Stadtumbau & Stadtteilkämpfe
Über Nacht gebaut

von Detlev Kretschmann

8/2017

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Kotti & Co steht für den Widerstand gegen den kapitalistischen Umbau Berlins. Treffpunkt der Mieter*innen-Initiative ist eine selbstgebaute Holzhütte, das »Gecekondu«, am Kottbusser Tor

Wir trafen uns im Fahrstuhl und redeten über die hohen Mieten und den schlechten Zustand der Wohnungen. Wir organisierten Treffen und suchten den Kontakt zur Politik und zu den Hauseigentümer*innen. Wir bekamen pampige und dumme Antworten – auch von den Organisationen für Mieter*innen, wie dem Mieterverein oder der Berliner Mietergemeinschaft: »Das ist sozialer Wohnungsbau. Ein Pulverfass. Da kann man nur ausziehen.«

Kotti & Co existiert seit März 2011. Von Anfang an suchten wir die Zusammenarbeit mit anderen Mieter*innen und auch Stadtteilinitiativen. Noch während der damaligen Koalitionsverhandlungen des Berliner Senats wurde kurzzeitig das Foyer des Roten Rathauses besetzt, um die Politik mit den Forderungen der Mieter*innen zu konfrontieren. Es ging immer darum, Parlament und Verwaltung nicht die Ruhe zu lassen, die sie brauchen, um die Kapitalinteressen durchzusetzen. Die Regierung von SPD und Linkspartei hatte zehntausende Sozialwohnungen an Investor*innen verschleudert und damit die Mieter*innen dem Markt überlassen.

Wir lassen ihnen keine Ruhe

Ende Mai 2012 war ein Straßenfest am Kotti angekündigt. Es endete mit seiner Besetzung. Wir bauten illegal auf öffentlichem Straßenland eine kleine Hütte aus Europaletten und schworen uns und den Anwesenden, hier nicht mehr wegzugehen. Wir würden bleiben, bis unsere Probleme politisch gelöst seien und gewährleistet wäre, dass alle bleiben könnten, dass niemand rausfliege, nur weil er oder sie die Miete nicht mehr bezahlen könne. Wir gaben diesem Bauwerk den Namen »Gecekondu«. Das ist türkisch und bedeutet »über Nacht gebaut«. Eine alte osmanische Regel besagt, dass ein Haus, das über Nacht gebaut wird und ein Dach hat, nicht abgerissen werden darf. Unsere Forderungen waren einfach und greifbar: Die Begrenzung der Kaltmiete auf 4 Euro pro Quadratmeter und eine Konferenz zum sozialen Wohnungsbau, auf der das Problem besprochen und Lösungen gesucht werden sollten. Wir wollten dauerhafte Lösungen im sozialen Wohnungsbau in Berlin, die gewährleisten, dass alle bleiben können.

Wir sind immer noch da

Die internen Diskussionen waren natürlich nicht ganz so optimistisch wie unsere Außendarstellung. Wir dachten: »Zwei, drei Wochen halten wir das durch. Aber es ist mal etwas ganz Neues und es zwingt die Politik, Partei zu ergreifen, etwa auch indem man uns räumt.« Das Straßenfest und die Besetzung waren vor fünf Jahren und wir sind immer noch da!

Viele der Mieter*innen kamen auf einen Tee oder einen Kaffee zu uns und wir kamen ins Gespräch. Wir stellten bald fest, dass viele bis zu 70 Prozent ihres Familieneinkommens für die überhöhten Mieten aufbringen müssen. Dabei wurde uns auch klar, wie haltlos die Behauptung von den niedrigen Mieten in Berlin ist. Wenn man die Frage stellt, wie viel Geld vom Einkommen in die Miete wandert, ist Berlin verhältnismäßig die teuerste Stadt Deutschlands. Im Gecekondu wurde Kultur großgeschrieben und die Hütte der Besetzer*innen wurde in diesem Sommer 2012 ein Ort der Widerstandskultur, sozial und umsonst.

Wir wurden Expert*innen

Wir organisierten uns vielfältig. Im Abgeordnetenhaus führten wir im November 2012 in eigener Regie die geforderte Konferenz zum sozialen Wohnungsbau durch. Expert*innen, die wir selbst ausgesucht hatten, stellten mit uns gemeinsam und unter Beteiligung von Parlamentarier*innen und Verwaltung, die Probleme und ihre Lösungsvorschläge vor. Die Vorbereitung dazu war immens und überstieg unsere Kapazitäten bei weitem. Keine*r wusste etwas über die Zusammenhänge von sozialem Wohnungsbau, keine*r etwas über Finanzierung. Wir haben uns alle Inhalte erschlossen, weil wir uns nicht wieder verarschen lassen wollten durch Politiker*innensprech, Lügen und Inkompetenzen.

Wir, das sind die von Verdrängung bedrohten Mieter*innen in all ihrer Verschiedenheit selbst, die sich zusammentun und sich wehren. Genau hier liegt der Erfolg von Kotti & Co. Unser Ziel ist es nicht, das Trennende hervorzuheben, sondern das gemeinsame Ziel in den Mittelpunkt zu stellen: die Senkung der zu hohen Mieten. Wir versuchen alle in der Gesellschaft bestehenden Trennungsgründe zu überwinden. Davon gibt es sehr viele: die soziale Stellung, die Religionen, die politischen Überzeugungen, den Bildungsstand, die Unfähigkeit zur Empathie, die Lebensphilosophien, die Angst vor dem Anderen.

