Editorial
Zahlen & Dialektik

von Karl Mueller

07/04

trend
onlinezeitung

"...Wenn ich die ökonomische Last abgeschüttelt, werde ich  eine „Dialektik" schreiben. Die rechten Gesetze der Dialektik sind schon im Hegel enthalten; allerdings in mystischer Form. Es gilt diese Form abstreifen..."

Marx an Joseph Dietzgen, 9. Mai 1868.
 MEW, Bd. 32. S. 547.

Als am 1. März 2004 das Partisan.net crashte und dadurch der TREND aus dem Netz flog zeigte der auf der Startseite installierte Zähler gut 250.000 Zugriffe seit dem 1.1.2000 und der TREND belegte im Google-Ranking den 16. Platz von rund 320 so genannten alternativen Onlinemagazinen im deutschsprachigen Raum. Oder anders: Der TREND war ein etabliertes linkes Internetprojekt.

Durch diesen hinterhältigen, politisch reaktionär motivierten Anschlag sollte nicht nur eine Struktur zerschlagen werden, sondern vor allem bestimmte Inhalte - nämlich solche, die den US-Imperialismus und den hiesigen alltäglichen Rassismus in der Gestalt des "Anti-Islamismus" kritisierten - sollten nicht mehr verbreitet werden können.

Doch der Coup schlug fehl: TREND und partisan.net gibt es ungebrochen weiterhin, während der Drahtzieher dieses Anschlages seine SDS-Website verlor und die von ihm geführte rassistische Becklash-Kampagne ins publizistische Nirwana stürzte.

TREND und partisan.net verfügten bereits innerhalb von 24 Stunden über eine Internetpräsenz bei der "Linken Seite" und ihre MacherInnen und FreundInnen nutzten die Zwangspause, um die Konzepte beider Projekte neu  zu bestimmen. Mit der Maiausgabe 2004 startete der neue/alte TREND und die Umbauarbeiten des Partisan.net als INFOPARTISAN gingen in die letzte Runde und werden demnächst abgeschlossen sein. Damit ist der Punkt erreicht, wo eine erste Bilanz in Zahlen vorgelegt werden kann:

1. Da INFOPARTISAN mit dem alten Partisan.net-Webspace ungebrochen fortgesetzt werden konnte, liegen hier die Zahlen für 2004 lückenlos vor.

Monat Unterschiedliche Besucher
Jan 15251
Feb 14533
März 1483
Apr 1226
Mai 2954
Juni 3338

Wenn auch der Rückgang der NutzerInnen-Zahlen frappant ist, so darf nicht übersehen werden, dass INFOPARTISAN ab Mai 2004 nur noch ein reines Archiv-Projekt ist und damit nicht mehr über einen täglich aktualisierten Nachrichtenteil verfügt. Immerhin wurde vorher der Nachrichtenbereich monatlich von ca. 5.000 unterschiedlichen NutzerInnen in Anspruch genommen. Dennoch wirkte sich die Umstellung auf die neue Internetadresse auch auf den Archiv-Bereich nachteilig aus, weil die ursprünglichen Links von anderen Websites nicht mehr zutreffen. Ein gutes Beispiel hierfür sind die drei Bände des Marxschen Kapitals, die monatlich in etwa 400 Mal abgerufen wurden, während dies jetzt erst wieder 85 Mal im Monat passiert. Schließlich führte die Integration von Datenbeständen aus dem ehemaligen "Members"-Bereich zu einer Veränderung der Archivstruktur, für die hunderte von Querverweisen überprüft und aktualisiert werden müssen. Diese Arbeit ist noch nicht abgeschlossen. Gegenwärtige "Hits" des Archivbereichs sind "Aufruhr & Revolte", die "Maobibel" und die Materialien zum KPD-Verbot.

2. Anders beim TREND. Hier beginnen die Zählungen am 25.5.2004, weil der TREND seitdem eine neue technische Basis besitzt, wodurch es nun möglich ist, detaillierte Zahlen zur Nutzung der Website zu erhalten.

Monat

Unterschiedliche Besucher

Mai 584
Juni

3084

Bisher gab es nur einen so genannten "Counter" auf der Startseite, der lediglich Zugriffe auf diese Seite und nicht die BesucherInnen zählte - ein sehr ungenaues Verfahren, weil Doppelzählungen nicht ausgeschlossen waren. Insofern kann nur geschätzt werden, dass in etwa der TREND bereits im Juni 2004 mehr als die Hälfte seiner vorherigen LeserInnen zurück gewonnen hat. Dies ist insofern bemerkenswert, weil durch die "zerrissenen" Links der TREND genauso abgekoppelt war wie INFOPARTISAN. Da es zudem beim TREND zu inhaltlichen Verschiebungen gekommen ist, war es von besonderem Interesse herauszukriegen, ob dies von den LeserInnen angenommen wurde. Dies ist eindeutig der Fall:

Die Artikel von Robert Schlosser

die Artikel von von Daniel Dockerill

der Text von Franz Schandl, kommentiert von Karl Müller

und der Text von Werner Imhof

führen die Zugriffsliste an und bilden zusammen etwa den größten Teil der abgerufenen Seiten einer monatlichen Ausgabe.

