Berichte aus Frankreich

Frankreichs Rechtsaußen: Le Pen und de Villiers bereiten die kommenden Wahlen vor


Ein Dossier v
on Bernhard Schmid
06/06

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Teil 4: Rassismus und Antisemitismus in Frankreich: Spannungen zwischen Bevölkerungsgruppen nehmen (periodenweise) zu Teil 1
Teil 2
Teil 3

Rassismus und Antisemitismus in Frankreich bleiben ein beunruhigendes Phänomen, da diese Ideologien (oder Versatzstücke aus ihnen) sich als weit verbreitet erweisen. Auch wenn rassistisch motivierte Gewalttätigkeit nicht derart häufig an der Tagesordnung ist wie im Nachbarland Deutschland - denn französische Rassisten werfen einen Wahlzettel in die Urne oder reagieren sich am Tresen ab, aber Gewaltverbrechen und Morde sind östlich des Rheins westaus häufiger. Regelmäbig durchgeführte Untersuchungen erlauben es, sich ein Bild von der Reichweite rassistischer und antisemitischer Ideologien zu machen.

Ein vermeintliches Paradoxon durchzieht die Schlussfolgerungen, die durch die «Nationale Beratungskommission für Menschenrechte» (CNCDH) aus ihrem diesjährigen Rassismusbericht gezogen werden. Die CNCDH ist ein unabhängiges Gremium, das dem Amt des Premierministers zuarbeitet und alljährlich am 21. März einen detallierten Untersuchungsbericht über Rassismus und Antisemitismus in Frankreich vorlegt.

Rassistische Ideologie nimmt zu, Gewalt rückläufig – paradox?

Die im März dieses Jahres veröffentlichte jährliche Studie mit dem Rückblick auf 2005 enthält zwei Grundsaussagen, die auf den ersten Blick widersprüchlich wirken. Einerseits ist im Jahr 2005, gegenüber 2004, die Anzahl körperlicher und verbaler Aggressionen mit rassistischem, antisemitischem oder rechtsextrem Hintergrund abgesunken. Statt 1.574 Gewaltdelikten und –drohungen im Jahr 2004 wurden im Jahr darauf noch 974 verzeichnet, das entspricht einem Rückgang um 38 Prozent. 43 Prozent der verzeichneten Taten haben, so die CNCDH, einen organisierten rechtsextremen Hintergrund.

Noch stärker ist der Rückgang bei den Straftaten gegen Juden und jüdische Einrichtungen, die rund die Hälfte der Gesamtzahl ausmachen: Angesichts von 504 verzeichneten Delikten und Drohungen, gegenüber 974 im Vorjahr, kann ein Rückgang um 48 Prozent vermeldet werden.

Doch gleichzeitig verzeichnet der Jahresbericht auch einen sichtbaren Anstieg der Zustimmungsrate vor allem zu rassistischen und zuwandererfeindlichen Äuberungen, Ideen und Haltungen. Ein Drittel der Befragten geben selbst an, sich für «rassistisch» zu halten - darunter 24 Prozent, die laut Selbsteinschätzung «ein wenig rassistisch» sind, und 9 Prozent, die sich für ungeschminkt rassistisch ausgeben. Ihre Gesamtzahl verzeichnet einen Zuwachs um 8 Prozent innerhalb eines Jahres. Im Gegenzug nimmt der Anteil derer, die sich für strikt un- oder antirassistisch erklären (40 Prozent), im Vergleich zum Vorjahr um acht Prozent ab.

Der Widerspruch zwischen den beiden groben Tendenzen ist nur scheinbar. Denn die hohe Anzahl von Straftaten mit rassistischem oder antisemitischem Hintergrund resultiert vor allem aus einer zeitlich eingrenzbaren Welle von Schändungen jüdischer Friedhöfe und Denkmäler, die Ende April 2004 in der Nähe von Strasbourg begann und sich danach vor allem auf Ostfrankreich erstreckte. Diese Kette von Taten, die auf Judenhass basierten, ging nach einige Monaten zu Ende. Daraus erwächst in der Statistik der Eindruck, dass im folgenden Jahr generell in Frankreich die Anzahl rassistisch oder antisemitisch motivierter Taten abgenommen habe. In Wirklichkeit blieb sie auf ungefähr konstantem Niveau. 

