Theorien des Staatskapitalismus
Trotzkistische Dissidenten und Bordiga

Eine Übersicht von Marcel van der Linden (Teil 2)

07/2015

trend
onlinezeitung

Theorien des Staatskapitalismus (Teil 1)
Mjasnikow, Adler, Wagner,  Worrall, Pollock
 

Trotzkistische Dissidenten

Die theoretischen Schwierigkeiten der Anhängerinnen der Theorie des dege­nerierten Arbeiterstaats führten in mehreren Ländern zur Entstehung von oppositionellen Strömungen innerhalb der trotzkistischen Bewegung. Die meisten dieser Strömungen vertraten eine Staatskapitalismus-Theorie. Sie konnten dabei der Unterstützung durch die herausragende Wahrerin des poli­tischen Erbes von Trotzki, seine Witwe Natalja Sedowa, sicher sein. Sie war schon seit etwa 1946 der Meinung, daß die Sowjetunion endgültig nicht mehr als Arbeiterstaat bezeichnet werden könne. 1951 brach sie mit der Vierten Internationale. In einem Offenen Brief an die einflußreichste Sektion inner­halb der Bewegung, die US-amerikanische Socialist Workers Party, begründete sie diesen Schritt:

»Immer wieder hat er [Trotzki] darauf hingewiesen, wie die Konsolidierung des Stali­nismus in Rußland zur Verschlechterung der ökonomischen, politischen und sozialen Lage der Arbeiterklasse und zum Triumph einer tyrannischen und privilegierten Aristo­kratie führt. Wenn dieser Trend anhält, sagte er, wird die Revolution am Ende sein und die Restauration des Kapitalismus wird erreicht sein.

Dies ist unglücklicherweise tatsächlich geschehen, wenn auch in neuen und unerwarte­ten Formen. Es gibt schwerlich ein anderes Land in der Welt, in dem die authentischen Ideen und Träger des Sozialismus so barbarisch verfolgt werden. Es sollte jedem klar sein, daß die Revolution vollständig vom Stalinismus zerstört worden ist. Trotzdem sagt ihr weiterhin, daß Rußland unter diesem unsäglichen Regime immer noch ein Arbeiter­staat ist. Ich betrachte dies als einen Schlag gegen den Sozialismus.«(22)

Grandizo/Péret

In Mexiko hatte sich um 1940 eine kleine Gruppe spanischer Trotzkisten niedergelassen, nachdem der Kampf gegen General Franco mit einer Nieder­lage geendet hatte. Die treibende Kraft unter diesen politischen Flüchtlingen war Manuel Fernandez Grandizo (1912-1989), dessen nom de guerre G. Munis lautete. Er hatte 1936 die spanische Sektion von Trotzkis Bewegung für eine Vierte Internationale gegründet,(23) war 1938 von den Stalinisten gefangenge­nommen worden und in dem darauffolgenden Jahr entkommen. Der nächste Mitarbeiter von Grandizo war der französische surrealistische Dichter Benja­min Peret, der ebenso einige Zeit in Mexiko verblieb und unter dem Pseudonym Peralta politische Arbeiten publizierte.(25)

Grandizo und Peret traten 1946 mit ihrer Kritik an der offiziellen trotzki­stischen Auffassung über den Klassencharakter der Sowjetunion nach außen. Einen wesentlichen Anlaß bildete das »Manifest«, das auf der im April dieses Jahres durchgeführten Konferenz der Vierten Internationale verabschiedet worden war. Die wichtigste These dieses Manifests ist, daß die eigene Analyse auch dort, wo sie sich auf die Sowjetunion bezog - durch alle gegenwärtigen Ereignisse bestätigt worden sei.(26) Peret unterzog das Manifest in einer Bro­schüre einer äußerst scharfen Kritik; er qualifizierte es als ein der Vierten Internationale unwürdiges und selbstzufriedenes Dokument, erfüllt von seli­ger Eitelkeit (»vanite beate«). Spätestens seit dem Ribbentrop-Molotow-Pakt hätte deutlich sein müssen, schrieb Peret, daß von den Errungenschaften der Oktoberrevolution in der UdSSR nichts mehr geblieben ist. Die bürokratische Konterrevolution habe endgültig triumphiert und einen Staatskapitalismus etabliert.

Anders als diese nicht neue Sichtweise ist Perets Charakterisierung der bürokratischen Elite originell. Denn während er Trotzkis Theorie des degene­rierten Arbeiterstaats aufgab, verwendete er doch in gewissem Maße dessen Auffassung, daß die Elite keine herrschende Klasse, sondern eine andersgear­tete soziale Gruppe bilde. Eine herrschende Klasse, argumentierte er traditio­nell marxistisch, hat den Auftrag, die gesellschaftliche Formation (»Systeme de propriete«) zu entwickeln, mit der sie verbunden ist. Sie erfüllt also, zumindest am Anfang einer historischen Epoche, eine fortschrittliche Funk­tion. Die bürokratische Elite in der Sowjetunion verkörpert jedoch keinen Fortschritt, sondern Dekadenz und Verrottung; sie muß daher anders charak­terisiert werden. Peret sah hier zwei Möglichkeiten:

- Einerseits kann man die Bürokratie als »eine echte Klasse, deren Struktur sich noch entwickelt«, bezeichnen. Bilde sich diese Klasse jemals voll aus, werde sie doch niemals eine fortschrittliche Rolle, vergleichbar der der frühe­ren Bourgeoisie, erfüllen können.

- Andererseits kann man die Bourgeoisie als eine Kaste bezeichnen, vergleich­bar mit den Brahmanen der untergegangenen alten indischen Kultur. Den religiösen Charakter einer solchen, in einer niedergehenden Formation sich entwickelnden sozialen Gruppe meinte Peret auch in der Sowjetunion wahr­zunehmen, weil mit Stalin eine Art Prophet entstanden ist.(27)

Grandizo arbeitete diesen Gedanken eines »Staatskapitalismus ohne voll­ständig entwickelte herrschende Klasse« in der Broschüre Les rivolutionnai-res devant la Russie et le stalinisme mondial(28) weiter aus.

Erstens versuchte er mit einer ökonomischen Begründung aufzuzeigen, daß es sich in der UdSSR um Staatskapitalismus handle. Seine ausführliche Argumentation lief etwa auf das Folgende hinaus: Im Kapitalismus werden die Lohnkosten möglichst niedrig gehalten, und das Mehrprodukt (verkörpert im Mehrwert) wird von den Kapitalisten für Investitionen oder unproduktive Konsumtion verwendet; in der Übergangsgesellschaft vom Kapitalismus zum Sozialismus wird dagegen über die Verwendung des Mehrprodukts demokra­tisch von der ganzen arbeitenden Bevölkerung bestimmt, und der Lebensstan­dard der Massen wird steigen. In der Entwicklung in der Sowjetunion (sinken­de Kaufkraft der Arbeiter, Verwendung des Mehrprodukts für eine forcierte Investitionspolitik und Konsumtion der Bürokratie) sind jedoch nicht die Merkmale der Übergangsgesellschaft, sondern des Kapitalismus sichtbar.

Zweitens versuchte Grandizo, genau wie Peret, die Klassenlage der Büro­kratie mit einer historischen Analogie zu erläutern. Er verglich den internatio­nalen Kapitalismus mit dem untergehenden Römischen Reich. Als das alte Imperium verfiel, der Übergang zum Feudalismus jedoch noch nicht vollendet war, fand eine Machtverschiebung innerhalb der herrschenden Kreise statt: die Patrizier - die alte, zuvor überlegene Klasse - mußte neuen, energischen Elementen ohne Genealogie oder Geschichte Platz machen. Caesar und Octa-vianus waren die Protagonisten dieser Schicht, die die Staatsmacht ausdehnte und so die letzte Bastion gegen den gesellschaftlichen Untergang der römi­schen Gesellschaft bildete. Ebenso wie seinerzeit die Patrizier ist nun auch die internationale Bourgeoisie in Schwierigkeiten. Auch sie sieht sich in ihrer Niedergangsphase genötigt, die Macht Elementen zu übertragen, die an ihrer Stelle auftreten und das Bestehen des Systems verlängern: Sozialdemokraten und Stalinisten.

