Theorien des Staatskapitalismus
Mjasnikow, Adler, Wagner,  Worrall, Pollock

Eine Übersicht von Marcel van der Linden (Teil 1)

5-6/2015

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Der Begriff »Staatskapitalismus« entstand beträchtliche Zeit vor der Oktober­revolution. Anfang der neunziger Jahre des letzten Jahrhunderts wurde er von deutschen Sozialdemokraten als Antwort auf die reformistischen Standpunkte von Georg von Vollmar u.a. kreiert, die der Auffassung waren, der bürgerliche Staat müsse ermutigt werden, Maßnahmen zu ergreifen (Nationalisierungen), die als Vorbereitung auf einen zukünftigen »Staatssozialismus« fungieren könnten. Die Opponenten (W. Liebknecht u.a.) waren dagegen der Auffas­sung, daß ein Ausbau des bürgerlichen Staates nicht zum »Staatssozialismus«, sondern zum »Staatskapitalismus« führen und darum das Kräfteverhältnis nur zum Nachteil der Arbeiterklasse beeinflussen werde.(9) Von seinem Ursprung her war »Staatskapitalismus« also keine Kategorie mit einer primär analyti­schen Intention; vielmehr war der Begriff doppelt von der Wirklichkeit abge­löst: »durch seine Entgegensetzung zu einem anderen Begriff und dessen Bezug auf eine künftige Gesellschaft«(10).

In den Jahren 1914-18 gab die deutsche Kriegsökonomie mit bisher unbe­kannten Staatsinterventionen in den ökonomischen Prozeß (Produktions­zwang für Betriebe, Regulierung der Distribution von Konsumgütern, Festle­gung der Höchstpreise usw.) den Anlaß zu einem weitergehenden Wandel des Staatskapitalismus-Begriffs. Nikolai Bucharin entwickelte in dieser Zeit die Theorie, daß der Staatskapitalismus ein neues und höheres Stadium der kapitalistischen Entwicklung sei, ein Stadium, in dem die inländische Kon­kurrenz zwischen Unternehmen durch Staatseingriffe tendenziell reguliert werde und die Konkurrenz innerhalb des nationalen Kapitals sich fast voll­ständig auf den Weltmarkt verschiebe.(11) Auch Autoren mit anderen politischen Auffassungen, wie der Sozialdemokrat Karl Renner oder der Rätekommunist Otto Rühle, formulierten ähnliche Gedanken.(12)

Die Frage, inwieweit nach 1917 in Rußland Staatskapitalismus bestand, beeinflußte schon bald die Diskussion der Bolschewiki. Die Links-Oppositio­nellen, gruppiert um die Zeitschrift Kommunist, fürchteten, daß die betriebene Industriepolitik die Arbeitermacht in den Betrieben angreifen werde und so das Fundament des revolutionären Prozesses zu zerstören drohe. Ossinski formuliert diese Auffassung so:

»Wenn das Proletariat nicht selbst weiß, wie die notwendigen Vorbedingungen für die sozialistische Organisation der Arbeit zu schaffen sind - niemand kann das für es tun, und niemand kann es zwingen, das zu tun. [...] Sozialismus und sozialistische Organi­sationen müssen vom Proletariat selbst errichtet werden, oder sie werden gar nicht errichtet; etwas anderes wird entstehen - Staatskapitalismus.«(13)

In derselben Zeit wandte auch Lenin den Staatskapitalismus-Begriff auf Rußland an. Er meinte, daß eine Diktatur des Proletariats sehr wohl mit einem Staatskapitalismus versöhnt werden könne. Zwischen dem Kapitalismus der freien Konkurrenz und dem Sozialismus liege eine Übergangsperiode; wäh­rend dieser Periode müßten die Revolutionäre soviel wie möglich von den Methoden und Erkenntnissen des vor allem in Deutschland geformten Staats­kapitalismus übernehmen.(14) In diversen Beiträgen von Bucharin, Ossinski, Lenin und u.a. wurde der Staatskapitalismus sehr weit gefaßt: als Marktwirt­schaft mit großem Staatseinfluß. In den Debatten über die Sowjetunion in den dreißiger Jahren wurde der Staatskapitalismus-Begriff von vielen Autorinnen übernommen; er erhielt dabei jedoch allmählich eine etwas andere - genauere - Auslegung: eine Ökonomie, in welcher der Staat als einziger Unternehmer auftritt. Ausgangspunkt dieser Präzisierung war die strukturelle Transforma­tion in der Sowjetunion selbst: Der traditionelle Markt der NÖP-Periode verschwand und der Staat wurde als alles beherrschendes Machtzentrum etabliert.

Die Theorien des Staatskapitalismus waren von allen Theorien über die Sowjetunion, die in der Periode 1929-1941 präsentiert wurden, die am meisten verwendeten. Nächst den im folgenden vorgestellten Varianten wurden noch viele andere Beiträge mit verwandten Zügen erbracht. Sie werden hier nicht vorgestellt, da sie den hier besprochenen Varianten nichts Wichtiges hinzufü­gen.(15) Die Popularität der Theorien des Staatskapitalismus kann schlicht aus dem Umstand erklärt werden, daß sie dem alten unilinearen Schema noch sehr nahe standen. Obwohl der Staatskapitalismus keinen »gewöhnlichen«, son­dern einen »neuen« und nach Auffassung vieler Autorinnen »höheren« Kapi­talismus bildete, konnte er einfach in das Muster »Feudalismus - (Staatska­pitalismus - Sozialismus« eingepaßt werden.

3.1.1 Mjasnikow

Anfang 1931 beendete der oppositionelle Bolschewik Gawril Mjasnikow(16) die Arbeit an einer Broschüre über den Charakter der Sowjetgesellschaft, die er  in eigener Verantwortung unter dem Titel Otscherednoj obman (Neuer Betrug) publizierte.(17) Die niederländische Fassung erschien in der linkskommunisti­schen Zeitschrift De Nieuwe Weg.(18) Mjasnikow zufolge hatte in der Sowjet­union eine gewaltsame Revolution stattgefunden. Nachdem anfänglich die Arbeiterklasse über ihre Arbeiterräte die Macht in der Hand gehabt habe, sei es »der Weltbourgeoisie« innerhalb von drei Jahren gelungen, über Interven­tionen und Bürgerkrieg einer fundamentalen Machtverschiebung Raum zu verschaffen.

