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Quelle: konkret 5/99

Der aktuelle Kommentar
Nie wieder Frieden!

von Hermann L. Gremliza

05/99
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Glücklicher Lichtenberg! Seiner Frage, für wen die Taten getan würden, von denen es heißt, sie würden fürs Vaterland getan, ließ noch jeder, der nicht auf den Kopf gefallen ist, die geziemende Antwort auf dem Zinsfuß folgen. Mit der gleich berechtigten Frage, für wen die Taten getan werden, von denen man (und frau) sagt, sie würden für die Menschenrechte getan, verhält es sich so, daß nicht einmal die Täter die Antwort zu kennen scheinen. Warum nur, warum, fragt der Bundesaußenminister, der ihn zur Verteidigung der Menschenrechte angefangen hat, »müssen ausgerechnet wir Krieg führen?« Er dauert mich, und so will ich 's ihm erklären:

Ohne falsche Bescheidenheit kann dieser Joseph Fischer ja heute selber sagen, »daß dieses Europa mit Horrido auseinanderfliegt, wenn unser Land die europäische Führungsaufgabe nicht wahrnimmt«, und der Rest ist Dreisatz: Wer Europa führt, muß Weltmacht sein. Zu deren Insignien gehören das Recht und die Fähigkeit, ihre Interessen auch mit militärischer Gewalt durchzusetzen. Das erste Ziel dieses ersten deutschen Nachkriegs-Kriegs also war: der Krieg (und hätte es im Kosovo nicht geklappt, wäre der nächstbeste Schauplatz der erste geworden).

Auch die Regierung Kohl hätte gerne ihr Recht auf Kriegführung realisiert, hatte sich jedoch durch den dargebotenen Ort des Geschehens gehemmt gefühlt. Noch Mitte der Neunziger war auch des Kanzlers damals dickster Freund ganz derselben Meinung gewesen: Man bedenke nur, hatte Fischer gemeint, »was es heißen würde, wenn deutsche Soldaten in Kampfhandlungen gegen Serben verwickelt würden! Dann hätten wir hier wirklich eine völlig andere Debatte.«

»Ach Quatsch, das glaub' ich nicht«, hatte Cohn-Bendit geantwortet, der geahnt haben muß, wie seine Achtundsechziger für den Fall, man ließe sie regieren, ihre Legende, sie hätten den Aufstand gegen die Nazi-Eltern gewagt, zum Exportartikel entwickeln könnten: mit »Hitler« als feindlichem Ausländer, dessen Vorname je nachdem Saddam oder Slobodan heißen konnte, mit »Genoziden«, »KZs« und »Auschwitz« auf dem Balkan, im Mittleren Osten oder in Tibet. Kampfhandlungen deutscher Soldaten gegen Serben wären dann nichts anderes als die Fortsetzung des Antifaschismus mit anderen Mitteln. Er habe, sagte Fischer, als er schließlich auf der Hardthöhe der Zeit angekommen war, nicht nur »Nie wieder Krieg« gelernt, sondern auch »Nie wieder Auschwitz«, womit er aber nicht ankündigen wollte, daß er mit der zweiten Lehre morgen so verfahren werde wie heute mit der ersten, sondern bloß sechzig Jahre post festum den Beitritt Deutschlands zur Anti-Hitler-Koalition erklären.

Erläutert wäre damit, warum »ausgerechnet wir« Krieg führen können, noch nicht aber, warum »ausgerechnet wir« das müssen. Vielleicht hätten »ausgerechnet wir« ja wirklich nicht gemußt, wäre »uns« nicht jeder andere Gegenstand der Politik abhanden gekommen. Doch woran sie sich auch wagten, ob an die Erhöhung des Benzinpreises um zehn Pfennige, den Einstieg in den Ausstieg aus ein paar maroden Atomkraftwerken oder die Aufhebung des deutschen Blutrechts - nichts als blutige Nasen haben sie sich geholt, und so sahen sie sich geradenwegs auf jenes letzte Gebiet des Politischen abgedrängt, auf dem die Entscheidungen nicht unmittelbar vom Bundesverband der Deutschen Industrie getroffen und von der zugehörigen Pressestelle verkündet werden: das Auswärtige. »Der Krieg in Jugoslawien bewirkt einen Paradigmenwechsel in der deutschen Innenpolitik«, bemerkte die »Frankfurter Allgemeine« und wollte damit sagen, daß das rotgrüne Regierungsprogramm dem Krieg zum Opfer gefallen sei. Richtig war natürlich das Gegenteil: Der Wechsel von der einen Politik, die man nicht durfte, zu der anderen, die man deshalb mußte, gehört zu den Dingen, welche zum Krieg gegen Jugoslawien geführt haben.