So betrachtet sei der Staatskapitalismus in der Sowjetunion ein Zeichen der Degeneration: Die Bourgeoisie hat zwar die proletarische Revolution erstik-ken können, aber es ist ihr nicht gelungen, eine dynamische herrschende Klasse an die Macht zu bringen. In einer sehr viel späteren Veröffentlichung hat Grandizo diese These weiter ausgearbeitet und Burnhams »managerial revolution« geradezu auf den Kopf gestellt: Die Manager in der Sowjetunion seien ebenso wie ihre westlichen Kollegen keine herrschende Klasse, sondern ein Symptom des Umstands, daß die alte Bourgeoisie geschwächt ist und darum reaktionäre Helfer ihre Geschäfte besorgen läßt.(29)

James/Dunayevskaya

Cyril Lionel Robert (C.L.R.) James, ein aus Trinidad stammender Revolutio­när, 1938 einer der Mitbegründer der Vierten Internationale,(30) und Raya Dunayevskaya (Pseudonym von Rae Spiegel), eine Amerikanerin, die einige Zeit zu Trotzkis Mitarbeiterinnen gehört hatte,(31) führten die »staatskapitali­stische« Opposition im amerikanischen Trotzkismus.

1940 hatte die Gruppe um James und Dunayevskaya - die auch nach deren Decknamen als Johnson-Forest-Tendenz bezeichnet wurde - mit Shachtman u.a. die Socialist Workers Party verlassen und die Workers Party gegründet. Die Debatte mit der Mehrheit in dieser neuen Organisation, die der Theorie des bürokratischen Kollektivismus anhing, wurde allmählich grundsätzlicher. 1948 schloß sich die Johnson-Forest-Tendenz merkwürdigerweise wieder der Socialist Workers Party an, bis 1951 der endgültige Bruch mit dem Trotzkis­mus folgte und die Gruppe ihre Aktivitäten selbständig unter dem Namen »Facing Reality« fortsetzte.(32)

Die allgemeine theoretische Entwicklung von James und Dunayevskaya in dieser Periode kann wie folgt zusammengefaßt werden: Um 1940 gelangten beide zu der Auffassung, daß Trotzkis Theorie des degenerierten Arbeiter­staats völlig unrichtig sei, da mit dieser Theorie das Eigentum des Staates an den Produktionsmitteln zu einem Fetisch im marxistischen Sinn (33)gemacht werde. Dieser partielle Bruch mit Trotzki war der Beginn einer zunehmenden Distanzierung von seiner Theorie insgesamt. James und Dunayevskaya be­gannen eine umfassende Reflexion über den Marxismus, seine Methoden und philosophischen Grundlagen, wobei sie - anders als in der angelsächsischen Tradition seinerzeit üblich - insbesondere zu einer von Marx' Quellen zurück­kehrten: Hegel.(34)

Gleichzeitig ging die Ablehnung von Trotzkis »Staatsfetischismus« einher mit einer starken Betonung des Einflusses der Produktionsverhältnisse auf das Leben des modernen Arbeiters. Die Gruppe publizierte Berichte von Arbeitern über ihre tägliche Arbeit(35) und versuchte, mehr im allgemeinen, die totalisie-rende hegelianisch-marxistische Sichtweise mit einer Darstellung »von unten her« zu verbinden.

Das Ergebnis war eine bis zu einem gewissen Maße eigene Theorie des Staatskapitalismus, die übrigens nicht ohne Schwierigkeiten entwickelt wur­de. Der erste Ansatz stammte von James; Dunayevskaya, die ökonomisch beschlagener war und russische Quellen zu Rate ziehen konnte,(36) verfeinerte die Analyse.

In seinem ersten Artikel zu diesem Thema führte James als wesentliches Argument für die Existenz von Staatskapitalismus in der Sowjetunion an, daß die Arbeiter und Bauern dort lohnabhängig seien:

»Diese Vorherrschaft von Lohnarbeit macht die Produktionsmittel zu Kapital. Die Produktionsmittel, die in ihrer Funktion als Kapital von einem Teil der Gesellschaft monopolisiert sind, haben ein unabhängiges Leben und eigenständige Bewegung.«(37)

James war sich jedoch gleichzeitig bewußt, daß Lohnarbeit auch während der ersten Jahre der Oktoberrevolution vorherrschte, als es sich nach seiner Auffassung noch um einen Arbeiterstaat handelte. Diesen logischen Wider­spruch löste er so auf:

»Gab es im leninistischen Rußland Lohnarbeit? Nur formal; oder ja und nein, wie es in einem Übergangsstadium unvermeidlich ist, aber eher nein als ja [...] Während in einer kapitalistischen Gesellschaft das grundlegende Verhältnis in Lohnarbeit einerseits und Produktionsmitteln in der Hand von Kapitalisten andererseits besteht, war das Verhältnis im leninistischen Rußland: einerseits nur die Form der Lohnarbeit, weil andererseits die Produktionsmittel in den Händen der Arbeiter waren, die dieses Eigentum mittels des Staates besaßen.«(38)

Faktisch, so scheinen wir hieraus ableiten zu können, ist es nicht die Lohnar­beit als solche, die eine Gesellschaft (staats)kapitalistisch macht - wie es aus dem ersten Zitat hervorzugehen scheint -, sondern die Verbindung von Lohn­arbeit und fehlender proletarischer Herrschaft.

Nachdem James in dieser Weise die Charakterisierung des Sowjetsystems als Staatskapitalismus begründet hatte, setzte er noch einen zweiten Schritt: Sind ökonomische und politische Macht in einem Punkt konzentriert (der zentrale Staat) und die Arbeiter und Bauern in kapitalistischem Sinn lohnab­hängig, dann, folgerte er logisch, handelt es sich um einen »nationalen Kapi­talisten«, einen Kapitalisten, der über ein ganzes Land verfügt, um Mehrwert zu pressen - und zwar nicht in der Form von Gewinn wie im Konkurrenzka­pitalismus, sondern in Form kapitalistischer (bürokratischer) »Löhne«.

Diese Behauptung wirft jedoch ein Problem auf. Ein Kapital, das nicht mit anderen Kapitalen konkurriert, ist kein Kapital im marxistischen Sinn. Wenn die Sowjetunion nicht aus mehreren Kapitalen, sondern nur aus einem Kapital besteht, wie kann dann noch von Konkurrenz auf dem Markt die Rede sein? In einem zweiten Artikel versuchte James, diese Frage zu beantworten. Er suchte die Lösung in einer neuen Richtung: dem Weltmarkt. Die Konkurrenz des nationalen Sowjetkapitals mit anderen Ländern und Kapitalen werde dafür sorgen, daß das Wertgesetz in der UdSSR in Kraft bleibe.

»[...] Stalinistische Ökonomie wird durch Löhne reguliert, und diese Löhne werden durch das Wertgesetz bestimmt. Aufgrund der enormen Kosten einer Klassengesell­schaft in der modernen Welt; der Notwendigkeit, mit anderen Staaten bei der andauern­den technischen Revolution der Produktion und der Konkurrenz auf dem Weltmarkt mitzuhalten; der Wahl zwischen Autarkie (mit enormem Anstieg der Produktionskosten) oder dem Eindringen in den Weltmarkt (und damit von all dessen Schwankungen abhängig zu sein); des imperialistischen Kampfs und einer rückständigen Ökonomie ­all dies zwingt Stalin, Arbeit genauso zu behandeln wie in Deutschland, sie als eine Ware zu behandeln, bezahlt zu den Kosten ihrer Produktion und Reproduktion.«(39)

Drei Aspekte scheinen in dieser nicht durchweg klaren Passage impliziert zu sein:

  1. Die UdSSR versucht, ihre eigenen Waren so billig wie möglich zu produ­zieren, um sie nicht auf dem Weltmarkt kaufen zu müssen und/oder um sie auf dem Weltmarkt verkaufen zu können (»die Notwendigkeit mitzuhal­ten«).

  2. Die UdSSR versucht, bestimmte Waren aus dem Ausland zu beziehen, weil deren Produktion im eigenen Land zu teuer wäre (»Autarkie [mit enormem Anstieg der Produktionskosten)«).

  3. Die Arbeitskraft in der UdSSR ist eine Ware, weil die Löhne dort so niedrig wie möglich gehalten werden (»bezahlt zu den Kosten ihrer Produktion und Reproduktion«).

Dunayevskaya vertiefte die von James vorgetragenen Argumente. Nachdem sie zuerst in drei Artikeln eine Fülle von Informationen aus russischen Quellen über die sozialökonomischen Verhältnisse in der UdSSR zusammengetragen und unter anderem aufzuzeigen versucht hatte, daß die neue herrschende Klasse - von ihr definiert als der »avancierteste« Teil der Intelligcntsia - 2,05 Prozent der Gesamtbevölkerung ausmache(40), entwickelte sie in einem dreitei­ligen Essay Ende 1946, Anfang 1947 eine recht systematische Theorie.