Ein Teil der Haupttäter konnte im Übrigen ermittelt werden, darunter der oder die mutmabliche(n) Urheber der ersten, besonders spektakulären Friedhofsschändung in Herrlisheim bei Strasbourg. Zunächst wurde am 15. Dezember 2004 ein 25jähriger Waldarbeiter namens Lionel Lezeau festgenommen, der im übrigen Mitglied des rechtsextremen Front National (FN) ist. Ihm wurde die Teilnahme an der Schändung von Herrlisheim vorgeworfen. In der letzten Januarwoche 2006 jedoch tat sich Neues, denn drei neue Personen wurden in dieser Angelegenheit festgenommen. Es handelt sich einerseits um zwei junge Arbeitslose im Alter von 25 und 27 Jahren (ihr Name ist nicht öffentlich bekannt), die allem Anschein nach in einer ideologischen Parallelwelt lebten, die von germanischen Rittern und heidnischen Gottheiten erfüllt war. Einer der beiden hat seine Tatbeteiligung zugegeben. Der andere wird verdächtigt, ebenfalls für die Explosion einer Rohrbombe im elsässischen Rouffach verantwortlich zu sein. Bei ihr wurde ein 65jähriger marokkanischer Arbeiter (vorsätzlich) verletzt, in dessen Gartehütte der Sprengsatz deponiert worden war.  

Andererseits aber wurde auch ihr Hintermann und «Chefideologe» festgenommen, der unter dem Decknamen «Tiwaz 2882» operierte (nach dem Abzeichen einer SS-Division) – dieser Code wurde sowohl bei der antisemitischen Friedhofsschändung von Herrlisheim als auch bei dem Bekennerschreiben zu dem rassistischen Anschlag auf den 65jährigen Marokkaner. Bei dem «Chefideologen» handelt es sich um den 36jährigen Emmanuel Rist aus dem elsässischen Kaysersberg, der allem Anschein nach Jahre lang erfolgreich ein Doppelleben führte. Rist war nicht nur Vater eines zweijährigen Kindes und seit dreieinhalb Jahren als Hundeführer bei einer örtlichen Securityfirma beschäftigt. Er war bei dieser Firma auch zum gewerkschaftlichen Vertrauensmann für die («unpolitisch»-populistische) Gewerkschaft FO ernannt worden. Und er zeichnete Karikaturen für die örtliche Presse, aber auch gelegentlich für Vereine bis hin zur Menschenrechtsorganisation Amnesty international. Die örtliche Nachbarschaft und seine Arbeitskollegen zeigten sich überrascht über die offenkundige NS-Ideologie, die anlässlich der Ermittlungen bei ihm ans Tageslicht gefördert wurde.  

Nach seiner Verhaftung ist nunmehr unsicher, ob der bereits im Dezember 2004 festgenommene Rechtsextreme Lionel Lezeau ebenfalls noch mit der Tat in Verbindung gebracht werden kann oder nicht. Die Justiz äuberte sich dazu bisher nicht klar, und Emmanuel Rists Rechtsanwalt Renaud Bettcher seinerseits hat L. Lezeau in mündlichen Äuberungen für unschuldig erklärt (sein Mandant habe erklärt, Lezau noch nie gesehen zu haben; er gehöre nicht zur «Gruppe Rist»). Der Front National, der Lezau zunächst aus seiner Mitgliederliste gestrichen hatte, hat ihn inzwischen wieder aufgenommen und seine juristische Verteidigung übernommen.

Der Einfluss des Klimas im Spätherbst 2005

Unabhängig von der Gewalt, ist gleichzeitig ein Anstieg der Zustimmungswerte zu rassistischen oder fremdenfeindlichen Aussagen zu verzeichnen. Dies ist unbestreitbar. So wächst die Zustimmung zu Äuberungen wie beispielsweise jener, es gebe zu viele «Ausländer» in Frankreich (56 Prozent : ein Zuwachs von plus 18 % binnen eines Jahres). Nur noch 32 Prozent erklären sich spontan bereit, «ein rassistisches Verhalten bei der Polizei anzuzeigen», dies entspricht einem Rückgang um 18 Prozent.

