Da ist kein zweiter Mandela
Über die „Grüne Welle“ im Iran und über Mussawi (Teil 3)

von Bahman Shafigh

06/09

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Anmerkung zu Teil 3: ursprünglich hatte ich vor, mit diesem dritten Teil des Artikels diese Serie zu beenden. Doch der unsägliche Beitrag von Jürgen Elsässer mit seinen äußerst reaktionären Thesen veranlasste mich, mehr über Ahmadinedschads Politik zu schreiben. Sowohl mein alter Bekannter Bernard Schmid als auch Harry Waibel haben zwar die Absurdität Elsässerscher Gequatsche sehr gut aufgezeigt. Eine andere Kritik der inneren Verhältnisse Irans in den letzten Jahren, entfernt von den Klischees der bürgerlichen Medien und aus marxistischer Sicht, kann jedoch auch einen Beitrag dazu leisten.
Die Lage im Iran selbst ist sehr gespannt. Der Machtkampf nähert sich allmählich seiner Endstation. Die nächsten Tage sind entscheidende Tage für das Land, für die Region und für die Welt insgesamt. Entweder scheitert das Projekt zeitgemäßen Islamischen Staats im Ganzen und es beginnt ein turbulenter Prozess mit ungewissem Ausgang oder es kommt gestärkt aus dieser Krise heraus. Es ist eine Frage von Tagen.

 

Über die „Grüne Welle“ im Iran und über Mussawi (Teil 1)
Über die „Grüne Welle“ im Iran und über Mussawi (Teil 2)

Che wie Chamran 

Um die derzeitige Entwicklung im Iran zu verstehen, muss die Frage gestellt werden, welcher sozialen Klassenkonstellation entspricht diese Machtkonstellation im System. Haben wir hier mit einem faschistischen Regime zu tun das jetzt die letzten Reste Anders-denkender Menschen ausrotten möchte oder mit einem populistischen Regime, das das Volk in Chavez Manier zu eine Art Islamischen Sozialismus führen will oder, wie es das bürgerliche Sprachjargon gern haben möchte, einfach mit einem Mullah Staat, einem Gottesstaat? Ein differenzierteres Bild der Iranischen Gesellschaft und der Entwicklung des Staatswesens in den letzten 30 Jahren ist hierfür unabdingbar, um nicht den gängigen Klischees zu bedienen. Dies in Details zu tun, bedarf  auch eine nähere Analyse der wirtschaftlichen Entwicklung der letzten 30 Jahre und sprengt den Rahmen dieser Schrift. Doch auf einige Aspekte können wir hier eingehen. Bevor wir damit beginnen, ist der Hinweis angebracht, dass ich den Islamischen Staat im Iran als die adäquate Staatsform der Bourgeoise betrachte und nicht als irgendeinen klassenlosen Staat oder einen reinen Islamischen Unterdrückungsapparat. So weit der allgemeine Hinweis. Nun aber wie ist die politische Entwicklung des Regimes in den letzten Jahren zu beurteilen? Wie sind wir an diesem Punkt gelangt, an dem wir uns heute befinden? Beginnen wir mit der Konferenz „Che wie Chamran“.

Ernesto Che Guevara muss man nicht vorstellen, Mostafa Chamran schon. Dieser Chamran gehörte zu Schah Zeit zu den religiösen Kreisen der Nationalen Front um Mehdi Bazargan, der erste Premierminister der Islamischen Republik. Er hatte in den 70er Jahren in Ägypten unter Jamal Abdalnasser gedient und dort den Umgang mit Waffen gelernt. Später war auch in Libanon aktiv. Er wurde als erste Verteidigungsminister der IR tatsächlich mit einer adäquaten Aufgabe befasst. Von Anfang an beschäftige er sich mit der Asynchroner Kriegsführung und hatte eine maßgebende Rolle bei der Gründung der Revolutionswächter. Als der Krieg ausbrach, hat er die Gelegenheit ergriffen um den Wirrwarr des Politikgeschäfts zu entkommen. Er hat seinen Posten hin geschmissen und sich zur Front gemeldet, wo er dann gefallen ist. Die Parallelen zwischen diesem Chamran und Che wollten die Veranstalter einer 4 tägigen Konferenz im Oktober 2007 nutzen, um eine strategische Allianz zwischen Islamischen Gerechtigkeitskämpfern und dem Revolutionären Sozialismus der Lateinamerikanischen Art zu schmieden. Der Name der Konferenz war eine Anspielung auf die erste Silbe des Namen Chamrans, das im Persischen „Che“ ausgesprochen wird.

