"Das globale ökologische Desaster und die Marxisten-Leninisten"
Antwort an Frank Braun und Jürgen Suttner

von Stefan Engel

07-2014

trend
onlinezeitung

Gelsenkirchen, den 8.5.14

Liebe Genossen,

ich komme wie versprochen zurück auf unseren Schriftwechsel von Anfang Januar. Ihr hattet Diskussionsveranstaltungen zur Umweltfrage vorgeschlagen und uns die Möglichkeit einer Antwort / Erwiderung auf Euren Artikel Das globale ökologische Desaster und die Marxisten-Leninisten vom Dezember 2013 angeboten. Dieser wurde am 6.1.2014 in der Online-Zeitschrift trend-online veröffentlicht. Ich begrüße ausdrücklich, dass Ihr damit der Auseinandersetzung um die Lösung der Umweltfrage einen hohen Stellenwert einräumt. Kritisieren möchte ich jedoch die Methoden Eurer Kritik. Ihr beschränkt Euch in vielen Punkten auf Mutmaßungen und Unterstellungen und gebt Euch herzlich wenig Mühe, Eure Behauptungen durch Fakten zu untermauern.

Eure Behauptung, die MLPD komme »zum Thema ‚Mensch-Natur-Verhältnis’ … mit einer ideologisch und methodisch stark idealisierenden Schlagseite daher«, ist abstrus und wird auch mit keinem einzigen Beleg versehen. Ihr greift unsere Qualifizierung »Einheit von Mensch und Natur« an und stellt dem Eure Qualifizierung »Natur als Grundlage und nicht als Einheit« als »die richtige Bezeichnung« entgegen. Damit leugnet Ihr, dass Mensch und Natur eine dialektische Einheit von Gegensätzen darstellen, in der beide Seiten miteinander ringen bzw. sich durchdringen, mit der Natur als grundlegender Seite. Die Reduzierung auf „Grundlage“ verwandelt das dialektische Wechselverhältnis in eine einseitige, mechanische Beziehung. Dazu haben wir im RW 35 „Der Klassenkampf und der Kampf um die Einheit von Mensch und Natur“ auf S. 60 geschrieben: „Die Frage der Einheit von Mensch und Natur ist jedoch keine zeitbezogene, sondern eine grundsätzliche Frage des Marxismus. Ihre allgemeine weltanschauliche Geringschätzung stand im Gegensatz zu Lenin, der die Einheit von Mensch und Natur immer als grundlegende Frage behandelt hat. In seinen philosophischen Schriften qualifiziert er sie sogar als Scheidelinie zwischen Materialismus und Idealismus: »... nicht die Natur und das Reich des Menschen richten sich nach den Prinzipien, sondern die Prinzipien sind nur insoweit richtig, als sie mit Natur und Geschichte stimmen. Das ist die einzige materialistische Auffassung der Sache … hier handelt es sich … um den Gegensatz von Materialismus und Idealismus, um den Unterschied der beiden philosophischen Grundlinien.« (»Materialismus und Empiriokritizismus«, Lenin, Werke, Bd. 14, S. 32/33)“

Ohne die menschliche Arbeit, die die Arbeitskraft mit dem Naturstoff verbindet, gibt es auch keine Produktivität, sodass Euer Begriff von der „Naturproduktivität als Grundlage des menschlichen Lebens“ unwissenschaftlich ist, von den Klassikern des Marxismus-Leninismus so auch nie verwendet wurde. Der MLPD „Naturromantik“ vorzuwerfen, ist grotesk. Entweder habt ihr euch nicht die Mühe gemacht oder hattet es gar nicht vor, Euch mit dem zu beschäftigen, was wir nachprüfbar vertreten: „80% der Wälder auf der Erde sind von Menschenhand gepflanzt... Die Landschaften sind von den Menschen geprägt. In der Produktion machen wir ja nichts anderes, als Naturstoffe zu verarbeiten und uns die Gesetzmäßigkeiten der Natur anzueignen, um sie für uns nutzbar zu machen. Die Biosphäre in ihrer heutigen Entwicklungsstufe – und das war nicht immer so – ist maßgeblich durch die Einwirkung des Menschen geprägt und stellt wiederum die natürliche Basis der menschlichen Existenz in der heutigen Form dar… Die Geschichte der Menschheit ist von Anfang an bestimmt durch eine immer höhere Einheit von Mensch und Natur. … Die Einheit von Mensch und Natur ist grundlegend, und zwar solange die Menschheit existiert. Das ist die Grundauffassung der Marxisten-Leninisten seit Marx und Engels. Es kann nicht sein, dass die Umwelt zerstört wird und der Mensch weiter existiert.“ (Stefan Engel: Die Gefahr der Umweltkatastrophe und die internationale sozialistische Revolution, Reihe „Ich habe Durchblick“, Heft 6, S.11-12)