Ebenso wie zuvor Worrall begann Dunayevskaya mit einem »Beweis«, daß Marx den Staatskapitalismus als Möglichkeit erkannt habe. Sie berief sich auf eine andere Passage aus Das Kapital als der Australier, und zwar auf den Absatz, in dem über die äußerste Grenze der Kapitalzentralisation gesprochen wird: die Vereinigung des gesamten gesellschaftlichen Kapitals eines Landes in der Hand eines einzelnen Kapitalisten oder einer Kapitalgesellschaft.(41)

Danach versuchte Dunayevskaya - wiederum gleich Worrall - aufzuzeigen, daß in der UdSSR diese theoretische Möglichkeit Wirklichkeit geworden ist. Orthodox-marxistisch stellte sie fest, daß im Staatskapitalismus das Hauptge­setz des Kapitalismus - das Wertgesetz - gelten müsse, aber die Art und Weise, in der das Kapital sich den Mehrwert aneignet, anders als im »gewöhnlichen« Kapitalismus zu sein hat. Beides traf ihrer Meinung nach auf die UdSSR zu. Einerseits finde die Aneignung des Surplus auf neue Weise - über den zentralen Plan - statt, andererseits setze sich das Wertgesetz auf verschiedenen Wegen durch: der Gegensatz zwischen arm und reich ist gewachsen, die Arbeiter müssen bei Strafe des Verlusts ihres Lebensunterhalts ihre Arbeits­kraft zu ihrem Wert verkaufen, die Produktion von Produktionsmitteln ist wichtiger als die Produktion von Konsumgütern, es gibt (verborgene) Arbeits­losigkeit, es findet ein fortwährender Kampf mit anderen Kapitalisten um den Weltmarkt statt, und ständig entstehen Krisen aus ökonomischen Koordina­tionsproblemen.

Dies neue System war Dunayevskaya zufolge in der Mitte der dreißiger Jahre entstanden. Die Konterrevolution habe anders ausgesehen als die Mar­xisten erwartet hatten: nicht gewaltsam, sondern schleichend. Allmählich sind die Arbeiterrechte abgebaut worden. Dann haben Stachanowismus und Lei­stungslohn die Arbeiter von den Produktionsmitteln getrennt. Danach, 1936, ist die Macht der Bürokratie als herrschende Klasse über eine neue Verfassung legitimiert und während der großen Säuberungen die alte Garde der Bolsche-wiki eliminiert worden.

Die hier noch mehr oder minder beiläufigen Verweise auf den Stachanowis­mus und die vollständige Trennung zwischen Arbeitern und Produktionsmit­teln wurden in den folgenden Veröffentlichungen von James und Duna­yevskaya stärker betont - parallel zu dem erwähnten zunehmenden Interesse an der täglichen Arbeit der modernen Arbeiter. In seiner Broschüre State Capitalism and World Revolution aus dem Jahr 1950 konstruiert James eine vollständige Analogie zwischen hochentwickelten US-amerikanischen Betrie­ben wie Ford einerseits und dem Sowjet-Staatskapitalismus nach 1936 ande­rerseits. Beide Organisationen zwängen die Arbeiter auf gleiche Weise (Fließ­band, Leistungslohn usw.) zu stumpfsinniger Arbeit, während die Kenntnis des Produktionsprozesses an anderer Stelle, in den bürokratischen Apparaten, konzentriert sei und systematisch angewendet werde, um den Akkumulations­prozeß zu fördern und die Arbeiter zu disziplinieren.(42)

Die verschiedenen relevanten Publikationen von James und Dunayevskaya zusammengenommen ergeben ein Bild von der Sowjetunion als ein durch eine Fusion von Staat und Kapital entstandener gigantischer kapitalistischer Kon­zern, der über die zentralisierte Planung seine eigenen Arbeiter unterdrückt und ausbeutet und der auf dem Weltmarkt mit anderen Konzernen und Ländern konkurriert.

Castoriadis/Lefort

Seit 1946 bildeten der aus Griechenland stammende Ökonom Cornelius Ca-storiadis und der dem Kreis um Merleau-Ponty entstammende Philosoph Claude Lefort eine Opposition in der französischen Sektion der Vierten Internationale.(43) Nach ihren Organisationsnamen wurde die Gruppe als Ten­denz Chaulieu-Montal bezeichnet. In zwei internen Diskussionspapieren aus den Jahren 1946 bzw. 1947 präsentierten sie ihre dissidenten Positionen. Sie distanzierten sich von der trotzkistischen Auffassung, daß die Sowjetunion ungeachtet ihrer vielen Mängel doch - als Arbeiterstaat - gegen den Kapita­lismus verteidigt werden müsse, und sie behaupteten, daß in der Sowjetunion eine neue Elite, die Bürokratie, im vollständigen Besitz der Macht sei und diese Elite ausschließlich ihre eigenen Interessen, nicht aber die der Arbeiter vertrete. Die Sowjetunion bilde einen neuen Gesellschaftstyp, der ebenso wie der westliche Kapitalismus nach Expansion strebe.(44)

Die Ausführungen von Castoriadis und Lefort wiesen anfänglich in die Richtung einer nicht weiter ausgearbeiteten Variante der Theorie des Staats­kapitalismus. Von 1948/49 an bezeichneten sie jedoch die von Stalin be­herrschte Gesellschaft als »bürokratischen Kollektivismus«, ohne es für nötig zu erachten, diesen Kurswechsel zu begründen. Die Ursache dieser Beliebig­keit, mit der sie die UdSSR mit diesem oder auch jenem »Etikett« versahen, wurde besonders deutlich, als 1949 die ersten Ausgaben der Zeitschrift Socia-lisme ou Barbarie erschienen, die Castoriadis, Lefort u.a. nach ihrem im Jahr zuvor erfolgten Austritt aus der Vierten Internationale herausgaben. Hier betonten die Dissidenten nun, daß in der Sowjetunion Ausbeutung und Unter­drückung bestehen; die Frage nach deren exakten ökonomisch-theoretischen Implikationen bewegte sie erheblich weniger.

Ausbeutung wurde von Castoriadis definiert als: das gesellschaftliche Ver­hältnis, in dem eine soziale Gruppe kraft ihrer speziellen Beziehungen zum Produktionsapparat in der Lage ist, sich einen Teil des gesellschaftlichen Produkts, dessen Umfang nicht dem eigenen Beitrag zu diesem Produktions­prozeß entspricht, anzueignen. Die Sowjetbürokratie ist seiner Meinung nach eine solche ausbeutende soziale Gruppe, denn sie verfügt über die Produk­tionsmittel und Verteilungswege und verwaltet den gesellschaftlichen Kon­sumtionsfonds. Sie verkörpert daher die Herrschaft der toten über die leben­dige Arbeit. Daß sie - im Gegensatz zur traditionellen Bourgeoisie - als Kollektiv herrscht und ausbeutet, macht die Sowjetunion nicht minder kapi­talistisch, denn kapitalistische Ausbeutung beinhaltet,

»daß die Produzenten weder individuell über die Produktionsmittel verfügen (Handwer­ker) noch kollektiv (Sozialismus); daß die lebendige Arbeit nicht die tote Arbeit beherrscht, sondern im Gegenteil durch die Individuen, die sie [die tote Arbeit - Anm. d. Übers.] verkörpern, beherrscht werden (die Kapitalisten).«(45)

Natürlich verändert der Umstand, daß es in der UdSSR nur einen allmächtigen Arbeitgeber gibt, die Position der Arbeiter. Denn während die Lohnabhängi­gen im Konkurrenzkapitalismus ihren Herrn wechseln können, ist die Freiheit der sowjetischen Arbeiter beschränkt: Im allgemeinen können sie weder Arbeit noch Wohnort, geschweige denn ihr Land verlassen. In diesem Sinn gleicht ihre Position etwa der von Leibeigenen.

Mit diesen beschränkten Bewegungsmöglichkeiten der Arbeiter hängt zu­sammen, daß ihrer Ausbeutung kaum Grenzen gesetzt sind. Während im Konkurrenzkapitalismus die Höhe des Lohns und andere Arbeitsbedingungen zwischen Kapital und Arbeit ausgehandelt werden, bestimmt die Sowjetbüro­kratie einseitig die Konditionen. Sie ist dabei naturgemäß an bestimmte Grenzen gebunden (z.B. das physiologische Minimum, das Arbeiter am Leben hält), aber ihr Manövrierraum bleibt außerordentlich groß.

Die Arbeiter ihrerseits, ihrer autonomen Organisationen beraubt und auf ein Existenzminimum niedergedrückt, sehen nur zwei Möglichkeiten zum Wider­stand: Diebstahl (von Halb- und Endprodukten, Werkzeugen usw.) und Gleich­gültigkeit, wie sie sich u.a. in fehlerhaften Produkten äußert.

