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Quelle: http://media.dickinson.edu/German/Jugendliche

Der Widerstand Jugendlicher gegen den Nationalsozialismus

von Michael Lichte

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1. Einleitung

Am 20.Juli 1944 erfolgte der, leider erfolglose, Putsch gegen die Nazi-Diktatur. Jährlich werden zu diesem Datum offizielle Gedenkfeiern veranstaltet. In den meisten Schulbüchern ist das Ereignis ein zentraler Punkt im Bezug auf die deutsche Widerstandsbewegung. Ohne die Bedeutung des 20.Juli 1944 schmälern zu wollen, muß aber auch gesagte werden, daß durch diese Herausstellung andere Widerstandsgruppen etwas in den Hintergrund treten. Zum Beispiel der Widerstand Jugendlicher. Mit Ausnahme der "Weißen Rose" wird der Widerstand dieser Gruppe weit weniger beachtet als der 20.Juli. Wie im Falle der "Edelweißpiraten" wird der Widerstand sogar nicht als solcher anerkannt. Als sich 1978 eine Bürgerinitiative dafür einsetzte, daß eine Gruppe von Edelweißpiraten um Bartholomäus Schink, die 1944 von der Gestapo öffentlich gehängt wurde, als Widerstandskämpfer geehrt werden sollte, bezeichnete sie der Kölner Regierungspräsident als"Staatsverbrecher" und lehnte die Ehrung ab. Sehr leicht entsteht der Eindruck, daß die Jugend im Dritten Reich nur aus jubelnden HJ-Massen bestand. In der Wirklichkeit gab es eine große Anzahl von jugendlichen Widerstandsgruppen, die ein Bestandteil des deutschen Widerstandes gegen die NS-Diktatur waren. Unabhängig von der sozialen Herkunft hatten die Jugendlichen alle das gleiche Ziel, die Verweigerung und den Kampf gegen ein autoritäres Regime, das ihre Freiheiten zunehmend einschränkte und sie systematisch in den Krieg hineinzog. Um dieses deutlich zu machen, möchte ich zunächst einmal auf das Leben Jugendlicher im NS-Staat eingehen.

2. Jugendliche in der NS-Diktatur

Der Alltag der Jugendlichen änderte sich bereits 1933. Gleich nach der sogenannten "Machtergreifung" wurden bündische und konfessionelle Jugendgruppen verboten. Für die Freizeitgestaltung der Jugendlichen bedeutete das, daß es als einzige Möglichkeit nur noch die NS-Jugendorganisationen. Mit Hilfe dieser Organisationenwollten die Nazis die Jugend vollständig in ihrem Sinne erziehen:

  1. Durch die ideologische Gleichschaltung der Jugend eine neue Revolution wie die von 1918 verhindern
  2. Die nationalsozialistische Idee durch die Jugendlichen für die Zukunft sichern
  3. Spätestens seit 1933 wurde auf einen Krieg hingearbeitet

"Die Ertüchtigung der deutschen Jugend, die von wehrhaften Geist erfüllt sein muß, ist unser Ziel. Mit pazifistischen internationalen Phrasen, werden wir uns unsere Stellung in der Welt nicht wieder erobern." (Völkischer Beobachter vom 21.Februar 1933)

Erfolgte der Eintritt in die Jugendorganisationen anfangs durch "freiwilligen Zwang", wurde er durch die Jugenddienstpflichtverordnung vom 25.März 1939 zur Pflicht. Dieses Gesetz bildete die Grundlage, die jungen Menschen nach dem 1.September 1939 immer mehr in den Krieg hineinzuziehen, so daß der Krieg bis 1945 weitgehenst ihren Alltag bestimmte. Dieser Alltag wurde bis ins Kleinste reglementiert. Dem jungen Menschen wurde vorgeschrieben, welche Musik er nicht hören durfte (z.B. Swing), welche Kleidung er zu tragen hatte, wie sein Haarschnitt sein mußte. Bei den NS-Jugendorganisationen, die in den aktiven Kriegseinsatz führten, handelte es sich um die Hitlerjugend und um ihre quasi Unterabteilung dem Bund Deutscher Mädel.

In den Folgenden Punkten möchte ich diese Organisationen etwas näher beschreiben, weil man hier gut erkennen kann, wie sehr der Staat die Jugendlichen vereinnahmte, um sie in seinem Sinne zu erziehen.

2.1 Die Hitlerjugend (HJ)

Die HJ entstand 1926 und am Anfang gehörten ihr fast nur Jungen an. 1930 wurde dann der Bund Deutscher Mädel (BDM) als Teil der HJ konstituiert. 1931 gab es neben der HJ den "NS-Studentenbund" und den "NS-Schülerbund". Der Letztere wurde 1932 der HJ eingegliedert. Über die Ziele der HJ gab das "Gesetz über die Hitlerjugend" vom 1.Dezember 1936 Auskunft.

Hier hieß es im § 2: "Die gesamte deutsche Jugend ist außer im Elternhaus und Schule in der Hitlerjugend körperlich, geistig und sittlich im Geiste des Nationalsozialismus zum Dienst am Volk und zur Volkksgemeinschaft zu erziehen."

Die freiwillige Mitgliedschaft wurde durch die "Zweite Durchführungsverordnung zum Gesetz über die Hitlerjugend (Jugenddienstverordnung) vom 25.März 1939 zur Pflichtmitgliedschaft.

"DAUER DER DIENSTPFLICHT (2) Alle Jugendlichen vom 10. bis zum vollendeten 19. Lebensjahr sind verpflichtet in der Hitler-Jugend Dienst zu tun..."

Im Rahmen des HJ-Dienstes stand die körperliche Ertüchtigung an erster Stelle. Mit der Zeit nahm diese körperliche Ertüchtigung immer mehr wehrsportliche Züge an (Geländekampfspiele, Schießausbildung). Im Krieg gipfelte diese Ausbildung in den sogenannten "Wehrertüchtigungslagern", wo die Jugendlichen militärische Aufgaben lösen mußten und auch eine Schießausbildung bekamen. Die Jugendlichen wurden nach dem sogenannten Führerprinzip erzogen: Befehl und Gehorsam. De fakto wurden sie auf ihre Rolle als Soldat im kommenden Krieg vorbereitet. Bei dieser Vorbereitung spielte die Wehrmacht eine nicht unerhebliche Rolle. 1939 startete die Wehrmacht eine Initiative, in deren Rahmen daß Heer Einfluß auf die Jugendarbeit nehmen sollte. Wehrkundeunterricht und militärische Ausbildung sollten verstärkt werden. Während des Krieges wurde der Einfluß der Wehrmacht noch forciert. Die militärische Grundausbildung führte letztendlich zum aktiven Fronteinsatz (z.B Flakhelfer). An zweiter Stelle stand beim HJ-Dienst die "weltanschauliche Schulung".