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Diese Aufsätze wurden mit großen Interesse bei www.x-berg.de verfolgt. Besonders Dockerills Kritik an Heinrich war dort Anlass zu einem kleinen Disput, bei dem deutlich wurde, dass es starke Aversionen auf Seiten von unabhängigen, autonomen Linken gegen die materialistische Dialektik gibt bzw. dass Dialektik lediglich als eine Methode verstanden wird, mit ihr Sachverhalte zu untersuchen und/oder darzustellen allein aufgrund einer subjektiven Entscheidung und nicht als gedankliche Widerspiegelung objektiver Verhältnisse und Bedingungen.

Dockerill als "Traditionsmarxist", der Heinrichs Wertbegriff schlüssig widerlegt, musste angesichts solcher Ansichten natürlich Kritik hervorrufen. Konkret hieß es, er habe in Bezug auf den Wert das Verhältnis von Wesen und Erscheinung - anders als Heinrich - falsch dargestellt. Damit war der Boden der Dialektik betreten, wodurch deutlich wurde, dass hier heillose Verwirrung herrscht, die nicht zuletzt durch solche Marx-Interpreten, wie Heinrich, befördert wird.

"Specialisto" drückt dies so aus:

"Also Heinrich: abstrakte Arbeit wird im Tausch konstituiert.
Dockerill: die Individuen sind der Gesellschaft bedürftig, also a priori gesellschaftlich, also ist ihre Arbeit schon immer abstrakte gesellschaftliche Arbeit.
Mit Marx kann er das nur vermitteln, in dem er das Wesen gegen die Erscheinung ausspielt. Das Wesen existiert aber überhaupt nicht ohne die Erscheinung (das Wesen muß erscheinen, sagt Hegel). Was soll denn die gesellschaftlich notwendige Arbeit ohne den Tausch sein, der die Gesellschaftlichkeit überhaupt erst herstellt? Dockerill setzt Erscheinung = Schein = Trug, Heinrich tut das nicht. Damit haben wirs dann."

 "Specialisto" meint mit "abstrakt gesellschaftlicher Arbeit" ganz offensichtlich die Wertsubstanz, die er mit dem Wert gleichsetzt und von dem er - in Anlehnung an Heinrich - behauptet, dass er im Austausch erscheint, um sich im Erscheinen zu konstituieren, zu bilden. Wenn sich das Wesen erst in seinem Erscheinen bildet, dann sind Wesen und Erscheinung allerdings identisch. Was ganz offensichtlich ein Schmarren ist. Eher ist wahrscheinlich gemeint, dass der Wert nur eine Geltungskategorie sei.

Bei Heinrich liest sich das so:

"Wenn aber, wie eben skizziert, abstrakte Arbeit ein nur im Tausch existierendes gesellschaftliches Geltungsverhältnis ist..., dann existiert auch die Wertgegenständlichkeit der Waren erst im Tausch." (Heinrich, Kritik der Politischen Ökonomie, S. 51)

Diese Ansicht ist wenig originell, sie wurde bereits im 19. Jahrhundert von Herrn Eugen Dühring vertreten, als er versuchte, die "Wissenschaft umzuwälzen":

"Der Wert ist die Geltung, welche wirtschaftlichen Dinge und Leistungen im Verkehr haben." Diese Geltung entspricht dem "Preise oder einem sonstigen Äquivalentnamen, z.B. dem Lohne." (zitiert nach MEW 20, S.173)

Daher können wir uns ein wenig zurücklehnen und es Friedrich Engels überlassen (*), diesen "Widersinn" zu entkräften:

"Mit andern Worten: der Wert ist der Preis. Oder vielmehr, um Herrn Dühring kein Unrecht zu tun und den Widersinn seiner Definition möglichst in seinen eignen Worten wiederzugeben: der Wert sind die Preise. Denn Seite 19 sagt er:

»der Wert und die ihn in Geld ausdrückenden Preise«,

konstatiert also selbst, daß derselbe Wert sehr verschiedne Preise und damit auch ebensoviel verschiedne Werte hat. Wenn Hegel nicht längst verstorben wäre, er würde sich erhängen. Diesen Wert, der soviel verschiedne Werte ist als er Preise hat, hätte er mit aller Theologik nicht fertiggebracht. Man muß eben wieder die Zuversichtlichkeit des Herrn Dühring besitzen, um eine neue, tiefere Grundlegung der Ökonomie mit der Erklärung zu eröffnen, man kenne keinen andern Unterschied zwischen Preis und Wert, als daß der eine in Geld ausgedrückt sei und der andre nicht.

