Berichte aus Frankreich

Frankreichs Rechtsaußen: Le Pen und de Villiers bereiten die kommenden Wahlen vor


Ein Dossier v
on Bernhard Schmid
06/06

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Teil 1: Verdrängungskonkurrenz auf der extremen Rechten
Teil 2
Teil 3
Teil 4

Der Eine sitzt auf einem – hölzernen – Pferd, in voller Kreuzritterrüstung und mit einem Säbel in der Hand. Der andere, im gallischen oder germanischen Fellumhang, reitet auf einer Wildsau und schwingt dabei eine Barbarenkeule. So stellt der Karikaturist von Charlie Hebdo die beiden Parteichefs im französischen Rechtsaubenspektrum mitsamt ihren «Fantasmen» dar: Jean-Marie Le Pen, den Vorsitzenden des Front National (FN), als Keulenschwinger und den Grafen Philippe de Villiers vom Mouvement pour la France (MPF, Bewegung für Frankreich) als Kreuzritter. Die linksliberale Wochenzeitung widmete ihnen in ihrer Ausgabe vom 10. Mai 2006 eine Doppelseite, die Themenstellung lautete: «Das Vokabular der extremen Rechten: eine vergleichende Studie».

«Rupft» der MPF erfolgreich den Front National?

 Seit einigen Monaten liefern die beiden Politiker sich einen heftigen Verdrängungswettbewerb. Nach Angaben von Guillaume Peltier, dem 30jährigen Generalsekretär des rechtskatholischen MPF – der von 1998 bis 2001 selbst der Jugendorganisation des Front National angehört hatte – sind in diesem Zeitraum 3.000 ehemalige Mitglieder und Funktionäre der Le Pen- Partei zu Philippe de Villiers übergelaufen. Bis dahin hatte der Graf als politisch eher harmloses Leichtgewicht gegolten: Seit 1992 stand er an der Spitze einer Kleinorganisation unter dem Namen Combat pour les valeurs (Kampf für die Werte), die vor allem Abtreibungsgegner, nationalkonservative Mittelständler und eine Handvoll EU-Gegner organisierte. Die kleine Partei war anlässlich des französischen Referendums über den Maastricht-Vertrag im September 1992, durch die Abspaltung des EU-skeptischen und nationalistischen Flügels von der «pro-europäischen» liberal-konservativen UDF entstanden. Ein paar mal gelangen de Villiers zwar Überraschungserfolge, namentlich bei den Europaparlamentswahlen von 1994 und 1999, bei denen ihm die hohe Enthaltung und das Desinteresse der Wähler zu Hilfe kamen. Doch gelang es ihm nicht, darauf eine längerfristige Erfolgsstrategie zu gründen. Gleichzeitig sammelte er rechtsauben stehende Elemente im konservativen Lager ein. (ANMERKUNG: FUSSNOTE 1) In Deutschland stünde Graf de Villiers mit seiner Partei politisch irgendwo zwischen der CSU (ähnlich wie selbige besitzt er eine regionale Basis, nur nicht in Bayern, sondern in der Vendée) und den ‘Republikanern’, die ja ursprünglich eine Rechtsabspaltung von der CSU darstellten. Dagegen stünde Le Pen im deutschen Spektrum eher an der Schnittstelle zwischen den ‘Republikanern’ und einer erfolgreichen NPD, oder in neuester Zeit auch näher am Modell der DVU (mit einer eher passiven Basis).  

De Villiers’ Stunde nahte aufgrund der innerparteilichen Lähmung des FN, wo man sich vor einem Jahr mächtig über die Frage der Nachfolge des alternden Jean-Marie Le Pen (78) in die Wolle bekam. Damals flogen derart die Fetzen, dass der Front National im Abstimmungskampf über den EU-Verfassungsvertrag, im Vorfeld des französischen Referendums von Ende Mai 2005, fast völlig mit Abwesenheit glänzte. So blieb es vor allem de Villiers überlassen, das «Nein von Rechts» zum Verfassungsvertrag zu formulieren, während das anders motivierte «Nein von Links» die Mediendiskussionen beherrschte. Dieses rechte Non begründete der Graf – an dem tatsächlich zur Abstimmung stehenden Thema vorbei – vor allem mit der Ablehnung eines EU-Beitritts der Türkei als «trojanischem Pferd des Islam in Europa».