»Die Industrie war erstarrt, die Arbeiter hatten sich zerstreut, und so mußten auch die meisten Arbeiterräte zu Grunde gehen. Das Proletariat hörte auf, die herrschende Klasse zu sein, die über die politische und ökonomische Hegemonie verfügte [...].«(19)

Weil die nationale Bourgeoisie im wesentlichen fehlte, fiel die Macht in die Hände der Bauern, des zahlreichen »Kleinbürgertums«. Dieser Zustand konn­te jedoch nicht lange währen:

»Das Kleinbürgertum triumphierte, aber dieser Sieg wird für es kein Glück sondern Unglück bedeuten. Es kann die Industrie vermittels eines bürokratischen Apparats leiten, und auf Grund der typischen atomisierten Struktur dieser Klasse kann es keine ausreichende Kontrolle über die Bürokratie ausüben, es kann also nicht verhindern, daß diese sich von einer Dienerin zu einer es unterdrückenden Herrscherin entwickelt.«(21)

Im Lauf der zwanziger Jahre hatte sich die Bürokratie in eine herrschende Klasse verwandelt. Ihre Macht beruhte auf dem Staatseigentum an den Pro­duktionsmitteln, und diese Macht wollte sie fortwährend vergrößern:

»Die Bürokratie, die an der Spitze der nationalisierten Industrie steht und die allmählich auf diesem Gebiet die Reste der privatkapitalistischen Exploitation vernichtet oder assimiliert, hat die Neigung, ihre Herrschaft über alle Produktionsgebiete auszudeh­nen.«(21)

Damit war ein »Staatskapitalismus« entstanden, inklusive Ausbeutung und Mehrwertproduktion.(22)

»Die gesamte Staatshaushaltung der UdSSR stellt gleichsam eine einzige große Fabrik dar, in der eine geordnete Zusammenarbeit und Arbeitsteilung zwischen den verschie­denen Arbeitsplätzen gegeben ist.«23

Mjasnikow warnte, diese neue Form des Kapitalismus auf die gleiche Ebene mit dem alten Privatkapitalismus zu stellen. Durch die Nationalisierung von Boden, Bergbau und Industrie und die freie Verfügung über das Staatsbudget kann die Bürokratie beträchtlich effektiver operieren als die klassische Bour­geoisie. Sie ist in der Lage, völlig frei Kapitalströme zu dirigieren und
Finanzierungsmittel für Investitionen aufzubringen, über die »einfache« Un­ternehmer nicht verfügen, und sie wird bei der Ausführung von Plänen nicht von Grundbesitzern oder anderen Unternehmen gehindert. In diesem Sinne befindet sich die Sowjetgesellschaft in einem höheren Entwicklungsstadium als der Konkurrenzkapitalismus:

»Auch wenn die Bürokratie die Geschäfte nicht immer gut führt, tut sie es immer noch besser als die Bourgeoisie. Sie arbeitet unter völlig anderen Umständen und stellt, mit welchem privaten Produktionssystem auch immer verglichen, eine höhere Produktions­form dar.«(24)

Bei internationalen Konflikten müßten Sozialisten darum für die Sowjetunion Partei ergreifen.

3.1.2 Adler

Friedrich Adler(25) - seit 1923 Sekretär der Sozialistischen Arbeiter-Internatio­nale - präsentierte 1932 »als einzelner Genosse und nicht in meiner Funktion als internationaler Sekretär« eine eigene Theorie der Sowjetunion.(26) Er dist­anzierte sich sowohl von Kautskys fortwährenden Kassandrarufen wie von apologetischen Tendenzen und führte eine historisch-vergleichende Perspek­tive ein.

Mit Kautsky und Marx teilte er die Auffassung, daß eine sozialistische Gesellschaft nur in einer Situation aufgebaut werden kann, in der Industrie und Arbeiterklasse hochentwickelt sind. Da ein solcher Zustand im nachrevo­lutionären Rußland noch nicht gegeben sei, müsse Stalins »Experiment« als ein Versuch beurteilt werden, durch Aufopferung einer ganzen Generation von Arbeitern und Bauern die ursprüngliche Akkumulation (27), die im entwickelten Kapitalismus bereits stattgefunden hatte, nachträglich zu realisieren und so die Grundlage für eine sozialistische Sowjetunion zu schaffen.

»Wenn wir das heutige Sowjetrußland zu verstehen trachten, erkennen wir mit steigen­der Überraschung, daß bei seiner Industrialisierung, obwohl es keine Privatkapitalisten mehr gibt, die charakteristischen Züge der ursprünglichen Akkumulation, die Marx aufgewiesen, wieder in Erscheinung treten. Das Stalinsche Experiment ist Industriali­sierung durch ursprüngliche Akkumulation ohne die Mitwirkung von Privatkapitali­sten.«(28)

Da die historischen Träger des Prozesses, die freien Unternehmer, fehlen, tritt die Staatsmacht als solche an ihre Stelle. Die gesellschaftliche Funktion der Diktatur ist damit:

»Niederhaltung der Werktätigen selbst, um die ursprüngliche Akkumulation an ihnen zu vollziehen, um jeden Versuch des Widerstands der Werktätigen gegen die Opfer, die ihnen auferlegt werden, im Keime zu ersticken.«(29)

Insgesamt handelt es sich um eine Form des Staatskapitalismus, der einerseits zur Entwicklung kommen mußte wegen des Ausbleibens von Revolutionen in fortgeschritteneren Ländern, die der jungen Sowjetrepublik hätten beistehen können, und andererseits wegen der Schwäche des privaten Kapitalismus zur Zeit der Umwälzung.

