Der verwandelte Deutsche
Vor 100 Jahren wurde der Schriftsteller Freimut Schwarz geboren. Sein Hauptwerk blieb unveröffentlicht

von
Antonín Dick

05-2013

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Freimut Schwarz, 80 Jahre alt. Das letzte Mal, als wir uns sahen, war er 30 Jahre alt. Damals kämpften wir im Kulturbund in London zusammen – heute kämpfen wir weiter zusammen, jeder in seinem Land.« Mit dieser Widmung von Jürgen Kuczynski, dem politischen Architekten des Kulturbundes, kam 1993 im Londoner Verlag A.W. Mytze ein schmaler Band heraus, der zwei Erzählungen, eine Reportage und einen Essay des Exilautors Freimut Schwarz enthielt.

In einer Erzählung schlägt sich ein geflohener Lagerhäftling schwer verwundet nach Frankreich durch:

»So war er denn bis weit in den nächsten Morgen hinein durch Gestrüpp und über Geröll in die Berge hineingestolpert. Wo er bewußtlos hinfiel, zwischen wilde Veilchen und Storchschnabel, war der Boden weich und feucht. Schwärme von Mücken standen wie ein dünner gemusterter Schleier über dem dichten Unterholz, aus dessen Mitte sich hie und da ganz zufällig eine mächtige Buche heraushob mit hellem, geschmeidigem Stamm und einer breiten Krone dichter Blätter. Und während sich hier unten in der Mulde kein Lüftchen regte, als sei der Atem der Welt plötzlich in Stille und Fäulnis aufgegangen, wehte in den riesenhaften Dächern der einzelnen Buchen der Wind, wie in den Mähnen von Pferden auf der Flucht.«

Solche Beobachtungsgabe, Glut, Sinnlichkeit und Sprachkraft ist in der deutschen Gegenwartsliteratur jedenfalls nicht der Normalfall.

Geboren wurde Freimut Schwarz am 28. April vor 100 Jahren in einem Dorf namens Sotterbach bei Köln. An der dortigen Universität studierte er Literaturgeschichte, später Ethnologie. Der Inhaber dieses Lehrstuhls, Julius Lips, stellte sich 1933 als Jude gegen die rassistische Instrumentalisierung des Faches. Schwarz folgte ihm als Mitarbeiter nach Paris. Dann trennten sich die Wege; Lips zog in die USA, um an der Columbia University eine Dozentur anzutreten, Schwarz nach England. Er war nichts, aber hatte aufbegehrt. Das war etwas. Kostbarer als jeder Beruf. Seine Kommilitonen hatten ihren einzigartigen Lehrer im Stich gelassen und sich dem Nazisystem unterworfen. Dieses Grunderlebnis war dem 20jährigen zur politischen und literarischen Initiation geworden.

Schwarz ging dorthin, wo er gebraucht wurde, in den von der Depression besonders hart betroffenen Norden. Er lebte unter arbeitslosen Dockarbeitern, half beim Aufbau von Fortbildungszentren und Klubs für sie. Und er schrieb. Wahrscheinlich wurde er hier von den Arbeitern erstmals freundschaftlich »Teddy« genannt, was er fortan beibehielt.

Zurück in London, widmete er sich verstärkt dem literarischen Schreiben, veröffentlichte auch. Materiell war er durch Gelegenheitsjobs abgesichert. Seine Lage änderte sich mit den nächsten Fluchtwellen aus dem »Reich« in den Jahren 1938/39. In der enorm vergrößerten Emigrantenszene konstituierte sich die Free German League of Culture. Schwarz wurde Mitglied in der Sektion der Schriftsteller, übernahm Organisationsarbeiten für den Vorstand des Kulturbundes und wurde später zusammen mit Max Zimmering Verlagsleiter der Kulturbundpublikationen sowie Redakteur der Freien deutschen Kultur, der einzigen literarisch-politischen Exilzeitschrift in Großbritannien.

Ebenso zielstrebig arbeitete Freimut Schwarz schriftstellerisch, und dies in fast allen Genres. Er schrieb Gedichte und Kurzgeschichten für Anthologien, einen Kinderroman, Essays, übersetzte das Theaterstück »Die ferne Station« des sowjetischen Dramatikers Alexander Afinogenew und wagte sich an ein Opernlibretto über die Till-Ulenspiegel-Figur. Das Spannungsfeld zwischen Anpassung und Widerstand, in das er als Student geworfen worden war, bestimmte sein Schreiben, doch erst mit dem Roman »In my Father‘s House« gelang ihm eine systematische Durcharbeitung dieses Grunderlebnisses. Der Schauspieler Gerry Wolff trug im Frühjahr 1945 auf einer Matinee des Kulturbundes Episoden daraus vor.

Im Zentrum dieses Hauptwerkes steht die Rettung eines jungen Mannes, der mit dem Einberufungsbefehl der Nazis für den immer sinnloser werdenden Krieg konfrontiert wird. Fast alle Figuren werden in Beziehung gesetzt zu der Lebensgefahr, in der dieser Mensch schwebt. Jede muß sich entscheiden: im Dickicht der Anpassung ein hartes Ringen um Würde. Und eine Liebe blüht auf – eine Liebe des Widerstands.

Nach dem Krieg blieb Schwarz in London. Der Rückkehrer Jan Petersen erreichte in der DDR für ihn einen Vertragsabschluß über das Romanmanuskript. Schwarz hätte es ins Deutsche übertragen sollen. Alle Türen wurden ihm geöffnet, vergebens. Er war Engländer geworden. Sein erstes großes englischsprachiges Werk sollte in England das Licht der Welt erblicken. Es fand sich kein britischer Verlag, und so starb der verwandelte Deutsche im Januar 1994 auf der Insel. Die 259 Blätter mit seiner englisch erzählten deutschen Geschichte liegen heute im Frankfurter Exilarchiv in einem Karton. In mancher Hinsicht entspricht das einer Vision des Dichters aus dem Exilgedicht »Partisanen«:

»Manchmal, als ahne er schon die nahe Gefahr, / Streift sich einer langsam über Stirne und Haar, / Ergriffen von plötzlicher Schweigsamkeit. / Sollte dies anders sein, als es in Frankreich war? / Dort trank man mit dem Verräter im Land. In blutiger / Brüderlichkeit / Stellte man schon die Uhren vor in der Bar / Auf eine neue grüne Zeit.«

Editorische Hinweise

Den Artikel erhielten wir zur Zweitveröfentlichung vom Autor,ebenso die Fotos. Erstveröfentlicht wurde er in: Junge Welt 2013 http://www.jungewelt.de

Vom Autor erschien bei TREND:


TREND-Spezialedition
Rose des Exilgeborenen

Ein Essay von Antonín Dick