Im Rahmen dieser Schulung wurden die Jugendlichen vollkommen auf die nationalsozialistische Ideologie eingestimmt. Hierzu gehörte Unterricht in Rassenkunde, Legenden aus der deutschen Geschichte und die Geschichte der NSDAP. Neben körperlicher Ertüchtigung und weltanschaulicher Schulung, mußten die HJ-Angehörigen in ihrer Freizeit noch eine Vielzahl von Tätigkeiten übernehmen. In der Regel handelte es sich um bestimmte Einsätze, wie z.B.: Sammlungen, Teilnahme an Propagandaveranstaltungen, Ernteeinsatz in den Ferien u.s.w. Die Mitgliedschaft in der HJ bedeutete für die Jugendlichen insgesamt: absoluter Gehorsam, Reglementierung ihrer Freizeit bis ins Kleinste, keine Möglichkeit ihre Pubertät und die damit verbundenen Probleme altersgerecht auszuleben.

2.2 Bund Deutscher Mädel (BDM)

Der BDM war ein Teil der HJ. Er ging hervor aus den sogenannten "Schwesternschaften" der HJ. "Der Name Schwesternschaften läßt sich zum Einen damit in Zusammenhang bringen, daß zunächst Mädchen (als leibliche Schwestern) über ihre Brüder zur HJ stießen; zum Anderen scheint er darauf rückführbar, daß die ersten Aufgaben der "Hitler-Mädchen" im freiwilligen Schwesterndienst für im Straßenkampf verwundete SA-Männer und HJ-Jungen bestanden." In der Anfangszeit bestand die Funktion des BDM darin, den Mädchen Freizeitprogramme anzubieten und die Möglichkeit zum Kennenlernen neuer Freundinnen zu geben. Dadurch sollten die Funktionen der verbotenen bündischen und konfessionellen Jugendgruppen übernommen werden. Wie bei allen NS-Jugendorganisationen wurde ab 1939 auch die Mitgliedschaft beim BDM Pflicht. Anfangs lag auch hier der Schwerpunkt der Freizeitgestaltung in der körperlichen Ertüchtigung. Seit 1937 wurde alles immer mehr auf die Nazi-Ideologie abgestimmt. Die Mädchen sollten von nun an verstärkt auf ihre Rolle als Frau und Mutter erzogen werden. Dazu wurde des BDM-Werk "Glaube und Schönheit" eingerichtet. Hier sollten die Mädchen auf das "Ganz Frau sein" vorbereitet werden. Das bedeutete: Unterordnung unter dem Mann, reines Hausfrauendasein, Verinnerlichung spießiger Moralbegriffe. Als Antagonismus dazu wurden die Mädchen seit 1938 ebenfalls systematisch auf den Krieg vorbereitet. So erhielten sie eine Ausbildung im zivilen Luftschutz und im Gesundheitsdienst, sowie auch eine Luftschutzausbildung (Flakhelferin). Grundsätzlich zielte diese Ausbildung darauf hin, im Notfall den "wehrfähigen Mann" zu ersetzen.

Göring sagte am 10. November 1939: "Die Mädchen aber sollen verstehen, daß auch an sie nun im Ernst der Stunde appeliert wird...Es trifft dann auch an sie der Ernst heran, der Ernst des Berufs einerseits, daß sie dorthin eilen, wo sie irgendwie einen wehrfähigen Mann ersetzen können..."

Mit der Fortdauer des Krieges wurde die wichtigste Aufgabe der Mädchen die Betreuung der Soldaten, das Packen von Feldpostpäckchen, Lazarettbesuche u.s.w. 1941 begann die sogenannte "Erweiterte Kinderlandverschickung". Hier wurden Kinder aus luftbedrohten, vornehmlich den Großstädten, in angriffssichere Gebiete verschickt. Die BDM-Mädchen mußten sich in diesen Kinderlagern um die außerschuliche Versorgung der dort lebenden Kinder kümmern. Je länger der Krieg dauerte, desto mehr Männer wurden eingezogen. Deshalb mußten nun die BDM-Mädchen zunehmend, vor allem in der Rüstungsindustrie, die Arbeitsplätze der Männer auszufüllen. Auch in das Kriegsgeschehen wurden die Mädchen immer stärker einbezogen. Versorgten sie anfangs Verwundete und halfen bei Aufräumungsarbeiten, wurden sie 1944 auch zu frontnahen Einsätzen herangezogen, wie: Schanzeinsätze, Kurierdienste und Luftwaffenhelferin. Nur Waffendienst brauchten die Mädchen nicht zu leisten, da die Nationalsozialisten die Meinung vertreten: "daß Schießausbildung und Waffeneinsätze mit der biologischen Natur der Frau unvereinbar wäre."

2.3 Kriegseinsatz

Die Absicht Jugendliche auch zum Wehrdienst heranzuziehen, bestand schon seit 1939. § 1 der Jugenddienstpflicht aus dem gleichen Jahr besagte, daß der Dienst in der Hitler-Jugend "Ehrendienst am Deutschen Volk" ist. Nach dem Wehr- und Reichsarbeitsdienstgesetz von 1935 waren Wehr- und Arbeitsdienst ebenfalls Ehrendienst am Deutschen Volk, so daß man dieses Gesetz auch auf die Jugendlichen anwenden konnte. Der Waffendienst der Jugendlichen begann zu dem Zeitpunkt, als sich das sogenannte "Kriegsglück" wendete. Durch Rückschläge, vor allen Dingen an der Ostfront, mußten 1942 120.000 Mann der Heimatflak an die Front geschickt werden. Gleichzeitig begann die RAF mit dem "Areal Bombing", einer Flächenbombardierung Deutschlands. Aus diesem Grunde wurden die entstandenen Lücken in der Heimatflak mit HJ-Angehörigen aufgefüllt. Am 27. April 1942 erschien ein Erlaß der "Reichsjugendführung", der besagte, daß Jugendliche zur Heimatflak herangezogen werden können, wenn sie sich freiwillig melden und wenigstens 17 Jahre alt sind. Ab Januar 1943 wurde ein teil der Schüler höherer und mittlerer Schulen, auch gegen ihren Willen, eingezogen. Durch die Offensive der RAF kam es unter den Jugendlichen zu sehr hohen Verlusten.

