Editorial
In Gefahr und größter Not bringt der Mittelweg den Tod

von Karl Mueller
09/07

trend
onlinezeitung

Friedrich von Logau (1604 – 1655) konnte nicht ahnen, dass jenes Sprüchlein aus seinem Füllhorn der Sinnsprüche allgemeinen Inhalts "In Gefahr und größter Not bringt der Mittelweg den Tod" Jahrhunderte später in der bundesrepublikanischen Gesellschaft allseits Furore machen sollte. Den Marschallstab für die Verbreitung dieses Sprüchleins verdient zweifellos das umtriebige Duo Alexander Kluge und Edgar Reitz. Sie brachten 1974,  damals eng mit dem Frankfurter „Revolutionären Kampfes“ verbandelt, den  Film „In Gefahr und größter Not bringt der Mittelweg den Tod“ heraus, worin ein politisches Porträt Frankfurts montiert wird,  das mit ungeordneten Szenen von einer Beischlafdiebin, einer Spionin und vor allem von jungen Männern, die sich waghalsig der Abrissbirne in den Weg werfen, bebildert ist. Darin eingewoben der Karneval, ein Streik an der Oper, der Polizeipräsident auf SPD-Parteitagen usw. Somit entstand ein Kaleidoskop, das sich im Kopf des Zuschauers - so meinten die Filmemacher - zu klaren Bildern ordnen kann.

Es ist nicht bekannt, ob die Kommune Niederkaufungen 1983 ähnliche lerntheoretische Intentionen wie Kluge/Reitz verfolgte, als sie ihr Grundsatzpapier mit dem gleichen Sprüchlein labelte. Auch ist nicht überliefert, warum die Revolutionären Zellen und die Roten Zora 1984 eine Flugschrift als Diskussionspapier zur Friedensbewegung mit diesem Titel herausgaben. Bemerkenswert ist jedoch, das dieser Text die wohl weiteste Verbreitung von allen bis dahin erschienenen theoretischen Erörterungen der RZ´s hatte.

Die Indienstnahme jenes Sinnspruches blieb aber nicht nur den Leuten von links vorbehalten. Es waren die Olivgrünen, die dafür sorgten, dass Logaus Botschaft mitten in der Gesellschaft seinen Platz fand. So hieß es zehn Jahre später, 1994 aus dem Mund des Kriegstreibers  Daniel Cohn-Bendit:

"Wie immer, in Gefahr und größter Not bringt der Mittelweg den Tod. Diese Binsenwahrheit stellt uns vor eine quälende Entscheidung, die wir jetzt nur noch, bewußt oder unbewußt, treffen müssen. Entweder zwingen wir die Bosnier, die weiße Fahne zu hissen, brechen jegliche Unterstützung, sei es humanitäre, politische oder militärische, ab und akzeptieren die von Karadzic diktierten Bedingungen eines Vertrages von Pale. Gleichzeitig verpflichten wir uns, in Europa alle Männer, Frauen, Kinder, Krüppel und wahnsinnig gewordenen Bosnier als Flüchtlinge aufzunehmen, die in einem Homeland Bosnien nicht leben wollen. Oder wir denken das Undenkbare, erinnern uns, daß Zivilisation einen Preis hat, und stellen Karadzic und Milosevic ein Ultimatum. Die UNO-Truppen werden aus Bosnien abgezogen, das Waffenembargo für Bosnien wird aufgehoben, und die Nato übernimmt die militärische Aufgabe, per Luftangriff die Serben zu zwingen, einen Teil der eroberten Gebiete zurückzugeben. Unsere Superdiplomaten setzen sich an einen Tisch mit den Russen, vereinbaren verbindlich als Diktat eine neue Landkarte in Bosnien, teilen diese Karte den Kriegsparteien mit und führen nach 48 Stunden, wenn es notwendig ist, diesen Plan militärisch aus."

Heute peppen nicht nur Nikotingegner allweil ihre Ansichten mit jenem "Mittelwegsatz" auf,  auch Pfarrer brauchen ihn für ihre Weihnachtsbotschaft und gewiefte Managementstrategen verleihen ihrer Message mit ihm Gewicht.

Die Nebelschwaden der unverstandenen gesellschaftlichen Verhältnisse könnten durch die Anstrengungen des Kopfes verschwinden, meinten Kluge und Reitz. Ihr an sich sympathisches Unterfangen wird natürlich konterkariert, wenn der Kopf nach der Entweder-Oder-Logik des Logauschen "Mittelwegsatzes" funktionieren soll, so wie es der Filmtitel nahe legt. Andererseits kommt die hiermit beförderte Schwarz-Weiß-Malerei dem Alltagsdenken gehörig entgegen, denn bekanntlich liebt mensch die einfachen Lösungen und scheut die Synthese ebenso wie die Aufhebung des Widerspruchs durch Setzung eines neuen. In dieser Erkenntnis läge denn auch der Schlüssel dafür, warum der Logausche Satz sowohl bei PfarrerInnen und KriegstreiberInnnen wie auch bei RevolutionärInnen gleichermaßen beliebt ist.

Wir TREND-Leute halten da mehr von der Dialektik, die mensch in Heinz Kimmerles Aufsatzsammlung  Modelle der materialistischen Dialektik kennenlernen kann und empfehlen daher, mal in diesem Sinne Bert Brechts Jasager und Neinsager zu lesen bzw. auf der Bühne anzuschauen. Für Brecht gibt es nicht ein einfaches Ja oder Nein. Über jede Lage muss neu nachgedacht werden. Der Diskurs hat Vorrang vor der Linientreue. 

