler und derzeitige Parlamentspräsident Laridschani und der Teheraner Bürgermeister Ghalibaf. Doch das Los fiel auf Ahmadinedschad. Ausschlaggebend hierfür war erstens die strenge Religiosität Ahmadinedschads, die als eine Gegenreaktion auf die Jahre der sog. Liberalisierung erforderlich war und zweitens seine Gerechtigkeitslinie, die der Linie des geistlichen Führers Khamenei am nächsten war und schließlich seine Aggressivität in Sachen Außenpolitik und Atomenergie. Gerade diese dritte Charakteristik war in Zeiten von Bush, eine unabdingbare Voraussetzung für die schwierigen Zeiten. Waren doch die Reformer unter Khatami dem Westen in vielen Fragen entgegengekommen und hatten dann von George W. Bush eine bittere Abfuhr bekommen. Sie waren in Afghanistan alle möglichen Kooperationen mit dem Westen eingegangen und hatten sich sogar mit mehreren hundert Millionen Dollar am Wiederaufbau dort beteiligt. Sie hatten sich bei der Invasion des Irak zurückgehalten und hatten auch nach dem Krieg ihren Einfluss grundsätzlich für die Stabilisierung des Iraks benutzt. Sie hatten in Sachen Atomenergie sogar die Urananreicherung gestoppt und für die Zentrifugen immer wieder auf die Erlaubnis der Internationalen Atombehörde IAEO gewartet. Und was haben sie im Gegenzug bekommen? Nichts. Iran wurde als Mitglied der „Achse des Bösen“ eingestuft und Resolutionen des Sicherheitsrats folgten. In einer solchen Konstellation entschieden sich die Strategen des Regimes für einen harten Kurs gegen den Westen. Dieser Kurs wurde von Ahmadinedschad vertreten und deshalb wurde er für das Amt des Präsidenten favorisiert und die staatlichen Ressourcen zu seinen Gunsten mobilisiert. Das Verständnis für diese Entscheidung ist deshalb so wichtig, da auch heute genau nach der gleichen Logik entschieden wurde wie vor vier Jahren. Vor vier Jahren war die Drohung eine militärische und der wurde dann ebenso mit einer militärisch geprägten Politik begegnet, wie jetzt der ideologischen Offensive die von der Wahl Obamas ausging, ideologisch begegnet wird.

Die Wahl Obamas stellte das Islamische System als Ganzes vor eine nie da gewesene Herausforderung. Obamas Sieg gegen die Neocons war zugleich auch ein Sieg gegen den  ideologischen Staat überhaupt. Mit der Wahl Obamas hat der bürgerliche Staat seine höchste Entwicklungsstufe erreicht. Die amerikanische Staatsform stellte konzeptionell schon immer die höchste Staatsform der Bourgeoise dar. Sie war allen europäischen Staaten mit ihren einschränkenden Klauseln schon immer überlegen. Weder gewährte das Blutrecht einem Bürger irgendein Privileg, wie es in Deutschland noch immer im Grundgesetz verankert ist, noch gab es eine ungewählte Königin, die über Krieg und Frieden entscheiden könnte. Doch stand dies alles nur auf dem Papier. So lange das politische Amerika die Rassenfrage nicht gelöst hatte, standen die gesellschaftlichen Barrieren einem vollkommenen Staat im Wege. Mit der Wahl Obamas hat das politische Amerika diese Barriere überwunden. Der bürgerliche Staat trat in seiner höchsten Form, als „gemeinsames Komitee der Bourgeoise“ in Erscheinung. Dies war nicht nur eine ideologische Erneuerung der amerikanischen Bourgeoise selbst, sondern zugleich eine Herausforderung für alle anderen Staaten der Welt einschließlich der Islamischen Republik. Fortan stellte sich die Frage, ob ein Türke in Deutschland Kanzler werden könne oder ein Algerier in Frankreich Präsident und ein Inder in England Premier. Amerika ließ das alte Europa zum ersten Male wirklich alt aussehen, geschweige denn den ideologischen Staat der Islamischen Republik.

