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Entpolitisierte Regie für politische Musik - Musik in einer entpolitisierten Zeit?
Luigi Nono-Tage in Hamburg und die skandalöse Inszenierung seiner Oper "Al gran sole carico d‘amore" in der Hamburgischen Staatsoper

Von Sven Ahnert
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No. Dieses kategorische Wort genügte dem venezianischen Komponisten Luigi Nono (1924-1990), um seinen Interpreten mitzuteilen, daß sie den richtigen Klang noch nicht gefunden hätten. Seinen utopischen Klang. In seiner emotionalen Kommunikation war Nono das genaue Gegenstück zur Avantgarde eines Boulez oder Stockhausen, die ihre Interpreten stets aufs präziseste instruierten. Nonos politische Ideale - er war Mitglied der kommunistischen Partei Italiens (PCI) -, und daraus abgeleitet sein Einsatz für die zahlreichen Befreiungsbewegungen der 60er und 70er Jahre, prägten seine künstlerische Arbeit im großen Maße. Er konnte sich ziemlich abschätzig über Kollegen äußern.

Boulez’ Überzeugung, daß Musik und Revolution nicht zusammengehören, rückte Nono ideologisch in die Nähe faschistischen Gedankengutes. Nono war eine reizbare, begeisterungsfähige Künstlerpersönlichkeit. Er haßte die politische Indifferenz und bekämpfte sie bis zur Feindschaft. Ein schwieriger, wichtiger, ein äußerst sensibler, engagierter Künstler unseres Jahrhunderts. Viele seiner musikalsichen Impulse wären ohne die traumatischen politischen Erfahrungen der 70er Jahre (Ermordung Allendes) vieleicht nicht so radikal formuliert worden. Vieles aus dieser Zeit klingt auch in Nonos Musiktheater "Al gran sole carico d’amore" nach.

Seit einigen Jahren wächst die Zahl der Zuhörer seiner Musik und löste zahlreiche Spekulationen über einen Nono-Boom aus, der sich besonders auf junge Konzertbesucher stützt. Ähnlich wie die "stille" Musik von Morton Feldman oder die buddhistische Klangbetrachtung eines John Cage vermag die wütend-empfindsame, gleichfalls kontemplative Musik Luigi Nonos das Publikum in ihren Bann zu schlagen. Wie sehr, bewiesen die vollen Konzertsäle anläßlich der Nono-Tage in Hamburg (9. bis 11. April 1999). Zwei Konzerte, ein internationales Symposium und die Hamburger Erstaufführung der Oper "Al gran sole carico d’amore" gaben einen knappen und dennoch repräsentativen Überblick zum Werk des Italieners.

Ein mit europäischen Experten bestücktes Symposium repräsentierte den aktuellen Stand der Nono-Forschung und diskutierte über die Rezeption von Nonos Werk heute. Dirigenten, Komponisten Intendanten (Ingo Metzmacher, Peter Ruzicka, Hans Zender), Interpreten (Carla Henius, André Richard), die Musikkritik (Gerhard R. Koch), sowie die Witwe Nonos, Nuria Nono-Schönberg, referierten über spezifische Aspekte der Musik Nonos. Neben aufführungspraktischen Hinweisen und Anekdoten aus Sicht der Interpreten gab Koch zu Bedenken, daß die hauptsächlich musikwissenschaftliche Akklamation der Musik Nonos die rätselhaften Momente genauso wie die politischen Aspekte ausklammere. Das führte direkt hin-über zur Hamburger Erstaufführung von "Al gran sole carico d’amore".

Al gran sole carico d’amore

In der Inszenierung von Travis Preston, mit dem Bühnenbild von Nina Flagstad und unter der musikalischen Leitung von Ingo Metzmacher sorgte Nonos Oper "Al gran sole carico d’amore" ("Unter der großen Sonne von Liebe beladen") für Verärgerungen. Diese szenische Aktion in zwei Teilen ist Nonos zweite Musiktheaterkomposition nach seiner 1961 in Florenz uraufgeführten szenischen Aktion "Intolleranza" (1960). Beide Stücke transportieren seine sozialistischen Überzeugungen, mit denen er vehement für die Einheit von Revolution und Schönheit plädierte. So wählte auch Travis Preston den berühmten Ausspruch von Che Guevara zum Motto seiner Hamburger Inszenierung: "Schönheit und Revolution sind kein Widerspruch". Soweit, so gut. Preston aber und seine Bühnenbildnerin Nina Flagstad gingen dann als Designer ihrer Vorstellungen ans Werk und collagierten ein opulentes, bedeutungsgeladenes, entpolitisiertes, ja gegen die Intentionen des Komponisten gerichtetes Revolutionsepos à la Hollywood.

