Die frisch gebackene
Chefredakteurin der Tageszeitung, Bascha Mika, hatte für ihre Begrüßungsrede auf der
Taz-Geburtstagsfete am 17.April im Berliner Tacheles ein paar alte Ausgaben der Taz
ausgesucht. Zum Vorzeigen. Seht nur, wie verrückt wir mal waren! Besonders angetan hatte
es ihr eine Nummer aus den 80er Jahren, die mit der Schlagzeile "Raus zum 1.Mai"
erschienen war. Doch mit dem spontanen Applaus eines großen Teils der Anwesenden hatte
sie offensichtlich nicht gerechnet. "Raus zum 1.Mai, das hättet ihr wohl gern
wieder?" Es blieb nicht bei dieser einen
Irritation. Einer der Gratulanten, Sebastian Turner von der Werbeagentur Scholz &
Friends, erinnerte an das derzeit regierende rot-grüne Kriegskabinett und machte klar,
daß er nicht gekommen war, um Komplimente zu verteilen: Die gnadenlose Vermischung von
Meinung und Kommentar hätten heute Werbung, die Bild-Zeitung und die Taz gemein, deren
Leser im übrigen überdurchschnittlich viel verdienen, überdurchschnittlich viel Auto
fahren und überdurchschnittlich viel Flugreisen unternehmen. Die Taz läsen sie zur
Kompensation ihrer Sünden.
"Jede Jesuslatsche, die zum Bleifuß wird, jede
Latzhose, die sich in einen dreiteiligen Maßanzug verwandelt und jeder Friedensbewegte,
der Bomben werfen läßt, braucht für sein Gewissen jeden Tag eine gute Taz",
schloß er. Manchem blieb das Lachen im Halse stecken. So genau wollte man es eingentlich
nicht wissen.
Mit beinahe frenetischem Beifall wurde Christian Ströbele
begrüßt, der vor über zwanzig Jahren den Anstoß zur Gründung einer linken
Tageszeitung gegeben hatte, heute für Jäger 90/Die Grünen im Bundestag sitzt und
innerhalb der Partei den verbliebenen pazifistischen Rest repräsentiert. Vom Moderator
Hans-Jörg Rosenbauer vom ORB auf die Reise Gysis nach Belgrad angesprochen - in der Taz
war tags zuvor von "nationalem Verrat" die Rede, den Gysi begangen habe-, nannte
Ströbele diese Reise einen Versuch, etwas zu bewegen, der leider gescheitert sei.
Ströbele berichtete dann von einem Vorfall aus der
Geschichte der Taz: Ein Bundeswehrkommandeur hatte einem Rekruten verboten, die Taz in der
Kaserne offen herumliegen zu lassen. Der damalige Bundesverteidigungsminister Hans Apel
(SPD) begründete das Verbot in einem Brief an Ströbele mit der Gefahr der politischen
Beieinflussung anderer Soldaten. "Heute wäre, glaube ich, so ein Brief nicht
denkbar. Heute wird man in vielen Kasernen und Soldatenunterkünften die Taz offen
ausliegen sehen. Ich glaube", so Stöbele weiter, "das liegt nicht nur daran,
daß wir heute einen anderen Verteidigungsminister haben als 1981, sondern ich fürchte,
das liegt auch an der Taz." |