Hinzu kamen die Aspekte der realen Politik. Obama hatte keine Invasion gegen Iran angekündigt. Seine Rhetorik gegenüber Iran war eine Scharmoffensive, die die Herrscher im Iran in arge Bedrängnis brachte. Als er seine Neujahrsbotschaft anlässlich des Iranischen Neujahrsfests an das Iranische Volk und – das ist wichtig – an den Iranischen Staat richtete, war es klar, dass hier auch eine ideologische Offensive voll in Gang gekommen war. Obama hat der herrschenden Ideologie im Iran damit die anti-amerikanische Säule entzogen. Das Regime hat dies erkannt und reagiert. Anfänglich mit Schwierigkeiten, dann aber zunehmend auf seine aggressive Art. Als Antwort auf Obamas Rede hielt der geistliche Führer im März eine Rede in Mashad vor Hunderttausenden. Schon in dieser Rede wurde klar, dass die Strategen des Regimes die Herausforderung erkannt hatten. Khamenei hat in einer propagandistisch brillanten, langen Rede ausführlich über die Zusammenhänge der heutigen Weltpolitik und die belastete Geschichte der iranisch-amerikanischen Beziehung gesprochen und zum ersten Mal ein differenziertes Bild des bis dato „großen Satans“ entworfen und mit vielen Feinheiten seinerseits die Tür für eine normalisierte Beziehung geöffnet. Zweifelsohne war ein Highlight dieser Rede der Moment, als Khamenei den Gefühlsausbruch der Gläubigen bremste, die „Tod den USA“ zu rufen begannen. Er hat sie aufgefordert, ihn reden zu lassen und erst einmal keine Parolen zu skandieren. Dafür würde es ja Zeit genug geben. Das Signal war angekommen, das Regime war dabei, sich auf größere Änderungen vorzubereiten.

Doch nicht nur die ideologische Konstellation war neu. Auch realpolitisch hatte sich viel geändert. Amerika schien für eine Wende in der Iranpolitik bereit zu sein. Nicht wenige in der amerikanischen Administration und um den Präsidenten hatten Verständnis für einen atomar gerüsteten Iran. Breczinski hatte schon vor Jahren ein atomar gerüstetes Regime in Teheran als eher vorteilhaft für den Westen bezeichnet und argumentiert, ein mit Atomwaffen gerüstetes Regime kann man besser in die Verantwortung nehmen, als ein Regime, das sich immer in seiner Existenz bedroht sieht. Mit seinem Scharfsinn hatte er erkannt, dass das Regime im Iran nicht aus einem Haufen abenteuerlustiger Haudegen besteht und über eine komplexe Entscheidungsstruktur verfügt. Also öffnete sich mit Obama tatsächlich auch eine andere, positive Perspektive für das Regime in Teheran.

Diese komplexe Situation galt es jetzt zu meistern. Es gab zwei Alternativen für das Regime. Die Erste war, sich zurückzuziehen, auf das praktisch Erreichbare zu konzentrieren und die ideologische Offensive des Westens über sich ergehen zu lassen. In der Tat scheint eine solche Strategie auf den ersten Blick vernünftiger zu sein. Doch sie birgt die entscheidende Gefahr in sich, dem ideologischen Druck nicht standhalten zu können. Die Folge wäre dann der Zusammenbruch des Systems, wie es schon einmal im Ostblock geschehen war. Alle Potentiale einer solchen Entwicklung waren schon vorhanden: Eine starke, westlich orientierte Mittelschicht mit einem großen Aktionsradius und enormen Mitteln im Inland und eine ebenso große Exilgemeinde mit unzähligen Politikexperten, die sehr gut in die Propagandamaschinerie der westlichen Staaten integriert war. Die medialen Vorbereitungen im Westen zeigten ja die große Bereitschaft für eine frontale ideologische Offensive gegen den Islamischen Staat. Die Wahl Obamas hatte die Räume für diese Offensive geschaffen, die Frage war nur noch, wann und in welcher Form diese stattfinden wird. Genau dies haben die Strategen des Regimes erkannt. Sie haben erkannt, dass eine defensive Haltung ihren Niedergang nur beschleunigen konnte. Also haben sie sich für die zweite Alternative entschieden, die darin bestand, statt zu warten, selbst aktiv zu werden und die Initiative zu ergreifen. Die Amerikaner hatten der Welt einen atemberaubenden Wahlkampf mit einem erfolgreichen Ausgang demonstriert. Also musste der islamische Staat einen noch fesselnderen Wahlkampf veranstalten. Die Amerikaner hatten unzählige junge Menschen im Wahlkampf für ihr System mobilisiert und eine Welle der Begeisterung ausgelöst. Genau das sollte nun der Islamische Staat übertrumpfen. So kam es zu dem Show-down. Der Wahlkampf wurde auch ein Kampf zwischen zwei der wichtigsten Ideologien der Gegenwart. Ein Kampf, der nicht nur über die Zukunft Irans, sondern auch über die Zukunft des Nahen Osten, und damit über die Zukunft der wichtigsten Energiequelle der Welt entscheidet.