Am Anfang waren wir Primaten: Auf sechs Helden-Gipsköpfen - Karikaturen stalinistischer Staatskunst - turnen Affen herum, als evolutionäre Vorläufer menschlicher Destruktivität. Völlig zu Recht hat Gerhard R. Koch in der "Frankfurter Allgemeinen Zeitung" diese szenische Idee als Zitat der Filmgeschichte gedeutet. Stanley Kubricks psychedelische Fortschrittsvision "2001" zeigt zu Beginn die grunzende Affenhorde, die den Knochen als Mordinstrument entdeckt und von nun an in der gewalttätigen Auseinandersetzung den treibenden Impuls für kulturellen Fortschritt erkennt. Möglich wäre auch ein Blick auf Franklin J. Schaffners utopischem Film "Planet der Affen", der am Ende riesige Trümmer der Freiheitsstatue als Untergangsmonument westlicher Zivilisation zeigt.

Dieser filmische Ausgangspunkt wurde zum Initialfunken der Inszenierung, die dann mit einer ikonographischen Parade revolutionärer Zeichen fortfuhr. Preston nahm Nonos ver-ästeltes Zitatenwerk als Bilderfolge wahr und bewies dem Publikum seine obskure Belesenheit, ganz zum Schaden der Musik. Walter Benjamins Engel der Geschichte schreitet durch die Trümmer der gescheiterten Revolutionen. Von Anfang bis Ende taucht er stets als Todesengel auf. Das heute propagierte Ende der Geschichte läßt grüßen.

Nono hat das Gegenteil davon, was Preston inszenierte, gedacht: Da ist die Pariser Commune und ihre Opfer. Wir erleben die russische Tragödie von 1905, hören Che Guevara, sind Zeuge der Turiner Arbeiteraufstände von 1953. Auch der Vietnamkrieg und die lateinamerikanischen Befreiungsbewegungen finden ihr Echo in Nonos szenischer Aktion. Den Titel des Werkes entnahm er Arthur Rimbauds Gedicht "Les mains de Jeanne Marie", das er auf die Pariser Kommunardin Louise Michel verfaßte. Und dieser Engel der Geschichte betrachtet Geschichte als "eine einzige Katastrophe, die unablässig Trümmer auf Trümmer häuft" (Benjamin). Aber der Versuch der Menschen trotzdem weiterzumachen, etwas Anderes, etwas Neues zu wagen, bleibt. Das ist Geschichte. Wie Preston Benjamin und die Autoren, mit denen Nono arbeitet, nicht versteht - ob er sie nicht verstehen will oder kann, ist nicht zu entscheiden - gerät zur Farce.

Wenn man diesen Stoff "kritisch" inszenieren will, sollte man sich an Benjamins Worte erinnern: "Marx sagt, die Revolutionen sind die Lokomotiven der Weltgeschichte. Aber vielleicht ist dem gänzlich anders. Vielleicht sind die Revolutionen der Griff des in diesem Zug reisenden Menschengeschlechts nach der Notbremse." Sicher nicht der Griff Prestons in die Mottenkiste des Musicals.

Den Engel läßt er Schreiten, ein bißchen so wie aus Robert Wilsons Scherenschnitt-Kabinett. Mit einer seltsam naiven Ausstelllust führt er das Ende des Kommunismus vor, als postmoderne Lehre vom Zerfall ideologisch fundierter Staatengebilde. Er hat im flotten Galopp die Geschichte des 20. Jahrhunderts nachzuerzählen versucht. Wie es ihm gefiel.

Die Musik Nonos, gerade in ihrer gesanglichen Unerbittlichkeit, verlangt nach Raum, nach Luft zum Atmen oder nach einer verstörend aktuellen Deutung, die eben nicht Geschichte erklärt, sondern zeigt, daß Revolutionen gescheitert sind.

Preston hingegen überlagerte Nonos Musik mit Klischees. Er tat dies mit grellen, poppigen Bildern, die als "linke Ikonen" (Werckmeister) - zum Konsum freigegeben sind. Wie schon angedeutet: Er diffamiert die Idee Nonos. Er produziert Kitsch: Den Revolutionär läßt er "hinrichten" wie Jesus. Die "Mutter" wird zur Pieta, die anstelle ihres Sohnes an Hammer und Sichel genagelt wird. Zwei Gerüste werden wie trojanische Pferde auf die Bühne gefahren und dann zum "Arc de triomphe" vereinigt und so weiter. So stellen sich ein Regisseur und eine Bühnenbildnerin Geschichte vor. Umso schlimmer, wenn es beabsichtigt war. Denn das ist Idologie und das heißt - mit Verlaub nach Marx - falsches Bewußtsein.