Ihr sprecht in Eurem Artikel undifferenziert von einem „ökologischen Desaster“ des Kapitalismus, ohne zu definieren, was Ihr darunter eigentlich versteht. Der Kapitalismus hat es vermocht, mit seinen modernen Naturwissenschaften und der industriellen Produktionsweise die bisher höchste Stufe der Einheit von Mensch und Natur hervorzubringen und zugleich die Gefährdung des Lebens auf der Erde hervorgebracht. Zur Frage der Qualifizierung des Übergangs von einer chronischen globalen Umweltkrise in die globale Umweltkatastrophe gibt es Eurerseits keine Aussage. Das ist aber eine Kernfrage der heutigen Analyse und Auseinandersetzung.

Ihr behauptet, der Kapitalismus sei schon immer umweltzerstörerisch gewesen, deswegen könne es auch keinen neuen hauptsächlichen Widerspruch geben. Das sei eine Erfindung der MLPD, um von ihrer bisherigen Nicht-Aktivität in der realen Umweltbewegung abzulenken. Seit ihrer Gründung 1982 ist die MLPD für den Umweltschutz aktiv. Unmittelbar nach der Atomkatastrohe im japanischen Fukoshima im März 2011 war sie unter den Allerersten, die den Super-GAU richtig analysierten und den Massenprotest organisierten.

Im RW 32-34 stellten wir erstmals die These auf, dass kapitalistische Produktion und Konsumtion nur noch auf der Grundlage chronischer krisenhafter Zerstörung der Umwelt funktionieren, und haben diese These jetzt im RW 35 auch umfassend und wissenschaftlich bewiesen.

Euer Standpunkt „Der Kapitalismus war schon immer so und es hat sich nichts Wesentliches geändert“ ist fernab von jeder Realität. Er steht auch im direkten Gegensatz zum Marxismus, der die historisch fortschrittliche Rolle des Kapitalismus der freien Konkurrenz betont mit seiner Funktion der Entwicklung der gesellschaftlichen Produktivkräfte, die die materielle Basis für die Herausbildung des Industrieproletariats sind. Kein ernstzunehmender Mensch kann behaupten, dass die konkrete Gefahr der Vernichtung der Menschheit in einer globalen Umweltkatastrophe schon von Anfang des Kapitalismus an so bestanden hätte. Die Verwandlungen von Kapitalismus der freien Konkurrenz zum Imperialismus, zum staatsmonopolistischen Kapitalismus und jetzt zur Diktatur des allein herrschenden internationalen Finanzkapitals mit der Neuorganisation der internationalen Produktion werden von Euch genauso ausgeblendet, wie alle in diesen Prozessen neu entstandenen Gesetzmäßigkeiten. Euer dogmatischer Standpunkt ist eigentlich Ergebnis der Verleugnung der Notwendigkeit einer ständigen konkreten Analyse und der Notwendigkeit des Aufspürens neuer wesentlicher Erscheinungen und Gesetzmäßigkeiten im Kapitalismus. Wer so vorgeht, wird nie die Massen überzeugen und begeistern können und ist auch nicht in der Lage, eine richtige revolutionäre Strategie und Taktik zu entwickeln, die ja in Übereinstimmung mit der sich ständig verändernden Wirklichkeit stehen muss.

Eure Unterstellung einer „stillschweigenden Kurskorrektur der MLPD“ ist reine Erfindung und auch durch nichts belegbar. Seit der Herausgabe des RW 23 „Krisen und Klassenkampf“ 1984 und mit dem Beschluss des Parteiprogramms hatte die Umweltfrage einen festen und angemessenen Platz in der Linie der MLPD, wurde die Theorie in dieser Frage ständig schöpferisch weiterentwickelt. Der Beschluss unseres IX. Parteitags, die Umweltfrage zur zweitwichtigsten Kampflinie der Partei nach der Hauptkampflinie Betriebs- und Gewerkschaftsarbeit zu bestimmen und zu entwickeln, ist keine „Kurskorrektur“, sondern eine konsequente Weiterentwicklung unserer Linie, eine Erweiterung unserer Strategie und Taktik und bewusste Veränderung unseres Systems der Kleinarbeit. Er wurde notwendig, weil mit der drohenden globalen Umweltkatastrophe auch Änderungen in der Strategie und Taktik der Vorbereitung der internationalen Revolution folgen müssen. Von „stillschweigend“ kann hier erst recht nicht die Rede sein! Ohne die feste Grundlage der systematischen Kleinarbeit an der Hauptkampflinie, auf die sich die MLPD auch lange Zeit voll und ganz konzentrieren musste, gäbe es auch keinerlei materielle Grundlage für die Herstellung der notwendigen Verbindung von Arbeiter- und Umweltbewegung, die schließlich gegen den erbitterten Widerstand der bürgerlichen Politiker und Gewerkschaftsführer sowie vieler vom Antikommunismus, Arbeiter- und Massenfeindlichkeit durchdrungener Wortführer der kleinbürgerlichen Umweltbewegung erst einmal durchgesetzt werden muss. Das verlangt auch eine Selbstveränderung der Arbeiterbewegung und der Revolutionäre und ein dialektisch-materialistisches Umweltbewusstsein als Bestandteil des Klassenbewusstseins auf der Stufe der heutigen Anforderungen.

