NaO-„Sommerdebatte“ in Berlin vom 31.8. – 2.9.2012

Der Workshop vom "Arbeitskreis Kapitalismus aufheben"
Kämpfen - Untersuchen - Organisieren
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07-2012

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Untersuchung-Aktion-Organisation
Praktische Richtung der Untersuchung
Revolutionärer Kampf Frankfurt/M. (1971) S.14 - 16

Untersucht werden die Klassen Verhältnisse, wie sie In dem ausgewählten Einzelbetrieb spezifisch erscheinen, mit dem politischen Ziel, die gemeinsamen Interessen der Arbeiter in diesem Betrieb genau zu bezeichnen, um Formen spontanen (oder auch unterdrückten) Widerstands weitertreiben zu können. Die Widersprüche im Prozeß der direkten Produktion zersplittern jedoch die verschiedenen Arbeiterfraktionen, -kategorien und -abteilungen und setzen sie in Konkurrenz zueinander; weitere Formen der Konkurrenz sind die der einzelnen Kapitalien übereinander, die der nationalen Kapitalien slowie die zwischen den Interessen­vertretungen von Kapital und Lohnarbeit. Wie drückt sich diese Konkurrenz im einzelnen aus und durch welche Ansätze von Klassenbewußtsein und durch welche Aktionsformen kann sie überwunden werden? - das soll untersucht werden. Davon darf das Problem nicht isoliert werden, wodurch ein Bewußtsein in der eigenen Interessen als Klassenbewußtsein erschwert, blockiert und beschränkt wird. Solche Schranken ergeben sich nicht hur aus den Widersprüchen von Arbeits- und Verwertungsprozeß, sondern wesentlich aus den zugleich produzierten Mystifikationen, die durch entsprechende Ideologien abgestutzt werden (hier ist auch die Erfahrung notwendig, wie in der Ausbeutung und Entfremdung der Arbeit psychische Strukturen entstehen, die Ideologien stützen). Diese bürgerlichen Ideologien zerstreuen den Zwangszusammenhang, den das Kapital als gesellschaftliches (nationales und internationales) Klassenverhältnis tatsächlich darstellt, in viele vereinzelte Interessen und Bereiche, z. B. "eigener" Betrieb und andere, Arbeits- und Freizeit usw.
Von daher ist es erforderlich, Ansätze zu  Klassenbewußtsein schon im Gesichtswinkel der Untersuchung nicht auf den einzelnen Betrieb zu beschränken. Damit ist nicht nur gemeint, dass die Allgemeinheit des Kapitalvernältnisses durchschaut werden muß, sondern ebenso wichtig ist das Verhalten zu gesamtkapitalistischen Entwicklungen wie etwa Krise, technischer Fortschritt usw. Das leitet zum Bewußtsein vom Staat und der herrschenden Politik insgesamt über; in welchem Zusammenhang steht damit die gewerkschaftliche Interessenvertretung, wie wird die DKP aufgefaßt oder andere linke Organisationen?

Mit diesen Punkten ist angedeutet, wie sich die Untersuchung inhaltlich von bürgerlicher Empirie unterscheiden soll. Sehr wichtig ist dafür bereits in diesem Stadium, wie das Verhalten der Untersuchenden dem entspricht. Es ist leicht vorzustellen, daß solche Untersuchungen ein solidarisches Interesse nicht nur beinhalten, sondern auch praktische Solidarität erfordern, die nicht auf falsche Anpassung hinausläuft. Insofern ist der gemeinsame Erfahrungszusammenhang weder durch "teilnehmende Beobachtung" noch durch bewußtlose Identifikation mit den Arbeitern (was im Grunde hieße: Identifikation mit der entfremdeten Arbeit und Ausbeutung, der die Arbeiter unterworfen sind) bestimmt. Studentische Genossen sind einer doppelten Entfremdung ausgesetzt. Die Fabrikarbeit und der Umgang unter Arbeitern sind ihnen nach ihrer rein intellektuellen Ausbildung fremd, wenn auch nicht in jedem Fall unbekannt. So entsteht aus Unsicherheit, noch nicht politisch bewußt, eine starke Distanz, die ebenso in direkte Identifikation mit der Arbeit umschlagen kann. Die erste Erfahrung ist in ihrer "Unmittelbarkeit" gerade durch hohe Abstraktheit geprägt, und die Fülle sinnlich-praktischen Erlebens und rationale Erkenntnis bilden noch keine Einheit. Diese Einheit stellt sich im Verlauf der begrifflichen Verarbeitung einerseits als bewußtes Verhalten der Genossen her, nicht rationalistisch etwa in bloßem Diskutieren, überzeugen usw.; andererseits schlägt sie sich nicht als "exemplarische" Privataktion, sondern in richtiger Agitation nieder.

Agitation und Propaganda sollen in der Untersuchung entwickelt und In sie einbezogen werden. Das ist eine Kritik an allen Versuchen, Klasseninteressen abstrakt zu vereinheitlichen. So haben Parolen wie "Gleicher Lohn für Männer und Frauen" eher moralischen Charakter, wenn sie nicht in Kampf Situationen aufgestellt werden. Ebenso sind allgemeine Kritiken am Klassenverhältnis in der Agitation über Lohn und Profit, die nur in ihren preislichen Ausdrücken dargestellt werden, meist ebenso hilflos und unpraktisch wie moralische Gewerkschafts- und Revisionismuskritik in Flugblättern mit anschließenden Kampf- und Organisationsaufrufen, in denen Klassenbewußtsein gar keinen Inhalt mehr hat ("Klassenbewußte Arbeiter organisiert Euch in soundso").