Doch die strukturellen Ursachen dafür, dass de Villiers’ einstige Kleinpartei seit einem Jahr durch Zulauf aus der extremen Rechten Le Pens’ wächst, sitzen tiefer. Denn das innere Parteileben beim rechtsextremen Front National (FN) war längere Zeit hindurch (mit Ausnahme einiger örtlicher Hochburgen) quasi erloschen, die Partei wurde seit mehreren Jahren nahezu als das «Privateigentum» des Chefs geführt. Das bürgerliche Wochenmagazin L’Express (vom 20. April 06) veröffentlicht dazu erstmals konkrete Zahlen, gestützt auf Angaben aus internen Quellen.  

Demnach hat der Front National seit seiner Spaltung (durch Abspaltung des ehemaligen Chefideologen Bruno Mégret) um den Jahreswechsel 1998/99 und bis im Jahr 2001 rund 60 Prozent seiner Mitglieder verloren. Bereits vorher war bekannt, dass der FN zur Zeit seiner Spaltung 42.000 Mitglieder hatte, da damals aufgrund des Rechtsstreits zwischen Le Pen- und Mégret-Anhängern die Listen gerichtlich offengelegt werden mussten. Von diesen gingen also zwischen 1999 und 2001 rund 60 Prozent verlustig. Mit dem Erfolg bei der Präsidentschaftswahl 2002, so fährt der anonym zitierter (ehemalige ?) Parteikader gegenüber L’Express fort, «haben wir die Hälfte von ihnen zurückgewonnen. Aber die meisten von ihnen haben dann in der Folgezeit ihren Mitgliedsbeitrag nicht wieder erneuert». Auf diesem Wege seien 78 % der zurück gewonnenen Mitglieder erneut abhanden gekommen. 

Die verfügbaren Schilderungen zeichnen das Bild einer Partei, die vor dem Ende des vergangenen Jahres 2005 ausgeblutet erschien. Der 36jährige Louis Aliot, der im Oktober 2005 den Posten des FN-Generalsekretärs übernahm, wird in L’Express mit den Worten zitiert, bei seinem Amtsantritt habe man in der Parteizentrale nicht einmal gewusst, welche Personen konkret in den Bezirksvorständen der Partei in den verschiedenen französischen Départements sitzen. Zwar habe man in der Zentrale eine Kartei mit einer Million Kontakten besessen, die seit 1984 (dem Jahr des ersten Durchbruchs des FN bei Wahlen) angesammelt worden seien – doch niemand habe sich je darum gekümmert, sie auf aktuellem Stand zu halten. Doch dann kam eine Wende: In Reaktion auf die Riots in den französischen Trabantenstädten, im November 2005, fing der Parteiapparat an, eine Mailingoffensive an die mit E-Mailadresse registrierten Sympathisanten zu starten. 10.000 ehemalige Mitglieder wurden angeschrieben, von denen 10 Prozent auch geantwortet haben sollen. Louis Aliot hat versucht, den Laden wieder teilweise flott zu machen. Dennoch ist Le Pens auf ihn allein zugeschnittener Führungsstil zur Zeit sicherlich eher ein Hemmschuh für die Entwicklung der Partei, in Anbetracht auch von Le Pens wachsender Altersstarrheit oder (zumindest) geringer werdender geistiger Flexibilität. 

«Plagiiert» Philippe de Villiers das «Original» Le Pen ? 

Seitdem wird de Villiers nicht müde, Le Pen offen die Truppen abzuwerben. Im März 2006 kam es sogar zu einem Prozess zwischen den beiden Parteien, den der Front National in Paris angestrengt hatte, um die Konkurrenz vom MPF wegen Plagiierens seiner Webpage anzuklagen. Und tatsächlich zeigte ein Vergleich sehr leicht, dass beide Interseiten fast identisch aufgebaut waren, bis in die Benutzung desselben Farbtons und desselben Schrifttyps hinein. «Es gibt 5.000 Blautöne, aber es ist just das Blau des Front National, das vom MPF benutzt wird», tobte Le Pens Rechtsanwalt Wallerand de Saint-Just. Dennoch wurde der MPF freigesprochen, da kein Plagiat vorliege. Begründung: Der Webmaster beider Internerseite war derselbe – Romain Létang war, nachdem er die Homepage www.front-national.com entworfen hatte, selbst zu den Rechtskatholiken unter de Villiers übergelaufen. Also durfte er auch, rein rechtlich betrachtet, sein «geistiges und künstlerisches Eigentum» mitnehmen.  