Die Idee der Konferenz entstand bei einem Besuch von Ahmadinedschad in Venezuela. Die Veranstalter haben zu dieser Konferenz neben einigen militanten möchte gern Theoretikern der Islamisten auch die Tochter von Che eingeladen. Auch von der Kubanischen Botschaft waren bei dieser Konferenz dabei. Doch anstatt einer Allianz kam zu einem Eklat erster Güte. Einer der Islamistischen Redner hatte nämlich in seiner Rede die „Spiritualität“ von Che Guevara hervorheben wollen und ging dabei so weit, dass er ihn als einen gläubigen, göttlichen Kämpfer darstellte. Den Kopf während der Rede Schüttelnd, hat die Tochter von Che nach ihm das Wort ergriffen und den „Thesen“ seines Vorgängers frontal widersprochen und ausführlich über die Gottlosigkeit ihres Vaters berichtet und darüber, dass er ein Kommunist gewesen sei und als solche auch ein überzeugter Atheist. Der Eklat war perfekt, die Konferenz wurde in aller Eile schon am ersten Tag beendet.

Fast zur gleichen  erschien ein Artikel im Regierungsabhängigen Blatt „Iran“ und paar Tage später auf der Internet Seite „Alef“ mit dem Titel „Das Gespenst der Reaktion und die Falle des Liberalismus“. Der Autor Shahab Esfandiari ist PHD bei Universität Nottingham in England. Er war zuvor Direktor beim Iranischen Fernsehen und verantwortlich für die Programmgestaltung. Er hatte sein Job nach dem Sieg von Ahmadinedschad aufgegeben und das staatlich geförderte Studium in Nottingham angetreten. Esfandiari gehörte zum großen Spektrum der „Prinzipalisten“ im Staat. Auch die Internet Seite „Alef“ ist eine der zahlreichen Medien dieses Spektrums. Esfandiari hatte gegen die „Reformbewegung“ argumentiert, sie male aus dem Gegner ein gespenstisches Bild und schüre die Angst vor einer Reaktionären Restauration, damit sie selbst den Boden für Liberalismus bereite. Als Teil dieser Strategie hetze das Reformlager die Regierenden gegen die Marxisten an der Uni auf. Tatsächlich hat es kurz davor eine Reihe Artikel von einem Journalisten Namens Mohammad Ghoochani gegeben, in denen er scharfe Attacken gegen die aus seiner Sicht zu lascher Politik der Regierung an der Unis gegenüber der aufkommenden Marxistischen Welle führte. Ghoochani hatte argumentiert, diese aufkommende marxistische Bewegung stelle eine Gefahr für das gesamte System dar und es könne nicht angehen, dass der Staat ein de facto Bündnis mit dieser marxistischen Bewegung schließe. Dem hielt nun Esfandiari entgegen, es gehe nicht um die angebliche Gefahr des Marxismus, sondern darum, dass das Reformlager den Staat von seinem richtigen Konfrontationskurs in Sachen Atomenergie und seinem Bündnis mit der weltweiten Antiimperialistischen Bewegung und jener linksgerichteten Staaten in dieser Bewegung abbringen möchte. Er argumentierte weiter, der nationale Fortschritt gehe nur über die Erringung von Schlüsseltechnologien und die Atomenergie gehört nun mal dazu. Hier sollte man aus seiner Sicht alle Menschen mit einbinden, die Interesse hätten, den nationalen Stolz zu wahren. Eine  „Marxistische Gefahr“ leugnete er vehement, da der derzeitige Marxismus nicht mehr die Merkmale des Marxismus der 70er Jahre des vorigen Jahrhunderts aufweise. Es handele sich hierbei ehe um einen Postmarxismus, der den Staat nicht ins Zentrum seiner Theorie und Praxis stellt. Mit diesem Marxismus mit seinem klaren Tendenzen gegen die Globalisierung könne und müsse man sich verbinden und ihn einbinden. Tatsächlich hatten zu dieser Zeit unterschiedliche Äußerungen des für die Universitäten zuständigen Ministers für Wissenschaften gegeben, die auf eine Tolerierung der sich bildenden linken Gruppierungen deuteten.