Mit dieser Feststellung erscheint auch die Planwirtschaft in einem anderen Licht:

»Für Marx und Engels schien der Übergang zur Planwirtschaft nur möglich im Rahmen der Verwirklichung der sozialistischen Gesellschaftsordnung. Nun erkennen wir, daß die Planwirtschaft den Sozialismus nicht zur notwendigen Voraussetzung hat, sie bedarf nur des negativen Kriteriums der Beseitigung der privatkapitalistischen Konkurrenz, sie ist auch schon auf dem Boden eines Staatskapitalismus möglich.«(30)

Daß diese Interpretation von (links-)sozialdemokratischen Kreisen weithin geteilt wurde, wird u.a. aus der Äußerung von Rafail Abramowitsch Rejn deutlich, einem der Führer der menschewistischen Emigration, Adlers Analyse entspreche im wesentlichen der der russischen Sozialdemokratie.(31)

3.1.3 Wagner

1933 verfaßte Helmut Wagner (geb. 1904), ein links-sozialdemokratischer Journalist und Lehrer, der Ende 1934 von Dresden in die Schweiz geflüchtet war(32), Thesen über den Bolschewismus. Diese Thesen waren u.a. das Resultat von Diskussionen, die seit 1932 bei den Roten Kämpfern, einer unter rätekom­munistischem Einfluß stehenden kleinen illegalen Gruppierung, geführt wor­den waren.(33)

Gorter, Pannekoek u.a. hatten einen wesentlichen Unterschied zwischen Ost- und Westeuropa angenommen; Wagner bezeichnete Rußland als geogra­phisches, politisches und ökonomisches Bindeglied zwischen Europa und Asien. Europa forme, zusammen mit Nordamerika, »das hochkapitalistische Zentrum aktiv imperialistischen Vorstoßes«; Asien bilde »das koloniale Zen­trum passiv imperialistischer Ausplünderung«. Beide Zentren seien Mittel­punkte des internationalen Klassenkampfes und beeinflußten die russische Entwicklung.(34) In der russischen Ökonomie seien ein unterentwickelter asia­tischer Landbau mit bis 1917 fortbestehenden feudalen Elementen und eine von feudalen Einflüssen durchzogene moderne europäische Industrie mitein­ander verbunden.(35) Diese besondere Verbindung von Feudalismus und Kapi­talismus stelle die russische Revolution vor kombinierte und komplizierte Aufgaben.(36) Faktisch mußte sie die Aufgaben einer bürgerlichen Umwälzung ohne die Unterstützung der Bourgeoisie auf sich nehmen. Sie mußte Aufgaben der bürgerlichen Revolution ausführen, weil es primär darum ging, den Absolutismus zu stürzen, die Privilegien des Adels abzuschaffen und einen modernen Staatsapparat zu bilden.(37) Sie mußte dabei ohne Unterstützung der Bourgeoisie vorgehen, weil diese Klasse sich mit dem Zarismus verbunden hatte und so bereits konterrevolutionär geworden war, bevor sie ihre eigene Revolution beendet hatte.(38)

Ein »Klassendreieck« hatte die Aufgaben der Bourgeoisie übernommen(39): Die enormen Bauernmassen bildeten das passive »Fundament«, die numerisch geringen aber kämpferischen Arbeiter die »aktive Kampfwaffe«, und eine schmale Schicht der kleinbürgerlichen Intelligenz »erhob sich zum führenden Kopf der Revolution«.(40) Dem Bolschewismus gelang es, die Rebellionen von Arbeitern und Bauern miteinander zu verknüpfen und die Macht zu ergreifen. Das neue Regime, das 1917 zustandekam, befand sich dadurch von Anbeginn in einer prekären Position: Es durfte die zwei Klassen, auf die es gegründet war, ungeachtet ihrer zum Teil gegensätzlichen Interessen nicht miteinander in einen offenen Konflikt geraten lassen.(41) Um dies zu erreichen, war eine Verselbständigung des Partei-Staatsapparates gegenüber beiden Klassen un­vermeidlich:

»Wie der Staatsapparat des Zarismus über den beiden besitzenden Klassen verselbstän­digt herrschte, so begann sich der neue Staatsapparat des Bolschewismus über seine Doppelklassenbasis zu verselbständigen. Rußland trat aus dem Zustand des zaristischen Absolutismus in den Zustand des bolschewistischen Absolutismus hinein.«(42)

Das Endresultat dieser Entwicklung war ein vom Staat organisierter Kapita­lismus ohne Bourgeoisie, mit einer doppelten Klassenbasis. Der Sowjetstaat wird infolgedessen permanent zwischen den Interessen von Arbeitern und Bauern hin- und hergerissen. Der Fünfjahresplan und die forcierte Kollekti­vierung sind nichts anderes als Versuche, diese Gegensätze mit Gewalt im Zaum zu halten, doch sie haben vorläufig nur »die ökonomischen Schwierig­keiten bis zur Gefahr der Explosion der wirtschaftlichen Widersprüche gesteigert«.(43)

Die Sowjetökonomie funktioniert wesentlich kapitalistisch: Die Grundlage ist die Warenproduktion, die Zielsetzung, um die sich alles dreht, ist Rentabi­lität, es werden bürgerliche Belohnungssysteme angewendet, und die Arbeiter erzeugen Mehrwert.(44)

»Der russische Staat weist zwar keine Klasse von Menschen auf, die individuell und direkt Nutznießer dieser Mehrwertproduktion sind, aber bezieht diesen Mehrwert als bürokratischer Schmarotzerapparat im Ganzen. Außer seiner eigenen, recht kostspieli­gen Erhaltung dient der erzeugte Mehrwert der Erweiterung der Produktion, der Stüt­zung der Bauernklasse und der Begleichung der Auslandsverpflichtungen des Staates. [..] Die russische Staatswirtschaft [...] ist Staatskapitalismus unter den historisch einzigartigen Bedingungen des bolschewistischen Regimes und stellt darum einen höheren Typus der kapitalistischen Produktion dar, als ihn die größten und fortgeschrit­tensten Länder aufzuweisen haben.«(45)

1936-1937, während seines Exils in der Schweiz, erweiterte Wagner die Thesen zu einem umfangreichen nichtpublizierten Werk unter dem Titel Die Grundlagen der bolschewistischen Machtpolitik (Zur Soziologie des Bolsche­wismus).(46) Teile seiner Untersuchungsergebnisse publizierte er unter dem Pseudonym Rudolf Sprenger.(47) In ihrer Tendenz stimmen diese Veröffentli­chungen mit den Thesen überein.