Ferner konnte der MPF die letzten beiden rechtsextremen Bürgermeister gewinnen: Jacques Bompard in Orange (30.000 Einwohner), im Dezember 2005, und im März 2006 dann Marie-Christine Bignon, Oberhaupt der Kommune Chauffailles bei Dijon (4.500 Einwohner). Jacques Bompard träumt unterdessen, ganz offenkundig, immer noch von einem «besseren und effektiveren Front National» - nach dem Abgang von dessen Chef Le Pen, der jegliche Entwicklungschancen blockiere und das Parteileben monopolisiere. Unter der (zu dieser Idee genau passenden) Überschrift «Le Pen gegen den FN» veröffentlichte das nunmehrige MPF-Mitglied Bompard am 10. April 2006 ein längeres Manuskript auf seiner Homepage (http://www.esprit-public.info/ ). «Während die alltägliche Realität dem FN Tag für Tag mehr Recht erteilt», schreibt Bompard darin, sei Jean-Marie Le Pen völlig unfähig, diese Steilvorlage in politische Siege zu verwandeln. Dies bedeutet, dass einer der mittlerweile prominentesten MPF-Politiker öffentlich erklärt, dass der Front National in seiner Beschreibung der gesellschaftlichen Realität in Frankreich «Recht» habe. Ein Artikel in der Pariser Abendzeitung Le Monde vom 16. April 2006 über die Zustände im Rathaus von Orange zeichnet unterdessen ein erschreckendes Bild darüber, wie unter Bompards Amtsführung die wenigen kommunalen Oppositionsabgeordneten systematisch schikaniert, eingeschüchtert und mundtot gemacht werden. Die rechtsextreme Rathauspolitik in Orange, wo Jacques Bompard seit 1995 amtiert (die ersten zehn Jahre hindurch als Mitglied des Front National), zog schon früh die Aufmerksamkeit auf sich. Im Jahr 1996 etwa berichtete die landesweite Presse darüber, wie die Rathausmannschaft unter Bompard die Bibliotheken gesäubert hatte. Bücher «oppositionellen» Inhalts waren aus den Regalen verschwunden – bis hin zu Kinderbüchern mit Märchen aus China oder Afrika. Denn die nationale Jugend durfte nicht durch fremdländische Märchen im Geiste des «Kosmopolitismus» erzogen werden.   

Ein anderer Kader, der zeitweise mit den Rechtskatholiken unter de Villiers liebäugelte und den Grafen am 11. Februar 06 auf dessen Initiative hin getroffen hat, hat sich dagegen mittlerweile klar von ihm abgegrenzt - da der Graf und Bezirks-Regierungschef im Département Vendée doch zu moderat sei. In einem Interview mit der rechtsextremen Wochenzeitung Minute (vom 10. Mai 2006) erklärt Bernard Antony, das langjährige Oberhaupt des katholisch-fundamentalistischen Flügels des FN: «Ich habe ihn (de Villiers) mehrfach getroffen (...). Um offen zu sein, habe ich mit ihm an mehreren Punkten Gemeinsamkeiten gehabt, beispielsweise über die aktuelle Islamisierung Frankreichs; zu diesem Thema erscheinen die Positionen von Jean-Marie Le Pen ein bisschen zu vage.» Tatsächlich betont de Villiers seit einigen Monaten auf extreme Weise die religiöse Differenz zwischen Christentum und Islam - worauf der unter politischen Konkurrenzdruck geratene Le Pen reagiert, indem er herausstreicht, das sei nicht der entscheidende Punkt («Man muss die gesamte Einwanderungspolitik stoppen»). Im Zuge dieses politischen Abgrenzungsprozesses hat Le Pen sogar seine Kritik am Islam teilweise relativiert und die Einwanderungsfrage «pur» herauszuschälen versucht, während de Villiers vorwiegend auf einer politischen Rhetorik beharrt, die aus dem Zeitalter der Religionskriege stammt.  