"In einem Vorort von Berlin sah ich eine Reihe toter Flakhelfer nebeneinanderliegen. Eben erst war ein Luftangriff zu Ende gegangen. Die Flakstellung, in der diese Schuljungen Dienst taten, hatte mehrere Volltreffer bekommen. Ich kam in einen Barackenraum, in dem sich die Überlebenden gesammelt hatten. An den Wänden entlang saßen sie auf dem Fußboden und wandten mir ihre weißen, vom Grauen verzerrten Gesichter zu. Viele weinten. In einem Raum lagen Verwundete. Einer von ihnen, ein Junge mit runden, weichen Kindergesicht, straffte sich, als der Offizier, in dessen Begleitung ich mich befand, ihn fragte, ob er Schmerzen habe. "Ja, aber das ist nicht wichtig, Deutschland muß siegen." Bericht einer BDM - Leiterin

Mit der Fortdauer des Krieges wurden Jugendliche nicht nur als Luftwaffenhelfer eingezogen, sondern immer mehr erhielten den Einberufungsbefehl zur Wehrmacht. Der Grund für die Heranziehung der Jugendlichen zum Frontdienst lag darin, daß die hohen Verluste an allen Frontabschnitten ausgeglichen werden mußten. Die Quote der einberufenen Jugendlichen steigerte sich besonders nach dem 6. Juli 1944, als den Alliierten die Invasion in der Normandie gelungen war und sie sich immer mehr auf das Reichsgebiet zubewegten. Bereits im Sommer 1943 wurde die SS-Panzerdivision "Hitlerjugend" aufgestellt. Es handelte sich um eine Division von 17 und 18 jährigen HJ-Angehörigen, die aktiv 1944 an der Invasionsfront eingesetzt wurden. Im Kessel von Falaise wurde diese Division fast vollständig vernichtet. Zum Kriegsende wurden viele HJ-Angehörige noch zum sogenannten "Volkssturm" eingezogen. Eingesetzt wurden diese Jugendlichen in der Regel in den Straßenkämpfen in den großen Städten; zur Verteidigung kleinerer Ortschaften und zur Sicherung von Brücken. Besonders in Berlin fanden viele dieser jugendlichen Soldaten den Tod, weil sie mit unzureichenden Waffen gegen einen überlegenen Feind kämpfen mußten.

3. Widerstand Jugendlicher

Der Widerstand bzw. die Opposition Jugendlicher gegen das Dritte Reich entwickelte sich spontan. Er war nicht geplant und geregelt wie bei den Jugendorganisationen der SPD oder KPD. In diesen Organisationen wurde der Widerstand aus einer politischen Motivation heraus geführt. Die Motive der allgemeinen Jugendopposition waren unterschiedlich. Ein Teil der Jugendlichen wünschte sich eine freiere Jugendkultur, ein anderer Teil knüpfte an die Traditionen der, 1933 verbotenen, bündischen Jugendgruppen an, wieder andere lehnten den Staat aus religiösen Gründen ab. Eine ganze Reihe Jugendliche gingen aus reiner Abenteuerlust in Opposition. Insgesamt wehrten sich die Jugendlichen gegen den immer stärker werdenden Druck des Staates. Der Widerstand der Jugendlichen, von denen viele anfangs der HJ noch positiv gegenüberstanden, verstärkte sich in dem Augenblick, als der HJ-Dienst immer mehr militärischen Charakter annahm. Die Jugendopposition äußerte sich ganz unterschiedlich. Zum Beispiel:

  1. ziviler Ungehorsam (Nichtteilnahme am HJ - Dienst)
  2. Aufrechterhaltung traditioneller Gemeinschaften
  3. Nonkonformität
  4. Ablehnung von NS - Normen (z.B. Herrenmenschentum)
  5. zum Teil aktiver Widerstand (Sabotage, Flugblattverteilung)

Aus den Jugendgruppen ging z.B. die Weiße Rose hervor. Die Jugendopposition wurde vom NS - Regime sehr ernst genommen. Die Gruppen wurden systematisch verfolgt und drakonisch bestraft.

Die Machthaber scheuten sich nicht, Minderjährige mit dem Tode zu bestrafen. Dabei bedienten sie sich auch der Rechtsbeugung. Dem siebzehnjährigen Helmuth Hübner bescheinigte man eine über sein Alter hinausgehende Intelligenz und verurteilte ihn als Erwachsenen, was das Todesurteil zur Folge hatte. Helmuth Hübner hörte sogenannte Feindsender ab und verbreitete die Nachrichten auf Flugblättern.

Im Folgenden möchte ich auf zwei dieser jugendlichen Protestgruppen näher eingehen.

Es handelt sich um die Swing-Jugend und die Edelweißpiraten, zwei Jugendgruppen die man faktisch zum vergessenen Widerstand rechnen kann.

4. Die Swing-Jugend

Die Mitglieder der Swing-Jugend stammten aus dem großstädtischen Gewerbebürgertum. Sie orientierten sich nicht an den Werten und Traditionen der bündischen Jugend und hatten wenig Interesse an Politik. Vielmehr wollte die Swing-Jugend ein freieres Leben und ihre eigene Kultur haben. Das brachtsie durch ihr Interesse für die Jazz-Musik und dem amerikanisch-englischen Lebensstil zum Ausdruck. Man hörte englische und amerikanische Schallplatten, kleidete sich dementsprechend, gründete Swing-Bands und veranstaltet Swing-Parties. Die Kleidung der Swing-Jungen bestand aus extrem langen Jacketts mit großem Karomuster, weitgeschnittenen Hosen und einen nie aufgespannten Regenschirm, als eine Art Kultobjekt. Außerdem trugen sie längere Haare, die bis zum Jackettkragen reichten. Man begrüßte sich mit "Swing-Heil und gab sich Spitznamen wie "Swing-Boy", Swing-Girl" " oder "Old-Hit-Boy".

Die Swing-Mädchen trugen kurz geschnittene Kleider oder lange Hosen, schminkten sich, be- nutzten Lippenstift und lackierten sich die Fingernägel. Das alles paßte nicht in die Ideologie der Nazis, besonders bei den Mädchen, die gegen die Nazi-Auffassung "die deutsche Frau schminkt sich nicht" verstießen. Swing war für die NS-Ideologen "jüdische Niggermusik" und deshalb verboten. In den meisten Cafe`s und Tanzlokalen waren deshalb überall von der Reichsmusikkammer gut sichtbar Schilder angebracht worden, mit der Aufschrift "Swing tanzen verboten".

"Die Angehörigen der Swing-Jugend stehen dem heutigen Deutschland und seiner Polizei, der Partei und ihren Gliederungen, der HJ, dem Arbeits- und Wehrdienst, samt dem Kriegsgeschehen ablehnend oder zumindest uninteressiert gegenüber. Sie empfinden die nationalsozialistischen Einrichtungen als einen "Massenzwang". Das große Geschehen der Zeit rührt sie nicht, im Gegenteil, sie schwärmen für alles, was nicht deutsch, sondern englisch ist." (Bericht der "Reichsjugendführung")

Dieses, in den Augen der Nazis, abweichende Verhalten führte zu einem unnachgiebigen Vorgehen der NS-Machthaber gegen die Swing-Jugend.

In einem Bericht vom 8.1.1942 an den Reichsführer SS Himmler heißt es unter anderem:

"In Hamburg hat sich in den Oberschulen bzw. in der Jugend der Kaufmannschaft eine sogenannte Swing-Jugend gebildet, die zum Teil eine anglophile Haltung zeigt...Da die Tätigkeit dieser Swing-Jugend in der Heimat eine Schädigung der deutschen Volkskraft bedeutet, halte ich die sofortige Unterbringung dieser Menschen in ein Arbeitslager für angebracht..."