Ihr polemisiert weiterhin gegen unsere Forderungen zur Durchsetzung von Kreislaufwirtschaft und erneuerbaren Energien und die von uns aufgezeigte materielle Vorbereitung des Sozialismus im Kapitalismus. Ihr verschließt Eure Augen vor der Tatsache, dass die Produktivkräfte des Kapitalismus, auch wenn sie sich unter der Alleinherrschaft des internationalen Finanzkapitals in Destruktivkräfte verwandelt haben, eine in der Menschheitsgeschichte noch nie dagewesene materielle Vorbereitung des Sozialismus darstellen, die es aus den kapitalistischen Fesseln zu befreien gilt, um die soziale Frage in Einheit mit der Umweltfrage lösen zu können. Um es einmal polemisch zuzuspitzen: Wer nicht für die Umstellung der Energiegewinnung auf regenerative Energien ist, der wird die Menschheit weiterhin dem Frevel der Verbrennung fossiler Energien und der radioaktiven Verseuchung durch die Atomenergie aussetzen. Wer gegen umfassendes Recycling und Kreislaufwirtschaft ist, der lässt die Erde und ihren Widerspruch weiterhin mit giftigem Chemiemüll und Abgasen traktieren, wobei schon die Imperialisten einräumen, dass weltweit jeder achte Todesfall aus der Luftverschmutzung stammt. Wer sich dieser Umstellung entgegenstellt, plädiert für die weitere Überausbeutung begrenzter Ressourcen oder für eine Armuts-Ökonomie. Das kann doch wohl allen Ernstes nicht Euer Ziel sein!

Wenn wir schon unter der kapitalistischen Herrschaft auch in Verpflichtung gegenüber weiteren Generationen diesen Kampf für erneuerbare Energien und gegen die weitere chemische und atomare Vergiftung von Mensch und Natur führen müssen, so nicht in der Illusion einer „grünen Konversion“ des Kapitalismus, sondern als Schule des Klassenkampfs zum Sturz des Imperialismus und Errichtung des Sozialismus in allen Ländern. Erst auf dieser Grundlage ist eine Produktions- und Lebensweise möglich, die die Einheit von Mensch und Natur unaufhörlichweiterentwickelt.

Beim Giftmüll unter Tage, der jetzt bei Flutung der Zechen unser Grundwasser vergiften würde, handelt es sich auch unter anderem um die Filterabfälle der Müllverbrennungsanlagen. Soll man den Kampf gegen diese Verbrechen als reine Abwehrschlacht führen, ohne die zukunftsweisenden Verfahren zu propagieren und zu fordern, die heute schon möglich sind, im Kapitalismus aber zur Randerscheinung verkümmern oder unterdrückt werden? Das wäre ökoreformistisch!

Die MLPD kommt für alle überprüfbar ihrer Verantwortung nach, den Umweltkampf als Schule des Kampfs für den Sozialismus zu organisieren und die notwendigen Kampfforderungen/Kampf um Reformen mit der Propagierung der sozialistischen Alternative und der Vorbereitung der internationalen Revolution zu verbinden. Sollen wir stattdessen der kapitalistischen Zerstörung oder der kleinbürgerlichen Umweltbewegung defensiv hinterherhecheln und alle notwendigen Visionen eines Lebens in nachhaltiger Einheit von Mensch und Natur im echten Sozialismus verleugnen zugunsten einer Sozialismus-Vorstellung von einem demokratisierten Kapitalismus, der auf die größten Umweltverbrechen dann doch bitte verzichten möge? Dazu muss man natürlich auch der heutigen Umweltbewegung klassenkämpferische Eigenschaften andichten. Läuft Euer Artikel nicht darauf hinaus?

