26. April: Nein zu „Pro Reli“!
Für die Trennung von Kirche und Staat! Weg mit bürgerlich-christlichem Ethikunterricht!

von Spartakist- Jugend

05/09

trend
onlinezeitung

Seit Monaten läuft in Berlin die reaktionäre Kampagne „Pro Reli“ für die Einführung von Religion als Wahlpflichtfach ab der 7. Klasse. Religionsunterricht soll nicht mehr „freiwilliges“ Zusatzfach sein, sondern alternativ zum derzeit verpflichtenden Ethikunterricht belegt werden können. Am 26. April wird in einem Volksentscheid darüber abgestimmt. Unterstützer sind die evangelische und katholische Kirche, jüdische Gemeinde, türkisch-islamische Union, die Landesverbände der bürgerlichen Parteien CDU und FDP und auch SPD-Mitglieder wie Ex-DDR-Pfaffe Wolfgang Thierse. Als Marxisten sind wir für die vollständige Trennung von Kirche und Staat, also auch von Kirche und Schule. Ein Erfolg von „Pro Reli“ würde den Kirchen (ob christlich, jüdisch oder islamisch) dagegen noch mehr Einfluss an den Schulen verschaffen, als sie ohnehin schon haben. Deshalb:
Stimmt am 26. April mit „Nein“ gegen Religion als Wahlpflichtfach!

Wir sind dagegen, dass Religion die Politik des Staates bestimmt, was zwangsläufig zur Diskriminierung religiöser (und damit oft ethnischer) Minderheiten führt. Wir lehnen jede Finanzierung der Kirchen durch den Staat ab, die in Deutschland u. a. mit dem Eintreiben der Kirchensteuer in Milliardenhöhe betrieben wird. Religion ist Privatsache: Leute sollten ihre Religion ausüben oder auch nicht, ohne dass sich der Staat einmischt. Als Kommunisten kämpfen wir auch gegen jede Form religiöser Unterdrückung und Verfolgung. Rationalismus und Aufklärung sind Errungenschaften bürgerlicher Revolutionen wie der Französischen Revolution von 1789, die wir verteidigen. Wir sind gegen jeglichen – auch freiwilligen – Religionsunterricht an staatlichen Schulen, egal ob christlich, jüdisch oder islamisch. Dort sollten wissenschaftliche Kenntnisse vermittelt werden und nicht religiöse Feindseligkeit gegenüber Wissenschaft und Fortschritt, wie etwa die potenziell tödliche Behauptung des Papstes, „Kondome verschlimmern das Aids-Problem“.

Religion ist eine wichtige Stütze des kapitalistischen Systems. Zur gewaltsamen Sicherung ihrer Herrschaft dient den Kapitalisten der bürgerliche Staat – im Kern Polizei, Armee, Gerichte und Gefängnisse. Gerade in Zeiten der Wirtschaftskrise sind die ideologischen Institutionen, wie Kirchen und Medien, für die Kapitalisten unverzichtbar, um die Unantastbarkeit ihrer Ordnung zu predigen.

Getreu dem Motto „Kinder, Küche, Kirche“ ist die bürgerliche Familie, auf der die kapitalistische Gesellschaft aufbaut, das zentrale Instrument für die Unterdrückung von Frauen und Kindern und dient gleichzeitig dazu, konservative soziale Werte wie „Zucht und Ordnung“ von einer Generation zur nächsten weiterzugeben. Angesichts schlechterer Jobchancen, wirtschaftlicher Abhängigkeit vom Mann und miserabler Kita-Versorgung ist immer noch ein Großteil der Frauen dazu gezwungen, die Kindererziehung als Teil von unbezahlter Hausarbeit zu erledigen, so dass für die Kapitalisten bei der Reproduktion der Arbeitskräfte möglichst geringe Kosten anfallen. Staat und Kirchen versuchen, alle Bereiche des Privatlebens mit ihrer konservativen und repressiven „Moral“ zu verseuchen, etwa mit reaktionären „Minderjährigkeits“-Gesetzen oder durch die Kriminalisierung von „Verbrechen“ ohne Opfer, wie z. B. Prostitution, jeglicher anderer Sex im gegenseitigen Einverständnis, Pornographie oder Drogenkonsum.