Unsere Empfehlung dialektisch zu denken und handeln, geht von hier aus ganz besonders an die Freunde vom BAIZ. Wir hatten nämlich für den 28.9.2007 von ihnen Räume für eine TREND-Veranstaltung über "Klassenkämpfe in Frankreich" bekommen. Als wir um Verschiebung auf den 12.10.2007 nachfragten, hieß es, die Räume können wir nicht mehr bekommen, weil Leute aus dem Herausgeberkreises des Agit 883 Lesebuches unsere Veranstaltung stören wollten, weil wir die Agit 883 ins Netz gestellt haben (Näheres dazu siehe Editorial 7-8/07 Schaffen wir zwei, drei, viele Mirrorseiten). Sie - die BAIZ-Leute - mögen sowas nicht - mailten sie uns, und forderten uns auf, mit den 883-Lesebuch-Leute zu sprechen, um uns auszusöhnen.

Da war sie wieder die Logausche Logik: Schwarz-Weiß, Ja-Nein, Entweder-Oder. Nur keinen Widerspruch aushalten oder gar aufheben oder einen neuen setzen. Wir boten stattdessen einen öffentlichen Disput mit den Agit-883-Lesebuch-Leuten in den BAIZ-Räumen an und das war die BAIZ-Antwort:

"Da sowohl in deinem schreiben als auch in dem der "gegenseite", welches uns vorliegt, eine gewisse emotionalisierung des konflikts erkennbar ist, haben wir uns entschlossen, uns nicht zwischen die fronten zu stellen und die entsprechende durchführung von veranstaltungen bis auf weiteres auf eis zu legen."  8. Aug. 2007

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Aufmerksame LeserInnen werden sich erinnern, dass wir im Juni 2007 schrieben:

"Des weiteren kamen Beirat und Redaktion überein, drei weitere Veranstaltungen für den Herbst/Winter 2007/8 zu planen. Im Gespräch waren dabei das Thema "Wieviel Populismus braucht die Linke" - gemeint ist die Elsässer-Schmidt-Kontroverse (siehe dazu den entsprechenden Artikel von B. Schmid)"

Nun findet sich auf der Startseite von INFOPARTISAN eine Werbung für eine Veranstaltung der Gruppe Interkomm genau mit diesem Titel. Richtig. Es ist exakt die Veranstaltung, die wir im Juni in Planung hatten. Doch wir sind nicht die Veranstalter. Nicht weil wir so genannte ideologische Bauchschmerzen etwa mit den Referenten oder dem Thema bekommen hätten, ganz im Gegenteil: Ist doch Bernard Schmid einer unser wichtigsten und am meisten gelesenen Autoren - Sondern weil die organisatorische Seite der Veranstaltung nicht kompatibel zu unserem TREND-Nachtgespräch-Konzept ist.

TREND ist bekanntlich seit über zehn Jahren non-profit im Netz. Kurzum: Wir bekommen nichts für unsere politisch-journalistische Praxis und wir bezahlen auch nichts für die Mitarbeit am TREND. Nun wollte Jürgen Elsässer Geld für seinen Auftritt haben, weil ihm dieses Tun als Arbeit erscheint. Darüber wollen wir nicht streiten. Soll doch Interkomm sich um seinen Lohn kümmern. Unbeschadet dessen: Wir wünschen ein gutes Gelingen für die Veranstaltung am 30.9. mit ihm und Bernard Schmid im Berliner Haus der Demokratie.

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Ab und an erscheint es uns wichtig ein paar Zahlen weiterzureichen, um zu zeigen wie sich der TREND im Netz entwickelt. Hier die jüngsten Zahlen:

Die BesucherInnenzahlen vom August 2007 in Klammern 2006, 2005

  • Infopartisan gesamt: 158.077 ( 89.556, 46.307)
  • davon TREND: 109.084 ( 61.535, 29.810)

Diese Auswertung fasste alle Seitenaufrufe eines Besuchers,  gekennzeichnet durch seine IP-Adresse und seine Browserkennung, zu einem Besuch (unique visit) zusammen. Ein Besucher wurde nur gezählt, wenn er mindestens eine Page-Impression, d.h. eine vollständig geladene Seite mit dem Rückgabewert 200 oder 304, ohne Bestandteile wie Bilder und Dateien mit den Endungen .png, .jpg, jpeg, .gif, .swf, .css, .class oder .js auslöste. Liegen mehr als 30 Minuten zwischen den einzelnen Page-Impressions, so wird der Besucher mehrfach gezählt. Ein Besuch kann maximal 30 Minuten dauern.

  • 898 BesucherInnen verbuchte die Agit 883 Seite.
  • Es wurden 2044 Mal Ausgaben der Agit 883 aufgerufen.

Die am meisten gelesene Seite im August 2007 war:
www.trend.infopartisan.net/inhalt.html : 3.928

Der am meisten gelesene Artikel im August 2007:
www.trend.infopartisan.net/trd7806/t607806.html : 979
Interview mit René K. aus Berlin, der nach der Parada Równos'ci  zwei Monate in Warschau in Haft war.

Der am meisten gelesene Artikel der August 2007-Ausgabe:
www.trend.infopartisan.net/trd7807/t517807.html : 287
War der KBW eine GroßKapitalKaderschmiede?

Zum Abschluss Zahlen von Wikipedia:
German Wikipedia references for Infopartisan.net: 150
http://www.domaintools.com/dewikipedia/3338/infopartisan.net

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Dieses Editorial konnte erst am 18.9.2007 veröffentlich werden.
 Daran war ein Computer schuld.