Auch hier hängt die – gravierende – Verschiebung der statistischen Daten allerdings mit einer Abfolge konkreter Ereignisse im zurückliegenden Jahr zusammen. Die Meinungsumfragen, die zur Erhebung statistischer Daten durchgeführt wurden, fanden in einem besonderen Moment statt: im November 2005, und damit zeitlich parallel zu den Unruhen in der französischen Trabantenstädte. Diese Riots in den Banlieues wurden aber durch relevante Teile der Bevölkerung, wie auch des konservativen Teils der politischen Klasse, «ethnisch-religiösen» Ursachen – statt sozialen Verwerfungen – zugeschrieben. Dieser Blick durch die «ethnisierende» Brille, zum Zeitpunkt der Unruhen, erklärt mit Sicherheit einen Teil der gröberen Verschiebungen im erfassten Meinungsspektrum. Darauf weist auch die Pariser Abendzeitung Le Monde in einem Leitartikel explizit hin. Ob aus diesen Daten eine dauerhafte Entwicklung der Meinungslandschaft abgeleitet werden kann, oder aber ob sich ein Teil der öffentlichen Meinung danach wieder entspannt (hat), bleibt erst noch abzuwarten. Sicher ist hingegen, dass die organisierte extreme Rechte diese Unruhen und ihre gesellschaftliche Wahrnehmung als Steilvorlage benutzt hat, um neue Syampathisanten und auch Mitglieder zu rekrutieren. Le Parisien vom 08. April zitiert etwa einen früheren KP-Wähler, der in einem Arbeiterbezirk im nordostfranzösischen Hénin-Beaumont rechtsextreme Flugblätter auf dem Wochenmarkt verteilt. Er ist, sofern denn seine Angaben stimmen, vor diesem Hintergrund im Januar dem FN beigetreten.

Rassistischer Mord in der Nähe von Lyon: Angespannte Atmosphäre

Nicht durch einen organisierten rechten Hintergrund, wohl aber –höchst wahrscheinlich – durch das allgemeine rassistische Klima erklärbar ist der Tod des 42jährigen, aus Algerien stammenden Familienvaters Chaïb Zehaf.  

Er wurde am 04. März 2006 beim Verlassen eines Bierlokals in der Lyoner Vorstadt Oullins, wo er ein Fubballspiel im Fernsehen verfolgt hatte, von einem angetrunkenen Waffennarren namens Jean-Marie Garcia erschossen. Augenzeugen berichteten mehrfach,  zum Zeitpunkt der tödlichen Schüsse rassistische Beschimpfungen gegen «Araber» aus dem Munde des Schützen gehört zu haben. Artikel und Korrespondentenberichte in der linksliberalen Pariser Tageszeitung Libération, aber auch in der rechtsbürgerlichen Boulevardzeitung France Soir (ab dem 11. März 06) sprachen schon früh von einem mutmablichen rassistischen Hintergrund, der bislang verschleiert werde.

Die örtliche Polizei streitet ein mögliches rassistisches Tatmotiv dagegen ab. Und laut einem Bericht in Libération wurde einer der Begleiter des Ermordeten – der selbst durch eine Schusswunde am Arm verletzt worden war – durch die Beamten nicht als nützlicher Augenzeuge oder potenzielles Opfer behandelt, sondern wie ein Täter verhört. Obwohl am Arm verwundet, wurde er demnach kurz nach der Tat eine Stunde lang in Handschellen angehört. Seitdem wurden gravierende Vorwürfe gegen die örtliche Polizei laut. 

Durch einen Bericht der Pariser Abendzeitung Le Monde in ihrer Ausgabe vom Dienstag, 23. Mai 2006 wurde das Thema erneut aktuell. Demnach wurden bei dem Todesschützen Jean-Marie Garcia zu Hause nicht nur eine Unmenge (geladener) Waffen aufgefunden, über deren Herkunft der Mann sich «als Sammler» bislang nicht erklären möchte, sondern auch ein Lederetui mit einem dicken aufgeschnitzten Hakenkreuz. Garcia versucht sich bisher darauf herauszureden, er sei nur ein halb verrückter, rein ästhetisch motivierter Waffennarr – das Hakenkreuz gehöre nun einmal dazu, da es die Echtheit der Herkunft der Waffe aus einer bestimmten Epoche bestätige. Und auf die Vorhaltung bzw. Nachfrage der Polizei hin, warum er seinen schweren Revolver am Abend der Tat mitsamt Munition spazieren geführt habe, antwortete Garcia demnach: «Ihn ohne Munition mitzuführen, wäre lächerlich. Das ist, wie ein Auto ohne Benzin zu fahren, wenn man den Motor gar nicht hört.»   