Die Akteure im Westen 

Die Ereignisse im Iran kamen für den Westen zum günstigsten Zeitpunkt zustande. Gebeutelt durch die weltweite Wirtschaftskrise, steckte der gesamte Westen in einer Phase des Umbruchs in allen Bereichen des öffentlichen Lebens, von der Politik bis zur Kunst, Philosophie, Wirtschaft und Ideologie. Die fast 30 jährige Ordnung der sog. Neoliberalen Ära war erschüttert. Nicht nur die Moderne steckte in einer Krise, sondern auch die Postmoderne. Die letzten Jahre des Westens waren geprägt von einem erstarkten Konservatismus mit deutlich anti-modernen Zügen, die in dem religiösen Neokonservatismus der Amerikaner seinen besten Ausdruck fand. Das Projekt „Demokratie“, das die ideologische Überlegenheit der liberalen, parlamentarischen Demokratie über alle anderen Staatsformen unter Beweis stellen und als Modell für die Staatsbildung in Transformationsgesellschaften dienen sollte, hatte mit der Entwicklung in der Ukraine und in Georgien herbe Rückschläge hinnehmen müssen. In der Ukraine erwies sich die alte Struktur viel zäher als gedacht und die Heldin der orangenen Revolution entpuppte sich als eine Machtpolitikerin, die sich nicht scheut, allen Demokratiegesängen zum Trotz, jeglichen Pakt mit der Staatsbürokratie einzugehen und vor allem auch mit Russland zu liebäugeln. Und der narzisstische Präsident Georgiens ist mittlerweile von allen Seiten als ein Despot in moderner Kleidung erkannt, der um seiner Macht Willen auch die dümmsten Abenteuer nicht scheut. Dies waren Vorzeigeprojekte der westlichen Denkfabriken. Die Lage in anderen Ländern war eher schlimmer bzw. für den Westen ungünstiger statt besser. Ein durch und durch korrupter Staatsapparat in Bulgarien und in Rumänien und eine zunehmende Entgleisung der Dinge in Latein Amerika, wo die Linke – wie auch immer deren Politik beurteilt wird – einen Siegesmarsch angetreten hat und den Hinterhof des US Kapitals zunehmend unsicher macht.

Was den Nahen Osten betraf, hatte der Westen die Hoffnung schon längst aufgegeben, hier eine „demokratische“ Landschaft zu installieren. Sowohl im Irak als auch in Afghanistan übernahm die Realpolitik die Oberhand. Von einer demokratischen Staatsordnung war keine Rede mehr. Es galt vielmehr das Staatswesen mit allen möglichen Zugeständnissen an traditionelle Strukturen, sei es religiöser Natur oder nach Art der Stammesordnung, zu stabilisieren. Nicht nur dem Schiitischen Klerus  im Irak wurde eine große Einflussnahme eingeräumt, sondern man versuchte auch unter den Taliban „moderate“ Kräfte zu entdecken. Der Staat in Afghanistan wurde ja offiziell mit einem islamisch geprägten Grundgesetz ausgestattet.

Die Europäischen Staaten hatten schon längst das postmoderne Credo der „Relativität“ auf ihre Fahnen geschrieben und den sog. Kampf für die universal geltenden „Menschenrechte“ aufgegeben und paradoxerweise diesen Kampf den ideologisch reaktionären Neocons überlassen. Bei diesen Neocons fand dies seinen Ausdruck in dem Plan „Großer Nahe Osten“, in dem nach diesem Modell eine Demokratisierung im gesamten Nahen Osten stattfinden sollte und die Existenz Israels durch die Installierung prowestlicher parlamentarischer Demokratien in der gesamten Region gesichert werden sollte. Spätestens jedoch mit dem Scheitern der ersten Garde der Neocons um Wolfowitz und Rumsfeld und deren Ersetzung durch pragmatische Politiker der alten Schule wurde das Projekt „Demokratie für den Nahen Osten“ offiziell zu Grabe getragen. Nun lautete das Motto Stabilität statt Demokratie. Das US-Kapital hatte die Bedeutung der Region in so weit wieder entdeckt, dass es seine Verbündeten nicht unnötig verprellen und in die Hände der Konkurrenz aus Eurasien treiben wollte. Im Gegenteil, die „neue“ alte, pragmatische Politik bedeutete nun mehr Engagement im Sinne der Verstärkung der materiell schon vorhandenen Interessen und Positionen, als den Einsatz für den „American way of Live“ in der Region. Eine Entspannung, die sowohl den amerikanischen Staat finanziell entlasten und zugleich die US-Position in der Region verstärken soll. Die Herrscherfamilien in Saudi Arabien und in den Golfstaaten fanden sich auf einmal auf der sicheren Seite.