Dieser ganze Zustand - der als Kombination vollständiger Machtkonzen­tration bei einer kleinen sozialen Gruppe mit einer »fürchterlichen Krise der menschlichen Arbeitsproduktivität«(46) charakterisiert werden könne - ist den sowjetischen Arbeitern in gewissem Sinne selbst anzulasten. Sie haben nicht begriffen, daß die nach 1917 durchgeführte Enteignung der Kapitalisten nur die »negative Hälfte« einer proletarischen Revolution gewesen ist. Die posi­tive Hälfte besteht jedoch in der Übertragung aller Macht an die Arbeiterklas­se. Die sowjetischen Arbeiter sind von diesem Verständnis noch nicht durch­drungen gewesen, so daß ihr eigenes Handeln (eigentlich: ihr Nichthandeln) die Bürokratie an die Macht gebracht hat:

»Nachdem sie die bürgerliche Regierung gestürzt hatten, nachdem sie die Kapitalisten - oft ungeachtet des und gegen den Willen der bolschewistischen Regierung - enteignet hatten, nachdem sie die Fabriken besetzt hatten, glaubten die Arbeiter, daß es ganz selbstverständlich sei, die Führung der Regierung zu überlassen, der bolschewistischen Partei und den Gewerkschaftsführern. Auf diese Weise gab das Proletariat selbst seine Hauptrolle in der neuen Gesellschaft, die es schaffen wollte, preis.«(47)

Castoriadis und Lefort stellten zwar eine Anzahl von Fragen nicht, die für James und Dunayevskaya gerade von großer Bedeutung gewesen waren (z.B. die Frage des Weltmarkts), aber ihre Akzentuierung der Machtverhältnisse auf der Betriebsebene erinnerte sehr an die Johnson-Forest-Tendenz. Es kann darum auch kaum erstaunen, daß Chaulieu-Montal und Johnson-Forest mit­einander Kontakt unterhielten, daß Socialisme ou Barbarie Veröffentlichun­gen der Amerikaner übernahm und Castoriadis und Dunayevskaya noch in den sechziger Jahren zusammenarbeiteten.(48)

Cliff

Der aus Palästina stammende Trotzkist Ygael Gluckstein - er publiziert unter dem Decknamen Tony Cliff49 - führte seit etwa 1947 eine »staatskapitalisti­sche« Opposition in der britischen Sektion der Vierten Internationale. Nach­dem er seit 1946 zunächst sowohl die Theorie des degenerierten Arbeiterstaats wie die Theorie des bürokratischen Kollektivismus kritisiert hatte, publizierte er 1948 eine umfangreiche Darstellung seiner eigenen Auffassungen unter dem Titel The Nature of Stalinist Russia - ein Werk, das in überarbeiteter und erweiterter Form bis in die achtziger Jahre mehrfach neu aufgelegt wurde.

Die Ereignisse in Osteuropa nach 1944 hatten Cliff zur Überprüfung seiner bisherigen politischen Position veranlaßt. Wenn, wie von einigen behauptet wurde, die Pufferstaaten Arbeiterstaaten sind, dann, folgerte er, ist Stalin faktisch der Mann, der dort die proletarischen Revolutionen verwirklicht hatte. Wäre das aber der Fall, wäre es auch möglich, Arbeiterstaaten ohne proletarische Selbsttätigkeit aufzubauen. Cliff sah sich damit vor die Alterna­tive gestellt: Entweder besteht das osteuropäische Glacis aus Arbeiterstaaten, und dann kann die Befreiung der Arbeiter auch das Werk anderer als das ihre sein; oder die Arbeiterklasse kann sich nur selbst befreien, und dann ist die Theorie des degenerierten Arbeiterstaats unhaltbar. Seine Entscheidung stand damit fest:

»Als ich zur Theorie des Staatskapitalismus kam, war dies keine Folge einer langen Analyse des Wertgesetzes in Rußland oder der Wirtschaftsstatistiken in Rußland. Nichts dieser Art. Ich kam zu dieser Theorie durch die simple Feststellung, daß, wenn die Emanzipation der Arbeiterklasse die Tat der Arbeiterklasse ist, man keinen Arbeiterstaat haben kann, ohne daß die Arbeiter die Macht haben zu bestimmen, was in der Gesell­schaft geschieht.
So hatte ich zu wählen zwischen dem, was Trotzki sagte - das Wesentliche bei Trotzki ist die Selbsttätigkeit der Arbeiter -, oder den Eigentumsverhältnissen. Ich entschied mich, die Eigentumsform als die Frage bestimmend auszuschließen.«(50)

Cliff knüpfte an den von Trotzki vor 1933 vertretenen Standpunkt an, daß es nur dann sinnvoll ist, von einem Arbeiterstaat zu sprechen, wenn die Arbei­terklasse die politische Macht ausübt und im Besitz der direkten Herrschaft über die Produktionsmittel ist. Sobald dies nicht mehr gegeben ist, könne man auch nicht mehr von einem Arbeiterstaat sprechen, ob man diesen nun »dege­neriert« nenne oder nicht. In diesem Sinn könne für die Periode 1917-28 noch von einem Arbeiterstaat gesprochen werden - wenn auch mit einer sich gesellschaftlich verselbständigenden Bürokratie -, doch nicht mehr für die Zeit danach. Der erste Fünfjahresplan war eine revolutionäre, qualitative Veränderung: Die Bürokratie begann in diesem Moment in hohem Tempo den historischen Auftrag der Bourgeoisie (die Schaffung eines umfangreichen Proletariats und die Akkumulation von Kapital) auszuführen.(51)

Der unter Stalin konsolidierte Staatskapitalismus wurde von Cliff als »die äußerste theoretische Grenze, die der Kapitalismus erreichen kann«(52) , be­zeichnet. So wie der Arbeiterstaat die Übergangsphase zum Sozialismus jenseits der proletarischen Revolution verkörpert, ist der Sowjet-Staatskapi­talismus die letzte Übergangsphase des Kapitalismus vor dieser Revolution. Schematisiert kann man diesen Gedanken so wiedergeben:

Wahrend der Übergang vom Staatskapitalismus zum Arbeiterstaat notwendig gewaltsam ist, da das bürgerliche Militär der herrschenden Klasse nicht allmählich entrissen werden kann, ist der umgekehrte Übergang, wie etwa 1928 in der UdSSR, auch ohne Gewalt möglich. Erforderlich ist hierfür ausschließlich, daß die interne Demokratie im Militär allmählich abgebaut und durch eine von der Arbeiterklasse nicht zu kontrollierende Befehlsstruktur ersetzt wird.(53)

Worin besteht dieser Staatskapitalismus? Cliff, der offenbar die zeitgenös­sische Literatur aufmerksam studiert hat,(54) verbindet Elemente verschiedener früherer marxistischer Beiträge zu einem eigenen, sehr geschlossen wirkenden Ganzen. Mit Hilferding ist er der Meinung, daß der Preismechanismus in der Sowjetunion nicht Ausdruck autonomer ökonomischer Aktivität ist, sondern nur ein (nicht völlig willkürlich angewendetes) Instrument, mit dem der Staatsapparat Produktion und Arbeitsteilung der gesamten Gesellschaft regu­liert. Mit Dunayevskaya und James teilt er die Auffassung, daß die einzelnen Unternehmen in der UdSSR keine autonomen ökonomischen Einheiten bilden, sondern nur kleine Teile eines größeren Ganzen sind. Betrachtet man die Sowjetunion isoliert, also ohne den internationalen Kontext einzubeziehen, dann gleicht sie buchstäblich einer großen Fabrik, die von einem zentralen Punkt aus geleitet wird. Der kapitalistische Charakter dieses großen Staatsbe­triebs wird erst deutlich, wenn man die Weltverhältnisse in die Analyse einbezieht; dann wird sichtbar, daß sich die Sowjetunion in einer Lage befin­det, die mit jedem einzelnen kapitalistischen Unternehmen, das unter Konkur­renzverhältnissen zu bestehen versucht, vergleichbar ist.