Wir machten Krach

Zu unseren Aktionen gehörten die Lärmdemos, bei denen wir mit krachmachenden Gegenständen durch den Kiez zogen und auf den Skandal des sozialen Wohnungsbaus hinwiesen. Bald waren auch Mieter*innen aus »normalen« Häusern dabei, die ebenfalls ihre Forderungen stellten. Wir haben in der ersten Zeit etwa 30 dieser Demos erfolgreich durchgeführt. Unsere Erfahrungen dabei waren lehrreich: die zweite Lärmdemo wurde grundlos von der Polizei angegriffen. Die Folgen einer kleinen Demo zum Sozialsenator zeigten uns, wo der Mieter*innenprotest beim Senat und den Behörden angesiedelt ist: Staatsschutz Abteilung Linksradikalismus.

Die Zeit der Lärmdemos war bald vorbei, weil wir auch immer versuchten, mit den politisch und wirtschaftlich Verantwortlichen zu reden und Lösungen zu finden. Gespräche auf der Abgeordnetenhaus-, Senats-, Bezirksverwaltungsebene und eben auch mit den Eigentümer*innen nahmen so viel Zeit in Anspruch, dass der tatsächliche Protest in den Hintergrund trat. Kotti & Co wurde zu einer Mitakteurin in der Frage der Stadtgestaltung, die leider immer noch eine kapitalistische ist. Aber auch hierbei waren kleine Erfolge möglich, die für uns durchaus große Wirkungen hatten. So wurden die üblichen jährlichen Mieterhöhungen von 13 Cent pro Quadratmeter ausgesetzt, was für arme Menschen sehr viel ist.

Wir zeigen, wie es besser geht

Durch unsere Beiträge und Aktionen ist es gelungen, das Thema Mieten in den Fokus der Politik zu schieben. Wir haben uns immer bemüht, nicht nur Kritik zu üben, indem wir auf Missstände hinwiesen, sondern haben bis in die Details gezeigt, wie es anders gemacht werden kann. Die Solidarität mit Geflüchteten oder von Zwangsräumungen Bedrohten spielte eine große Rolle. Das alles gelang uns, weil wir unberechenbar waren und uns nicht an die Regeln hielten.

Genau das Gegenteil erfordert der Anspruch, eine dauerhaft wirksame Gruppe zu bleiben. So mussten wir uns dem Vereinsrecht unterwerfen, um ein gemeinnütziger Verein zu werden, der beispielsweise auch Spenden annehmen und Verträge abschließen kann und wurden durch eine Förderung durch die »Bewegungsstiftung« in das Korsett der Förderungsrichtlinien gezwungen. Um aber unseren Kampf weiter führen zu können, müssen wir uns mehr und mehr anpassen und berechenbar werden. Da ist es kein Wunder, wenn der neue Stadtrat in Kreuzberg für den Bereich Wohnen, sich Initiativen wie Kotti & Co wünscht, denn mit unseren Vertreter*innen kann man auf Augenhöhe reden.

Reden ist aber nicht Handeln und schon gar nicht Handeln gegen die Interessen der Immobilienspekulant*innen und Kapitalist*innen, die ihren Profit mit Immobilien erhöhen wollen. Unser Gruppenziel war es nicht Gesprächspartnerin der Herr-schenden zu werden, sondern dass sich unsere Mieten senken, Zwangsräumungen aufhören und alle bleiben können.

Gesprächspartnerin ist aber auch nie eine Gruppe, sondern einzelne, die hervorragen, weil sie sich mit Anforderungen der bürgerlichen Bildung besser auskennen oder mehr Zeit haben, vielleicht auch bessere Umgangsformen als die normalen armen Mieter*innen. Aufgrund der Spezialisierungen muss es zu einem Unterschied, zumindest Informationsunterschied, zwischen den einfachen Protestierenden und deren Sprecher*innen kommen.

Wir machen weiter

Wir versuchen, einer solchen Entwicklung immer wieder zu entgehen. Nach fünf Jahren ist es nicht mehr möglich, sich intensiv wie am ersten Tag für die eigenen Ziele einzusetzen und beliebig viel Zeit und Kraft zu investieren. Gerade die Jüngeren unter uns müssen auch mal bezahlt arbeiten. Dass beim Verkauf der Arbeitskraft auch die bei Kotti & Co erworbenen Qualifizierungen genutzt werden können, ist ein großer Vorteil.

Seit der Platzbesetzung bin ich dabei. Der Kotti war in meiner Jugend und Kindheit mein Lebensmittelpunkt. Viele Verwandte und Klassenkamerad*innen wohnten dort. Kreuzberg hat schon einige Gentrifizierungen durchgemacht. Nicht immer zum Nachteil der Bewohner*innen. Erst die letzte, die in vollem Gange ist, betont das Negative. Es regiert nur noch der Markt. Ob sich das unter Rot-rot-grün ändert, darf bezweifelt werden.

Aber Hoffnung dürfen wir haben. Deshalb macht Kotti & Co weiter. Jede*r, ob nun gewerkschaftlich organisiert oder nicht, kann einen Beitrag leisten. Kein Beitrag ist zu groß und keiner zu klein, niemand ist zu alt oder zu jung, um sich im Kampf gegen den kapitalistischen Stadtumbau zu engagieren. Es gibt viel zu tun.

Editorischer Hinweis

Erstveröffentlicht wurde der Text in der bbz 07-08 / 2017, Zeitung des Berliner Landesverbandes der GEW.

Der Autor war Gründungsmitglied der TREND Online-Redaktion, die aus Reaktion auf das 1995 erfolgte Verbot der Printversion entstand.

Als politischer Liedermacher widmet er sich ganz besonders auch der Wohnungsfrage. Siehe dazu seinen Song "Krieg den Palästen", worin es heißt:

"wir brauchen ihn nicht, ihren staat, ihre macht,
was für uns nötig schaffen wir und dann wird es nacht.
für börse, hausbesitzer und die um sie krauchen.
wir werden wohl viele laternen brauchen"