Indes hatte ja die Iran Politik im Westen seit langem eine zentrale Rolle gespielt. Entscheidend in dieser Frage war immer die Gefahr der Islamisierung der ganzen Region, die vom Iran ausgeht und selbstverständlich die Existenz Israels bedroht. Auch der Atomstreit ist ja bekanntlich nur unter diesen Gesichtspunkten zu verstehen. Dass der Westen mit einem Atomstaat Pakistan sich sehr gut arrangiert ist ja bekannt. Die Frage war jedoch, wie man gegen Iran opponiert, ohne die despotischen Verbündeten zu verprellen. Die Frage der Menschenrechte und Freiheiten war hierzu höchst ungeeignet. So hat man sich im Westen den Streit um die Atompolitik ausgesucht, was auch von der Gegenseite gerne angenommen wurde. Schon vor Jahren hatte Mohsen Rezaei, der Präsidentschaftskandidat und Sekretär des von Rafsandschani angeführten „Gremiums für den Interessenausgleich des Systems“ in einem Beitrag den Atomstreit als entscheidendes Schlachtfeld für das Regime angekündigt. Dies sei das Feld, in dem man erstens die höchste Mobilisierung aller iranischen Kräfte erreiche und das zweitens als Barriere vor der ideologischen Offensive des Westens diene und verhindere, dass der Westen nacheinander die Fragen der Menschenrechte und demokratische Freiheiten auf die Tagesordnung setze, so Rezaei damals. Im Westen hat man jedoch nie den Versuch aufgegeben, das Regime zu destabilisieren und im günstigen Fall einen Regimewechsel zu erzwingen. Dies war zwar nicht offizielle Politik, wurde jedoch insgeheim mit allen Mitteln vorangetrieben. Ein Papier der Deutsche Gesellschaft für Auswärtige Politik (DGAP) verdeutlicht diese geheimdienstlichen Operationen am besten. In dem von September 2007 stammenden Papier heißt es, man solle die Destabilisierung des iranischen Regimes insbesondere in den Grenzregionen als ein Druckmittel nie aus der Hand geben, weshalb die Nationalität- und Religionskonflikte optimal benutzt und die sezessionistischen Kräfte entsprechend logistisch und finanziell unterstützt werden sollten (Zitiert aus der Internet Seite der „Informationen zur Deutschen Außenpolitik“  http://www.german-foreign-policy.com ). Konkret wurde im Papier Pezhak als eine der geeigneten Organisationen benannt, die gute Kontakte mit dem BND pflegte. Die Antwort des Iran ist ja auch nicht unbekannt und fand in der Unterstützung von Hamas und Hisbollah, so wie von pro iranischen Kräften im Irak ihren Ausdruck. Hinzu kam, dass die Ammäherung des Irans in seiner Außenpolitik an die linksgerichteten Staaten Lateinamerikas einerseits und die zunehmende Öffnung nach Asien und Russland andererseits auch unter diesen Gesichtspunkten eine besondere Bedeutung gewinnt.

