Editorial
Kirchenkampf - die letzte Schlacht gewinnen wir

von Karl Mueller

05/09

trend
onlinezeitung

Barcelona 1936

CNT-Aktivist verarbeitet eisenhaltiges Material zerstörter Kirchen. Es wird eingeschmolzen für Gewehre und Kriegsausrüstung zur Verteidigung der Republik.

Die Trennung von Staat und Kirche - sozusagen das Qualitätsmerkmal der bürgerlichen Revolution - vollzog sich in Deutschland relativ spät - nämlich in Folge der Novemberrevolution von 1918 und auf typisch preußisch-deutsche Weise - nämlich - eigentlich gar nicht.  Denn die Religionsausübung wurde nicht laizistisch zur Privatsache erklärt, sondern blieb öffentliche Angelegenheit. Daraus resultierte der zentrale Rechtsgrundsatz, dass der Staat die Religionsgemeinschaften in alle Belange organisatorisch einbinden muss, ohne ihnen aber ihre Inhalte vorschreiben zu können. Für das Schulwesen hieß das nach 1945 in den Westzonen und der späteren BRD, dass Religion ordentliches Schulfach in der Staatsschule (mit Ausnahme Bremens) wurde, ohne dass der Staat Einfluss auf die Inhalte nehmen kann/will.

Religionsunterricht als integraler Bestandteil des Fächerkanons bedeutet natürlich Benotung und diese ist auch versetzungsrelevant. Da Schule Ländersache ist, ist der Zwangscharakter des staatlich verordneten Religionsunterrichts unterschiedlich ausgeprägt. In Bayern ist eine Abmeldung von Religionsunterricht durch die SchülerInnen erst mit der Erreichung der Volljährigkeit möglich.

Aufgrund der besonderen Situation Berlins nach dem II. Weltkrieg war es möglich, dass sich die demokratischen Ziele der ArbeiterInnenbewegung in Sachen Reform der Staatschule (Schaffung der Einheitsschule) und darin die Trennung von Staat und Kirche zunächst durchsetzen konnten. So wurde 1947 die gegen die Stimmen der CDU  verabschiedete Einheitsschule und Heraustrennung des Religionsunterrichts aus der öffentlichen Schule im Juni 1948 von der Alliierten Kommandantur in Kraft gesetzt. Kaum war die Spaltung der Stadt durch Währungsreform und Spaltung der Stadtverwaltung im Interesse der US-amerikanischen Politik des "Roll Back" vollzogen, regten sich die reaktionären Kräfte - angeführt von der CDU, um auch im Schulwesen die "alten" Verhältnisse wiederherzustellen. Die Einheitsschule wurde zerschlagen und die Einrichtung von konfessionellen Privatschulen durchgesetzt, die seitdem völlig der Staatsschule gleichgestellt sind. 1954 war diese Restaurationsperiode im wesentlichen abgeschlossen.

Nicht aufgehoben werden konnte jedoch bisher der § 23 Berliner Schulgesetz vom 26. Juni 1948, in dem festgeschrieben ist, dass der Religionsunterricht Sache der Religions- und Weltanschauungsgemeinschaften ist. Diese spezielle westberliner Situation führte in der Folgezeit auf Seiten der klerikalen Kräfte zu einer Art Doppelstrategie: zum einen ließ man sich den Religionsunterricht ordentlich staatlich alimentieren, zum anderen führte man einen täglichen Kleinkrieg sowohl zur schulorganisatorischen wie auch zur immer breiteren Verankerung klerikaler Inhalte..

Als 2005 Hatun Sürücü Opfer eines brutalen Fememordes wurde, wurde dies insbesondere von klerikalen Kräften zum Anlass genommen, ihren Einfluss in der Staatschule noch weiter auszubauen. Mit klerikaler Hilfe installierten die Senatsozis einen so genannten Ethikunterricht als Zwangsangebot  für alle Schüler der Klassen 7-10. Dieser Unterricht hat die Kooperation mit den Religionsgemeinschaften zur Voraussetzung.

2008 erschien den Kirchen die Zeit reif, die im Staatschulwesen errungene ideologische Vorherrschaft auch formell sichtbar werden zu lassen. Der Versuch lautete schlicht "Einführung von Religionsunterricht" als ordentliches Schulfach. Dazu verbündeten sich unter dem Schlagwort "Pro-Reli" auf breiter Line: Evangelen, Katholen, Juden, Islamisten, CDU, FDP und sozialdemokratische Ex-DDR-Pfaffen. Eine Volksabstimmung am 26.4.2009 sollte den Kampf der Kirchen um ihre Hegemonie mit einem erfolgreichen Abschluss krönen und das Parlament zwingen, den §23 des Schulgesetzes zu zerschlagen. Bekanntlich ging die Sache in die Hose. Doch die letzte Schlacht, wollte die Kirche damit nicht geschlagen haben. Denn die letzte möchte sie gewinnen. Das machten ihre Bischöfe und die sonstigen klerikalen Lautsprecher noch am Wahlabend deutlich. Und wie nicht anders zu erwarten, signalisierten die regierenden Sozis sogleich "Gesprächsbereitschaft".