3.1.4 Worrall

Die Bezeichnung des Sowjetsystems als »Staatskapitalismus« war bei Mjas­nikow, Adler und Wagner wenig fundiert. Sie behaupteten nur, daß es in der UdSSR um Mehrwertproduktion, kapitalistische Ausbeutung usw. gehe. Wei­tere Argumente erbrachten sie für diese Behauptung nicht, was selbstverständ­lich von apologetischen Autorinnen sofort angemerkt wurde.(48) Am Ende der dreißiger Jahres wurde die Theorie des Staatskapitalismus jedoch allmählich weiter ausgearbeiet. 1939 publizierte das amerikanische Periodikum Modern Quarterly eine Betrachtung unter dem Titel »U.S.S.R.: Proletarian or Capita-list State?«(49) Der Autor R.L. Worrall, dessen biographische Daten ich nicht erschließen konnte,(50) unternahm hier den Versuch, die Theorie vom Sowjet-Staatskapitalismus marxistisch zu fundieren. Um seine Orthodoxie hervorzu­heben, knüpfte Worrall bei den Grundlegern des »wissenschaftlichen Sozia­lismus« an:

1) An zwei Stellen im dritten Band von Das Kapital - dem Band, der »von denen, die Marx studiert haben, so sehr vernachlässigt« wurde - ist ange­führt, welches die wesentlichen Bestandteile einer kapitalistischen Produk­tionsweise sind: Konzentration der Produktionsmittel in den Händen einer kleinen Gruppe von Besitzenden, gesellschaftliche Organisation des Ar­beitsprozesses, Herstellung des Weltmarktes(51), Waren- und Mehrwertpro­duktion(52).

2) Bei seiner Analyse des Aktienkapitals, ebenfalls im dritten Band von Das Kapital, hatte Marx festgestellt, daß bei Aktiengesellschaften die Führer der Unternehmen zu »Dirigenten« des Kapitals anderer werden, während die Kapitaleigentümer nur noch einen Eigentumstitel haben. Dadurch wer­de das Kapital als Privateigentum innerhalb der Grenzen der kapitalisti­schen Produktionsweise selbst »aufgehoben«.(53)

3) In seinem Anti-Dührung hatte Engels nicht nur auf das Aufkommen des Aktienkapitals hingewiesen, sondern auch auf die Tendenz, Investitionen, die für einzelne Unternehmer zu umfangreich sind (z.B. im Eisenbahnsek­tor), vom Staat verrichten zu lassen. Beide Entwicklungen implizierten Engels zufolge keineswegs das Verschwinden des Kapitalismus: Das Kapi­talverhältnis wird dadurch nicht aufgehoben, sondern nur auf die Spitze getrieben.(54)

Aus 1. schloß Worrall, daß das Privateigentum (insbesondere an den Produk­tionsmitteln) nicht »in jeder Phase seiner Entwicklung« für den Kapitalismus wesentlich sein muß. Aus 2. und namentlich aus 3. leitete er ab, daß »die weitere Entwicklung des Kapitalismus in Richtung des Staatseigentums an den Produktionsmitteln« zu »der tatsächlichen Aufhebung des Privateigen­tums« führen kann, während das Wesen des Kapitalismus erhalten bleibe. Mit seiner Berufung auf die Klassiker wollte Worrall vor allem aufzeigen, daß eine Gesellschaft, in der Staat und Kapital zu einem alles dominierenden Ganzen geworden sind, für den wissenschaftlichen Sozialismus theoretisch möglich ist. Auch Lenin wird in diesem Zusammenhang als Zeuge zitiert.

Im zweiten Schritt seiner Argumentation versucht Worrall aufzuzeigen, daß die theoretische Möglichkeit in der Sowjetunion Wirklichkeit geworden ist; hier sei tatsächlich auf kapitalistischer Grundlage eine historisch einmalige Verschmelzung von politischen und ökonomischen Machtzentren entstanden. Worralls Thesen hierzu können wie folgt zusammengefaßt werden:

1) Die stalinistische Bürokratie ist keine bürgerliche Klasse. Ihre Struktur hat keine Ähnlichkeit mit der auf Privateigentum basierenden Bourgeoisie.

2) Jedoch ist die Funktion der Bürokratie identisch mit der Funktion der Bourgeoisie:

»ihr gesellschaftlicher Zweck ist, objektiv gesprochen, die Kapitalakkumulation in Rußland - die Warenproduktion, die Erzielung von Mehrwert aus der Arbeiterklasse, die Realisierung dieses Mehrwerts als Profit des Staates und die Umwandlung des Profits in weiteres Staatseigentum, insbesondere Kapital in Form weiterer Produk­tionsmittel: mehr Fabriken, mehr Maschinen, mehr Bergwerke usw.«(55)

3) Die Sowjetunion könnte dennoch ein Arbeiterstaat sein, wenn die Bürokra­tie der Arbeiterklasse untergeordnet wäre, d.h. wenn die Sowjets oder andere Formen der Arbeiterdemokratie die letztendliche Bestimmung über die Politik der Bürokratie hätten. Dies ist jedoch nicht der Fall, und »genau dieser Umstand macht den russischen Staat zu einem kapitalistischen an­statt einem Arbeiterstaat«.(56)

4) Das Sowjetsystem exportiert kein Kapital und exploitiert keine Kolonien. Es ist deshalb, obwohl kapitalistisch, nicht imperialistisch.

5) Das Sowjetsystem steht dem Sozialismus näher als dem gewöhnlichen Kapitalismus. Es ist:

»ein Übergangsstadium, in dem das Prinzip des Privateigentums abgeschafft worden ist und die proletarische Kontrolle der Produktionsmittel nur durch eine in einer unsicheren Lage befindliche Bürokratie verhindert wird.«(57)

6. Der Sowjetkapitalismus konnte aus der proletarischen Oktoberrevolution entstehen, weil seit ca. 1923, »ein Jahrzehnt hindurch«, eine Konterrevolu­tion stattgefunden hatte. Diese Konterrevolution wurde ermöglicht durch die Wirkung einerseits objektiver Faktoren (die ökonomische und kulturelle Rückständigkeit, das gesellschaftliche Gewicht der Bauern, der Einfluß des Weltmarkts und der kapitalistischen Ideologie) und andererseits eines sub­jektiven Faktors, die Schwäche des Widerstands von Trotzki u.a. während der entscheidenden Jahre 1923-1929.(58)

Obwohl Worrall in gewissem Sinne an Korsch erinnert (schleichende Konter­revolution), vertieft sein Beitrag insofern die Debatte, als er, wie es scheint als erster, versucht hat, den Staatskapitalismus-Begriff nicht als Etikett, son­dern in analytischem Sinne zu verwenden. Den Unterschied zwischen Arbei­terstaat und Staatskapitalismus sieht er allein in der politischen Macht. Auch ein kapitalistisches Akkumulationsregime könne im Interesse der Arbeiter­klasse sein, sofern sich diese Arbeiterklasse selbst für ihre kapitalistische Ausbeutung entschieden habe.