Die Ereignisse nach den Wahlen kamen den Strategen der deutschen und europäischen Politik so gelegen, dass sie jegliche Zurückhaltung aufgegeben und offen den Sturz des Regimes propagiert haben. Nicht nur die persischsprachigen Radiostationen und Fernsehsender dieser Länder haben bei den Unruhen eine tragende Rolle bei der Verbreitung von Nachrichten und bei der Koordinierung der regimefeindlichen Aktionen übernommen, sondern auch die Parteien und parteinahen Stiftungen wie die Friedrich-Naumann-Stiftung der FDP boten zunehmend ihre aktive Unterstützung der Opposition um Mussawi an. Die Begeisterung über die Ereignisse ging so weit, dass auch hochrangige Vertreter der westlichen Staaten jegliche Zurückhaltung aufgaben und unverblümt eine kriegerische Sprache gegen das Regime im Iran übernahmen, als ob sie nicht Kanzlerin und Außenminister eines europäischen Landes sondern militante Kämpfer (so die Bezeichnung der Informationen zur Deutschen Außenpolitik zu Merkels Verhalten) auf den Straßen Teheran wären. Nicht nur hierzulande haben Merkel und Steinmeier dem Regime offen einen massiven Wahlbetrug vorgeworfen, sondern auch Staatsmänner und -frauen überall in Europa haben sich ähnlich positioniert. Vor allem trifft dies auf England, Frankreich und Italien zu. Nicht ohne Grund wurden auch bei Freitagsgebeten der Hardliner in Teheran „Tod England“ Rufe wieder eingeführt. Die o. a. Informationen zur Deutschen Außenpolitik attestiert der Bundesregierung eine umstürzlerische Politik gegenüber Iran. Sie redet zurecht von „Umsturzerwartungen“ der Bundesregierung, wobei angeblich hier im Iran ein Putsch stattgefunden haben sollte. Diese doppelte Strategie der Europäer ist um so mehr befremdlich, da sie noch bis kurz vor der Wahl  alles daran gesetzt haben, trotz aller Verschiedenheit und aller Sanktionsdrohungen, gemeinsam mit dem Regime in Teheran Lösungen für die Sicherheitsprobleme im Nahen Osten, so wie in Afghanistan und im Irak zu finden. Zweierlei Gründe sind für dieses Verhalten zu benennen.

Erstens sind es schlicht und einfach machtpolitische Gründe im Konkurrenzkampf mit den USA. Dass die neue amerikanische Administration eine andere Iran-Politik verfolgt, ist kein Geheimnis. Wir haben bereits gesehen, welche starken Kräfte in dieser Administration für ein neues Gleichgewicht im Nahen Osten mit einem atomar gerüsteten Iran eintreten. Die Aussicht, diese Strategie zu realisieren, bedarf vor allem starker Gesprächspartner im Iran selbst, die eine Überwindung der alten Gräben nicht scheuen und eine direkte Annäherung an die USA auch durchsetzen könnten. Solche Kräfte sind nicht im sog. Reformlager zu finden. Kein einziges Mal hatte sich ein „reformorientierter“ Präsident des Irans gewagt, während der Rede des US Präsidenten bei der Vollversammlung der UNO den Saal nicht zu verlassen. Allein Ahmadinedschad ist während der Rede des US Präsidenten sitzengeblieben. Damit hat er ein Signal gesendet, das er auch schon bei der Wahl von Obama gesendet hatte, als er als erster Präsident der Islamischen Republik Obama zur Wahl gratulierte. Es blieb aber nicht dabei. Erst später sickerte durch, dass Obama einen Monat vor der Wahl einen geheimen Brief an den obersten Führer der IRI, Khamenei, geschickt hatte und von diesem auch eine Antwort erhielt. Obwohl der Inhalt dieser Korrespondenz bisher nicht bekannt ist, dürfte allein die Nachricht darüber unter den Europäischen Regierungschefs für Unruhe gesorgt haben. Trotz aller Beteuerungen der EU, den Iran und die USA an einen Tisch bringen zu wollen, fürchten die Regierungen in Europa nichts mehr als eine bilaterale Verhandlung der beiden Gegenspieler ohne Beteiligung der Europäer. Dies gilt für Chinesisch- Amerikanische Beziehungen genau so wie für Iranisch-Amerikanische. Eine direkte Beilegung der Differenzen zwischen Iran und USA würde den USA eine dominante Position im Nahen Osten sichern, die dann mit einem befreundeten Iran zusammen alle strategischen Positionen unter ihrer Kontrolle hätten und gepaart mit der starken Position der Amerikaner in Mittelasien alle Schlüsselpositionen der Energieversorgung in diesem Teil der Welt unter ihren Einfluss bringen würde. Dann wäre ja das Wohl der Europäer vom Willen der Amerikaner abhängig. Also lautete die Devise auf den Iran bezogen, die Vorgänge auszunutzen, die Lage anzuheizen und das Regime frontal anzugreifen, damit eine Annäherung der Amerikaner, wenn nicht gänzlich verhindert, zumindest so weit wie möglich sabotiert wird. Hier galt es noch ein Mal, die Amerikaner auf eine gemeinsame Linie einzuschwören. War es im Golfkrieg eher eine Politik in Richtung Bändigung amerikanischer Kriegsgelüste, war es diesmal umgekehrt. Alle wichtigen europäischen Regierungen versuchten lediglich, eine Annäherung der Amerikaner an die Iraner zu verhindern. Ähnlich wie die Politik gegenüber dem ehemaligen Jugoslawien, wo die USA erst auf Grund der durch die Europäer geschaffenen Fakten ihre Politik zu Ungunsten der jugoslawischen Zentralregierung geändert und anschließend selbst zur treibenden Kraft der Balkankriege wurden. Ganz erfolgreich war diese Politik der Europäer nicht. Die USA sind unter Obama ihrer Linie treu geblieben. In den ersten Reaktionen haben sie sich völlig rausgehalten und die Ereignisse im Iran als innere Angelegenheit des Landes bezeichnet. Auch wenn sich diese Haltung nach einigen Tagen geändert hat, ging das offizielle Amerika nie so weit wie die Europäer. Sie haben zwar die Einhaltung der Menschenrechte gefordert und ihre Besorgnis über die brutale Unterdrückung der Proteste ausgedrückt, doch die Wahl als Ganzes haben sie nicht in Frage gestellt. Dies haben die USA in aller Ruhe ihren Medien, ihren Denkfabriken und Stiftungen überlassen. Auf keinen Fall sollte das positive Klima zwischen Iran und USA unnötig belastet werden. Immerhin war ja in den letzten Jahren der „Sanktionen“ das Handelsvolumen zwischen der USA unter der Bush-Regierung und Ahmadinedschads Iran um das 6 Fache gestiegen. Noch ist es im Vergleich zu Europäern und Asiaten nicht bemerkenswert, dies kann bzw. soll sich jedoch ändern.