Aus dieser Tolerierung wurde nichts. Das Gegenteil war der Fall. Es folgte eine harte Politik gegen die Linke Studenten, die im selben Jahr 2007 zu einer Welle der Unterdrückung und Zerschlagung linker Strukturen führte. In wie weit die sog. Reformer tatsächlich bei dieser Hetzjagd beteiligt waren und in wie weit die Regierung sich treiben ließ, ist schwer zu sagen. Man darf jedoch nicht vergessen, dass der im ersten Teil dieses Artikels erwähnte Rat der Kulturrevolution noch immer existiert und eben auch Mussawi noch immer dazu gehört. Abgesehen davon, hat aber der Eklat bei Che  Konferenz gezeigt, dass die Regierung Ahmadinedschad über keinerlei Fähigkeiten verfügte, eine solche Strategie zu folgen, wie sie vom Esfandiari formuliert und vorgeschlagen und offensichtlich in Kreisen der sog. Prinzipalisten verfolgt wurde. Die Regierung Ahmadinedschad war und ist dermaßen reaktionär, dass sie das Aufkommen jeglicher Bewegung mit jeglichem aufklärerischen Charakter nicht dulden kann. Was die Linke angeht, kann diese Regierung nur diejenigen linken Kräfte dulden, die einen offen reaktionären Sozialismus predigen. Und davon gibt es im Iran jede Menge. Die Zunahme von Stalin Kult in den letzten 4 Jahren ist erstaunlich. Und diese Kräfte haben in allen zentralen Feldern der Politik - Konfrontation mit dem Liberalismus und der Atomstreit – eben die Regierung Ahmadinedschad unterstützt. Bestimmte Fraktionen dieser Kräfte haben auch die Wahl Ahmadinedschads empfohlen.  

Von Wanderpredigern und Schlägertypen, die Filme Machen 

Wir haben gesehen, wie in der Geistlichkeit die Angst vor einem Putsch zunahm. Tatsächlich hatten sich die Kräfteverhältnisse im Regime während der letzten Jahre stark zu Ungunsten des traditionellen Klerus verschoben. Die letzten Jahre der „Reformregierung“ Khatamis waren gekennzeichnet durch eine tiefe ideologische Krise des Islamischen Staats überhaupt. Die zunehmende Verarmung der Massen einerseits und die Häufung des gesellschaftlichen Reichtums in den Händen einiger Wenige andererseits, hatten die soziale Kluft vertieft. Die Gesellschaft spaltete sich zunehmend in Gewinnern und Verlierern der sog. Reformpolitik. In der politischen Landschaft ereignete sich ein tiefer Wandel. Die traditionellen Trennlinien zwischen der sog. Linken Flügen und den sog. Rechten Flügel der Geistlichkeit gerieten ins Wanken und es formierte sich eine neue Strömung innerhalb der Staatsapparats und in den dem Staat umgebenden Schichten, also in der Basis des Regimes. Waren die Jahre vor Khatami durch eine kulturelle Formierung derjenigen Kräfte gekennzeichnet, die eine Mixtur aus Islam und Liberalismus als Staatstragende Ideologie verfolgten, so erfolgte in den Jahren der Khatami Regierung eine Gegenbewegung. In beiden Fällen waren diese Bewegungen vielfältig und erfassten alle Bereiche des öffentlichen Lebens, von der Politik bis zur Kunst und zu Religiösen Lehren selbst. Das Schlagwort dieser Gegenbewegung hieß „Prinzipien“, deshalb auch die Bezeichnung „Prinzipalisten“.