Cliff beläßt es jedoch nicht bei dieser Feststellung. Während James und Dunayevskaya die genaue Art des Wettstreits zwischen der UdSSR und ihren äußeren Konkurrenten in ihre Untersuchung nicht einbezogen hatten, entwik-kelt Cliff hierzu eine eigene Theorie. Sein Ausgangspunkt ist die folgende Beobachtung:

»Bisher war Rußlands Wirtschaft zu rückständig, um den Weltmarkt mit ihren Waren zu überschwemmen. Sein eigener Markt ist gegen die Überschwemmung durch fremde Waren mit dem Mittel des Staatsmonopols über den Außenhandel geschützt, das nur mit militärischer Macht zerstört werden kann.«(55)

Dieser Umstand könnte annehmen lassen, daß die Sowjetunion als Kapital nicht mit anderem Kapital konkurriert. Und wenn dies der Fall ist, könnte dann noch sinnvoll von »Kapital« gesprochen werden? Cliff meint, diesen Einwand durch die Behauptung entkräften zu können, daß die internationale Konkur­renz nicht im Austausch von Waren, sondern von Gebrauchswerten in Form von Waffen besteht. Diese »Innovation« des Marxschen Wertgesetzes - in dem nur von Konkurrenz über realisierten Wert (effektiver Verkauf von Waren) die Rede ist - wird von Cliff wie folgt verteidigt:

»Wert ist der Ausdruck des Wettbewerbs zwischen unabhängigen Produzenten; Ruß­lands Wettbewerb mit dem Rest der Welt drückt sich aus in der Erhöhung des Gebrauchs­wertes als eines Zwecks, der dem endgültigen Zweck des Sieges in diesem Wettbewerb dient. Gebrauchswerte, während sie ein Zweck sind, bleiben immer noch ein Mittel.«(56)

Bordiga

Amadeo Bordiga (1889-1970), der ehemalige Führer der Kommunistischen Partei Italiens, der 1930 aus dieser Organisation ausgeschlossen worden war, hatte bis zum endgültigen Sturz Mussolinis ein fast vollständiges Schweigen über politische Themen gewahrt.(57) Unmittelbar nach dem Zweiten Weltkrieg, als sich sein Einfluß nur noch auf einige marginale politische Gruppierungen in u.a. Frankreich und Italien erstreckte, begann er jedoch eine umfangreiche publizistische Tätigkeit zu entfalten. Marxistische »Invarianz« (die Unverän-derlichkeit historisch-materialistischer Prinzipien, wie er sie interpretierte) stark betonend, sah Bordiga seine vornehmste Aufgabe darin, Lehren aus der jüngsten Geschichte zu ziehen.

In diesem Prozeß kritischer historischer Rekonstruktion nahm die Analyse der aus der Oktoberrevolution entstandenen Gesellschaft einen zentralen Platz ein. Von 1946 bis zu seinem Tod 1970 publizierte Bordiga eine beeindrucken­de Anzahl von Artikeln über die Sowjetunion, die später häufig in Buchform zusammengefaßt erschienen. Der Höhepunkt dieses Werkes liegt, nach Rie­chers Worten, zwischen Stalins Tod 1953 und dem Start des Sputnik 1957.(58) Bordiga unterschied sich von den meisten anderen Marxisten dieser Zeit durch sein Bestreben, auch einen detaillierten empirischen Einblick in die Verhält­nisse in der UdSSR zu gewinnen.

Abgesehen von einem frühen Essay, der unter dem Pseudonym »Alfa«(59) erschien, sind Bordigas wichtige (meist anonym publizierte) Beiträge in zwei Kategorien einzuteilen. Erstens: Vorträge, die er bei Zusammenkünften »sei­ner« politischen Partei, der Partito Comunista Internazionalista, hielt. Diese offenbar sehr umfangreichen Ausführungen wurden in Fortsetzungen in dem Parteiorgan // Programma Comunista publiziert. Wesentlich sind vor allem:

  • Die Rede auf einem Treffen in Bologna am 31. Oktober und 1. November 1954, die unter dem Titel »Russia e rivoluzione nella teoria marxista« (60) erschienen ist.
  • Die Reden auf den Treffen in Neapel am 24. und 25. April 1955 und in Genua am 6. und 7. August 1955, die unter dem Titel »Struttura economica e sociale della Russia d'oggi«/61) publiziert wurden.

Sodann die imaginären Dialoge. Jedes dieser Zwiegespräche - die jedoch eher Monologen gleichen - ist in drei »Tage« eingeteilt und erläutert den Stand­punkt des Autors zu einem sowjetischen Text. Die betreffenden Publikationen sind:

  • »Dialogato con Stalin« (1952), eine Kritik an Stalins Essay »Ökonomische Probleme des Sozialismus in der UdSSR« aus demselben Jahr (62) und
  • »Dialogato coi morti« (1956), eine Reaktion auf Chruschtschows Enthül­lungen während des XX. Parteikongresses der KPdSU.(63)

Daneben ließ Bordiga Betrachtungen über etliche andere Themen erscheinen, in denen er mehr oder weniger nebenbei auch auf den Stalinismus und die Sowjetgesellschaft eingeht.(64)

Die Konzentration auf die Entwicklung der Sowjetunion, die aus Bordigas spätem Werk ersichtlich ist, wurde von der gesamten »bordigistischen« Strö­mung geteilt. Dies ging so weit, daß ein tiefgreifender Meinungsunterschied über den Stalinismus 1952 zur Spaltung führte.(65)

Bordiga begreift die Revolution von 1917 primär als eine antifeudale, d.h. bürgerliche Umwälzung, in der die Bourgeoisie (der er auch die Bauern zuschlägt) und das Proletariat ein befristetes Bündnis eingegangen sind. Eine solche bürgerliche Revolution mit starkem Arbeitereinfluß könne zu drei Ergebnissen führen:

  1. Der Sieg, der primär einen Sieg für das Bürgertum impliziert, wird von der Arbeiterbewegung in eine proletarische Revolution umgewandelt; dies ist Marx' Modell der »Revolution in Permanenz«.

  2. Dem Sieg folgt eine Konsolidierung der bürgerlichen Herrschaft.

  3. Die Niederlage, welche die Wiederherstellung der alten absolutistischen Ordnung zur Folge hat.(66)

Die Bolschewiki haben den ersten Weg angestrebt, aber sie sind gescheitert. Die internationale Bourgeoisie verstand es - wegen des Abebbens revolutio­nären Elans namentlich in West- und Mitteleuropa und der damit verbundenen Isolierung der Sowjetgesellschaft -, im Lauf der zwanziger Jahre die zweite Variante zum Sieg zu führen. Dies geschah in augenscheinlich unblutiger Weise, ohne formelle Ersetzung der machthabenden Elite, während »einer langen Periode der Involution«(67). Die feudalen Ketten wurden so binnen kurzem von einem sich gewaltsam entwickelnden Kapitalismus beseitigt.

Während Trotzki und andere die Sowjetunion als einen nichtkapitalisti-schen Komplex einschätzten und Cliff und andere einen entwickelten Kapita­lismus wahrnahmen, handelte es sich Bordiga zufolge um einen sehr frühen Kapitalismus, in seinen eigenen Worten: einen »Übergang nicht weg vom, sondern hin zum Kapitalismus«(68). Noch 1952 verglich Bordiga das Entwick­lungsniveau der Sowjetgesellschaft mit dem Deutschlands, Österreichs und Italiens nach 1848.(69)

Bei seiner Charakterisierung der Verhältnisse in der Sowjetunion als frühem Kapitalismus geht Bordiga von einem sehr eigensinnigen Kapitalismus- Be­griff aus. Soziologische Faktoren, wie zum Beispiel die Existenz oder Nicht-existenz einer herrschenden Klasse, oder politische Faktoren, wie die Art der Staatsintervention, spielen seiner Auffassung nach keine Rolle bei der Defi­nition. Um Kapitalismus handelt es sich für ihn immer dann, wenn eine Ökonomie aus Unternehmen aufgebaut ist, die ihre Einkünfte und Ausgaben in einem allgemeinen quantitativen Äquivalent (»Geld«) ausdrücken und einen größtmöglichen Unterschied zwischen Einsatz und Ergebnis (»Ge­winn«) anstreben. Diese Beschreibung ist unabhängig von der Frage, wer sich diesen »Gewinn« aneignet:

»Um Kapitalismus handelt es sich stets, wenn Produkte auf den Markt gebracht oder jedenfalls als Aktiva des Betriebes, der eine selbständige, allerdings sehr große ökono­mische Insel ist, 'verbucht' werden, während der Lohn der Arbeiter auf die Seite der Passiva gebracht wird. Die bürgerliche Ökonomie ist Ökonomie mit doppelter Buchfüh­rung. Das bürgerliche Individuum ist nicht ein Mensch, es ist eine Firma.«(70)

»Wir begreifen jedes System der Warenproduktion in der modernen Welt, d.h. in der Welt der assoziierten Arbeit bzw. der Zusammenfassung von Arbeitern in Produktions­betrieben, als kapitalistische Ökonomie.«(71)

Auf Grund dieser Definition fiel es Bordiga selbstredend nicht schwer, kon­sequent logisch den kapitalistischen Charakter der Sowjetgesellschaft zu »beweisen«.