3.1.5 Pollock

Friedrich Pollock (1894-1970), der bekannte Ökonom der »Frankfurter Schu­le«,(59) publizierte 1941 eine Theorie des Staatskapitalismus in den Studies in Philosophy and Social Science (zuvor Zeitschrift für Sozialforschung). Er setzte damit nicht allein seine Studien über die Sowjetunion fort, die er in den zwanziger Jahren begonnen hatte,(60) sondern auch seine Reihe von Essays über kapitalistische Krise und Planwirtschaft. Schon 1932 hatte Pollock dargelegt, daß der Kapitalismus durch Verwendung von Plantechniken in der Lage sein könnte, ein neues Gleichgewicht zu finden.(61) In seinem Beitrag 1941 erwei­terte Pollock diesen Gedanken zu einer allgemeinen Theorie des Staatskapi­talismus. Diese Theorie war primär durch die Entwicklungen in Nazi-Deutsch­land und Italien angeregt. Die Frage, ob die Theorie insgesamt auf die Sowjetunion angewendet werden kann, zögerte Pollock zu beantworten, weil dort - anders als unter Nationalsozialismus und Faschismus - keine Fusion von alten Kapitalgruppen und Staat stattgefunden hatte, sondern im Gegenteil den früheren besitzenden Klassen die Produktionsmittel durch den Staat genommen worden waren. Vorsichtig formulierte Pollock deshalb seinen Zweifel, »ob unser Bild des Staatskapitalismus auf die Sowjetunion in ihrer augenblicklichen Phase« anzuwenden ist.(62) Dieser Vorbehalt hinderte ihn jedoch nicht, die Sowjetunion in seine Erwägungen einzubeziehen und z.B. zu behaupten, daß das System der staatskapitalistischen Distribution dort weiter entwickelt ist als in Deutschland.(63)

Neben den totalitären Varianten hielt Pollock auch demokratische für möglich - diese müssen jedoch vorerst noch hypothetische Konstruktionen bleiben, »für die unsere Erfahrung uns nur wenig Anhaltspunkte gibt«(64). Der Begriff »Staatskapitalismus« bezog sich seiner Auffassung nach nicht so sehr auf eine Regierungsform sondern auf allgemeine Aspekte: Es handelt sich um eine gesellschaftliche Formation, die nicht mehr privatkapitalistisch und noch nicht sozialistisch ist, in der das Gewinnmotiv noch immer eine wichtige Rolle spielt und der Staat wesentliche Funktionen des Privatkapitalisten übernom­men hat.

Im Staatskapitalismus ist die Autonomie des Marktes aufgehoben. An ihre Stelle tritt die Regulierung durch den Staat: Ein allgemeiner Plan bestimmt die erwünschte Produktion, Konsumtion, Einsparungen und Investitionen; die Preise bewegen sich nicht länger frei, sondern sie werden administrativ festgelegt; die Gewinninteressen der Inidividuen und Gruppen sind dem allgemeinen Plan unterworfen; Stümperei und Improvisation werden durch wissenschaftlich fundiertes Management ersetzt; »Wirtschaftsgesetze« haben keine Bedeutung mehr.(65)

In den Unternehmen werden die Privatkapitalisten ihrer Macht beraubt. Das Management wird fast unabhängig vom Kapital; die Unternehmerfunktion geht an den Staat über oder wird auf jeden Fall stark durch den Staat bestimmt; der alte Kapitalist ist - falls seine Fähigkeiten nicht vom Staat gebraucht werden - nur noch Rentier.(66)

Die Distribution von Gütern kann auf verschiedene Weise realisiert werden: durch direkte Zuweisung, Koordination durch Kartellierung, damit verbunde­ne Quoten-Systeme usw.

Da in diesem System keine »Wirtschaftsgesetze« mehr bestehen, kann ebensowenig von ökonomischen Beschränkungen die Rede sein.

»Wirtschaftsprobleme im alten Sinne existieren nicht mehr, wenn die Gleichschaltung aller wirtschaftlichen Tätigkeiten [...] durch bewußte Planung erreicht wird.«(67)

Die einzigen Beschränkungen sind nicht-ökonomischer Art: zum Beispiel Probleme bei der Beschaffung ausreichender Rohstoffe; Mangel an Fachwis­sen und Arbeitskräften; Gegensätze innerhalb der herrschenden Gruppe, die aus divergierenden gesellschaftlichen Positionen entstehen; unterschiedliche Machtstrategien; Druck von unten.(68) Was nun die totalitäre Variante betrifft, kann zwischen Italien und Deutschland unterschieden werden, wo eine neue herrschende Klasse als »Verschmelzung der leitenden Bürokraten im Ge­schäftsleben, in Staat und Partei zusammen mit dem, was von den Kapitalisten übrig geblieben ist«, entstanden ist, und der Sowjetunion, wo die bürokrati­sche Elite nicht mit den Resten von Privateigentum an Produktionsmitteln verbunden ist.(69)

Zur gleichen Zeit, in der Pollock das oben dargestellte Modell ausarbeitete, schrieb sein Kollege und enger Freund Max Horkheimer einen erst viele Jahre später publizierten Essay über den autoritären Staat(70). Sehr wahrscheinlich entstand dieser Aufsatz im Gedankenaustausch mit Pollock,(71) und er kann vielleicht die Tendenz seiner Theorie erhellen. Schärfer als Pollock trennt Horkheimer zwischen den faschistischen Regimen, die er als »Mischform« charakterisiert, und dem stalinistischen »integralen Etatismus oder Staatsso­zialismus«. Während unter dem Faschismus noch - in ihrer gesellschaftlichen Bewegungsfreiheit eingeschränkte - Privatkapitalisten bestehen, die von al­ters her große Teile des Mehrwerts verschlingen, wird im integralen Etatismus die Vergesellschaftung angeordnet:

