Wie der Maoismus nach Westberlin kam
Materialien zum Referat

Sit-in-Forderungen

Leseauszug aus: Rebellion der Studenten

06/2016

trend
onlinezeitung

Bis zum Wintersemester 1965/66 hatten sich die Proteste der Studenten auf die Verteidigung formaler demokratischer Rechte beschränkt; sie hatten sich an einzelnen "Fällen" entzündet, nach deren Beendigung sich die protestieren­den Studenten wieder ihrem Fachstudium zuwandten. Erst durch das generelle Verbot aller politischen Veranstaltungen, dessen einseitige Stoßrichtung gegen die Vietnam-Veranstaltungen einzelner Verbände den meisten Studenten klar war, beschäftigten sich viele Studenten mit den Inhalten dieser Veranstaltungen und gelangten so zu einer Stellungnahme gegen die Bevormundung durch die Universitätsadministration und zu einem Engagement in den politischen Fra­gen selbst, vor allem in der Vietnam-Frage. Dazu kam als zentrales universitäres Ereignis die Zwangsexmatrikulation, die die Studenten real in ihrer anti­zipierten beruflichen Existenz bedrohte; sie wurden gezwungen, sich innerhalb der Universität gegen die Maßnahmen der Universität zu wehren. Auf dem sit-in vom 22. Juni lernten sie ihre einzige Möglichkeit kennen, gegen diese Bedrohung - wenn auch mit relativem Erfolg - vorzugehen: ihre Interessen selber konsequent wahrzunehmen, nachdem es sich im Laufe der Jahre als er­folglos erwiesen hatte, ihre Vertretung, der ihre Probleme delegiert waren, allein den Kampf gegen die universitäre Bürokratie führen zu lassen.

Diese neue Selbsttätigkeit der Studenten führte am 26. November 1966 zu einem neuen "Skandal". Als sehr spätes Zugeständnis an eine der sit-in-Forderungen diskutierte der Rektor mit Studenten über Hochschulprobleme. Nachdem er über zwei Stunden lang konkrete Fragen und Diskussionsbeiträge ausweichend beantwortet hatte, sich nicht für kompetent erklärte oder darauf hinwies, er diskutiere als Bürger und nicht als Rektor der Universität, verteilten Studenten ein Flugblatt, dessen Prognose «von diesem Gespräch haben wir nichts zu erwarten» sich zu diesem Zeitpunkt schon erfüllt hatte. Der Rektor verließ mit dem AStA-Vorsitzenden den Saal, als die Flugblattverteiler das Mikrofon benutzten, um dessen Text zu verlesen:

"....Von diesem Gespräch haben wir nichts zu erwarten.
An unserer Lage wird sich nichts ändern, solange nicht diejenigen sich selbst organisieren, die es wirklich betrifft die ausscheiden oder ausgeschieden werden die diese Freie Universität nicht mehr aushalten die sich mit ihr nicht mehr arrangieren wollen die sich bewußt verweigern.

Provisorisches Komitee zur Vorbereitung einer studentischen Selbstorganisation 26. November 1966."

....Da Journalisten unter den Flugblattverteilern SDS-Mitglieder erkannt hatten, die zudem noch das Abzeichen der Roten Garden Mao Tse-tungs am Rockaufschlag trugen, interpretierte die gesamte Berliner Presse den Vorfall als: «Jünger Maos sprengten FU-Diskussion» (Morgenpost), «Schwungrad der Revolution» innerhalb «einer Kommune mit freier Liebe und Parteischulung» (Der Abend). Der Rektor verlangte daraufhin die Namen der Beteiligten vom SDS, der sie verweigerte, um nicht zum Denunzianten zugunsten eines Disziplinarrechts zu werden, welches er grundsätzlich ablehnte.

Die Theorie von der kommunistischen Unterwanderung durch die DDR mußte einer anderen weichen, nach der «linke» FU-Studenten von Angehörigen der Chinesischen Botschaft in Ost-Berlin gesteuert würden."

Quelle: Uwe Bergmann u.a., Rebellion der Studenten, Reinbek 1968, S. 22ff