In der Nacht vom Dienstag zum Mittwoch, 24. Mai lieb die Lyoner Justiz nunmehr das Verbrechen am Original-Tatort, der von einem Grobaufgebot an Polizei von Schaulustigen abgeschirmt wurde, nachstellen. Am folgenden Tag meldeten die Nachrichtenagenturen AFP und Reuters, der Todesschütze Garcia habe (so zitieren sie den Anwalt der Familie des Opfers, François Saint-Pierre) «ein seltsames Verhalten» und «einen gewissen Stolz auf seine Tat» gezeigt. Garcias Verteidiger, Frédéric Lalliard, dagegen sieht rassistische Motive (die strafverschärfernd wirken würden) als keineswegs erwiesen an. Die Rechtsanwälte beider Seiten, also der Hinterbliebenen des Opfers und jener des Schützen Garcia, sind sich zumindest über einen Punkt einig: Es sei nunmehr klar, dass den tödlichen Schüssen kein Streit zwischen Garcia und dem Opfer voraus gegangen sei. Garcia hatte bereits in der Kneipe, in der ein halbes Dutzend Gäste dem Fubballspiel im Fernsehen zusahen, seine Waffe gezogen, jedoch ohne Anlass und ohne präzise auf jemanden zu zielen. Die drei Todesschüsse fielen zu einem späteren Zeitpunkt, vor der Kneipe – in diesem Zusammenhang spricht Anwalt Saint-Pierre von einer «regelrechten  Hinrichtung», da der letzte Schuss aus allernächster Nähe auf den Körper des Opfers abgefeuert worden sei. Zwar war der Täter zum fraglichen Zeitpunkt alkoholisiert (es wurden bei ihm 2 Promille Blutalkohol gemessen), doch war er offenkundig noch in der Lage dazu, zielgerichtet zu handeln. Für rassistische Äuberungen gibt es einen Augenzeugen, nämlich einen jungen Mann, der sich zum fraglichen Zeitpunkt eine Kassette bei einem nahen Videoverleih besorgte und der angibt, den Ausruf «Schmutziger Arabe, beschissene Rasse» gehört zu haben. Allerdings hat der in der Tatnacht ebenfalls anwesende Cousin des Opfers angegeben, selbst keine solchen Rufe gehört zu haben. Die Justiz und die örtliche Korrespondentin von Le Monde (Ausgabe vom Freitag, 26. Mai) signalisieren deshalb, dass aus ihrer Sicht die rassistische Natur des Verbrechens nach wie vor in Zweifel stehe.   

Antirassismusorganisationen wie SOS Racisme und MRAP ermitteln seit längerem zu der Affäre, und sprechen von einem aufgeheizten Klima vor Ort, das Besorgnis erregen könne. Denn die Empörung über das – auch von ihnen behauptete - «Totschweigen» des möglichen rassistischen Tathintergrunds mache sich auch dergestalt Luft, dass manche Anwohner migrantischer Herkunft erklärten, «man müsse schon Jude oder ein Federvieh sein, wenn man getötet wird, dass sich irgend jemand dafür interessiert». Eine Anspielung auf die Demonstrationen nach der Ermordung des jungen Juden Ilan Halimi, sowie auf die Aufregung um die Vogelgrippe. Durch solche Äuberungen drohen potenziell die Spannungen zwischen Bevölkerungsgruppen noch zuzunehmen.