»Die privaten Kapitalisten sind abgeschafft. Coupons werden einzig von Staatspapieren abgeschnitten. Infolge der revolutionären Vergangenheit des Regimes ist der Kleinkrieg der Instanzen und Ressorts nicht wie im Faschismus durch Verschiedenheiten der sozialen Herkunft und Bildung innerhalb der bürokratischen Stäbe kompliziert, die dort so viel Reibungen erzeugt. [...] Aber die Produzenten, denen juristisch das Kapital gehört, >bleiben Lohnarbeiter, Proletarien, mag noch so viel für sie getan werden. Das Betriebsreglement hat sich über die ganze Gesellschaft ausgebreitet.«(72)

Folgt man Horkheimer, dann können innerhalb des Staatskapitalismus zwei Stadien unterschieden werden: die Mischform des Faschismus und die inte­grale Form des Stalinismus. Bezieht man diese Überlegung auf die Theorie Pollocks, ist dessen Zögern, die UdSSR und Nazi-Deutschland in ein Modell zu fassen, erklärlich: Die Theorie konzentrierte sich primär auf den Nazismus, in dem es noch keine allgemeine Fusion von Staat und Kapital gab, versuchte aber zugleich, die Sowjetunion bei der Modellbildung einzukalkulieren. Eine gewisse Unbestimmtheit war notwendig das Resultat.