Der Umstand, daß der Sowjetstaat qualitativ anders geartet war als die Staaten des »gewöhnlichen« Kapitalismus, kümmerte Bordiga, wie gesagt, wenig. Der Staat gehöre zum Überbau und könne deshalb bei der Charakteri­sierung der Produktionsverhältnisse keine bedeutende Rolle spielen. Der Staat in der UdSSR verkörpere darüber hinaus nicht die Macht einer selbständigen Klasse - er könne höchstens als der Vertreter einer solchen Macht angesehen werden. Sich gegen Burnham absetzend behauptete Bordiga, daß Staatsbüro­kratien durch die ganze Geschichte hindurch nur Instrumente der herrschen­den Klasse gewesen seien, aber niemals selbst eine herrschende Klasse ver­körpert hätten. Darüber hinaus verliere das Reden über eine herrschende Bürokratie auch noch aus einem anderen Grunde jeden Sinn: Die Mehrheit der Bevölkerung stehe doch im Dienst des Staates.(72)

Obwohl der Kapitalismus triumphiert habe, sei doch keine neue Kapitali­stenklasse entstanden. Der Staat sei nur ein Vermittler, ein »canale emulatore«, durch den die Arbeiterklasse ausgebeutet und unterdrückt werde. Die wahren Profiteure dieses Zustands seien die russischen Bauern und die internationalen Bourgeoisien.(73)