Doch Bernard Antony führt im gleichen Interview aus: «Dennoch vertraue ich Philippe de Villiers nicht wirklich. Ich glaube nicht, dass er wirklich mit dem System gebrochen hat, obwohl er dies behauptet. Kurz, mit dem Front National habe ich Differenzen in der Form. Mit Philippe de Villiers habe ich vor allem Differenzen in der Sache.» Daher bleibe er, so Bernard Antony, dem FN treu, auch wenn er ihm formal nicht mehr als Mitglied angehöre. Unterdessen konzentriere er, Antony, sich vor allem auf die Aktivitäten seiner Vereinigung AGRIF («Allgemeine Allianz gegen den Rassismus und für den Respekt der französischen Identität»), die früher dem FN als Satellitenorganisation angegliedert war, jedoch derzeit als selbständige Organisation tätig ist.  

Unterdessen konnte der MPF aber neuen Zulauf von bisherigen rechtsextremen Kadern verzeichnen. In der zweiten Aprilwoche nahm er den ehemaligen FN-Parlamentskandidaten (1996 in Gardanne) Damien Bariller auf - der infolge der Parteispaltung des Front National vom Jahreswechsel 1998/99 zur engeren Umgebung des Anführers der «Dissidenten» Bruno Mégret zählte und als dessen «Kabinettschef» amtiert hatte. Damien Bariller zählte zu jener jungen Kadergeneration der 30- und 40jährigen, die mit dem Alleinführungsanspruch Le Pens innerhalb seiner Partei nicht einverstanden waren. Anfänglich war er noch die «rechte Hand» von Bruno Mégret in seiner neuen Partei, dem MNR (Mouvement national-républicain) gewesen, doch von dessen Niedergang – ebenso wie viele andere Kader – enttäuscht und frustriert worden. Jetzt amtiert er als Bezirksvorsitzender von Philippe de Villiers’ MPF im Département von Marseille. Auch der ehemalige FN- und spätere MNR-Politiker Gérard Freulet, der im südelsässischen Mulhouse in den neunziger Jahren Wahlergebnisse um die 25 % der Stimmen einholte, trat im April 2006 dem MPF bei. 

Warum fühlen solche Personen sich nunmehr bei den Rechtskatholiken wohl?

Die Partei de Villiers’ hat jungen, gut ausgebildeten, nach Macht(teilhabe) hungernden Kadern einfach mehr realpolitische Perspektiven als der Front National (oder gar der gescheiterte MNR Mégrets) zu bieten: Während Jean-Marie Le Pen sich selbst – wenn auch demagogisch, da die Bündnisverweigerung der Bürgerlichen ihm diesen Standort zum Teil aufgezwungen hat - als «auberhalb des Systems» stehend bezeichnet, hat der Graf durchaus noch seinen Platz am Rande des politischen Establishments. So führt er nach vor die Bezirksregierung in der Vendée, einer westfranzösischen Region, die seit der katholisch-konterrevolutionären Erhebung gegen die junge französische Republik von 1793 stets rechte Politiktraditionen bewahrt hat.

In den 80er Jahren war de Villiers noch zunächst hoher Beamter (er trat 1981 aus ideologischem Protest gegen die Wahl des «Sozialisten» François Mitterand zum Staatspräsident zurück), später dann Staatssekretär gewesen. 1986/87 gehörte er ein Jahr lang der Regierung unter dem damaligen Premierminister Jacques Chirac an, als Staatssekretär für Kommunikation, trat jedoch aufgrund von Unstimmigkeiten mit seinem vorgesetzten Minister zurück. 1988 unterstützte er den bürgerlichen Gegenkandidaten zu Jacques Chirac, den Christdemokraten und Wirtschaftsliberalen Raymond Barre.  