Zur Erinnerung: Der junge französische Jude und Handyverkäufer Ilan Halimi war am 20. Januar 2006 durch eine kriminelle Bande entführt, und drei Wochen lang festgehalten und misshandelt worden. Am 13. Februar wurde er im Pariser Umland sterbend aufgefunden. Daraufhin fand am 26. Februar in Paris eine Demonstration statt, um die antisemitische Dimension der Tat (die zusammen mit rein kriminellen Beweggründen in das Motivbündel der Täter einfloss, und auf der Idee beruhte, dass man einen Juden einführen müsse, «weil man sicher sein kann, dass Juden Geld haben») anzuprangern. Inzwischen haben die stattgefundenen Verhöre der Tatbeteiligten, die jetzt fast alle hinter Gittern in Untersuchungshaft sitzen, bestätigt, dass zumindest die charismatische Führungsfigur der Bande – Youssouf Fofana – solche Ideen hegte: «Die Juden sind doch die Könige in diesem Land... » Dagegen scheinen die anderen Mitglieder seiner Bande zum Teil tatsächlich (in materieller und/oder psychischer Hinsicht) Elendsexistenzen gewesen zu sein, die sich zum Teil von ihrem kriminellen «Guru» psychologisch manipulieren und die Hoffnung auf «schnell verdienten Zaster» in den Kopf setzen lieben. Die linksliberale Wochenzeitung Charlie Hebdo (die den Aussagen der Täter in den Verhören bzw. ihrer Analyse, ebenso wie Le Monde und Libération, eine volle Doppelseite widmete) schildert etwa den Werdegang der knapp 17jährigen Yalda, die als «Lockvogel» gedient hatte, um Ilam Halimi in die durch die Bande bereit gehaltene Falle zu locken. Demnach war das junge Mädchen, das aus einer herunter gekommenen Trabantenstadt von Paris stammt, im Alter von 10 oder 12 Jahren von mehreren männlichen Jugendlichen vergewaltigt worden. Psychisch völlig instabil, lieb sie sich leicht von dem – mit seinem Geld um sich werfenden und strahlend auftretenden – «Blender» Youssof Fofana beeindrucken und psychisch manipulieren. Zu schlechter letzt «verliebte» sie sich auch noch in dessen «rechten Arm», der selbst bereits ein entwickelter Krimineller war. Insofern scheint man davon ausgehen zu müssen, dass tatsächlich antisemitische Denkstruktur, «gewöhnliche» Bandenstruktur und finanziell ausgerichtete kriminelle Motive nebeneinander existiert und ineinander gegriffen haben.

Dieudonné schüttet Öl ins Feuer 

Die allzu verständliche Empörung über den Mord von Oullins, seine mutmablichen (teilweise) rassistischen Motive und den möglichen Polizeiskandal droht auf die beschriebene Weise, gegen das Gedenken an andere Opfer in Widerspruch gebracht zu werden. Die legitime Wut könnte auf diesem Wege gar noch zur Entfremdung von Bevölkerungsgruppen untereinander beizutragen.  

Einer darf dabei nicht fehlen, wenn es darum geht, Benzin ins Feuer zu kippen: Der schwarze Franzose, Theatermacher und «Humorist» Dieudonné Mbala Mbala, allgemein bekannt unter seinem Künstlernamen, der mit seinem Vornamen identisch ist. Prompt meldete Dieudonné für den 22. April (einen Samstag) eine Demonstration an unter dem Motto «Gegen die Diskriminierung unter den Opfern».  

In Wirklichkeit ging es Dieudonné aber darum zu zeigen, dass es angeblich eine ungerechtfertigte Bevorzugung gebe, dass nämlich jüdische Opfer bevorzugt behandelt würden. Zum «Beweis» für diesen Versuch, Opfer gegeneinander auszuspielen, diente Dieudonné die Behandlung von vier Mordaffären durch «die Medien und die politische Klasse». Neben dem Mord an Ilan Halimi und jenem an Chaïb Zehaf (bei denen antisemitische bzw. rassistische Motive zumindest in ein Gemengelage aus Tatmotiven eingeflossen sein dürften) nannte Dieudonné noch zwei andere Morde, die offenkundig keinen ideologischen Hintergrund hatten. Es gelang ihm, den Sohn und die Schwiegertochter von Benoît Savéan dafür zu gewinnen, mit ihm gemeinsam zu demonstrieren: Dieser Peugeot-Angestellte aus Audincourt im französischen Jura war aus kriminellen Motiven entführt und gefoltert worden, da die Täter die Geheimnummer seiner Bankkarte aus ihm herauspressen wollte. Am 25. Februar 2006 (also einen Tag vor der Pariser Demonstration zum Andenken an Ilan Halimi) war seine Leiche aufgefunden worden, die grausam zugerichtet war, ihr fehlten etwa die Ohren. Die Affäre fand ein nicht unbeträchtliches Medienecho, das freilich geringer ausfiel als im Mordfall Ilan Halimi: Schlicht und einfach aus dem Grund, weil die Tat keinerlei ideologische Motive zugrunde liegen hatte und daher keine gessellschaftlichen Konsequenzen, keine (mehr oder minder unmittelbare) Auswirkung auf das Zusammenleben der übrigen Menschen zu haben schien.