Die für Himmler typische Antwort am 26.1.1942 lautete:

"Meines Erachtens muß jetzt das ganze Übel radikal ausgerottet werden. Ich bin dagegen, daß wir hier nurhalbe Maßnahmen treffen. Alle Rädelsführer...sind in einKonzentrationslager einzuweisen...Der Aufenthalt im Konzentrationslager für diese Jugend muß ein längerer, 2-3 Jahre sein...Nur wenn wir brutal durchgreifen, werden wir ein gefährliches Umsichgreifen dieser anglophylen Tendenz in einer Zeit, in der Deutschland um seine Existenz kämpft, vermeiden können."

Was die NS-Führung von der Swing-Jugend hielt, geht aus der "Sofort-Aktion gegen die Swing-Jugend" vom 18.8.1941 hervor:

"...Es handelt sich hier z.T. um degenerierte und kriminell veranlagte, mischblütige Jugendliche, die sich zu Cliquen bzw. musikalischen Gangster-Banden zusammengeschlossen haben und die gesund empfindende Bevölkerung durch die Art ihres Auftretens und die Würdelosigkeit ihrer musikalischen errorisieren..."

In der Folgezeit wurden über 300 Mitglieder der Swing-Jugend verhaftet. Sie kamen als "Schutzhäftlinge" ins Hamburger Gestapo-Gefängnis und ins KZ Fuhlsbüttel. Die Verachtung der Nazis gegenüber der Swing-Jugend zeigte sich darin, daß sie dort zu besonders schweren Arbeiten herangezogen wurden.

Die Verhaftungswelle hatte zur Folge, daß einige Swing-Jugendliche begannen, den Nationalsozialismus auch politisch abzulehnen. Sie fingen an, antifaschistische Flugblätter zu verteilen. Das hatte wiederum zur Folge, daß sie mit dem Hamburger Teil der Weißen Rose in Kontakt kamen. Es handelte sich um drei Mitglieder der Weißen Rose, die mit dem Lebenstil der Swing-Jugend sympatisierten. Zu einer regelrechten Zusammenarbeit mit den Swings kam es allerdings nicht.

Doch dieser bloße Kontakt reichte den NS-Machthabern, auch einige Swings wegen Hochverrat, staatsfeindlicher Propaganda und Wehrkraftzersetzung vor dem Volksgerichtshof anzuklagen. Der Prozeß und die zu erwartenden Todesurteile wurden durch den Einmarsch der Allierten verhindert.

5. Die Edelweißpiraten

Die Anfänge der sogenannten "wilden Jugendgruppen", zu denen auch die Edelweißpiraten gehörten, entstanden in den Jahren 1938/39, als die HJ durch die "Jugenddienstpflicht" vom 25.2.1939 die Freiheiten der Jugendlichen immer mehr einschränkte. Diese Einschränkung hatte zur Folge, daß viele Jugendliche den Wunsch nach jugendlicher Selbstbestimmung hegten und dementsprechend die Disziplin und den Massencharakter der nationalsozialistischen Jugendorganisationen ablehnten.

Das galt auch für Mädchen, die sich nicht in die "Frau und Mutterrolle" der Nationalsozialisten drängen lassen wollten und sich deshalb den wilden Jugendgruppen anschlossen. Durch die Mädchen wurde die Anziehungskraft der Cliquen erhöht, da in der HJ eine absolute Geschlechtertrennung herrschte.

Die wilden Jugendgruppen entstanden direkt aus der 1933 verbotenen bündischen Jugend oder lehnten sich an deren Traditionen an. Die bündische Jugend hatte ihre Wurzeln in der 1899 entstandenen Wandervogelbewegung. 1913 wurden diese Jugendgruppen zur "Freideutschen Jugend" zusammengeschlossen (auf dem Hohen Meißner bei Kassel). Ziele des Zusammenschlusses waren: Selbstverantwortlichkeit und Selbsterziehungsrecht, Anerkennung des Eigenwertes der Jugend, Lebensformen durch Rückkehr zur Wahrhaftigkeit und Natürlichkeit (Wandern, Volkslied, Volkstanz). Daraus resultierend entstanden die "Freien Schulgemeinden". Ende der 20er Jahre modernisierte sich diese Art von Lebensform. Der Einzelne und die Gruppe verloren an Bedeutung. Die uniformierte Masse stand immer mehr im Vordergrund. Anstatt zu wandern wendete man sich mehr und mehr zu Sport und Technik hin. Diese Entwicklung wurde von den Nationalsozialisten aufgenommen und in ihr Programm miteinbezogen, was sich im Charakter der NS-Jugendorganisationen niederschlug. Die alten bündischen Gruppen wurden dementsprechend gleichgeschaltet und die alten Formen bündischen Lebens verboten. Wer sich der Gleichschaltung bzw. dem Verbot widersetzte, wurde verfolgt und bestraft.

Neben dem alten bündischen Gedankengut, wurden viele Jugendgruppen von bestimmten Schriftstellen beeinflußt, unter anderem auch von Karl May.

In den 20er Jahren war Karl May ein beliebter "Jugend- und Volksschriftsteller". Von den Nazis wurde er äußerst zwiespältig gesehen. Während Hitler in Winnetou ein Vorbild für die deutsche Jugend und das "Musterbeispiel eines Kompanieführers" sah, wurde May auf der anderen Seite von NS-Pädagogen als Pazifist und Antirassist bekämpft. Etliche seiner Werke wurden verboten oder im nationalsozialistischen Sinne verändert. Diese Änderungen existierten übrigens noch über 1945 hinaus! Gerade die pazifistischen und antirassistischen Aussagen seiner Bücher hatten einen großen Einfluß auf die jugendlichen Protestgruppen. Ebenso wie die abenteuerliche Romantik seiner Geschichten.

Bündische Gruppen gab es schon seit 1933. Anfangs waren es in der Regel Jugendliche aus dem Bürgertum, die Mitglied in diesen Gruppen waren. Nach 1938 sahen auch proletarische Jugendliche in den Traditionen der bündischen Jugend eine Alternative zu den NS-Jugendorganisationen. Das verstärkte sich nach Kriegsbeginn, als der paramilitärische Drill in der HJ immer stärker wurde. Die bündischen Jugendgruppen gaben sich Namen wie: Harlem-Club, Navajos, Rotes-X, Kittelbach-und Edelweißpiraten.

Die größte Gruppierung waren die Edelweißpiraten, die im gesamten Reichsgebiet existierten, mit dem Schwerpunkt im Rhein-Ruhr-Gebiet. Mitglieder der Edelweißpiraten waren überwiegend junge Arbeiter, die die Traditionen der bündischen Jugend pflegten. Ihr Erkennungszeichen war ein Edelweiß unter dem linken Rockaufschlag oder eine edelweißfarbene Stecknadel. Oft trug man auch Fantasiekluften, Totenkopfringe und mit Nägeln beschlagene Gürtel.