Seitdem hat er seine Positionen nach rechts hin radikalisiert, aber die Verbindungen zum konservativen Mainstream sind nach wie vor nicht abgerissen. Dabei hat Philippe de Villiers freilich zugleich noch ein Problem: Aufgrund seines wesentlich konservativeren sozialen Profils (und seiner realen wirtschaftsliberalen Ansichten) konnte es ihm bisher kaum gelingen, in vergleichbarer Weise eine Wählerschaft in den gesellschaftlichen «Unterklassen» zu gewinnen wie Le Pen. Die Wählerschaft de Villiers’ und des MPF ist bisher (verglichen mit jener des Front National) wohlhabender, dörflicher und zumTeil auch älter. Bzw. jene des FN ist grobstädtischer, ärmer und teilweise auch jünger, wobei sich der letztgenannte Unterschied noch am ehesten verwischt.  

Ferner ist die Anhängerschaft Philippe de Villiers’ bisher nicht in vergleichbarem Mabe (subjektiv) «anti-system-orientiert», und folgt ihrem Wortführer auch nur bedingt, wenn dieser zum Bruch mit Orientierungen des Mainstreams im politischen Establishment Frankreichs aufruft. Konkret: Philippe de Villiers wird in seinem Département (Le Vendée) mit Prozentsätzen um die 67 Prozent gewählt - doch anlässlich der französischen Volksabstimmung über den EU-Verfassungsvertrag vom 29. Mai 2005 stimmten knapp über 50 Prozent der Einwohnerschaft des Départements mit «Ja». Aber Philippe de Villiers hatte zum Nein-Stimmen aufgerufen. In einer solchen Frage sah Jean-Marie Le Pen sich weitaus eher in Übereinstimmung mit seiner Wählerschaft, die zum gröbten Teil mit «Nein» stimmte. (ANMERKUNG: FUSSNOTE 2) Daneben dürften längerfristig strategische Bindungen de Villiers’ an das konservative Lager bestehen: Um auf die Dauer Erfolg zu haben, dürfte de Villiers nicht auf den radikalen Bruch mit dem UMP-Lager setzen. Ähnlich wie die Regierungspartei UMP in ihr strategisches Kalkül einbezieht, dass der MPF ihr ein strategisches Reservepotenzial am rechten Rand zuführt – und verhindert, dass dieselben Wähler für den Front National stimmen und damit für das bürgerliche Lager vorerst «verloren» sind, solange ein Bündnis zwischen den bürgerlichen Parteien und dem FN undenkbar oder jedenfalls nicht absehbar ist. Vor den Regionalparlamentswahlen vom März 2004 hatte der damalige französische Premierminister Jean-Pierre Raffarin (UMP) jedenfalls durchblicken lassen, dass es durchaus nicht von Übel sei, dass es auf der Rechten eine pro-europäische Komponenten (die UDF), eine konservative Mehrheitspartei (die UMP) und eine anti-europäische Komponente (den MPF) geben. Denn so könne man ein breiteres Spektrum umfassen, wobei die verschiedenen Komponenten sich im entscheidenden Moment (etwa bei der Stichwahl in der zweiten Wahlrunde) treffen könnten. Solche strategischen Elemente dürften aber die Truppen von Philippe de Villiers daran hindern, ihre momentan zu beobachtende Radikalisierung nach Rechts über eine bestimmte rote Linie hinaus zu treiben. 

Der FN-Chef zeigt sich nach wie vor davon überzeugt, dass «die Wähler letztendlich das Original vorziehen und nicht die Kopien», sei es nun de Villiers oder Sarkozy. Zumindest gegenüber dem Grafen könnte er Recht behalten: Die Umfragen sehen Le Pen derzeit zwischen 10 und 14 Prozent der Wahlabsichten, de Villiers dagegen zwischen 2 und 7 Prozent.

Im monatlichen politischen Meinungsbaromether des (konservativ-reaktionären) ‘Figaro-Magazine’ werden im Mai 2006 nunmehr 18 % «positive Meinungen» über Jean-Marie Le Pen ausgewiesen, im Vergleich zu 14 % im Vormonat. Dies entspricht zwar nicht dem früher bereits erreichten historischen Höchststand, ist aber dennoch ein bemerkenswerter Zuwachs. Sicherlich erklärt sich ein solcher Anstieg der Identifikation mit dem FN auch durch Welle von Veröffentlichungen über die so genannte Clearstream-Affäre, deren skandalhafte Enthüllungen das konservative Establishment nachhaltig erschüttern und durchrütteln. (Vgl. zur Clearstream-Affäre, vom Verfasser dieser Zeilen: http://www.heise.de/tp/r4/artikel/22/22635/1.html ) Deshalb droht ein Teil der konservativen Wählerschaft «ihren» Abgeordneten derzeit in der Öffentlichkeit damit, künftig für die rechte Konkurrenz zu stimmen