Anmerkungen

22) to the worsening of the economic, political and social positions of the working class, and the triumph of a tyrannical and privileged aristocracy. If this trend continues, he said, the revolution will be at an end and the restauration of capitalism will be achieved.
That, unfortunately, is what has happened even if in new and unexpected forms. There is hardly a country in the world where the authentic ideas and bearers of socialism are so barbarously hounded. It should be clear to everyone that the revolution has been completely destroyed by Stalinism. Yet you continue to say that under this unspeakable regime, Russia is still a workers' State. I consider this a blow at socialism.« - »Text of Letter to SWPfrom Natalia Trotsky«, The Militant, 4. Juni 1951. Zusammen mit diesem Brief wurde eine »Answer of SWP to Natalia Trotsky's Letter« publiziert. Kommentar von Max Shachtman in dessen »Comrade Natalia's Indictment«, Labor Action, 11. Juni 1951.
23) Grandizo war ein Abkömmling spanischer Emigranten in Mexiko. 1930 kehrte er nach Spanien zurück und wurde dort politisch aktiv. Siehe Pierre Broue\ »Le Mouve-ment trotskyste en Amerique Latine jusqu'en 1940«, Cahiers Lion Trotsky, Nr. 11 (1982), S. 16, Anm.; Concha Gramonte, »Esbozo biografico revolucionario de G. Munis« = Appendix II in: G. Munis, Jalones de derrota, promesa de victoria. Crltica y teorta de la Revolution Espahola, Bilbao/Madrid (Edita Zero) 1977, S. 513-517; »Grandizo Munis (1912-1989)«, Revolutionary History, Jg. 2, Nr. 2 (Sommer 1989).
24) Im Text nicht vorhanden / red. trend; L. Sinclair, The IS-Papers (Typoskript IISG), o.O., o.J., Bd. II, S. 338; Rodolphe Prager (Hg.), Les Congris de la IVe Internationale, Bd. 1: Naissance de IVe Internatio­nale, Paris (Ed. La Breche) 1978, S. 432.
25) Die Angabe, daß Peralta ein Pseudonym von Peret (1899-1959) war, ist hand­schriftlich vermerkt in dem im IISG vorliegenden Exemplar von Peralta, Le »Manifeste« des Exegites, Mexico, D.F. (Editorial »Revoluciön«) 1946. Die Notiz lautet: »Peralta: Pseudönimo empleado en Mexico y como militante de Fomento Obrero Revolucionario, por el poeta frances surrealista Benjamin Pe'ret. G. Munis«. Siehe über Peret: Jean-Mi­chel Goutier u.a., Benjamin Pe'ret, Paris (Ed. Henri Veyrier) 1982.
26) »Manifeste de la Conference d'Avril 1946 de lalVe Internationale aux travailleurs, exploites et peuples coloniaux du monde entier«, Quatrieme Internationale, Mai 1946.
27) Peralta, Le »manifeste« des exegites, S. 3-9.
28) G. Munis, Les rivolutionnaires devant la Russie et le stalinisme mondial, Mexico D.F. (Editorial »Revoluciön«) 1946. In spanischer Sprache erschienen unter dem Titel Los revolutionäres ante Rusia y el stalinismo mundial, Mexico D.F. (Editorial »Revo­luciön«) 1946.
29) G. Munis, Parti-Etat, Stalinisme, Revolution, Paris (Spartacus) 1975, besonders S. 48-62.
30) James (1901-1989) zog 1932 von Trinidad nach Großbritannien, wo er als Cricket-Reporter tätig war. Gründete 1936 mit anderen die trotzkistische Revolutionary Socialist League und gehörte 1938 zu den Teilnehmerinnen der Gründungsversammlung der Vierten Internationale. Seit Ende 1938 wohnte James in den Vereinigten Staaten. Wurde 1952 interniert und 1953 aus den USA verbannt. Blieb danach fünf Jahre in Großbritannien und kehrte 1958 zurück nach Trinidad, wo er einige Jahre lang Sekretär der westindischen Federal Labour Party war. James ist vor allem als Theoretiker der schwarzen Befreiungskampfs bekannt geworden und als Autor von u.a. The Black Jacobins. Toussaint L'Ouverture and the San Domingo revolution (1938). Siehe Paul Buhle (Hg.), C.L.R. James: His Life and Work, London/New York (Allison & Busby) 1986; Paul Buhle, C.L.R. James. The Artist as Revolutionary, London (Verso) 1988; Anna Grimshaw, »C.L.R. James (1901-1989)«, Revolutionary History, Jg. 2, Nr. 3 (Herbst 1989).
31) Biographische Angaben in: »Rae Spiegel (Raya Dunayevskaya) (1910-1987)«, Cahiers Lion Trotsky, Nr. 31 (September 1987). Siehe auch Mihailo Markovid", »Raya Dunayevskaya: Great Socialist Humanist Who Lived Her Philosophy All Her Life«, Praxis International, 8 (1988).
32) Es gibt meines Wissens keine gute Monographie über die Geschichte der John-
son-Forest-Tendenz. Die Angaben in den verschiedenen diesbezüglichen Publikationen stimmen nicht immer überein, insbesondere was den erneuten Anschluß an die Vierte Internationale betrifft. W. Jerome und A. Buick (»Soviet State Capitalism? The History of an Idea«, Survey, Nr. 62 (1967), S. 68) schreiben: »In 1947, this group Johnson-Forest rejoined the SWP, but left again in 1951«; Constance Ashton Myers (The Prophet's Army. Trotskyists in America, 1928-1941, Westport, Conn. (Greenwood Press) 1977, S. 200) schreibt: »C.L.R. James, having left with Shachtman came back to the Socialist Workers Party for two years, 1948 and 1949, only to be expelled«; Cedric J. Robinson (Black Marxism. The Making of the Black Radical Tradition, London (Zed Books) 1983, S. 389) schreibt: »Then, in 1942, [...] a group centring around James and Raya Dunay­evskaya, the Johnson-Forest Tendency, had left the >Shachtmanites<. Later, in 1949 or so [sie], the Johnson-Forest Tendency would rejoin the SWP only to become resolutely independent again two years later.« Ich selbst stützte mich auf die Angaben von James. Im Vorwort zur zweiten Auflage von C.L.R. James/F. Forest [Raya Dunayevskaya]/Ria Stone [Grace Lee], The Invading Socialist Society, Detroit (Bewick) 1972, S. I, schreibt er: »The Johnson-Forest Tendency was a grouping in the Trotskyist movement which split off from the Socialist Workers Party in 1940 and went with what became the Workers Party. However, inside the Workers Party, the movement found it necessary to clarify its positions, not only against the eclectic jumps of Max Shachtman; we found it imperative to clarify our positions against those of Trotsky, positions which the Socialist Workers Party was repeating with ritual emphasis. It was in the course of doing this that in 1947 we published The Invading Socialist Society. But precisely our serious attitude to the fundamentals of Marxism led us to leave the happy-go-lucky improvizations of the Workers Party, and in 1948, to return to the Socialist Workers Party.« Und in dem aus dem Jahr 1967 stammenden Artikel »Black Power«, erneut publiziert in: C.L.R. James, Spheres ofExistence. Selected Writings, London (Allison & Busby) 1980, S. 235, schreibt er: »[...] in 1951 my friends and I broke irrevocably and fundamentally with the premises of trotskyism«.
33) »Um daher eine Analogie zu finden, müssen wir in die Nebelregion der religiösen Welt flüchten. Hier scheinen die Produkte des menschlichen Kopfes mit eignem Leben begabte [...]. So in der Warenwelt die Produkte der menschlichen Hand. Dies nenne ich den Fetischismus, der den Arbeitsprodukten anklebt, sobald sie als Waren produziert werden«. - Karl Marx, Das Kapital, Bd. I = MEW, Bd. 23, S. 86-87.
34) Vergleiche insbesondere C.L.R. James, Notes on Dialectics, ursprünglich 1948 publiziert, erneut herausgegeben 1980 (London, Allison & Busby). In diesem Buch verwendet James Hegels Wissenschaft der Logik als Leitfaden für eine dialektische Kritik des Trotzkismus.
35) Am bekanntesten geworden ist ein »Egodokument« des Arbeiters »Paul Roma­no«: Paul Romano/Ria Stone [Grace Lee], The American Worker, Detroit (Facing Reality Publishing Committee) 1946.
36) Siehe ihre Artikel »ANew Revision of Marxian Economics«, American Economic Review, September 1944, und »Revision or Reaffirmation of Marxism«, American Economic Review, September 1945.
37). »This predominance of wage-labor makes the means of produetion capital. The means of produetion, monopolized by a section of society, in their röle of capital, have an independent life and movement of their own.« - J.R. Johnson [C.L.R. James], »Russia - A Fascist State«, The New International, April 1941, S. 55.
38). »Was there wage-labor in Leninist Russia? In form only; or yes and no, as is inevitable in a transitional State, but more no than yes. [...] Whereas in acapitalist society the basic relationship is on the one hand wage-labor and on the other hand means of produetion in the hands of the capitalist class, in Leninist Russia the relationship was:
the form of wage-labor only on the one hand because on the other were the means of produetion in the hands of the laborer who owned the property through the State.« -Ebd., S. 56.
39) »[...] Stalinist economy is regulated by wages and those wages are governed by the law of value. For, owing to the enormous expenses of a class society in the modern world; the need to keep up with other states in the constant technical revolutions of produetion and the competition on the world market; the choice between autarchy (with enormous increase in cost of produetion) or penetration into the world market (and being thereby subjected to all its fluetuations); the Imperialist struggle and a backward economy; all these compel Stalin to treat labor exactly as in Germany, to treat it as a commodity, paid for at the cost of its produetion and reproduetion.« - J.R. Johnson [C.L.R. James], »Russia and Marxism«, The New International, September 1941, S. 214.
40). F. Forest [Raya Dunayevskaya], »An Analysis of Russian Economy«, The New International, Dezember 1942, Januar 1943, und Februar 1943. Hier: dritter Aufsatz, S. 57.
41) »In einem gegebnen Geschäftszweig hätte die Zentralisation ihre äußerste Grenze erreicht, wenn alle darin angelegten Kapitale zu einem Einzelkapital verschmolzen wären. In einer gegebnen Gesellschaft wäre diese Grenze erreicht erst in dem Augen­blick, wo das gesamte gesellschaftliche Kapital vereinigt wäre in der Hand, sei es eines einzelnen Kapitalisten, sei es einer einzigen Kapitalistengesellschaft«. - Karl Marx, Das Kapital, Bd. I = MEW, Bd. 23, S. 655-656.
42) C.L.R. James, State Capitalism and World Revolution, Detroit (Facing Reality Publishing Committee) 31969, S. 39-46.
43) Der griechische Ökonom Castoriadis (geb. 1922) war nach kurzer Mitgliedschaft in der kommunistischen Jugendorganisation in die trotzkistische Gruppe um Spiros Stinas eingetreten. 1945 emigrierte er nach Paris, wo er lange Zeit bei der OECD arbeitete und gleichzeitig unter einem Pseudonym in revolutionär-sozialistischen Krei­sen aktiv war.
Lefort (geb. 1924) hatte schon als Schüler 1943 im Untergrund eine zum Trotzkismus neigende Gruppe gegründet. Er studierte Philosophie, sein wichtigster Lehrer war Maurice Merleau-Ponty. Seit 1946 arbeiteten er und Castoriadis politisch zusammen.