Es wird geschätzt, daß die Edelweißpiraten mehrere tausend Anhänger, im Alter zwischen 14 und 17 Jahren, hatten.

Die Jugendlichen hatten eine bewußte Antihaltung gegenüber dem Staat, allerdings kein politisches Konzept und keine gemeinsame Organisation. Da die einzelnen Gruppen nebeneinander her existierten, hatte später die Gestapo bessere Zugriffsmöglichkeiten.

Der Widerstand der Edelweißpiraten gegen das NS-Regime äußerte sich in der Anfangsphase in der Durchführung verbotener Fahrten und Zeltlager. Das freie Fahrtenwesen der Wandervogelbewegung war von der HJ-Führung verboten worden. Stattdessen wurden HJ-Fahrten und -Lager eingeführt. Hier war der Tagesablauf mit militärischer Disziplin geregelt, es dominierten ideologische Schulungen und paramilitärische Übungen. Um den oppositionellen Jugendlichen die freien Fahrten unmöglich zu machen, wurde ihnen das Trampen verboten und die Benutzung von Feuerzelten. Diese Verbote wurden wiederum damit durchgesetzt, daß Fahrtenerlaubnisscheine eingeführt wurden und der HJ-Streifendienst gebildet wurde, der die verbotene Fahrtenaktivität kontrollieren sollte. Die Edelweißpiraten mißachteten des Fahrtenverbot und trampten innerhalb Deutschlands umher. Sie trugen dabei eine spezielle Fahrtenkleidung, über die sie vor jeder Fahrt abstimmten. Die Fahrtenkleidung bestand aus kurzer Hose, weißen Strümpfen, Halbschuhen, Kletterweste und Schottenhemd. Die Mädchen trugen weiße Blusen, blaue Röcke und weiße Söckchen.

Auf den Fahrten traf man sich mit anderen Gruppen, zeltete zusammen und sang verbotene, bündische Lieder.

Ein Zusammentreffen mit dem HJ-Streifendienst führte automatisch zu Konflikten mit der Staatsmacht. Die Jugendlichen wurden von der Polizei verhört und für den Wiederholungsfall wurde ihnen mit schärferen staatspolizeilichen Maßnahmen gedroht.

Eine andere Form der Verweigerung war das Schwänzen des HJ-Dienstes oder ein provozierter Rausschmiß aus der HJ. In diesen Fällen hatte das eine Meldung zur Folge, die den Jugendlichen Schwierigkeiten in der Schule und bei der Suche nach einer Lehrstelle bereitete.

Waren die verbotenen Fahrten und die Nichtteilnahme am HJ-Dienst eine reine Verweigerung, entwickelte sich später bei den Edelweißpiraten ein spontaner politischer Widerstand. Dieser spontane politische Widerstand äußerte sich unter anderem in Prügeleien mit der HJ.

"...Ich ging mit noch mehreren Jungen in Zivil am Hellweg runter, als wir plötzlich von einer Menge Jungens überfallen wurden. Schätzungsweise waren es etwa 50 Personen. Es entwickelte sich eine Schlägerei, bei der A. einen Messerstich in die linke Hand erhielt. Es mag gegen 20.30 Uhr gewesen sein..." (Bericht eines HJ-Mitgliedes)

Besonders verhaßt waren den Edelweißpiraten die HJ-Führer, da sie als hundertprozentige Nazis galten. Wenn diese HJ-Führer nach Dienstschwänzern suchten, wurden sie oft in eine Falle gelockt und verprügelt. Ein anderes Widerstandsmittel war das Verteilen von Flugblättern mit antifaschistischen Inhalt und das Malen von Wandparolen mit ebensolchen Inhalt.

"...Es besteht der Verdacht, daß diese Jugendlichen (Edelweißpiraten) diejenigen sind, welche die Wände in der Unterführung an der Altenbergstraße beschrieben mit "Nieder mit Hitler", "das OKW lügt", "Orden und Ehrenzeichen für das große Morden", "Nieder mit der Nazi Bestie" u.s.w." (aus einem Schreiben des NSDAP-Ortsgruppenleiters in Düsseldorf-Grafenberg)

"...Was kann man machen? Einer hatte die Idee. "Naziköpfe rollen nach dem Krieg" schreiben wir auf den Tender der Lokomotive. Und schon zwei Abende später bei schweren Bombenangriffen stieg die Aktion. Der Zug ist auch damit losgefahren..." (Bericht eines Edelweißpiraten)

Die Jugendlichen hörten auch feindliche Sender ab und verbreiteten die Nachrichten auf Flugblättern. Das Hören von Feindsendern und die Verbreitung der Nachrichten war eine lebensgefährliche Sache.

"Im März/April 1944 haben wir jede Nacht den englischen Sender abgehört und kriegten so immer die neusten Informationen. Und dann machten wir Flugblätter auf Schuhkartons...Die Texte waren ganz unterschiedlich: Die Amerikaner stehen an den Reichsgrenzen. Macht Schluß mit dem Scheiß-Krieg oder wir haben andere Flugblätter gemacht. Ich entsinne mich an eines, da war Stalingrad gefallen, da steht Hitler zwischen Leichen und ist am Lachen, darunter stand: Ich fühle mich so frisch, es naht der Frühling." (Bericht eines Edelweißpiraten)

Mit zunehmender Brutalität des Krieges bildeten sich immer neue Jugendgruppen. Sie trafen sich an den Bunkern, wo sich ihr Alltag abspielte. Man sprach darüber wie schön es wäre ohne Krieg, wenn man tun und lassen könnte was man wollte, nicht zum HJ-Dienst müßte u.s.w.

1943 entschlossen sich einige Mitglieder der Edelweißpiraten, in die Illegalität zu gehen und Kontakt zur politischen Opposition aufzunehmen. Es handelte sich hier um Edelweißpiraten aus dem Köllner Arbeiterstadtteil Ehrenfeld, der sogenannten "Ehrenfelder Gruppe". Diese Gruppe bestand aus geflohenen Häftlingen, Zwangsarbeitern, Russen, Juden, Deserteuren und Jugendlichen.

Die Ehrenfelder Gruppe nahm Verbindung mit der größten Kölner Widerstandsorganisation, dem Nationalkomitee Freies Deutschland, auf. In Ehrenfeld selber existierte eine bewaffnete Widerstandsgruppe des National Komitees. Gebildet hatte sich die Ehrenfelder Gruppe um den geflohenen KZ-Häftling Hans Steinbrink (genannt Bombenhans).

Hans Steinbrink kam aus einem antifaschistischen Elternhaus. Er kam öfters mit den Nazis in Konflikt, was ihn letztendlich ins KZ brachte. 1944 gelang ihm bei einen Bombenräumkommando die Flucht. Er tauchte unter bei der Frau eines Freundes und versteckte dort Juden, Flüchtlinge und Deserteure.

Die Aktivitäten der Ehrenfelder Gruppe wurden zum größten Teil von Steinbrink geplant. Zu der Gruppe gehörten auch Bartholomäus Schink und seine Freunde. Durch bestimmte Erlebnisse hatten diese Jugendlichen einen abgrundtiefen Haß gegen die Nationalsozialisten entwickelt.