Damit wissen wir aber noch immer nicht, was der Wert ist und noch weniger, wonach er sich bestimmt. Herr Dühring muß also mit weitern Aufklärungen herausrücken.

»Ganz im allgemeinen liegt das Grundgesetz der Vergleichung und Schätzung, auf welchem der Wert und die ihn in Geld ausdrückenden Preise beruhen, zunächst im Bereich der bloßen Produktion, abgesehn von der Verteilung, die erst ein zweites Element in den Wertbegriff bringt. Die größern oder geringern Hindernisse, welche die Verschiedenheit der Naturverhältnisse den auf die Beschaffung der Dinge gerichteten Bestrebungen entgegensetzt und wodurch sie zu größern oder geringern Ausgaben an wirtschaftlicher Kraft nötigt, bestimmt auch ... den größern oder geringern Wert«, und dieser wird geschätzt nach dem »von der Natur und den Verhältnissen entgegengesetzten Beschaffungswiderstand ... Der Umfang, in welchem wir unsre eigne Kraft in sie« (die Dinge) »hineinlegten, ist die unmittelbar entscheidende Ursache der Existenz vom Wert überhaupt und einer besondern Größe desselben.«

Soweit dies alles einen Sinn hat, heißt es: Der Wert eines Arbeitsprodukts wird bestimmt durch die zu seiner Herstellung nötige Arbeitszeit, und das wußten wir längst, auch ohne Herrn Dühring. Statt die Tatsache einfach mitzuteilen, muß er sie orakelhaft verdrehn. Es ist einfach falsch, daß der Umfang, in dem jemand seine Kraft in irgendein Ding hineinlegt (um die hochtrabende Redensart beizubehalten), die unmittelbar entscheidende Ursache von Wert und Wertgröße ist. Erstens kommt es drauf an, in welches Ding die Kraft hineingelegt wird, und zweitens, wie sie hineingelegt wird. Verfertigt unser Jemand ein Ding, das keinen Gebrauchswert für andre hat, so bringt seine sämtliche Kraft keinen Atom Wert fertig; und steift er sich drauf, einen Gegenstand mit der Hand herzustellen, den eine Maschine zwanzigfach wohlfeiler herstellt, so erzeugen neunzehn Zwanzigstel seiner hineingelegten Kraft weder Wert überhaupt noch eine besondre Größe desselben."
(MEW 20, S. 173f)

Marxens Worte an Dietzen über die Bedeutung einer materialistischen Dialektik sollten wirklich ernst genommen, denn bei der z. Z. anlaufenden Marx-Renaissance wird es zunehmend wichtig, seine Kritik der Politischen Ökonomie unter Einschluss der materialistischen Dialektik und des historischen Materialismus zu studieren, um dadurch in den öffentlichen Diskursen jenen Paroli zu bieten, die die Marxschen Kategorien als systemische Worthülsen an ihrer wertkritischen Plastikperlenschnur aufhängen(**).

Ich empfehle daher ein "Kapital"studium mit dem Studium der Dialektik zu beginnen - übrigens ist dies keine Erkenntnis, die auf meinem Mist gewachsen ist, sondern eine Wiedergabe der Ansichten Lenins. Nach meinen persönlichen Erfahrungen läge man bei dieser Herangehensweise mit Engels "Anti-Dühring" als Einstiegslektüre nicht verkehrt.

Anmerkungen

*) Allerdings erfreut sich Engels unter Marxologen keiner besonderen Wertschätzung. Gilt er nämlich als Protagonist des dialektischen Materialismus und durch seine Anwendung auf die Geschichte als Verflacher der Marxschen Kritik der politischen Ökonomie, obgleich es unumstritten ist, dass der II. und III. Band des Kapitals - wo es um die Oberfläche der bürgerlich-kapitalistischen Gesellschaft geht - nur durch Engels erscheinen konnte und nicht geringe Teile aus seiner Feder stammen. Dieser Zusammenhang wird u. a. dargestellt bei Karl Reitter: Logisch oder historisch?.

**) Gelegenheit gibt es dazu am am 21.7. um 19.30 in München in der Seidlvilla am Nicolaiplatz, wo Michael Heinrich "Grundkategorien von Marx" vortragen und diskutieren will.  Zur Vorbereitung im Sinne eines Sich-Einlesens empfehle ich Heinrichs Artikel Monetäre Werttheorie, den wir in der 01-04 veröffentlichten.