Siehe »An Interview with Cornelius Castoriadis«, Telos, Nr. 23 (Frühjahr 1975); »An Interview with Claude Lefort«, Telos, Nr. 30 (Winter 1976-77); Andre Liebich, »Socia-lisme ou Barbarie. A Radical Critique of Bureaucracy«, Our Generation, Bd. 12, Nr. 2 (Herbst 1977); Fabio Ciaramelli, »>Socialisme ou Barbarie< e la questione sovietica«, MondOperaio, 40 (1987), Nr. 1, und verschiedene Beiträge in: G. Busino u.a., Autono­mie et autotransformation de la soeiiti. La Philosophie militante de Cornelius Casto­riadis, Genf (Droz) 1989.
44). Pierre Chaulieu [Cornelius Castoriadis]/Claude Montal [Claude Lefort], »Sur le regime et contre la defense de l'URSS«, Bulletin Interieur der PCI. (Französische Sektion der IV. Internationale), Nr. 31 (August 1946); dieselben, »Le probleme de l'URSS et la possibilite d'une troisieme solution historique«, in: L'URSS au lendemain de la guerre. Matiriel de discussionpriparatoire au Ile congris de la IVe Internationale, Bd. III (Februar 1947). Beide wieder gedruckt in: Cornelius Castoriadis, La Soeiiti bureaucratique. Bd. I: Les rapports de produetion en Russie, Paris (U.G.E.) 1973.
45) »que les produeteurs ne disposent des moyens de produetion ni individuellement (artisanat) ni collectivement (socialisme); que le travail vivant, au Heu de dominer le travail mort, est domine par celui-ci, par l'intermediaire des individus qui le personni-fient (les capitalistes).« - Pierre Chaulieu [Cornelius Castoriadis], »Les rapports de produetion en Russie«, Socialisme ou Barbarie, Nr. 2 (Mai-Juni 1949), S. 34.
46) Ebd., S. 47.
47) »Apres avoir renverse le gouvernement bourgeois, apres avoir exproprie -souvent malgre et contre la volonte du gouvernement bolchevik - les capitalistes, apres avoir occupe les usines, les ouvriers ont cru qu'il etait tout natural d'en laisser la gestion au gouvernement, aux parti bolchevik et aux dirigeants syndicaux. De cette maniere le Proletariat abandonnait lui-meme son röle principal dans lanouvelle societe qu'il voulait creer.« - [Cornelius Castoriadis], »Socialisme ou Barbarie«, Socialisme ou Barbarie, Nr. 1 (März-April 1949), S. 35.
48) Die Broschüre von »Paul Romano« und Ria Stone [Grace Lee] wurde z.B. in Fortsetzungen publiziert: Paul Romano, »L'ouvrier Americain«, Socialisme ou Barba­rie, Nr. 1-6 (1949-50) und Ria Stone, »La reconstruetion de la Societe«, Socialisme ou Barbarie, Nr. 7 (August-September 1950). 1958 publizierte die Gruppe um James und »Socialisme ou Barbarie« eine gemeinsame Broschüre: Grace C. Lee/Pierre Chaulieu [Cornelius Castoriadis]/J.R. Johnson [C.L.R. James], Facing Reality, Detroit (Corre-spondence) 1958.
49) Gluckstein/Cliff wurde 1917 in Palästina geboren. Seit ungefähr 1938 Trotzkist. Emigrierte 1946 nach Großbritannien. Wurde 1947 ausgewiesen und ließ sich danach in Irland nieder. Besuchte Großbritannien jedoch regelmäßig, weil seine Familie dort zurückgeblieben war, und beteiligte sich intensiv an den Diskussionen der britischen Trotzkisten. 1952 endgültig nach Großbritannien zurückgekehrt, wurde Cliff der Führer der (kleinen) Socialist Review Gruppe in der Labour Party, aus der später die Interna­tional Socialists und noch später die Socialist Workers Party (nicht mit der amerikani­schen Organisation desselben Namens zu verwechseln) entstand. Diese Angaben basie­ren auf einem Interview mit dem Autor, London, 9. Juli 1979. Siehe auch: Ian H. Birchall, »History of the International Socialists (I)«, International Socialism, Nr. 76 (März 1975).
50). »When I came to the theory of State capitalism, I didn't come to it by a long analysis of the law of value in Russia, the economic statistics in Russia. Nothing of the sott. I came to it by the simple Statement that if the emaneipation of the working class is the act of the working class, then you cannot have a workers' State without the workers having power to dictate what happens in society.
So I had to choose between what Trotsky said - the heart of Trotsky is the self-activity of workers - or the form of property. I decided to push away the form of property as determining the question«. - »Tony Cliff Interview«, The Leveller, September 1979, S. 21.
51) Tony Cliff, State Capitalism in Russia, London (Pluto Press) 1974, S. 153, 182. Dies ist eine erweiterte und revidierte Version des aus dem Juni 1948 stammenden Textes »The Nature of Stalinist Russia«, der mir leider in seiner ursprünglichen Form nicht zugänglich war. Der Autor teilte mir während eines Gesprächs (London, 9. Juli 1979) mit, daß die Kapitel 3 bis einschließlich 10, von einigen Details abgesehen, mit der ersten Version übereinstimmen.
52) Ebd., S. 158.
53) Ebd., S. 183.
54) Siehe z.B. den Hinweis auf Hilferdings Staatskapitalismuskritik (ebd., S. 201) und die Erwähnung eines Artikels von Dunayevskaya (ebd., S. 301). Des weiteren die zahlreichen Verweise auf Trotzki und das Kapitel, das ihm gewidmet ist (ebd., S. 265-287).
55)  »Up to now, Russia's economy has been too backward for her to be able to flood foreign markets with her goods. Her own markets are protected against the possibility of being flooded with foreign goods by virtue of the State's monopoly of foreign trade which can only be destroyed by military power.« - Ebd., S. 210.
56. »Value is the expression of competition between independent producers; Russia's competition with the rest of the world is expressed by the elevation of use values into an end, serving the ultimate end of victory in competition. Use values, while being an end, still remain a means.« - Ebd., S. 211.
57) Es gibt zwei politische Biographien von Bordiga: Andreina de Clementi, Amadeo Bordiga, Turin (Einaudi) 1971 und Franco Livorsi, Amadeo Bordiga, Rom (Editori Riuniti) 1976. Beide Studien beziehen sich begreiflicherweise auf die frühe »Glanzzeit« der Hauptperson.
58) Christian Riechers, »Die Ergebnisse der Revolution >Stalins< in Rußland«, Jahrbuch Arbeiterbewegung, 5 (1977), S. 157. Siehe auch Jacques Camatte, »Introduc-tion«, in: Amadeo Bordiga, Structure iconomique et sociale de la Russie d'aujourd' hui: II, Dtveloppement des rapports de produetion apres la rivolution bolchivique, Paris (Ed. de l'Oubli) 1975, S. 8: »En ce qu'il [Bordiga] appelait la >question Russe<, il a beaueoup ecrit [...]. Toutefois c'est dans la periode 1954-57 qu'il s'en est le plus occupe«.
59) Alfa [Amadeo Bordiga], »La Russia Sovietica dalla rivoluzione ad oggi«, Pro­meteo,^. 1 (Juli 1946).
60) NN [Amadeo Bordiga], »Russiae rivoluzione nella teoria marxista. Rapporto alla riunione interfederale di Bologna«, // Programma Comunista, 111-21 (11 .-25. November
1954) bis einschließlich IV-8 (22. April-Mai 1955). Ein kurzer Bericht über das Treffen
in Bologna in: »Cronaca della riunione«, // Programma Comunista, 111-21 (11.-25.
November 1954).
61) NN [Amadeo Bordiga], »Struttura economica e sociale della Russia d'oggi.
Rapporto alla riunione di Napoli«, // Programma Comunista, IV-10 (25. Mai - 4. Juni
1955) bis einschließlich IV-14 (28. Juli - 25. August 1955); derselbe, »Struttura econo-
mica e sociale della Russia d'oggi. Rapporto alla riunioni di Napoli e Genova«, //
Programma Comunista, IV-17 (23. September - 7. Oktober 1955) bis einschließlich V-4
(18. Februar - 2. März 1956) und V-ll (18. Mai -1. Juni 1956) bis einschließlich VI-12
(1957). Im folgenden zitiert als »Struttura«.
Siehe auch derselbe, »La Russia nella storia mondiale, nella Grande Rivoluzione e nella societä contemporanea. Sintesi delle relazioni di Bologna, Napoli e Genova«, // Programma Comunista, IV-15 (26. August - 8. September 1955) und IV-16 (9.-23. September 1955). Informationen über die Treffen in Neapel und Genua sind enthalten in den Artikeln: »La riunione interfederale di lavoro a Napoli il 24-25 Aprile«, // Programma Comunista, IV-9 (7.- 21. Mai 1955) und »Le grandi questioni storiche della rivoluzione in Russia. La riunione interfederale di Genova del 6 e 7 agosto 1955«, // Programma Comunista, IV-15 (26. August - 8. September 1955). Die Artikelreihen von »Neapel« und »Genua« wurden später mit Ergänzungen in Buchform publiziert: Strut­tura economica e sociale della Russia d'oggi, Mailand (Edizioni il programma comu­nista) 1976.
62). NN [Amadeo Bordiga], »Dialogato con Stalin«, // Programma Comunista, 1-1 (10. - 24. Oktober 1952) bis einschließlich 1-4 (20. November - 4. Dezember 1952). In Buchform mit Ergänzungen erschienen unter dem Titel Dialogato con Stalin, Mailand (Edizioni Prometeo) o.J. [1953].
63) NN [Amadeo Bordiga], »Dialogato coi morti (il XX Congresso del Partito Comunista Russo)«, // Programma Comunista, V-5 (3. - 17. März 1956) bis einschließ­lich V-10 (6. - 18. Mai 1956). In Buchform mit Ergänzungen erschienen unter dem Titel Dialogato coi morti, Mailand (Edizioni de »II Programma Comunista«) 1956.
64). Z.B. A. Orso [Amadeo Bordiga], »Proprietä e Capitale«, Prometeo, Nr. 10 (Juni-Juli 1948) bis einschließlich Nr. 14 (Februar 1950), und Folge II, Nr. 1 (November 1950) und Nr. 4 (Juli-September 1952).
65) Vega, »La crise du bordiguisme italien«, Socialisme ou Barbarie, Nr. 11 (Novem­
ber-Dezember 1952); Onorato Damen, Bordiga: validitä e limiti d'una esperienza nella sinistra italiana, Mailand (EPI) 1977; NN [Philippe Bourrinet], La gauche communiste d'Italie, Brüssel (Courant Communiste International) 1981, S. 180. Der Konflikt hatte unter anderem damit zu tun, daß Damen den Sowjet»kapitalismus« dem der Vereinigten Staaten gleichsetzte, während Bordiga dem nachdrücklich widersprach.
66). NN [Amadeo Bordiga], »La controrivoluzione maestra«, Battaglia Comunista, XII-18 (29. August -12. September 1951).
67) »Russia Sovietica«, S. 35.
68) Dialogato con Stalin, S. 29.
69) NN [Amadeo Bordiga], »II Marxismo dei cacagli«, Battaglia Comunista, XIII-8 (17. - 30. April 1952).
70) »Vi e capitalismo sempre ehe i prodotti sono recati al mercato o comunque >contabilizzati< all'attivo della azienda, intesa come isola economica distinta, sia pure molto grande, mentre sono portate al passivo le retribuzioni del lavoro. L'economia borghese e economia in partita doppia. L'individuo borghese non e un uomo, e un ditta.« - »Proprietä e Capitale«, Prometeo, Nr. 11 (November-Dezember 1948), S. 497.
71) »Per noi ogni sistema di produzione di merci nel mondo moderno, nel mondo del lavoro associato, ossia del raggruppamento dei lavoratori in aziende di produzione, definisce economia capitalista.« - Dialogato con Stalin, S. 17.
72) »[...] im Staatskapitalismus ist ein jeder Bürokrat«. - NN [Amadeo Bordiga], »Le gambe ai cani«, Battaglia Comunista, XIII-II (20. Mai - 9. Juni 1952). Diese Äußerung muß als eine rhetorische Übertreibung gesehen werden; an anderen Stellen des Werkes findet man Abschnitte, welche die Behauptung des verallgemeinerten Staatsdiensts relativieren.
73) Struttura economica e sociale, S. 507.

Editorische Hinweise

Marcel van der Linden, Von der Oktoberrevolution zur Perestroika, Ffm 1992, S.92-106