Bemerkenswert bei diesem heimlichen Zwist zwischen USA und EU ist, dass auch die Kontrahenten im Iran von Anfang an entlang dieser Trennlinie ihre Züge gemacht haben. Von Mussawi und Karrubi wurde nicht der generelle Vorwurf erhoben, Ahmadinedschad habe die Außenpolitik des Landes ruiniert. Dies war nur der Unterton. Den Tenor ihrer Propaganda bildete ein anderer, doppeldeutiger Vorwurf. Sie hielten Ahmadinedschad einerseits vor, er schmeichele den Amerikanern und habe alles versucht, um vor den Wahlen eine Übereinkunft mit den Amerikanern zu erzielen; andererseits machten sie ihm schwere Vorwürfe, er habe das Land international isoliert, wobei  hier die Beziehungen zur EU in den Mittelpunkt gestellt wurden. Diese doppelschneidige Strategie sollte einerseits die anti-amerikanische Waffe von Ahmadinedschad entschärfen und zugleich andererseits eine wirkliche Annäherung an den Westen für sich in Anspruch nehmen. Die Antwort von Ahmadinedschad bestand selbstverständlich in Angriffen gegen Europa und vor allem gegen die Engländer und die Hervorhebung der weltweit gestiegenen Beziehungen zu den ärmeren, insbesondere aber zu den linksgerichteten lateinamerikanischen Ländern. In der Beziehung zur EU und USA hatte er schon 2007 die Todsünde begangen und der Orientierung der iranischen Außenpolitik nach Westen ein Ende gemacht, indem er die Mitgliedschaft im Schanghai Abkommen anvisierte und damit offiziell die Koordinaten zu Ungunsten des Westens gedreht hatte. Die Positionierung der Europäischen Länder so wie der USA, Russland und China, erfolgten dann genau entlang der schon im Vorfeld sichtbaren Linien. Nicht ohne Grund wurden die „Tod Russland“ Rufe der Unterlegenen als Gegenparole zu den anti-amerikanischen Parolen laut.