Die ersten Aktivitäten der Gruppe bestanden darin, geflohene Zwangsarbeiter und Deserteure zu verstecken. Aus diesem Grunde verübten sie Diebstähle, um die Versteckten mit Lebensmittel und Geld zu versorgen. Später begann man Waffen zu sammeln, die man sich auf dem Schwarzen Markt besorgte und im Unterschlupf der Gruppe in der Schönsteinstraße lagerte. Mit den Waffen wollten sie als Partisanen gegen die Nazis kämpfen.

"...Ich habe die Jungen aufgefordert, gemeinsame Aktionen mit den Ehrenfeldern durchzuführen: wir brauchten Waffen, Munition, Lebensmittel, u.U. auch Geld. Die Nazi-Organisation in Köln müsse völlig durcheinandergebracht werden. Als Zielvorstellung schwebte uns vor, vor Ankunft der Amerikaner die Flucht der Parteigenossen und Gestapo-Beamten zu verhindern und die verantwortlichen Nazis den Amerikanern zu übergeben." (Bericht eines Edelweißpiraten)

Zu den Partisanenaktionen der Ehrenfelder Gruppe gehörten Anschläge auf Gestapo- und NS-Funktionäre. Es kam zu Schießereien mit der Gestapo und der Polizei.

Bartholomäus Schink: "...In erster Linie ist hier die Großbande zu nennen, die seit August 1944 im Stadtteil Köln-Ehrenfeld ihr Unwesen trieb. Nach den Feststellungen der Staatspolizei zählte sie 128 Köpfe. Sie setzte sich in gleicher Weise aus Deutschen und Ausländern zusammen. Sie terrorisierte nicht nur die Zivilbevölkerung, sondern hatte es auch darauf abgesehen, politische Leiter der NSDAP zu beseitigen. In ihren Reihen befanden sich auch viele Jugendliche im Alter von 16 - 18 Jahren, ja sogar von 15 Jahren, die früher den "Edelweißpiraten" angehört hatten...Unter den Ermordeten befinden sich 5 politische Leiter, 1 SA-Mann, 1 HJ-Angehöriger, 6 Polizeibeamte, darunter der Leiter der Staatspolizeistelle Köln »SS-Sturmbannführer Reg.Rat. Hofman« - und zwei weitere Beamte der geheimen Staatspolizei..." (aus dem Lagebericht des Kölner Generalstaatsanwaltes vom 30.Januar 1945)

Das NS-Regime verstärkte seine Kontroll- und Repressionsmaßnahmen in dem Maße, wie derjugendliche Widerstand zunahm. Besonders als sich der Kriegsverlauf verschlechterte. Anfangs wurde versucht, die oppositionellen Jugendgruppen wieder in das System einzugliedern. Man versuchte das vor allen Dingen dadurch, daß Aktivitäten außerhalb der HJ unterdrückt wurden (z.B. Fahrtenverbot). Als diese Maßnahmen nicht fruchteten, begann man die Jugendlichen zu kriminalisieren. Da es im Reichsstrafgesetzbuch keine Strafbestimmungen für jugendliche Cliquenbildung gab, wurden allgemeine Strafbestimmungen herangezogen, um sie auf die Jugendlichen anzuwenden. Zum Beispiel:

  • 115 Öffentliche Zusammenrottungen in Verbindung mit   Nötigung oder Widerstand gegen Beamte
  • 116 Auflauf
  • 125 Landfriedensbruch
  • 127 Bildung bewaffneter Banden
  • 128 Geheimbündelei
  • 227 Raufhandel
  • 243 Bandendiebstahl u.s.w.

Dieses wurde in den sogenannten "Richtlinien zur Bekämpfung jugendlicher Cliquen", am 25.10.1944 von Kaltenbrunner erlassen, festgelegt. Durch diese Richtlinien wurde die Auseinandersetzung mit den oppositionellen Jugendgruppen auf eine politische Ebene gestellt. Das heißt, die Jugendlichen wurden als Staatsfeinde und Hochverräter behandelt. Die Nazis sahen in der Jugendopposition im Grunde keine Form des Widerstandes, sondern in erster Linie die Infragestellung ihres totalitären Erziehungsanspruches. Im Kriege kam noch die Gefahr der sogenannten "Wehrkraftzersetzung" dazu, da sich die Jugendlichen gegen den Krieg aussprachen.

Die Nazis diffamierten die Cliquen folgendermaßen:

"Zusammenschlüsse Jugendlicher außerhalb der HJ, die nach bestimmten, mit der nationalsozialistischen Weltanschauung nicht zu vereinbaren Grundsätzen ein Sonderleben führen. Gemeinsam ist ihnen die Ablehnung oder Interessenlosigkeit gegenüber den Pflichten innerhalb der Volksgemeinschaft oder der HJ, insbesondere der mangelnde Wille, sich den Erfordernissen des Krieges anzupassen."

Weiterhin hieß es in dem Erlaß:

"1. Bei den Cliquenbildungen Jugendlicher handelt es sich um Erscheinungsformen der Jugendgefährdung und Jugendkriminalität; ihre Überwachung und Bekämpfung auf polizeilichem Gebiet obliegt daher hauptverantwortlich zentral dem Reichskriminalpolizeiamt...Soweit es sich jedoch um Cliquen mit ausgesprochenen oder vorwiegend politischen oder staatsfeindlichen Bestrebungen handelt, ist die Geheime Staatspolizei zuständig.

2. Überwachung und Bekämpfung der Cliquen sind kriegswichtig..."

Diese sogenannte Überwachung und Bekämpfung stützte sich auf die Üblichen Methoden der NS-Diktatur: Spitzeltum, Denunziation und Gestapoterror. Zum Beispiel wurden Betriebe angewiesen, jugendliche Arbeiter, bei denen der Verdacht bestand sie gehören zu einer Jugendclique, zu bespitzeln und sofort zu denunzieren.

"...Ich nehme Bezug auf die soeben mit Ihnen gehabte fernmündliche Unterredung, wonach ich davon Mitteilung machte, daß der vorbezeichnete Arbeiter, der wiederholt wegen unentschuldigten Fehlens verwarnt werden mußte, sich heute im Betriebe damit gebrüstet hat, wieder einmal Hitlerjungen geschlagen zu haben. Von dem zuständigen Vertrauensrat deshalb zur Rede gestellt, hat E. seine Erklärung wiederholt und dabei ein derartiges freches Benehmen gezeigt, daß der Vertrauensrat G. sich gezwungen sah, den Jungen mit dem Lederriemen zu schlagen, den E. am Tage vorher bei der Auseinandersetzung mit der Hitlerjugend gebraucht hatte..." (Denunziationsschreiben der Gutehoffnungshütte vom 25.7.1941)

Das NS-Regime bestrafte die oppositionellen Jugendlichen mit Fürsorgeerziehung, Gefängnis, Jugend-KZ und schreckten auch vor der Todesstrafe nicht zurück.