Mit sichtbarem Genuß wurde das Medium Film eingesetzt. Zum einen wortwörtlich: Handprojektoren warfen Katastrophenbilder des 20. Jahrhunderts an die Wand. Zum anderen als Zitat (siehe Kubrick, Eisenstein).

Wenn dann ein monumentaler, aufklappbarer Marx-Kopf auf die Bühne rollt und im Inneren die revoltierende Arbeiterschaft zeigt, verkümmert No-nos stellenweise zupackendillustrative Musik zur Tonspur. Sie wird zum hysterischen Kommentar, zum schrillen Subtext, dem aber nur affirmative Bedeutung zukommt und keine ästhetische Priorität.

Gleichwohl wissen wir, wie außerordentlich wichtig die Kompositionspraxis für Nono war. In seinem Aufsatz Musik und Revolution (1969) schreibt er: "Es ist klar, daß man, wenn man meine Kompositionspraxis nicht untersucht und analysiert - auch in ihrem Verhältnis zwischen Technik und Ideologie -, sondern in traditionellen, heute restaurativen Konzepten verhaftet bleibt, sei es in der Technik, sei es im ideologischen Moment, das Musik wird, meine aktive Position im heutigen politischen Kampf völlig engagierter Musiker verfälscht oder mißversteht."

Nono war durchaus kritisch gegenüber seinen eigenen Vorstellungen. Er ahnte einige Jahre später, eben nach der Uraufführung von "Al gran sole carico d’amore", daß die musikalische Auseinandersetzung mit politischen Inhalten künstlerische Einbußen mit sich bringen kann. Einerseits beleidigt durch feindselige Platitüden wie "Nono treibt Politik und macht infolgedessen schlechte Musik" und anderseits affirmativ mißverstanden durch amusikalische Parteifreunde und Klassenkämpfer, erkannte er die Grenzen politischer Musik, als er leicht resigniert feststellte: "Al gran sole: ein großer Elefant der Mittel, von allem. Das ist unglaublich begrenzt."

Mit Engagement gaben die Solisten (u. a. Sarah Leonard, Elena Vink), der Chor sowie das Philharmonische Staatsorchester manchmal eindrucksvoll wieder, was in dieser hochexplosiven und doch so zarten Musik für Energien stecken. Ingo Metzmacher ist ein Anwalt der Moderne. Ab er es darf gefragt werden, warum er sich auf dieses Machwerk von Regie eingelassen hat. Es geht hier ja nicht um l’art pour l’art. Wo bleibt seine Verantwortung sowohl als Dirigent der Aufführung, wie auch als Generalmusikdirektor der Hamburgischen Staatsoper? Alles wirkt umso schlimmer, weil man ja akribisch genaue und schöne Inszenierungen - nicht zuletzt die zu Neuer Musik - aus diesem Opernhaus kennt.

Travis Preston klotzte mit Bildern und vernagelte die Musik mit einer Heerschaar von Zeichen. Seine Lesart, könnte man spekulieren, orientiert sich an einer inhaltsleeren, postkommunistischen Ikonographie, wie sie der Kunsthistoriker Otto Karl Werckmeister beschrieben hat: "Linke Ikonen ersetzen eine solche Perspektive wie ein auf die flache Leinwand gemalter Bühnenprospekt. Sie verstellen die Sicht auf die Geschichte und bieten ästhetische Surrogate für Politik. Ihr angemessenes historisches und ästhetisches Verständnis fällt dieser Funktion zum Opfer." In diesem Sinne hat Prestons Parade der Gipsköpfe Nonos fragilem Netzwerk politisierter Klanggedanken geschadet.

P.S.: Dem Werk gerecht wurde die Stuttgarter Aufführung vom Dezember 1998 mit Marin Kusej als Regisseur, Martin Kastler als Bühnenbildner und Lothar Zagrosek als Dirigent. Hier kam diese szenische Aktion dem intendierten Gedanken nahe, - eben als Aktion und zugleich als eine Art Oratorium. Mit klaren Bildern und einer vorzüglichen musikalischen Gestaltung gelang es allen Beteiligten, ein Gedicht, ein Requiem, in Bilder und Bewegung umzusetzen. Es war die Trauer über die Resignation.

Quelle: www.igmedien.de

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