Diese Prinzipalistische Bewegung - man kann es ruhig eine Bewegung nennen - umfasste unterschiedliche Schichten, vor allem aus den Militärkreisen der Pasdaran und der Basij Miliz, unter denen vor allem den Kriegsveteranen. Eine große Anzahl dieser Gruppen konnte sich nicht mit der Situation abfinden, dass so viele Menschen im Krieg gefallen waren und nun zu den Verlierern der gesellschaftlichen Entwicklung zählten.

Auch ein Teil der traditionellen Rechten Kreisen der politischen Elite, der einerseits die Treue zu den religiösen Lehren hoch hielt und andererseits sich mit der offenen Bereicherungspolitik der Regierungen Rafsandschani und Khatami nicht abfinden konnte,  schloss sich dieser entstehenden Strömung an. Dazu müssen noch gezählt werden eine Reihe von konservativen Intellektuellen  der alten Islamischen Schule und ehemalige Kommandeure der Pasdaran mit hohem Rang. Doch den aktivsten Teil dieses Spektrums bildete ein besonders militanter Flügel, aus dem Ahmadinedschad hervorging. Die militanten und plebiszitären Elemente dieser Bewegung bildeten die Machtbasis  für Ahmadinedschad. Ihre religiöse Daseinsberechtigung holten sie sich von einem erzkonservativen Kreis der Groß Ajatollahs, der schon zu Khomeinis Zeit seiner flexiblen Interpretation des Islams skeptisch gegenüber stand.

Zu diesem extrem militanten Flügel gehörten Tausende von Wanderpredigern, die durch das ganze Land verteilt in enger Verbindung mit den Massen standen und stehen. Diese Wanderprediger hat es immer gegeben. Die kann man als eine Art religiöse Straßensänger bezeichnen, die ihren Lebensunterhalt aus Almosen der Bevölkerung sowie aus den finanziellen Mitteln der Geistlichen verdienten. Gegen Ende der Khatami Zeit, hat es einen Versuch gegeben, diese Wanderprediger unter dem Schutz des Staates zu nehmen und zugleich sie zu kontrollieren. Die Wanderprediger haben sich jedoch in dieser Zeit zu einem mächtigen Machtorgan entwickelt. War die Arbeit der Wanderprediger ursprünglich auf Klagelieder über die 12 Schiitischen Imame beschränkt, so haben sie sich zunehmend den sozialen Themen zugewandt. Sie nahmen die Klagen der Bevölkerung über die miserablen Lebenszustände und über die korrupte Elite in ihren gesungenen Predigten auf und schufen so eine bereite Basis unter den Plebejern für die Politik Ahmadinedschads. Diese Machtzunahme wurde so erschreckend, dass auch sich die Groß Ajatollahs vor den giftigen Attacken berühmter Wanderpredigern nicht mehr sicher fühlte. Sie sind nun ein Teil des Staatsapparats und beziehen Gehälter von den öffentlichen Mitteln.