Fußnoten

9) Willy Huhn, »Etatismus, >Kriegssozialismus<, Nationalsozialismus in der Literatur der deutschen Sozialdemokratie«, Aufklärung, Jg. II (1952-53), S. 170-180; Werner Olle, »Zur Theorie des Staatskapitalismus - Probleme von Theorie und Geschichte der Übergangsgesellschaft«, Probleme des Klassenkampfs, Nr. 11-12 (1974), S. 103-112; Gerold Ambrosius, Zur Geschichte des Begriffs und der Theorie des Staatskapitalismus und des staatsmonopolistischen Kapitalismus, Tübingen (J.C.B. Mohr (Paul Siebeck)) 1981, S. 9-18.
10) Olle, »Zur Theorie des Staatskapitalismus«, S. 107.
11) Uwe Stehr, Vom Kapitalismus zum Kommunismus. Bucharins Beitrag zur Entste­hung einer sozialistischen Theorie und Gesellschaft, Düsseldorf (Bertelsmann) 1973; Michael Haynes, Nikolai Bukharin and the Transition from Capitalism to Socialism, London/Sydney (Croom Helm) 1985.
12) Karl Renner, Marxismus, Krieg und Internationale. Kritische Studien über offene Probleme des wissenschaftlichen und des praktischen Sozialismus in und nach dem Weltkrieg, Stuttgart (J.H.W. Dietz Nachf.) 1917; Carl Steuermann [= Otto Rühle], Weltwirtschaftskrise - Weltwende. Kurs auf Staatskapitalismus, Berlin (S. Fischer) 1931.
13) W, Ossinski, »O Stroitel'stwe sozialisma«, Kommunist, Nr. 2 (1918), S. 5. Hier zitiert nach Robert Vincent Daniels, Das Gewissen der Revolution. Kommunistische Opposition in Sowjetrußland, Köln/Berlin (Kiepenheuer & Witsch) 1962, S. 111.
14) Olle, »Zur Theorie des Staatskapitalismus«, S. 121-131; Ambrosius, Staatskapi­talismus, S. 29-33 B. Borilin, »Lenin über die >Ökonomik der Transformation«, Unter dem Banner des Marxismus, III (1929).
15) Z.B. Steuermann, Weltwirtschaftskrise - Weltwende, S. 183-212; Otto Mänchen-Helfen, Rußland und der Sozialismus. Von der Arbeitermacht zum Staatskapitalismus, Berlin (J.H.W. Dietz Nachf.) 1932.
16) G.T. Mjasnikow (1889-1946?), Metallarbeiter, gehörte seit 1906 zu den Bolsche-wiki. Seit 1918 bezogereinen links-oppositionellen Standpunkt; einige Zeit warerein führender Sprecher der Arbeiteropposition. 1928 flüchtete er aus der Sowjetunion in den Iran und von dort über die Türkei nach Paris, wo er bis nach dem Zweiten Weltkrieg blieb. 1946 wurde er vermutlich vom NKWD in die UdSSR entführt und dort exekutiert. Siehe Roberto Sinigaglia, Mjasnikov e la rivoluzione russa, Mailand (Jaca) 1973 und Paul Avrich, »Bolshevik Opposition to Lenin: G.T. Miasnikov and the Workers' Group«, The Russian Review, 43 (1984).
17) Paris (o.V.), 1931.
18) G. Miasnikoff, »De klasse-grondslagen van den Russischen Sovjet-Staat«, De Nieuwe Weg, VII (1932). Ebenfalls auf Otscherednoj obman basiert: G. Miasnikoff, »Dictature et democratie«, Cahiers d'EuropelEuropäische Monatshefte, Nr. 2 (Februar 1939).
19) »De Industrie was versteend, de arbeiders hadden zieh verspreid en dus moesten ook de arbeidersraden te gronde gaan. Het proletariaat hield op de heersende klasse te zijn, die beschikte over de politieke en ekonomische hegemonie [...].« - Ebd., S. 40.
20). »De kleine burgerij triompheerde, maar deze overwinning zou voor haar geen voor- maar tegenspoed beteekenen. Zij kan de industrie slechts door middel van een bureaucratisch apparaat beheeren en door de typisch atomistische structuur van deze klasse kan zij geen afdoende controle uitoefenen op de bureaucratie, zij kan dus niet voorkomen, dat deze laatste zieh van een dienaresse, tot een haar onderdrukkende heerscheresse ontwikkelt.« - Ebd., S. 44.
21) »De bureaucratie, die aan het hoofd Staat der genationaliseerde industrie en die langzamerhand op dit gebied de resten der privaat-kapitalistische exploitatie vernietigt of assimileert, bezit de neiging zijn heerschappij over alle produetie-gebieden uit te breiden.«-£M., S.84.
22) Ebd., S. 82-83.
23) »De geheele staatshuishouding der U.S.S.R. steh als het wäre een enkele groote fabriek voor, waarin een geordende samenwerking en arbeidsverdeeling tussen de verschillende werkplaatsen aanwezig is.« - Ebd., S. 111.
24) »De bureaukratie mag dan niet altijd de zaken goed beheeren, zij doet het altijd beter dan de bourgeoisie. Zij werkt onder geheel andere omstandigheden en steh, met welk privaat produetie systeem ook vergeleken een hoogere produetievorm voor.« -Ebd., S. 110.
25) Adler (1879-1960), von 1911 bis 1916 Sekretär der österreichischen sozialdemo­kratischen Partei, wurde 1917 nach dem Attentat auf den Ministerpräsidenten Karl Graf Stürgkh zu einer Gefängnisstrafe verurteilt, 1918 wieder freigelassen. Er gehörte zu den Gründern der »zwei-ein-halbten« Internationale. Siehe Julius Braunthal, Victor und Friedrich Adler. Zwei Generationen Arbeiterbewegung, Wien (Verlag der Wiener Volks­buchhandlung) 1965 und Rudolf G. Ardelt, Friedrich Adler: Probleme einer Persön­lichkeitsentwicklung um die Jahrhundertwende, Wien (österreichischer Bundesverlag) 1984.
26) Friedrich Adler, »Das Stalinsche Experiment und der Sozialismus«, Der Kampf, Bd. 25 (1932), S. 4. Kurze Zeit später polemisierte Adler von derselben Position aus gegen Kautsky, wobei er in Anspruch nahm, für die überwältigende Mehrheit der Internationale zu sprechen: Friedrich Adler, »Zur Diskussion über Sowjetrußland. Ein Briefwechsel mit Karl Kautsky«, Der Kampf, Bd. 26 (1933).
27). Über »Die sogenannte ursprüngliche Akkumulation«: Kapitel 24 von Karl Marx, Das Kapital I = MEW, Bd. 23, S. 741-791.
28). Adler, »Das Stalinsche Experiment«, S. 9.
29) Ebd., S. 10.
30) Ebd., S. 11-12.
31) Rafail Abramowitsch, »Stalinismus oder Sozialdemokratie«, Die Gesellschaft, 1932, Bd. I, S. 145. Ausführlicher über die menschewistischen Auffassungen ist Simon Wolin, »Socialism and Stalinism«, in: Leopold H. Haimson (Hg.), The Mensheviksfrom the revolution of!917to the Second World War, Chicago/London (University of Chicago Press) 1974; Sozialistische Revolution in einem unterentwickelten Land. Texte der Menschewiki zur russischen Revolution und zum Sowjetstaat 1903-1937, Hamburg (Junius) 1981, S. 131-204; und Andre' Liebich, »I menscevichi di fronte alla costruzione delP Urss«, in: Storia del marxismo, Bd. III-2, Turin (Giulio Einaudi) 1981.
32) Werner Röder/Herbert A. Strauss (Hg.), Biographisches Handbuch der deutsch­sprachigen Emigration nach 1933, Bd. I, Politik, Wirtschaft, Öffentliches Leben, Mün­chen usw. (K.G. Saur) 1980, S. 787-788.