Im Endeffekt kamen circa 100 Menschen zu Dieudonnés Demonstation vom 22. April (laut Kurzmeldung in Le Monde vom Abend des 24. April). Damit blieb die Beteiligung ausgesprochen gering. Dennoch hatte der Appel im Vorfeld einige Aufmerksamkeit erregt. In dem Aufruftext hatte Dieudonné sich auch darüber echauffiert, dass Innenminister Nicolas Sarkozy drei junge Juden aus der Pariser Vorstadt Sarcelles, die Ende Februar bei einem antijüdisch motivierten körperlichen Angriff (leichtere) Verletzungen am Kopf erlitten hatten, kurz nach dem Hochkochen der Mordaffäre Ilan Halimi im Amt empfangen habe. Nicht aber habe er die Familie des Peugeot-Angestellten Benoît Savéan oder Chaïb Zehaf empfangen. Diesen Vorwurf der Ungleichbehandlung drehte Dieudonné aber nicht so, dass er Aufklärung über den möglichen Polizeiskandal zum Mord an Chaïb Zehaf gefordert hätte, was ja noch richtig gewesen wäre – sondern indem er sich über die angeblichen ungerechtfertigten Privilegien für die drei jungen Juden aus Sarcelles ereiferte. Diese hätten, so heibt es in dem Aufruf wörtlich, «keinen Kratzer» gehabt. (Kratzer nicht, wohl aber Nasenbrüche...)  

Dennoch hat Dieudonné es nicht geschafft, die Familie des in der Nähe von Lyon ermordeten Chaïb Zehaf zur Teilnahme an «seiner» Demo zu bewegen. Besonders diesen (wahrscheinlich rassistisch motivierten) Mord versuchte Dieudonné ideologisch zu seinen Zwecken auszuschlachten. So behauptete er in seinem Demoaufruf, der Todesschütze sei «der Sohn eines praktizierenden Juden». (Diese ‘Information’ ist höchst wahrscheinlich falsch und findet nirgendwo Bestätigung. Und selbst falls sie nicht falsch sein sollte, steht sie in keinerlei Zusammenhang mit der Tat und erklärt nichts daran. Aus gutem Grund sollte man in diesem wie in anderen Fällen davon absehen, auf die Herkunft und Abstammung der Täter abzustellen, sofern sie nichts zur Erhellung des Tathintergrunds beiträgt.) Der Bruder des Mordopfers, Halim Tiaïbi, erklärte ferner in einem Interview mit der linksliberalen Wochenzeitung Charlie Hebdo vom 15. April 2006 in ziemlich vernünftigen Worten: «Der Wahlkampfleiter (sic; Anm.: der Mann bezeichnet sich als Präsidentschaftskandidat für 2007) von Dieudonné hat meine Mutter angerufen, um zu versuchen, sie für einen ‘Marsch gegen die Diskriminierung unter Opfern’ zu gewinnen. Andere haben, ohne uns (die Familie) überhaupt zu fragen, im Internet ein ‘Kollektiv Chaïb Zerhaf’ ausgerufen. (...) Ich mache da nicht mit! Man nutzt nicht so ein Drama aus, um die Leute gegeneinander auszuspielen.» Unter den Urhebern des Internet-Aufrufs, den der Bruder des Opfers kritisch zitierte, finden sich moslemische Gemeindefunktionär und der moslemisch-kommunitaristische Ideologie Tariq Ramadan.

Dieudonné, der im kommenden Jahr zu den Präsidentschaftswahlen kandidieren will (aber wahrscheinlich nicht die formalen Voraussetzungen für eine Kandidatur erfüllen wird: 500 Unterschriften von Bürgermeistern usw.), darf grundsätzlich nirgendwo fehlen, wo Öl ins Feuer gekippt wird. Ende April 2006 lieb er sich für die erste Ausgabe der, nach zehnjähriger Pause wieder erscheinende, nationalrevolutionären Monatszeitschrift im Umfeld des Front National namens Le Choc du mois interviewen. Darin verglich er sich selbst, der in Frankreich aufgrund seiner unbequemen Auffassungen verfolgt wäre, mit dem ebenso «verfolgten» Jean-Marie Le Pen. (Nicht, dass er sich auf dieselbe Seite gezählt hätte: Dieudonné behauptet in dem Interview glatt, er selbst vertrete angeblich «die wahre Linke» und Le Pen «die wahre Rechte», die übrigen politischen Akteure seien dagegen Betrüger. Aber unter Verfolgten müsse man sich eben gegenseitig Respekt zollen...) 