Doch waren die machtpolitischen Interessen nicht die einzigen Beweggründe für das westliche Engagement im Iran. Es gab auch einen zweiten - wenn nicht wichtigeren, auf jeden Fall genau so wichtigen – Grund für den Westen, voll in die Ereignisse im Iran einzugreifen. Der Iran stellt eine der ideologischen Speersitzen des politisierten Islam weltweit dar. Das Aufkommen islamischer Bewegungen überhaupt weltweit ist ja dem Sieg der Islamisten im Iran zu verdanken. Ohne Khomeini gäbe es vielleicht Alkaida nicht in dieser Form und in dieser Stärke. Trotz aller Differenzen mit islamischen Bewegungen sunnitischer Prägung, bildet ja der Bezug zur reinen Lehre der Scharia, das gemeinsame Element aller dieser Bewegungen. Der Unterschied liegt in der Interpretation dieser Lehre und nicht in der Notwendigkeit der Bezugnahme. Während die Lehre von den Wahabiten streng ausgelegt wird und in die offene Feindschaft zur gesamten Modernität umschlägt, wird sie von den Schiiten wesentlich flexibler angewendet. Die Hintergründe dieser Differenz sollen uns hier nicht beschäftigen. Fakt ist jedoch, dass in der Rückkehr zur reinen Lehre die Hauptursache der antimodernen Einstellung der islamistischen Strömungen aller Art zu suchen ist. Was das islamische Regime im Iran anbelangt, war ja der historische Versuch gescheitert, eine Mixtur aus dem Liberalismus und dem Islam als Staatsideologie zu installieren. Damit war auch das Projekt „Moderne“ endgültig gescheitert. Dies hatte zwar anfangs die postmodernen Denker gefreut. Doch bald mussten auch sie feststellen, dass sie mit den Anhängern der Moderne mehr gemein hatten, als sie glaubten. Während die anfänglichen Versuche postmoderner Denker, eine Art postmoderne Anschauung im islamischen Regime auszumachen und sie zu verstärken, kläglich scheiterten (bekannt ist hier der Versuch der postmodernen Interpretation der sog. Islamischen Revolution von Michel Focault), befanden sie sich später auf der Anklagebank der Kollaboration und der Spionage für ausländische Kräfte. Charakteristisch war hier das Schicksal des postmodernen Philosophen Ramin Jahanbaglou, der als Handlanger der Soros-Stiftung verhaftet und gequält wurde. Der Aufstieg von Ahmadinedschad war mit einem Aufkommen von Anti- Moderne begleitet. Damit wurde neben der politischen auch eine ideologische Konfrontationslinie sichtbar. Diese ideologische Front war es, die im Westen alle gesellschaftlichen Kräfte – abgesehen von einer Handvoll linker Antiimperialisten – zu einer Allianz schmied. Von den rechtskonservativsten Denkzirkeln bis hin zu den linksliberalen Kreisen haben alle im islamischen Regime den ideologischen Feind entdeckt, den sie mit aller Kraft – und selbstverständlich mit der Unterstützung der in der Tat tapferen Straßenkämpfer in Teheran – besiegen wollten. Ein solcher Sieg wäre der erste Sieg in einem ideologischen Kampf nach dem Fall der Mauer. Das gesamte Spektrum der westlichen Ideenfabriken sah in einem Sieg gegen die bösen Islamisten aus Teheran die Chance, mitten in der Krise des Kapitalismus, neue Kraft zu schöpfen und sich für eine weitere Runde zu rüsten. Die dramatischen Szenen auf den Straßen Teherans und der ungleiche Kampf zwischen dem jungen, modernen David und dem bärtigen, prähistorischen Goliath, wie sie auf den Bildschirmen und in den Videoclips zu sehen waren, boten dem verkommenen, korrupten alt 68er- Parlamentarier genau so eine gute Gelegenheit, sich wieder als „Revoluzzer“ in die Szene zu setzen wie dem postmodernen linken Philosophen, der für seine „Multitude“ oder seinen „Kommunismus des neuen Typs“ endlich mal einen akzeptableren Träger gefunden hatte als der verelendete, gegen die Hungerkrise revoltierende Haitianer. Alle haben sie in den iranischen Ereignissen eine Bestätigung entweder für ihre Verkommenheit und Verlogenheit oder für ihre Ratlosigkeit gesucht; So der Versuch von dem  alt-grünen Trittin mit seinem komischen „Alluha