FUSSNOTE 1:  

So gehörte der ultrareaktionäre Bürgermeister der Pariser Trabantenstadt Montfermeil, Pierre Bernard, der de facto mit einer Allianz aus bürgerlichen und rechtsextremen Parteien regierte (vgl. http://www.raslfront.info/article.php3?id_article=136 ), als langjähriges Mitglied dem MPF an. Pierre Bernard, radikaler Abtreibungsgegner und homophob, wurde erstmals 1983 zum Bürgermeister gewählt. Er nahm am 25. Juli 1996 an der Beerdigung von Paul Touvier, dem Chef der Miliz des Vichy-Regimes, teil. Im November 2002 wurde er strafrechtlich wegen Rassendiskriminierung verurteilt (da er Jahre lang die Einschreibung von Immigrantenkindern in Schulklassen «seiner» Kommune verweigert hatte), daraufhin musste er zurücktreten. Sein Sekretär Xavier Lemoine, der bei der Amtsübernahme noch selbst dem MPF angehörte, trat später der konservativen Regierungspartei UMP bei. Im Frühjahr 2006 machte er auf überregionaler Ebene durch autoritäre Verwaltungsmethoden in «seinem» Rathaus von sich reden, etwa durch das Verbot für Jugendliche, sich in Gruppen von mehr als 3 Personen – auch tagsüber – in der Stadt zu versammeln (das später wieder aufgehoben werden musste). Vgl. dazu: http://www.humanite.presse.fr/journal/2006-04-25/2006-04-25-828696 . -  Alt-Bürgermeister Pierre Bernard, der aus Altersgründen nicht mehr in der Politik aktiv zu sein scheint, erhielt zum Jahreswechsel 2005/06 von Innenminister Nicolas Sarkozy einen Verdienstorden verliehen, woraufhin die französische Sozialdemokratie protestierte  (vgl.http://archquo.nouvelobs.com) 

FUSSNOTE 2 :

Jedoch kennt auch Jean-Marie Le Pen das Problem, dass in konkreten historischen Momenten gröbere Teile seiner Wählerschaft ihm nicht folgen mochten. Erstens hatte er eine Mehrheit seiner Sympathisanten und Wähler gegen sich, als er im Sommer/Herbst 1990 anlässlich der Kuwait-Krise Partei für Saddam Hussein zu ergreifen begann. Und zweitens zeigten sich nur rund 15 Prozent seiner eigenen Wähler bereit, ihm zu folgen, als Le Pen im Frühjahr 1996 dazu aufrief, «zur Strafe für die Konservativen» für die Linksparteien zu stimmen. Es ging ihm dabei darum, in einem taktisch überdrehten, macchiavellistischen Winkelzug die bürgerliche Rechte abzustrafen, die ihm gegenüber bündnis-unwillig war. Den WählerInnen war das jedoch «zu hoch», zu kompliziert. Die Strategie wurde zwei Mal bei lokalen Wahlen ausgetestet, zugunsten eines Sozialisten in der Orne (Normandie) und zugunsten des KP-Kandidaten François Liberti im südfranzösischen Sète. Zumindest im zweiten Falle machte das übrigens durchaus Sinn, da Liberti nicht nur (Partei-)Kommunist ist, sondern vor allem auch ein aus Algerien «vertriebener» ehemaliger Kolonialfranzose, der in Fragen der Geschichtspolitik mit der revanchistischen Lobby der «Algerienfranzosen» gemeinsame Sache macht. (Vgl. dazu Liauzu/Manceron: «La colonisation, la loi et l’histoire», Paris 2006, S. 46 und 51) - Die Wählerschaft verstand jedoch Le Pens angebliche «Globalstrategie» an diesem Punkt nicht, und zog nicht mit.

Editorische Anmerkungen

Den Artikel erhielten wir am 28.5.2006 vom Autor.