Die zweite, mächtige Gruppe in dieser Strömung bildeten die Kriegsveteranen und -beschädigte. Die Unzufriedenheit unter diesen Menschen war schon immer ein Thema. Trotz staatlicher Förderprogramme, wie z.B. Zulassung zu Studienplätzen nach Quotenregelung und ohne die obligatorische Aufnahmeprüfung, fühlten sich viele dieser Menschen von der Entwicklung der Nachkriegszeit zurückgelassen. Schon Mohsen Makhmalbaf, Mussawis Sprecher in Paris hatte dies vor Jahren in seinem Film „Die Heirat der Guten“ thematisiert. Unter Khatami haben sich bei dieser Gruppe zunehmend extremistische Tendenzen verschärft. Viele kamen in den Dienst des Informationsministeriums und wurden in die Terrorkommandos organisiert, die schon unter Khatami für eine Reihe Morde an Intellektuelle verantwortlich waren. Welche geistlichen Autoritäten direkt hinter diese Anschläge standen, ist noch immer nicht bekannt. Ein großer Teil dieser Kräfte hat sich in Schlägertrupps unter dem Namen „Ansare Hizbollah“ (Helfer der Gottespartei) organisiert. Ahmadinedschad hat zumindest diesen Schlägern nahe gestanden. Es wird über ihm auch gesagt, dass er bei Terroranschlägen direkt dabei gewesen war. Die „Ansar“ war für viele der Anschläge an Veranstaltungen von Studenten, Intellektuellen, Künstlern und bei Filmvorführungen beteiligt. Sie haben dies auch in ihrem Hetzblättern „Schalamche“ und „Jebheh“ (die Front) offen zugegeben. Der Chefredakteur dieser Hetzblätter war ein Mann namens Masoud Dehnamaki. Dieser Dehnamaki hat sich in den letzten Jahren von Khatami zunehmend der Kunst gewidmet. Er hat zwei Dokumentarfilme über das Elend der Unterschichten gedreht, von denen ein Film über den Verkauf von Mädchen an reiche Scheichs der Golfstaaten auch bei den Linken große Resonanz fand. Später drehte er zwei Spielfilme über die Ereignisse der Kriegsjahre, in denen die Hauptakteure von den Plebejern des südlichen Teherans stammten. Diese Filme wurden die mit großem Abstand am meisten besuchten Kinofilme der Iranischen Geschichte überhaupt. Die Sprüche des Films wurden weit in der Gesellschaft verbreitet, die Gestik der Akteure von Vielen übernommen. Also war auch im Bereich der Kunst die Strömung um Ahmadinedschad alles Andere als marginalisiert.

Ähnlich ging es auch in anderen Bereichen des gesellschaftlichen Lebens wie in der Philosophie und in der Politik, wo unzählige Denkfabriken der Prinzipalisten regelrecht die Hoheit über die Debatten gewannen. Dem islamisierten John Stuart Mill folgte nun der ebenso islamisierte Thomas Hobbs. Die Geschichte verlief hier in umgekehrter Richtung. Dies alles war selbstverständlich nur mit Hilfe der staatlichen Ressourcen möglich. Im Ergebnis jedoch ändert diese Tatsache nichts. Am Vorabend der Wahlen war die Strömung um Ahmadinedschad die dominante Strömung innerhalb der Prinzipalisten und war in der Lage, das politische Geschehen zu bestimmen. Was auch geschehen ist.  

Die fatalen Folgen mangelnder Alternativen 

Die reale Politik von Ahmadinedschad sah allerdings alles anders aus als eine Politik der sozialen Gerechtigkeit. Da der Islamische Staat aus seiner Sicht ein Staat für die Islamische Umma ist, hat selbstverständlich der Einzelne in diesem System keine Rechte genau so wie die gesellschaftlichen Gruppen. Umma ist ja der Ersatz für die Nation, die Masse der Gläubigen. So hat Ahmadinedschad von Beginn an eine strickte Politik der sozialen Repression verfolgt verbunden mit Wohltaten und Almosen als Ersatz für ein funktionierendes Netz von Sozialer Versorgung in Bereichen Medizin, Bildung und Beschäftigung. So wurden die Bemühungen in der Arbeiterbewegung für die Gründung eigenständiger Organisationen brutal unterdrückt, das relative Lohnniveau der Beschäftigten sank kontinuierlich, die Kaufkraft wurde immer schwächer, die Schere zwischen Arm und Reich klaffte sich weiter auseinander. Der bei seiner ersten Wahl in Aussicht gestellte Kampf gegen die korrupte Elite blieb aus, viele seiner Anhänger waren frustriert. Stattdessen folgte eine Reihe Maßnahmen, mit dem Ziel, die Religiosität in das öffentliche Leben mehr und mehr sichtbar zu machen. Eine Reihe höchst reaktionäre Maßnahmen wie die Beerdigung der Märtyrer auf Universitätsgeländen und Straßenjagd auf nicht ordnungsgemäß bekleidete Frauen oder öffentliche Hinrichtungen der Kleindealer und Junkies. Kurzum eine Abschreckungspolitik, die vor allem die Jugend der städtischen Mittelschicht direkt traf, ohne die Lebenslage der verarmten Teile der Bevölkerung zu bessern.