Es ist weiter oben schon angeführt worden, wie sich der Charakter von Informationen im Spätkapitalismus generell verändert hat. Propaganda und mehr noch Agitation müßen diese Veränderung in Rechnung stellen und nicht selbst in den herrschenden Verdinglichungen stecken bleiben. Daraus ergibt sich die klare Zielrichtung von Agitation auf Aktionen, in denen Ideologien durchbrochen und gemeinsame Interessen wirklich zusammengefaßt werden können, also nicht nur propagiert werden. Solche Aktionen im Betrieb verwirklichen natürlich noch keine Kampfeinheit der ganzen Klasse, aber sie fördern ein Klassenbewußtsein, das die Bindung an die traditionelle Interessenvertretung auflöst und eigenes Handeln im Klasseninteresse freisetzt. Zur Propaganda ist hier noch anzumerken, daß z.B. internationalistische Inhalte erst im skizzierten Zusammenhang ihre moralische Fassade und ihren Charakter zufälliger exotischer Informationen verlieren können. Das heißt nicht, ein Stufenmodell bzw. eine Wachstumstheorie des Klassenbewußtseins zu unterstützen; es Ist im Gegenteil schon in einem frühen Stadium notwendig, internationalistische Inhalte zu propagieren. Nur sollten über ihren sofortigen praktischen Einfluß keine Illusionen bestehen.


Aktionen können nicht einfach angezettelt werden und entstehen andererseits auch nicht völlig spontan. Wir sind uns bewußt, daß das Stadium bis zur ersten Betriebsaktion eine lange Durststrecke von wenig spektakulärer Arbeit bedeuten kann. Insofern sind WErfolge" der Untersuchungsarbeit keineswegs in der Anzahl kontaktierter Arbeiter oder der Mißerfolg im Ausbleiben größerer Aktionen zu sehen. Für die Aktion ist wichtig, wie materielle Hindernisse der individuellen Beteiligung der Arbeiter ebenso überwunden wer­den können wie ideologische Hemmungen bzw. auch eine Mischung von beiden (Z.B. Gefährdung der Familie). Das wesentliche Ziel einer Aktion besteht weniger in direkten Verbesserungen der Arbeitsbedingungen und ähnlichem als in der Überwindung von Konkurrenz und Isolation verschiedener Abteilungen, Kategorien  und auch der einzelnen Arbeiter. Das erfordert es, in der Aktion zusammenfassende Forderungen und Parolen zu entwickeln, in denen sich die Klassenfronten im Betrieb konzentriert ausdrücken. Ist die Aktion für die Genossen auch nicht ohne jede organisatorische Voraussetzung, so wird in der solidarischen Austragung von Betriebskonflikten doch eine neue Situation hergestellt. Die gemeinsame Aktionserfahrung ist ein qualitativer Sprung von der Untersuchung zu ersten organisatorischen Schritten, die mehr bedeuten als die individuelle Sammlung von Arbeitern. Im Zusammenhang von Spontaneität, Klassenbewußtsein und Organisation halten wir pragmatische Lösungen für falsch und kurzsichtig. Zu viele Organisationen sind bereits auf dieser Stufe bürokratisch geworden oder zerfallen, weil sie klassenbewußte Kampfbereitschaft oberflächlich und äußerlich aufgefaßt haben, also bürgerliche Organisationsideologien nicht durchbrochen, sondern selbst erfüllt haben. Wir sehen uns deshalb auch nicht in der Lage, gegenwärtig das strategische Verhältnis von Kader- und Massenorganisation anzugeben, bevor nicht die ersten proletarischen Kerne in Aktionen entstanden sind.


Die Aktion ermöglicht die Bildung von Betriebsgruppen, die in dieser Phase aus Studenten und Arbeitern bestehen werden. Das politische und theoretische Wissen der studentischen Genossen soll helfen, die Aktionserfahrungen auszuwerten und eine Schulung einzuleiten. Um weitere Untersuchungen und Agitation gemeinsam durchführen zu können, muß hier die Arbeitsteilung in intellektuellen Tätigkeiten tendenzteil aufgehoben werden, so wenig dies eine gesellschaftlich-revolutionäre Aufhebung der Klassentrennung von Hand- und Kopfarbeit bedeuten kann. Gemeinsame Agitation und Propaganda soll sich in einer regelmäßigen Betriebszeitung niederschlagen, die die einzelnen Ansätze in verschiedenen Produktionseinheiten zusammenfaßt und organisiert. Hierbei sollen sich die Arbeiter immer entscheidender beteiligen und zu Kadern ausbilden. Unter diesen Bedingungen schließlich können sich neue Aktionen auf erweiterter Stufenleiter zu größeren Betriebskämpfen entwickeln. Unsere Aufgabe wird es dann sein, neue organisatorische Lösungen für Kader und Betriebsgruppen zu bestimmen, wobei das Verhältnis von proletarischen und intellektuellen Genossen die gemeinsame Weiterentwicklung des Klassenbewußtseins im Kampf beinhalten muß, also ihre gemeinsame Ausbildung zu Revolutionären. Weiter muß der Zusammenhang mit anderen Kernen der proletarischen Linken organisiert werden, um die Vereinzelung betrieblicher Ansätze wirklich strategisch überwinden zu können. An welchen Inhalten sich dieser Organisationsprozeß unserer Meinung nach orientieren soll, ist mit dem Untersuchungskonzept allgemein umrissen und wird besonders im nächsten Abschnitt zur Klassenanalyse und Strategie angedeutet.