In seiner "Kritik der Hegelschen Rechtsphilosophie" formulierte Karl Marx: "Es ist also die Aufgabe der Geschichte, nachdem das Jenseits der Wahrheit verschwunden ist, die Wahrheit des Diesseits zu etablieren."

Leider sitzt die Wahrheit des Jenseits fester denn je im Sattel und es bedarf noch vieler Anstrengungen, bis es soweit ist, dass die Wahrheit im Diesseits etabliert werden kann. Und daher gilt - so wie der Altmeister bereits in jungen Jahren formulierte: "Es ist zunächst die Aufgabe der Philosophie, die im Dienste der Geschichte steht nachdem die Heiligengestalt der menschlichen Selbstentfremdung entlarvt ist, die Selbstentfremdung in ihren unheiligen Gestalten zu entlarven. Die Kritik des Himmels verwandelt sich damit in die Kritik der Erde, die Kritik der Religion in die Kritik des Rechts, die Kritik der Theologie in die Kritik der Politik." (MEW 1, 378ff)

Bei dem Versuch, dieser reaktionär-klerikalen Pro-Reli-Kampagne entgegen zu treten, bekleckerten sich so genannte Linke nicht mit Ruhm, sondern verhielt sich überwiegend affirmativ, so wie es die "wirklichen Sozialdemokraten" ihnen vorexerzierten.

Eine der wenigen Gruppen, die für sich beanspruchen kann, den Versuch unternommen zu haben, die "unheiligen Gestalten" dieser heiligen Kampagne zu entlarven, ist die SPARKIST-Jugend, deren diesbezügliches Flugblatt wir dokumentieren. Solche politische Konsequenz in der Frage von Staat und Kirche wünschen wir uns auch von anderen Gruppen. Und vor allem ein gemeinsames offensives Vorgehen gegen jede Form des Opiums fürs Volk, wie Marx einmal die Religion nannte. Damit wir endlich sagen können: Die letzte Schlacht gewinnen WIR!

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Wie dicht Religion und religiöser Wahn beieinander liegen, zeigt die ins Gerede gekommene jüngste UNO-Rede des iranischen Staatspräsidenten Mahmud Ahmadinedschad vom Montag, den 20. April 2009, deren vollen Wortlaut wir dokumentieren. Dieses schwarze Dokument der Reaktion soll als Warnung denjenigen dienen, die meinen, Maßstäbe ihres diesseitigen Handelns im "Jenseits der Wahrheit" zu finden.

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Im April vermeldete die bürgerliche Presse, dass der Neuköllner Schülerknast nicht mehr im April sondern erst im Juni eröffnen wird. Das finden wir zwar prima, doch es ändert nichts an der Tatsache, dass so genannte Freiheit entziehende Maßnahmen zur Durchsetzung der Schulpflicht grundsätzlich in den pädagogischen Handwerkskasten der Staatsschule gehören. Gerade hier hat die öffentliche Schule die Kirchen und die muslimischen Sekten an ihrer Seite, die sich als Träger dieser Aussonderungs- und Wegschließungsprojekte andienern.

In der letzten Ausgabe hatten wir bei dieser Thematik den Schwerpunkt auf die rechtliche Seite gelegt. Diesmal wollen wir in die Geschichte blicken, um zu zeigen, auf welchen inhaltlichen Grundlagen bisher KommunistInnen ihren Schulkampf zu einer Zeit führten, als sie in den Massen verankert und ein Teil von ihnen waren. Auch die 68er Bewegung versuchte, die Schule als Klassenschule zu begreifen. Allerdings - anders als die KPD der 20er Jahre - von außen kommend, gelang es ihr nicht, über einen sozialarbeiterischen Ansatz hinaus zu kommen, den sie mit ordentlich radikalem Wortgeklingel drapierte.

Beide Texte sollen dazu anregen, die aktuellen Kämpfe gegen die sich ständig verschlechternden Schulbedingungen nicht mehr ökonomisch zu verkürzen, sondern Schule gleichermaßen als Herrschafts- und Unterdrückungsinstrument zu verstehen und diese Funktion in die Kritik mit einzubeziehen. Dann könnte es gelingen, dass die SchülerInnen, die sich auf die Juni-Aktionen vorbereiten, erkennen, dass ihre schulzweigspezifischen Probleme nur ein Aspekt des Gesamtsystems Staatschule sind, welches sich an anderer Stelle zur Aufrechtherhaltung der Disziplin "Schülerknäste" schaffen muss.
 

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Die BesucherInnenzahlen vom April 2009, in Klammern 2008, 2007

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