33). Olaf Ihlau, Die roten Kämpfer. Ein Beitrag zur Geschichte der Arbeiterbewegung in der Weimarer Republik und im Dritten Reich, Meisenheim/Glan (Anton Hain) 1969. Ihlau meint, daß die Thesen ausschließlich in hektographierter Form unter den deutschen Gruppen verbreitet worden seien und daß sie »nirgendwo abgedruckt worden sind« (S. 95). Das ist jedoch nicht richtig. 1934 wurden die Thesen sowohl von der Rätekorre­spondenz, einer in Amsterdam erscheinenden deutschsprachigen Zeitschrift, sowie in englischer Übersetzung von der in Chicago erscheinenden International Council Cor-respondence herausgegeben: »Thesen über den Bolschewismus«, Rätekorrespondenz, Nr. 3 (August 1934); »Theses on Bolshevism«, International Council Correspondence, Bd. 1, Nr. 3 (Dezember 1934). Beide Versionen enthalten 67 Thesen; im deutschen Text hat die letzte These zwar die Nummer 68, doch fehlt These Nummer 60. Der amerika­nische Text ist mit 1 bis einschließlich 67 durchnumeriert, so daß dort These 60 mit These 61 in der deutschen Version übereinstimmt. Der amerikanische Text gibt in einem redaktionellen Vorwort an, die Thesen seien gemeinsam von »the Group of International Communists of Holland« verfaßt worden. Vielleicht ist dies die Ursache des Umstands, daß die Thesen »wiederholt zu Unrecht der GIC zugeschrieben wurden« - Jaap Kloo-sterman, »Aantekeningen«, in: Anton Pannekoek, Partij, raden, revolutie. Zusammen­gestellt und mit Anmerkungen versehen von Jaap Kloosterman, Amsterdam (Van Gen-nep) 1972, S. 198. Die Thesen werden im folgenden einschließlich der Numerierung nach der Rätekorrespondenz-Version zitiert.
34) These 5.
35) These 6.
36) These 10.
37) These 9.
38) These 13.
39) These 18.
40) These 17.
41) Thesen 30,31,35, 36,37.
42) These 44.
43) These 57.
44) Thesen 58, 59.
45) These 59.
46) Dieser Titel wird genannt in: Ihlau, Rote Kämpfer , S. 101, Anm. 232. Die Datierung 1936-37 basiert auf einer unter Pseudonym publizierten spanischen Broschü­re: »Los capitulos siguientes representan solo una parte de un estudio mäs bien volumi-noso acerca del bolchevismo, basado en mäs de cinco afios de atenta investigaeiön y que formule finalmente durante 1936 y 1937«. - »Prefacio«, in: Rodolfo Sprenger, El Bolchevismo. Su papel. Sus m&todos. Su filiaeiön. Sus objetivos. Santiago-Chile (Im-prenta Nueva) 1947, S. 3.
47) Rudolf Sprenger, »Das gesellschaftliche Gesicht des Bolschewismus«, Rote Revue, 13 (1933-34), S. 314-320; derselbe, Bolshevism: its Roots, Rote, Class View and Methods. Übers, v. Integer. New York (International Review) o.J. [circa 1940].
48) »Weil man nicht leugnen kann, daß in der Sowjetunion kein Privatkapitalismus existiert, und man andererseits nicht anerkennen darf, daß dort Sozialismus herrscht, so bleibt ihnen nur übrig zu behaupten, daß dort Staatskapitalismus ist«. - H. Linde, »Die
ideologische Vorbereitung der Intervention durch die II. Internationale«, Unter dem Banner des Marxismus, VI (1932), S. 32.
49) R.L. Worrall, »U.S.S.R.: Proletarian orCapitalist State?«,Modern Quarterly, Bd. 11, Nr. 2 (Winter 1939); auch erschienen unter dem Titel »U.S.S.R.: Proletarian or Capitalist State?«, [The] Left {Forum], Nr. 39 (1939), und Nr. 40 (1940).
50)Die Redaktion von Modern Quarterly spricht von »Dr. Worrall«. Andrew Wells teilte mir mit, daß Worrall aus Australien stammt. Die einzige andere Publikation, die ich von Worrall finden konnte, hat ein philosophisches Thema: El panorama de la ciencia. Übers, v. Ana Maria Reyna, Mexico D.F. (Universidad Obrera de Mexico) 1937.
51) Gemeint ist die folgende Passage: »drei Haupttatsachen der kapitalistischen Produktion: 1) Konzentration der Produktionsmittel in wenigen Händen [...]. 2)Organisation der Arbeit selbst, als gesellschaftlicher [...]. 3) Herstellung des Weltmarkts.« - Karl Marx, Das Kapital Bd. III = MEW, Bd. 25, S. 276-277.
52) Gemeint ist die folgende Passage: »Es sind zwei Charakterzüge, welche die kapitalistische Produktionsweise von vornherein auszeichnen. Erstens. Sie produziert ihre Produkte als Waren [...]. Das zweite [...] ist die Produktion des Mehrwerts als direkter Zweck und bestimmendes Motiv der Produktion«. Ebd., S. 886-887.
53) Gemeint ist folgende Passage: »III. Bildung von Aktiengesellschaften. Hierdurch: [...] 2. [...] Es ist die Aufhebung des Kapitals als Privateigentum innerhalb der Grenzen der kapitalistischen Produktionsweise selbst. 3. Verwandlung des wirklich fungierenden Kapitalisten in einen bloßen Dirigenten, Verwalter fremden Kapitals, und der Kapital­eigentümer in bloße Eigentümer, bloße Geldkapitalisten«. Ebd., S. 452.
54) Gemeint ist insbesondere die folgende Passage: »Der moderne Staat, was auch seine Form, ist eine wesentlich kapitalistische Maschine, Staat der Kapitalisten, der ideelle Gesamtkapitalist. Je mehr Produktivkräfte er in sein Eigentum übernimmt, desto mehr wird er wirklicher Gesamtkapitalist, desto mehr Staatsbürger beutet er aus. Die Arbeiter bleiben Lohnarbeiter, Proletarier. Das Kapitalverhältnis wird nicht aufgehoben, es wird vielmehr auf die Spitze getrieben«. Friedrich Engels, Anti-Dühring (Herrn Eugen Dührings Umwälzung der Wissenschaft) (1878), MEW, Bd. 20, S. 260.
55) »Its social aim, objectively speaking, is the accumulation of capital in Russia -the production of commodities, the extraction of surplus-value from the working class, the realisation of this surplus-value as profits of the State and the conversion of profits into further State property, especially capital in the form of further means of production; more factories, more machinery, more mines etc.« - Worrall, »U.S.S.R.: Proletarian or Capitalist State?«, S. 12.
56) Ebd.,
S. 12.
57)
»a transition stage in which the principle of private property has been abolished, and the means of production are withheld from proletarian control only by a precariously placed bureaucracy.« - Ebd., S. 13
58) Ebd.,
S. 18.
59) Martin Jay, The Dialectical Imagination. A History of the Frankfurt School and the Institute of Social Research 1923-1950, London (Heinemann) 1973; Helmut Dubiel, »Kritische Theorie und politische Ökonomie«, in: Friedrich Pollock, Stadien des Kapi­talismus. Hrsgg. und eingeleitet von Helmut Dubiel, München (C.H. Beck) 1975.
60) Friedrich Pollock, Die planwirtschaftlichen Versuche in der Sowjetunion, Leipzig (Schriften des Instituts für Sozialforschung an der Universität Frankfurt a.M.) 1929.
61) Friedrich Pollock, »Die gegenwärtige Lage des Kapitalismus und die Aussichten einer planwirtschaftlichen Neuordnung«, Zeitschrift für Sozialforschung, I (1932).
62) Friedrich Pollock, »Staatskapitalismus«, in: derselbe, Stadien des Kapitalismus [ursprünglich: »State Capitalism: its Possibilities and Limitations«, Studies in Philoso-phy and Social Sciences, IX (1941)], S. 131, Anm. 28.
63) Ebd.,
S. 129, Anm. 16.
64) ebd.,
S. 72.
65) Ebd.,
S. 76-80.
66) Ebd.,
S. 83.
67) Ebd.,
S. 91.
68) Ebd.,
S. 91-93.
69) Ebd.,
S. 96.
70) Max Horkheimer, »Autoritärer Staat« [1942], in: derselbe, Gesellschaft im Übergang. Aufsätze, Reden und Vorträge 1942-1970. Hrsgg. von Werner Brede. Frank­furt/M. (Athenäum Fischer Taschenbuch) 1972.
71) Pollock und Horkheimer waren von 1911 bis zu Pollocks Tod 1970 sehr eng befreundet und unterhielten stets sehr engen Kontakt miteinander. Siehe z.B. Helmut Gumnior/Rudolf Ringguth, Max Horkheimer, Reinbek (Rowohlt) 1983, S. 13.
72) Ebd.,
S. 19. Die Formulierung »bleiben Lohnarbeiter, Proletarier« ist offenbar ein Verweis auf Friedrich Engels (siehe Anm. 54).

Editorische Hinweise

Marcel van der Linden, Von der Oktoberrevolution zur Perestroika, Ffm 1992, S.50-60