"Die Jugendlichen werden auf dem Wege der » vorläufigen Fürsorgeerziehung « in besondere Heime oder Lager eingewiesen und dort etwa drei Monate lang einer straffen Erziehung unterworfen...Erweist sich aber während dieser Erziehung, daß eine längere planmäßige erzieherische Beeinflussung des Jugendlichen notwendig ist, so wird die endgültige Fürsorgeerziehung herbeigeführt...In Fällen schwerster Gefährdung oder Verwahrlosung kann die Einweisung des Jugendlichen in ein Jugendschutzlager nach den geltenden Bestimmungen beantragt werden."

Bereits 1940 wurde das Jugend-KZ Moringen eingerichtet. Hier wurden unangepaßte Jugendliche dauerinhaftiert. Viele Edelweißpiraten gehörten zu den ca. 1000 Häftlingen. Anfang Oktober 1944 wurden Bartholomäus Schink und seine festgenommen. Man schaffte sie ins Gestapo-Hauptquartier in der Elisenstraße. Dort wurden sie schwer mißhandelt und am 10.November 1944 Ecke Schösteinstraße/Venloerstraße ohne Gerichtsverfahren gehängt. An der gleichen Stelle waren am 25.Oktober 1944 elf Zwangsarbeiter aus Osteuropa gehängt worden, wegen angeblicher Plünderungen während der Bombenangriffe.

"Die haben einige der Edelweißpiraten in Ehrenfeld an der gleichen Stelle aufgehängt wie drei Wochen vorher die Fremdarbeiter. Anschließend soll ein Gestapo-Mann verkündet haben, daß es sich um ganz gefährliche Verbrecher gehandelt habe, die zum Schutz der öffentlichen Ordnung hätten aufgehängt werden müssen. Viele Menschen haben zugesehen, aber niemand hat sich getraut etwas zu sagen, denn das ganze Gelände war schwer bewacht, überall SS und Gestapo mit Maschinengewehren im Anschlag. Die Leichen haben fast den ganzen Tag am Strick gehangen, bis zum nächsten Luftangriff, dann wurden sie erst abgenommen. Insgesamt sollen es 13 Personen gewesen sein, darunter sechs Jugendliche. Der Jüngste war erst 16 Jahre alt."

5. Zusammenfassung

Wie in Punkt 3. schon erwähnt, war der Widerstand Jugendlicher gegen den Nationalsozialismus ein spontaner Widerìstand, der kaum politisch oder ideologisch untermauert war. Vielmehr handelte es sich um eine generelle Verweigerung und Opposition, die, im Gegensatz zur Weißen Rose oder zu den konfessionellen Jugendgruppen, auch nicht von christlichen und ethischen Werten getragen wurde. Die Jugendlichen wehrten sich einfach gegen die immer stärker werdende Unterdrückung durch den nationalsozialistischen Staat.

Deutlich erkennbar ist das an der Tatsache, daß gerade nach Kriegsbeginn die Jugendopposition anstieg. Ab diesem Zeitpunkt wurde das gesamte Leben der Jugendlichen von den Nationalsozialisten hundertprozentig bis ins Kleinste reglementiert, so daß sie nahezu keinen Freiraum für ihre Bedürfnisse mehr hatten. Faktisch kann man sagen, daß die Jugendlichen in den Jahren 1939 - 1945 mehr oder weniger nahtlos von der Kindheit in die Erwachsenenwelt übergingen. Das sogenannte Erwachsenwerden, die Pubertät, wurde von den Nazis außer acht gelassen. Die Wünsche und Bedürfnisse der Jugendlichen ignoriert.

Dominierend war bei den Jungen wie auch bei den Mädchen die vollständige Vorbereitung auf den Kriegseinsatz. Auch im privaten Bereich mußten die Jugendlichen die Rolle von Erwachsenen übernehmen, um zu Hause den Vater, der an der Front war oder die Mutter, die in der Rüstungsin dustrie arbeiten mußte, zu ersetzen.

Ebenfalls darf die muffige Spießigkeit des nationalsozialistischen Staates nicht übersehen werden. Alles was nicht in das kleinbürgerliche Denken der Nazis paßte, wurde verboten.

Das traf natürlich besonders die Jugendlichen. In der Pubertät findet die zweite Trotzphase statt, in der die Jugendlichen die Erwachsenenwelt, deren Werte und Normen generell anzweifeln und versuchen ihre ersten eigenen Erfahrungen zu machen. Neue Interessen entwickeln sich und die Sexualität wird entdeckt.

Von den Nazis wurde diese normale Entwicklung vollständig blockiert. Den Jugendlichen wurden ihre Interessen vorgeschrieben und durch das spießige Denken der Nazis wurde auch die aufkommende Sexualität unterdrückt. Etwa durch konsequente Geschlechtertrennung bei der HJ. Jugendliche die ihren altersspezifischen Bedürfnissen nachgehen wollten, wurden mit Strafe bedroht.

Doch auch mit immer drakonischer werdenden Strafen konnten die Nazis nicht verhindern, daß, besonders mit zunehmender Kriegsdauer, der Jugendwiderstand immer mehr zunahm. Faktisch kann man sagen, daß die Jugendlichen durch die Maßnahmen der Nazis regelrecht in die Opposition gedrängt wurden.

Um sich altersgerecht ausleben zu können, blieb nur die Möglichkeit etwas außerhalb derherrschenden Gesellschaftsordnung zu tun. Da aber diese Gesellschaftsordnung vollkommen mit der Nazi-Ideologie durchsetzt war, einer Ideologie die keine Abweichungen duldete, führte eine Subkultur automatisch zum Konflikt mit dem Staat. Es genügte nur anders zu sein oder andere Interessen zu haben, um diesen Konflikt auszulösen.

Das wird am Beispiel der Swing-Jugend deutlich. Bei der Swing-Jugend handelte es sich um eine jugendliche Subkultur, die nicht etwa nur auf Deutschland begrenzt war. Sie existierte am Ende der dreißiger Jahre in den meisten westeuropäischen Ländern und in den USA. Es war damals die gleiche Erscheinung wie in den Sechzigern die Hippie -Bewegung oder heute Punks, Heavy Metal Fans-Bewegung, Techno-Fans u.s.w., praktisch eine Jugendmode. Genauso wie heute wollten die Jugendlichen ihre eigene Kultur haben, eine Kultur, die sich von der der Erwachseìnen unterschied. Ihnen ging es in erster Linie darum ihre Musik zu hören, dazu zu auf ihre Weise zu tanzen und das auch durch ihre Kleidung nach außen hin deutlich zu machen.

Für die Nazis war das eine Provokation, weil hier gegen ihre Dogmen und ihr kleinbürgerliches Denken verstoßen wurde. Außerdem sahen sie durch die Existenz einer eigenständigen Jugendkultur ihr Erziehungsmonopol gefährdet. Die Folge war, daß eine harmlose Jugendmode rücksichtslos verfolgt und brutal bestraft wurde.