So blieb Ahmadinedschad am Vorabend der Wahlen nur der Weg, erneut die alten Themen der Gerechtigkeit in Mittelpunkt seiner Politik zu setzen und auf Schlachthorn zu blasen. Hatte er während seiner ersten Amtszeit den Atomkonflikt instrumentalisiert, um die Chauvinistischen Kräfte hinter sich zu reihen, so hat dieses Thema beim Wahlkampf eine untergeordnete Rolle gespielt. Das Zugpferd seiner Kampagne war eben das Thema Gerechtigkeit und Bekämpfung der korrupten Elite. Er vertrat diese Linie ganz offensiv. Es kam zu dem Machtkampf, den wir bisher versucht haben zu schildern.

Insbesondere die konsequente Unterdrückung linker Strukturen und Arbeitervereinigungen, gepaart mit der Unfähigkeit der Kommunisten und Sozialisten, die Themen der sozialen Kritik zu besetzen, führte zu der Situation, das am Vorabend der Wahlen zwei unversöhnliche Lager sich gegenüber standen, ohne dass eine von diesen Lagern irgendeine progressive Position vertraten.

Der Leser dürfte über den reaktionären Charakter der Ahmadinedschads Leute genug erfahren haben. Interessanter ist es hier, die andere Seite genauer unter die Lupe zu nehmen. Nicht nur die Führung der „grünen Welle“ sondern auch die Basis.

Wir haben bereits erwähnt, dass weder Mussawi noch andere Kandidaten in der Lage waren, die soziale Misere des Landes Ahmadinedschads Politik zuzuschreiben. Sie haben zwar über Teuerung, Inflation und die Methoden der statistischen Erhebung von Daten viel geredet - und dies erst nach dem Ahmadinedschad selbst die wirtschaftlichen Daten in den Wahlkampf brachte -, es aber völlig vermieden, konkrete Lebenszustände einzelner Klassen oder Schichten der Gesellschaft anzusprechen, um ja nicht Erwartungen zu wecken. Im Gegenteil, sie haben sogar Ahmadinedschad vorgeworfen zu Wahlzwecken die Renten erhöht zu haben. Wo sie konkret wurden, also, nicht um irgendeine Besserung zu versprechen, sondern Ahmadinedschad Lüge zu überführen. Was insbesondere Mussawi anging, hatte er seinen Wahlkampf besonders auf die Mittelschicht zugeschnitten und die verarmte Bevölkerung völlig von seinem Wahlkampf ausgeklammert. Die sog. Kartoffelaffäre verdeutlicht die Gemütslage dieser Gegenkandidaten und ihre Anhängerschaft am besten.

Die Kartoffelernte des letzten Jahres war mit 6 Millionen Tonnen so groß, dass es eine Überproduktion über den Bedarf des Landes entstand. Ein starker Preisverfall war hier die Folge. Darauf hin hat die Regierung beschlossen, einen Teil der Kartoffeln von den Bauern zu kaufen um den Schaden für die Bauern zu mildern. Diese Kartoffeln wurden dann unter den Bedürftigen verteilt. Anlass genug für das gesamte Reformlager auch Dieses als Wahlkampfmanöver zu stempeln. Dies mag auch tatsächlich das Kalkül von Ahmadinedschad gewesen zu sein. Der Punkt ist jedoch, dies  wurde so propagiert, dass der Eindruck entstand, nicht Kartoffel sind für die Menschen wichtig, sondern die demokratischen Rechte. Der wichtigere Aspekt ist hier, dass auch die Menschen der „Grüne Welle“ auf der Straße dieses Motto laut skandierten: „Einen Kartoffelstaat wollen wir nicht“. Es entstand der fatale Eindruck, das „Reformlager“ kümmere sich nicht um die materiellen Bedürfnisse der Menschen, was auch tatsächlich zutraf und einem schlauen Fuchs wie  Ahmadinedschad in die Hände spielte.