Ihr qualifiziert die aktuelle Umweltbewegung als fortschrittlich und als  „Klassenkampf“. Die MLPD kritisiere die Bewegung zu unrecht als kleinbürgerlich, würde das Modell der Umweltgewerkschaft fördern, um vor einer wirklich harten Mitarbeit in der Umweltbewegung, Überzeugung der dort aktiven Massen und einer wirklichen Aktionseinheitspolitik zurückzuweichen. Wir anerkennen durchaus die Rolle der Umweltbewegung in der Weckung eines Umweltbewusstseins und würdigen auch die Erfolge, die im aktiven Widerstand erzielt werden. Deshalb muss man dieser Bewegung jedoch keinen gesellschaftsverändernden Charakter andichten, die weltanschaulich mehr oder minder reaktionär vom modernen Antikommunismus beeinflusst ist.

Ihr schreibt: „Und es ist ja wohl Klassenkampf, wenn unter anderem die Enteignung der Energiemonopole gefordert wird und der Ausstieg aus AKW-Technologie sowie der Energiegewinnung via Ausbeutung und Verbrennung fossiler Ressourcen?“

Sind verstaatlichte Energiekonzerne unter den heutigen Bedingungen per se fortschrittlich? Über die Vorstellung, dass durch die Verstaatlichung von Post und Eisenbahn ohne sozialistische Revolution der Kapitalismus in den Sozialismus umgewandelt werden kann, haben sich schon die Klassiker lustig gemacht. EnBW ist im Besitz des Landes Baden-Württemberg, dieses wird vom „grünen“ Ministerpräsidenten Kretschmann regiert, RWE hat einen hohen Anteil kommunaler Aktionäre usw. ̶ hat das bisher etwas an der destruktiven Energie- und Umweltpolitik dieser Konzerne geändert? Ihr ignoriert hier einfach die Verschmelzung von Staat und Monopolen im staatsmonopolistischen Kapitalismus und die vollständige Unterordnung des Staats unter die Alleinherrschaft des Finanzkapitals! Klassenkampf ist der bewusste Kampf der Arbeiterklasse gegen die Kapitalistenklasse und ihren Staatsapparat um die politische Macht – alles andere ist Kampf um Reformen. Dass es bei vielen Aktivisten der Umweltbewegung eine Offenheit für gesellschaftliche Alternativen gibt und der Wunsch nach wirklich konsequenten Kampfformen wächst, wird durch die undemokratischen und ausgrenzenden Machenschaften sich selbst legitimierender kleinbürgerlicher Führer schwer attackiert. Jüngstes Beispiel ist der offen antikommunistisch begründete Ausschluss von MLPD und Umweltgewerkschaft aus dem Anti-Moorburg-Bündnis „Gegenstrom 14" in Hamburg. Dieser moderne Antikommunismus kann in der Tat nicht mit einer in demokratischer Streitkultur ausgetragenen Auseinandersetzung um Richtung, Ziele und Methoden der Umweltbewegung verwechselt werden! Generell unterschätzt Ihr die Rolle der Bewusstheit und der kleinbürgerlichen Denkweise verschiedenster Ausformung. Das ist letztlich eine Anbetung der Spontaneität.

Wir konnten in der Zwischenzeit – wie Euch bereits angekündigt – unsere Arbeit am Revolutionären Weg 35 „Der Klassenkampf und der Kampf um die Einheit von Mensch und Natur“ erfolgreich abschließen. Die Buchausgabe Katastrophenalarm – Was tun gegen die mutwillige Zerstörung der Einheit von Mensch und Natur? ist pünktlich zur Leipziger Buchmesse am 13. März erschienen, wurde dort öffentlich vorgestellt und erfreut sich bereits einer relativ großen Verbreitung. Der öffentliche Vertrieb führt zu lebhaften Diskussionen und zeigt eine große Aufgeschlossenheit für die notwendige revolutionäre Lösung der Umweltfrage. Wir schlagen Euch vor, das Buch in Eurem Online-Magazin vorzustellen und zu bewerben. Wir sind gerne bereit, diese Auseinandersetzung im Weiteren mit der Vorstellung und Diskussion des RW 35 zu verbinden. Wir erhoffen Eurerseits eine ernsthafte Beschäftigung mit diesem Buch unter der Prämisse, einen tatsächlichen Beitrag zum Kampf für die Rettung der Umwelt vor der Profitwirtschaft zu leisten. Ernste Themen erfordern eine Streitkultur, die nicht davor zurückschreckt, kontroverse Standpunkte wo notwendig auch polemisch auszutragen, sich aber stets um Sachlichkeit und gegenseitigen Respekt bemüht. In diesem Sinne erwarte ich mit Interesse Eure Antwort.

Mit solidarischen und revolutionären Grüßen,

Stefan Engel

Editorische Hinweise

Bedingt durch die Redaktionsferien erfolgt die verspätete Veröffentlichung der Antwort von Stefan Engel auf die Kritik von Frank Braun und Jürgen Suttner an der Umweltpolitik der MLPD. Stefan Engel ist Vorsitzender der MLPD.

Mehr über den Autor siehe: http://www.stefanengel.info/