Was übrigens die Menschenrechte angeht, von denen es heißt, daß um ihretwillen Nacht für Nacht Jugoslawiens Fabriken, Kraftwerke, Brücken, Straßen, Bewohner in die Luft gejagt werden, sieht es so aus, als werde es dem vereinigten Kommando schließlich gelingen, die Lage herbeizubomben, die Clinton, Blair, Schröder und ihre Propagandastäbe herbeigelogen haben, um ihren Krieg anzufangen. Nach drei Wochen war es noch nicht geschafft, und woran es mangelte, hat der »Spiegel« am 12. April aufgeschrieben:

... allerdings braucht die Bundesregierung Fakten über Greuel, besser noch Bilder von Grausamkeiten, die Milosevics Schergen begangen haben ... Doch genau daran mangelt es im Moment. Verteidigungsminister Scharping beschwerte sich öffentlich, die Nato rücke nicht genügend Bilddokumente heraus. »Ich hoffe, sie ändert das bald«, so Scharping, denn »es ist auch eine Schlacht um Information und Propaganda« ... Für serbische KZ gibt es ebensowenig Beweise wie für Massenexekutionen.

Im Jahre 1998, als die Deutschen das Schlachtfeld ihres Krieges vorbereiteten, hatten sie 97,5 Prozent der Leute aus dem Kosovo, die jetzt »ethnische Albaner« heißen, im Alltag aber vorzugsweise »Kanaken«, politisches Asyl verweigert, und noch am 18. November, als die Bomber schon alarmiert waren, hatte das Auswärtige Amt des Ministers Fischer die zuständigen Gerichte mit der Expertise versorgt: »Die Wahrscheinlichkeit, daß Kosovo-Albaner im Falle ihrer Rückkehr in ihre Heimat massiven staatlichen Repressionen ausgesetzt sind, ist insgesamt als gering einzuschätzen.« Das war, in offizieller Sicht, die menschenrechtliche Lage auf dem Weg nach Rambouillet, und man kann sagen, daß ihr inzwischen wirklich abgeholfen worden ist.

Derweil die nationale Linke dem Balkan-Hitler ihr »No pasaran!« mit Bomben einzutrichtern begann, begann die deutsche Rechte zu murren. Zwar schlossen ihre Parteien den seit 1914 in solchen Fällen üblichen Burgfrieden, ihre Dichter und Denker aber, die sich gerade noch bei Ovationen in der Paulskirche dicke Beine gestanden hatten, machten sich auf den Friedensmarsch. Peter Gauweiler geißelte den Bruch des Völkerrechts und zitierte zum Beweis, daß die Nation sich auf die regierenden Achtundsechziger auch im übrigen nicht verlassen könne, Joschka Fischers Einsicht von 1982: »Deutsche Helden müßte die Welt, tollwütigen Hunden gleich, einfach totschlagen; dies zeigt unsere ganze Geschichte.« Rudolf Augstein meinte, die USA »schleppten die nicht sehr begeisterten Nato-Verbündeten hinter sich her«, und sah, wie Egon Bahr, das Vaterland einmal mehr von den Amerikanern um seinen Platz an der Sonne gebracht. Am tiefsten bohrte Walsers Preisredner, der »FAZ«-Herausgeber Frank Schirrmacher:

Es wäre einem sehr viel wohler zumute, wenn Deutschland aus moralischen Gründen an einem Einsatz teilnähme, ohne mit ihm zugleich auch wieder Hitler besiegen zu wollen. Milosevic ist nicht Hitler. Und der Kosovo ist nicht Auschwitz. »Auschwitz eignet sich nicht zur Instrumentalisierung«, hatte Martin Walser vor genau sechs Monaten in der Paulskirche gesagt ... Jetzt, kein halbes Jahr später, dient Auschwitz zur Begründung eines Krieges.

Es klang, als hätte er aus KONKRET abgeschrieben, allein, es klang nur so. Schirrmacher ist nicht zufällig Kollege jenes Johann Georg Reißmüller, der als publizistischer Vater aller Balkan-Kriege auch den ums »Amselfeld« als erster ausgerufen hatte, und so haßt er nicht den Krieg, sondern den Grund. Wenn nämlich Deutschland Hitler besiegen will, kämpft es immer noch und immer wieder gegen sich und seine nationale Geschichte. Diesen Kampf zu beenden, Geschichte endlich Geschichte sein, Auschwitz für nichts mehr zur Begründung dienen zu lassen, nicht für Schuld, nicht für Schulden, nicht für Scham und nicht für Krieg, das ist das Ziel. Auf daß Deutschland, seinen nationalen Interessen folgend, frank und frei wählen kann, wann es Bomben wirft und wohin, und nicht etwa genötigt werden kann, seinen besten Freunden mit Krieg zu kommen, nur weil ein paar Klugscheißer bei ihnen KZs und einen Führer entdeckt haben wollen.

Eine Weltmacht, die es mit der größeren anderen aufnehmen will, muß so souverän sein wie diese, ihre Geschäfte auch mit den Pinochets dieser Welt zu treiben, und erst recht, wenn sie Chatami heißen, und einen Feind auch dann mit Krieg zu überziehen, wenn nicht einmal ihrem Regierungspoeten Enzensberger auf ihn ein Reim mit Hitler gelingt. Deutschland muß Krieg führen können ohne die Rechtfertigung, daß er der antifaschistischen Sache dient. Das Recht, überhaupt einen Krieg zu führen, das ihm, ausgerechnet, Fischer und Co. errangen, war ein notwendiger halber Schritt. Die nächste Regierung kann den ganzen tun. Dann wird sich auch die jüngste deutsche Friedensbewegung wieder an die Front melden.

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