Erstmals kann Dieudonné allerdings seit einigen Wochen nicht länger behaupten, er sei «noch nie gerichtlich verurteilt worden» für seine Hetzäuberungen, sondern er habe immer «Recht bekommen». Bis dahin hatte er es tatsächlich immer geschafft, Freisprüche zu erzielen - indem er behauptete, er agitiere nicht etwa gegen die jüdische Bevölkerungsgruppe an sich, sondern gegen die Politik bestimmter jüdischer Kreise etc. Am 10. März 2006 jedoch verurteilte ihn die 17. Strafkammer im Pariser Justizpalast zu 5.000 Euro Geldstrafe wegen «Aufstachelung zum Rassenhass». Dem Urteil zugrunde liegt ein Interview, das Dieudonné der Sonntagszeitung JDD (Journal du dimanche) in ihrer Ausgabe vom 08. Februar 2004 gegeben hatte. Darin hatte Dieudonné pauschal davon gesprochen, jene (jüdischen) Personen, die ihm widersprächen oder gewälttätig gegen ihn vorgingen, seien «alles ehemalige Sklavenhändler, die sich im Bankgeschäft und im Mediengeschäft recycelt haben, heutzutage auch im Terrorismus, und die die Politik von Ariel Sharon unterstützen». Da keinerlei nachvollziehbarer inhaltlicher Zusammenhang zum Sklavenhandel und ähnlichen, tatsächlich negativen historischen Erscheinungen bestand, kam das Gericht zum Schluss, dass Dieudonné tatsächlich die jüdische Bevölkerungsgruppe als solche bezichtige, «négriers» (Sklavenhändler) zu sein. Dies sei auf die antisemitische Vorstellungswelt vom jüdischen «Blutsauger» zurück zu führen. Daher ist Dieudonné nunmehr, zum ersten Mal, vorbestraft. (Zu dem Gerichtsurteil siehe France Soir vom 11. März 2006)  

Tatsächlich hegt Dieudonné einen ungeheuren Groll gegen die jüdische Bevölkerungsgruppe, da er ihr vorwirft, durch die Erinnerung an die Shoah das Gedenken an historische Verbrechen zu «monopolisieren» - und dadurch die Erinnerung an das Menschheitsverbrechen der Sklaverei nicht aufkommen zu lassen. Diese Form von «Opferkonkurrenz» bildet sein zentrales, grundlegendes Motiv. Dabei ist aber der von ihm formulierte Vorwurf inzwischen längst zum völlig irrationalen Selbstläufer, zum Ausdruck eines zum Selbstzweck erhobenen Hasses geworden.  

Wenn man Dieudonné etwa darauf hinweist, dass der französische Code noir (das Gesetzbuch über den Sklavenhandel, das unter der Monarchie eingeführt wurde und bis im 18. Jahrhundert galt) gleich in seinem Artikel 1 den Juden die Teilhabe an dem Geschäft des europäischen Sklavenhandels verbot ( !), findet der Mann auch darauf noch eine Antwort. Aber diese Antwort fällt absolut irrsinnig, und von jeder historischen Grundlage losgelöst aus . Am 29. April 2005 stellte er etwa folgende wahnwitzige, jeglicher historischen Grundlage entbehrende Behauptung im Radiosender Beur FM auf: «Der erste Artikel des ‘Code noir’ besagt, dass dieser Handel den Juden verboten sei. Aber warum? Deshalb, weil die Juden seit langem das Monopol darüber hatten und weil man eine christliche Dimension (darin) einführen musste. Das heibt, weil man aufhören musste, die männlichen Sklaven zu kastrieren, weil man aufhören musste, die Kinder ins Wasser zu werfen.» (Zitiert nach dem auch sonst interessanten Buch der Journalistin Anne-Sophie Mercier: La vérité sur Dieudonné, Paris, Verlag Plon 2005, hier zitiert von S. 29) 

Wie auch bei anderen antisemitischen Ideologen, hat sich bei Dieudonné inzwischen das Ressentiment gegen die Wirklichkeitserfahrung resistent gemacht. Bleibt nur zu hoffen, dass sein Selbstbild (er sei das Sprachrohr der Entrechteten und Enterbten, der Rächer der marginalisierten Immigrantenjugend in den Banlieues etc.) auch weiterhin Makulatur bleibt.   

Gerichtsurteile gegen Rechtsextreme 

Auch gegen Angehörige der «klassisch» rassistischen und antisemitischen extremen Rechten sind in jüngster Zeit mehrere Sanktionen verhängt oder bestätigt worden.

