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Das Organizing-Konzept: Gewerkschaft von unten
einblick - der gewerkschaftliche Infodienst  13/2007 vom 16.07.2007

Organizing heißt das Konzept, mit dem einige angelsächsische Gewerkschaften in den vergangenen Jahren erfolgreich Mitglieder für die Gewerkschaften gewinnen konnten. In Hamburg probiert ver.di gleich in zwei Projekten aus, ob Organizing auch hierzulande funktioniert.

Stephen Lerner ist derzeit ein gefragter Mann in der internationalen Gewerkschaftsszene. An diesem Nachmittag erzählt der Chefstratege der US-amerikanischen Dienstleistungsgewerkschaft SEIU in einem Fabrikloft in Berlin vor mehreren Dutzend GewerkschafterInnen, wie es die SEIU geschafft hat, Hausmeister, Wachleute und Reinigungskräfte davon zu überzeugen, sich für ihre Anliegen stark zu machen. Viele von ihnen sind Migranten. Man könnte denken, dass sie Angst hätten, sich in den traditionell eher gewerkschaftsfeindlichen USA offen zur Gewerkschaft zu bekennen. Doch ganz im Gegenteil: Innerhalb eines guten Dutzend Jahren ist es der SEIU gelungen, die Mitgliederzahl zu verdoppeln, von 900 000 auf 1,8 Millionen.

Die Trendwende in der SEIU sei gewesen, zu erkennen, dass es nicht darum gehe, sich nur um die ArbeitnehmerInnen zu kümmern, die bereits Mitglied seien. „Das ist eine Verliererstrategie", sagt Lerner. Die SEIU nutzte deshalb den größten Teil ihrer Ressourcen dafür, Unorganisierte von der Idee von Gewerkschaft zu überzeugen. Noch heute, sagt Lerner, gehe die Hälfte des Etats in Organizing. Unter anderem, um Leute professionell zu schulen, wie man eine Branche organisieren kann. Dazu gehört das persönliche Gespräch mit ArbeitnehmerInnen, aber auch, eine Branche genau unter die Lupe zu nehmen und zu überlegen, wie man dort strategisch Fuß fassen kann. Das kann bedeuten, zum Beispiel die Kunden eines Wachunternehmens darauf aufmerksam zu machen, unter welch miserablen Bedingungen der Wachmann an der Pforte arbeitet. Organizing heißt auch, sich der Mittel zu bedienen, mit denen soziale Bewegungen in den letzten Jahren Erfolg hatten: bunte, phantasievolle und öffentlichkeitswirksame Aktionen, die Einbindung von anderen gesellschaftlichen Akteuren wie die Kirchen, politische Initiativen und auch die Medien. All das basiert meist auf einem so genannten plan to win. Nach einer umfassenden Recherche erstellen Organizer ein Strategiepapier, wie eine Branche an einem bestimmten Ort „geknackt" werden kann, und setzen diesen Schritt für Schritt in einer Eskalationsstrategie um.

Erste positive Erfahrungen hat der ver.di-Landesbezirk Hamburg in den vergangenen zwei Jahren gesammelt. In enger Zusammenarbeit mit der SEIU, die eine ihrer Organizerinnen zur Unterstützung nach Hamburg entsandte, hat der dortige Fachbereich „Besondere Dienstleistungen" in der Sicherheitsbranche Wachleute organisiert. Mit 200 neuen Mitgliedern hat ver.di das ursprünglich gesetzte ehrgeizigere Ziel zwar nicht erreicht, aber den Organisationsgrad in dieser Billigtarifbranche immerhin um 50 Prozent gesteigert. Das hat sich inzwischen in den Tarifverhandlungen ausgewirkt, bei denen ver.di einen höheren Abschluss erzielen konnte. Um etwa in der Firma Power endlich einen Betriebsrat wählen zu können, erwies sich das Mittel, die Kunden auf die schlechten Arbeitsbedingungen hinzuweisen, als äußerst hilfreich. So mahnte die Geschäftsleitung von Gruner und Jahr das Management von Power an, endlich Betriebsratswahlen zuzulassen. Falls nicht, werde man den Auftrag kündigen. Die Drohung wirkte.

Der nachhaltigste Effekt dürfte aber das „Empowerment" der Aktiven in der Wachbranche sein. Im Gegensatz zur oft praktizierten Stellvertreterpolitik ist es Ziel von Organizing, die Beschäftigten in die Lage zu versetzen, selbst für ihre Interessen aktiv zu werden. In Hamburg gibt es nun ein Aktiventreffen der Wachleute unter dem Dach von ver.di, in dem regelmäßig Aktionen geplant werden. Basierend auf den Erfahrungen aus der Wachbranche, werden derzeit in einem zweiten Projekt Beschäftigte in der Logistikbranche organisiert.

Peter Bremme, Hamburger Fachbereichsleiter für besondere Dienstleistungen, hofft, auf dem ver.di-Bundeskongress im Oktober zusätzliche Ressourcen für Organizing werben zu können: „Wir können in Würde weiter schrumpfen und altern oder jetzt handeln." Bremme will mithilfe von Organizing weg von der Stellvertreter-Gewerkschaft hin zur Selbstorganisation von ArbeitnehmerInnen, so wie Gewerkschaften ursprünglich auch begonnen haben. Um Organizing ernsthaft zu betreiben müsse ver.di aber erheblich mehr Finanzmittel aufwenden. Ein wichtiger nächster Schritt könnte sein, eine Organizing-Akademie aufzubauen, in der Haupt- und Ehrenamtliche die Methoden von Organizing erlernen können.