Auch sonst war die Kampagne der Grünen mit einer nicht zu übersehenen Arroganz gegenüber dem einfachen Volk geprägt. Dies durchzog die Kampagne von Oben bis unten, von Mussawi bis seine Anhänger. Je mehr von oben nach unten, umso mehr von literarischer, poetischer Form in vulgärer Form. Ahmadinedschad ist ja für seine vulgäre Eskapaden und seine Krude Sprache bekannt. Doch die größte persönliche Beleidigung während des Wahlkampfs ging nicht von ihm aus, sondern von Mussawi und dies in besonders feiner, poetischer Formulierung. Auf der linken oberen Ecke seiner Internet Seite http://ghalamnews.ir  steht in schöner persischer Schrift eine Teilverse des großen Dichters Molana: „Sehnsucht habe ich nach dem Menschen“. Wer die kompletten Verse kennt, weiß dass der Rest eine Klage darüber ist, dass „ich den Tieren und Ungeheuer satt habe“. Die Klientel von Mussawi war auch intelligent genug, um die Botschaft zu empfangen und in die Sprache der Straße umzudeuten. Auf den Straßen der Teheraner Nordteile wurde dann vor den Wahlen skandiert „Wer Analphabet ist, der ist für Ahmadinedschad“ oder „lasst Den duschen, es ist zwei Wochen her“. Es wurden unzählige Witze über sein bäuerliches Aussehen in den Umlauf gebracht.  Auch nach der Wahl wurde die Parole skandiert: „Eine oder Zwei Millionen, wer stimmt dann für den Affen“.  Kurzum auch die Basis der „Grünen Welle“ zeigte sich gegenüber den Bedürfnissen der größten Teile der Bevölkerung abwertend. Es war also der verkehrte Ausdruck des Klassenkampfes auf den Straßen von Teheran. Auf der einen Seite stand ein bürgerlich arroganter Block, angeführt vom Vertreter der konservativen, traditionellen Geistlichkeit, dem vom Ahmadinedschad angeführten, vom Führer unterstützen reaktionären, plebiszitären Block auf der anderen Seite gegenüber. Dies ist die Tragödie des heutigen Irans. Dreißig Jahre Islamische Republik führte - in einer veränderten Welt - zur Bildung zwei hegemonialen Blocks, die das ganze politische wie gesellschaftliche Leben und das Schicksal des Landes bestimmen. Die einen sagen offen, dass sie einen korrupten Rafsandschani einem verrückten Ahmadinedschad vorziehen und die Anderen sind bereit für das System Ahmadinedschad, was ja nichts anders als das System des geistlichen Führers ist, ihr Leben zu lassen aber einer korrupten Elite keine Regierung zu überlassen. Die Tatsache, dass viele der Jungen Demonstrantinnen und Demonstranten in Teheran für ihre elementarsten Rechte auf die Straßen gingen und die ganze Welt mit ihrer Mut in Atem gehalten haben, ändert nichts an diesem hegemonialen Kontext. Auch ein Sieg dieser Frauen und Männer hätte an dem im Grunde reaktionären Charakter der „Grünen Welle“ nichts geändert. Der Wunsch dieser Jungen Kämpfer nach Freiheit war nicht im Horizont einer emanzipatorischen Gesellschaft eingebettet. Der offen reaktionäre Charakter der Gegenseite verdeckte nur die Tatsache, dass die Grüne Welle auch eine Bewegung der höher gestellten Klassen und Schichten gegen die unteren Schichten der Gesellschaft war und ist. 

Diese Sackgasse gilt es mit einem dritten, linken, emanzipatorischen, sozialistisch orientierten Block zu brechen. 

Im Teil 4, letzten Teil, werden wir die Bedeutung der Ereignisse für den Westen behandeln und mögliche Szenarien der Entwicklung diskutieren.

 

Editorische Anmerkungen

Den Text erhielten wir vom Autor am 26.6.09.