Akbar“ (statt „Allah o Akbar“) Ruf bei der Bundestagsdebatte, genau so wie der Wanderprediger Zizek mit seiner These der Wiederbelebung der ursprünglichen islamischen Revolution von 1979 in Gestalt von Mussawi. Aus dieser Quelle sollten alle neue Kraft schöpfen. Was da tatsächlich geschah, war für sie nebensächlich. Sie brauchten weder eine Analyse der Hintergründe, noch eine klare Definition darüber, wer die Anführer der Unruhen sind und wie ihre Ziele aussehen. Und so kam es zu einer der seltensten medialen Kampagnen der letzten Jahre in der gesamten westlichen Hemisphäre. Die grüne Welle durchzog die ganze Medienlandschaft. Es entbrannte ein Wettkampf in den Medien um die Verherrlichung der grünen Botschaft aus dem Iran. In diesem Wettkampf waren die Schreiber des „Spiegel“ genau so beteiligt, wie die Hetzer der „Bild“-Zeitung und die Feuilletonisten der „Zeit“ und der „FAZ“, so wie die „Denker“ der Radikal-Philosophie und manche „Kämpfer“ der verschiedenen Schattierungen der Radikalen Linken. Eine gemeinsame Bewegung des städtischen Bürgertums in Koalition mit erzkonservativen Ajatollahs wurde zum Volksaufstand verklärt und ein Machtkampf in Revolution umgedeutet. Es wurde völlig übersehen, dass es sich hierbei um den Kampf zwischen zwei Blöcken mit hegemonialem Anspruch und Positionen handelt, deren Grundzüge weltweit in einer Reihe von Ländern ähnlich sind. In einem Kampf zwischen einem Janukowytsch und einer Timoschenko oder Juschtschenko kann und darf die sozialistische Linke nicht für eine Seite Partei ergreifen. Dies hat sie auch nicht getan. Die Besonderheit des reaktionären Islamismus jedoch verdeckte die Tatsache, dass es sich auch im Iran um eine ähnliche Konstellation handelt wie in der Ukraine und wie in Thailand. So kam es auch zu dem Umstand, dass viele  Linke sich vor den Karren der Opposition spannen ließen, während Teile davon (wenn auch wesentliche kleinere Teile) ihr Heil bei Ahmadinedschad gesucht haben. Die Mehrzahl der Linken hat nicht erkannt, dass der Iran von 2009 nicht das Spanien von 1936 war. Es gab keine Seite, die eine Unterstützung verdient hätte. Wie untröstlich es auch klingen mag, muss die Linke auf eine solche Entwicklung noch warten. Die Vorboten einer solchen Entwicklung waren in der Zeit vor den Wahlen schon in den den Arbeitskämpfen der Arbeiter sichtbar. Sie werden auch wieder aufkommen und nicht lange auf sich warten lassen. Die internationale sozialistische Linke kann und muss diesen Prozess aktiv begleiten. Dabei soll sie nicht den Fehler machen, den Iran mit einer Brille des Mitleids zu betrachten. Auch der Iran ist ein kapitalistisches Land, und zwar eins der schlimmsten Sorte. Auch hier gilt letztlich der Maßstab, wie sich die sozialen Bewegungen in Bezug auf den Gegensatz Kapital und Arbeit verhalten. Auch hier bedeutet die Parole „weniger Staat“ mehr Freiheit für das Kapital, auch hier kann jede, auf den ersten Blick richtige Losung zu dieser oder jener sozialen Frage in einer reaktionären Perspektive im Sinne des Kapitals instrumentalisiert werden, genau so wie Anfang der 90er-Jahre die Losung „Selbstbestimmungsrecht der Völker“ ein mächtiges Instrument in den Händen des deutschen Kapitals darstellte, die geopolitische Landschaft Europas in seinem Sinne zu verändern. Eine Losung die maßgeblich für die Entstehung der Kriege im Balkan mit verantwortlich war.

Die Aufgabe der sozialistischen Linken besteht darin, unverzüglich die hegemoniale Stellung der  bürgerlich-reaktionären Blöcke herauszufordern und die Grundlagen für einen gleichzeitigen emanzipatorischen Kampf für Freiheit und soziale Gerechtigkeit zu schaffen. Nicht weniger als das Ziel „einer Gesellschaft, in der die freie Entfaltung der Individuen die Bedingung für die freie Entwicklung der Gesellschaft“ bildet, soll den Rahmen für das Handeln der sozialistischen Linken bilden.

Editorische Anmerkungen

Den Text erhielten wir vom Autor am 23.8.09.