Am Montag, den 22. Mai 2006 bestätigte das oberste französische Gremium für Hochschullehre und Forschung, der CNESER, die Suspendierung des Front National-Politikers von seinem Univeristätsamt als Juraprofessor an der Hochschule Lyon-III. Bruno Gollnisch war zunächst durch die örtlichen Hochschulbehörden aus dem Universitätsdienst entfernt worden, nachdem er am 11. Oktober 2004 (bei einer Pressekonferenz in den Räumen des Front National in Lyon) die Existenz der Shoah geleugnet und relativiert hatte: Die angeblich geknebelte Forschung müsse endlich frei über die Zahl der Toten und ihre Todesart diskutieren können usw. Gollnisch wurde für 5 Jahre vom Dienst suspendiert, d.h. faktisch bis zu seinem Eintritt in die Rente, und sein Gehalt wurde um die Hälfte gekürzt. Nunmehr hat also das oberste Gremium, das für Forschung und Lehre ist, die Rechtmäbigkeit dieser Mabnahme bestätigt. Sie muss nunmehr noch vom zuständigen Bidlungsminister (d.i. zur Zeit der Christdemokrat Gilles de Robien) als oberster politischer Instanz bestätigt werden, aber daran besteht kaum ein Zweifel. 

Bereits fünf Tage zuvor, am 17. Mai 2006, hatte das Berufungsgericht in Lyon die Verurteilung des früheren rechtsextremen Regionalparlamentariers Georges Theil wegen Holocaustleugnung bestätigt. Theil muss für sechs Monate (ohne Bewährung) in Haft und 10.000 Euro Geldstrafe bezahlen. Der Mann hatte am 14. Oktober 2004, drei Tage nach den oben zitierten Äuberungen des hohen FN-Funktionärs Bruno Gollnisch und wohl durch diese beflügelt, ungeniert offen die Existenz der Shoah bestritten. Die Gaskammern seien eine Erfindung, und das tödliche Gas Zyklon B sei «ein Desinfektionsmittel» in den Konzentrationslagern gewesen. Theil wörtlich, vor den Mirkophonen der Presse und eines lokalen Fernsehsenders: «Je mehr die Deutschen davon benutzten, desto mehr Leben haben sie gerettet.» Dafür wurde Theil am 07. Oktober 2005 zu einer Haftstrafe von sechs Monaten ohne Bewährung verurteilt. Dieses Urteil wurde jetzt bestätigt. Damit ist Theil die erste Person, die in Frankreich aufgrund der «Auschwitzlüge» tatsächlich ins Gefängnis muss. Bis dahin hatte es zwar Urteile gegen Holocaustleugner gegeben, aber aufgrund von Bewährungsregeln u.a. hatte bisher noch keiner hinter Gittern gesessen. Das ändert sich jetzt. Theil war in jüngerer Vergangenheit Pressesprecher der FN-Fraktion im Lyoner Regionalparlament gewesen (nachdem er selbst dort als Abgeordneter gesessen hatte). 

Der Chef des Front National, Jean-Marie Le Pen, selbst wurde seinerseits am 11. Mai 2006 in dritter und letzter Instanz wegen «Aufstachelung zum Rassenhass» verurteilt. Le Pen hatte in einem Interview, das am 19. April 2003 (am Vorabend des letzten Parteikongresses des FN) in der Pariser Abendzeitung Le Monde publiziert worden war, für die nahe Zukunft behauptet: «An dem Tag, an dem wir nicht mehr fünf Millionen (Anm.: eine Angabe für die heutigen Verhältnisse, die bereits übertrieben ist), sondern 25 Millionen Moslems in Frankreich haben, da werden sie es sein, die bestimmen. Und die Franzosen werden sich der Wand entlang drücken, und vom Trottoir herunter steigen und dabei die Augen zum Boden richten. Und wenn sie es nicht tun, wird man ihnen sagen: ‘Warum guckst Du mich so an, suchst Du Streit?’ Und dann wird man besser Leine ziehen, denn sonst wird man Prügel abbekommen.» Nachdem er im April 2005 und im Februar 2005 in erster bzw. zweiter Instanz verurteilt worden war, wurde das Urteil nunmehr rechtskräftig bestätigt. Le Pen steht somit kein Rechtsweg mehr offen. Aufgrund von «Aufstachelung zum Rassenhass» muss er 10.000 Euro Geldstrafe bezahlen und 5.000 Euro an die Liga für Menschenrechte (LDH), die als Nebenklägerin auftrat, abdrücken.

Editorische Anmerkungen

Den Artikel erhielten wir am 28.5.2006 vom Autor.