Bei den Edelweißpiraten lag die Sache etwas anders.

Hier handelte es sich nicht nur um eine jugendliche Modeerscheinung, vielmehr hatte sich hier eine jugendliche Autonomiebewegung entwickelt, die ihre Wurzeln in der Wandervogelbewegung hatte. Man wollte sich in seiner Freiheit nicht durch den Staat und die Gesellschaft einschränken lassen. Das wurde dadurch verstärkt, daß die meisten Mitglieder des Edelweißpiratenim Gegensatz zur Swing-Jugend, aus der Arbeiterklasse kamen. Sehr früh eingeschränkt durch die üblichen Zwänge der Arbeitswelt, hatten diese Jugendlichen verstärkt den Wunsch nach einer unreglementierten Freizeit und eine starke Abneigung gegen den militärischen Drill der HJ.

Ihre soziale Herkunft führte auch dazu, daß viele der Edelweißpiraten von der bloßen Verweigerung zum aktiven Widerstand übergingen. Ein großer Teil der Jugendlichen war im Geiste der Arbeiterbewegung erzogen wurden, was zu einem Antifaschismus führte. So wurden Bartholomäus Schink und seine Geschwister von ihrem Vater streng antifaschistisch erzogen. Die Folge war, daß diese Jugendlichen schon sehr früh dem nationalsozialistischen System ablehnend gegenüberstanden. Durch schlechte Erfahrungen der Jugendlichen mit dem Nazi-Regime wurde aus der Ablehnung Haß, der sich in Prügeleien mit der HJ, Widerstandsaktionen und zum Schluß im bewaffneten Widerstand ausdrückte.

Abschließend wäre noch die Frage zu klären, warum der Widerstand dieser Jugendgruppen bis heute nur in geringem Maße oder ganicht gewürdigt wird?

Im Falle der Edelweißpiraten und speziell bei der "Ehrenfelder Gruppe" wird der Widerstand abgewertet und sogar geleugnet. So dauert z.B. der Kampf um die Anerkennung von Bartholomäus Schink als Widerstandskämpfer schon über vierzig Jahre!

Am 31.Dezember 1952 stellte die Mutter von Bartholomäus Schink, Gertrud Schink, einen Antrag auf Anerkennung ihres Sohnes als politisch Verfolgten. Dieser Antrag wurde nach zehn Jahren abgelehnt, mit einer ähnlichen Begründung wie 1963 im Falle Peter Hüppeler, wo es im Bescheid des Kölner Regierungspräsidenten unter anderem hieß:

"...Der verstorbene Verfolgte erfüllt offensichtlich nicht die Anspruchsvoraussetzung des § 1 BEG. Hiernach ist nur Verfolgter, wer aus Gründen politischer Gegnerschaft gegen den Nationalsozialismus oder aus Gründen der Rasse, des Glaubens oder Weltanschauung durch nationalsozialistische Gewaltmaßnahmen verfolgt wurde und hierdurch einen Schaden erlitten hat.

Wenn auch der Zeuge Heinrich Schneider...angibt, daß der Verfolgte ein politischer Gegner des NS-Regimes gewesen sei, so kann doch aus dem vorgetragenen Sachverhalt geschlossen werden, daß der Erblasser der als Verbrecherbande bekannten "Ehrenfelder Clique" angehörte. Diese Bande hatte in Köln-Ehrenfeld den Ortsgruppenleiter Soentgen, den Polizei-Inspektor Schiefer und den Nachtwächter Klockenberg ermordet und außerdem eine Reihe schwerer Diebstähle und Raubüberfälle begangen..."

In einem anderen Fall war die Begründung:

"...Die Kriminalpolizei in Köln ist davon überzeugt, daß von den festgenommenen Terroristen(!) am 10.11.1944 13 Personen ohne Gerichtsverhandlung und ohne Gerichtsurteil öffentlich erhängt wurden, um die Bevölkerung von weiteren Terrorakten abzuhalten. Die Exekution ohne gerichtliches Urteil bedeutet zwar einen Rechtsbruch, der nur durch die damaligen Verhältnisse zu erklären ist..."

Aus diesen Beispielen ist zu ersehen, daß die Mitglieder der Ehrenfelder Gruppe auch heute noch als Verbrecher angesehen werden.

Zur Beurteilung der Anträge auf Wiedergutmachung wurden die Gestapo-Akten herangezogen und auf Grund dieser Akten wurden die Entscheidungen getroffen! Insgesamt heißt das, daß die Edelweißpiraten von offizieller Seite nicht als Widerstandskämpfer anerkannt werden, mit der Begründung, daß ein politisches Konzept der Edelweißpiraten nicht erkennbar wäre.

Meiner Meinung nach spielen hier noch andere Gründe eine Rolle.  Die Edelweißpiraten stammten nicht aus alten adeligen Faìmilien. Ihre Väter waren keine Politiker oder keine Prominenten. Die Jugendlichen waren keine Intellektuellen, sondern einfache Arbeiterjugendliche. Geschichte wird, jedenfalls aus der Sicht des Staates, wohl immer noch von bedeutenden Persönlichkeiten gemacht und nicht von einfachen Jugendlichen.  Deshalb wird diese Ecke des Widerstandes einfach ignoriert und weiterhin kriminalisiert. Nicht nur das, heute werden wieder junge Antifaschistinnen und Antifaschisten kriminalisiert, während unbelehrbare Nazihetzer vor Gericht als gute Staatsbürger gelobt und milde beurteilt werden!

6. Literatur

Goeb, Alexander. Er war sechzehn als man ihn hängte; Das kurze Leben des Widerstandskämpfers Bartholomäus Schink; Rowohlt 1981

Hellfeld, Matthias von; Edelweißpiraten in Köln; Jugendrebellion gegen das Dritte Reich; Köln 1981

Hellfeld, Matthias von / Klönne, Arno; Die betrogene Generation; Jugend im Faschismus; Pahl-Rugenstein 1985

Jahnke, K.M.; Jugend im Widerstand 1933-1945; Frankfurt/M. 1985

Klaus, Martin; Mädchen im Dritten Reich; Pahl-Rugenstein 1983

Klönne, Arno; Jugend im Dritten Reich; Die Hitler-Jugend und ihre Gegner; Diederichs Verlag 1982

Koch, Hannsjoachim W.; Geschichte der Hitlerjugend; Verlag R.S.Schulz 1982

Müller, K.-J.; Der deutsche Widerstand; 1933-1945; Schöningh 1986

Peukert, Detlev; Die Edelweißpiraten Protestbewegung jugendlicher Arbeiter im Dritten Reich; Köln 1980

Schätz, Ludwig;  Schüler-Soldaten Die Geschichte der Luftwaffenhelfer im Zweiten Weltkrieg; Thesen Verlag 1972

Theilen, Fritz; Edelweißpiraten; Fischer Verlag 1984

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