Um dem Elend von Frauenunterdrückung, Armut, Rassismus und Krieg – und damit der Grundlage von Religion – ein Ende zu setzen, ist es notwendig, den bürgerlichen Staat durch sozialistische Arbeiterrevolution zu zerschlagen und den Kapitalismus weltweit durch eine sozialistische Planwirtschaft unter der Herrschaft von Arbeiterräten zu ersetzen. Eine revolutionäre Arbeiterregierung wird auch eine umfassende wissenschaftliche Aufklärung gegen religiöse Vorurteile organisieren. Ausschlaggebend ist die Beseitigung der sozialen Grundlagen dieser Vorurteile. So haben Lenins und Trotzkis Bolschewiki nach der Oktoberrevolution 1917 in Russland versucht, die Familie durch die Vergesellschaftung der Hausarbeit zu ersetzen und es den Frauen zum Beispiel durch Kinderbetreuung rund um die Uhr zu ermöglichen, voll am gesellschaftlichen Leben teilzunehmen. Für Frauenbefreiung durch sozialistische Revolution!

Gegen „Pro Reli“ hat sich die Kampagne „Pro Ethik plus Religion“ formiert, die von den Berliner Regierungsparteien SPD und Linkspartei sowie Grünen, Humanistischem Verband, GEW (Gewerkschaft für Erziehung und Wissenschaft), Türkischem Bund u. a. getragen wird. „Pro Ethik“ und der „Ethik“-Unterricht stehen keineswegs im Gegensatz zu Religion. Vor allem im atheistischen Osten soll eine Brücke zur (christlichen) Religion gebaut werden. So ist für den Ethikunterricht die Kooperation mit Trägern des Religionsunterrichts im Rahmenlehrplan vorgeschrieben und wird an 30 Berliner Schulen bereits durchgeführt. Die Linkspartei verweist auf Plakaten mit dem Slogan „Religion ist freiwillig“ positiv auf den freiwilligen Religionsunterricht, der ebenfalls staatlich finanziert an den Schulen stattfindet. An den Berliner Grundschulen (Klassen 1 bis 6) ist die Teilnahme am Religionsunterricht theoretisch auch „freiwillig“ – nur nicht für die Kinder, da dort die Eltern darüber entscheiden. In der Praxis wird die Anmeldung zum Religionsunterricht gleich mit der Anmeldung zum Schulbesuch vorgenommen, mit dem Ergebnis, dass 80 Prozent der Berliner Grundschüler an Religions- oder Weltanschauungsunterricht teilnehmen. Und Linkspartei-Fraktionschefin Carola Bluhm betont: „Wir haben nicht grundsätzlich etwas dagegen, wenn die Kirchen am Ethikunterricht beteiligt werden“ (taz.de, 22. Mai 2008). Religion soll also in der Schule bleiben, als „freiwilliges“ Unterrichtsfach und auch mit Hilfe des Ethikunterrichts.

Volle Staatsbürgerrechte für alle, die hier leben!

Der staatliche Ethikunterricht wurde nach dem abscheulichen „Ehren“mord an der kurdisch-stämmigen Hatun Sürücü 2005 (siehe SpartakistNr. 158, Frühjahr 2005) eingeführt. Unter dem Vorwand, den Einfluss des „fundamentalistischen“ Islam einzudämmen, sollen Kinder, deren Eltern türkischer oder arabischer Herkunft sind, mit den „guten“ bürgerlich-christlichen Werten der herrschenden deutschen Kapitalistenklasse konfrontiert werden. So die GEW-Führung: „Der von Pro Reli angestrebte Wahlpflichtbereich würde so auch dazu führen, dass sehr viele muslimische Jugendliche nur einen islamischen Religionsunterricht besuchen und fast nichts über das Christentum und den europäischen Humanismus erfahren“ (Pressemitteilung, 2. Dezember 2008). Der Kontext für diesen Missionseifer ist der rassistische „Krieg gegen den Terror“, der in Deutschland unter der SPD/ Grünen-Regierung begann. Dieser richtet sich zuerst gegen die besonders unterdrückte muslimische und arabische Minderheit, zielt mit Maßnahmen wie dem Lauschangriff und der Vorratsdatenspeicherung aber letztlich gegen die gesamte Arbeiterklasse. Im Ethikunterricht soll den Schülern kein Wissen vermittelt werden, sondern verlogene bürgerlich-christliche Moralvorstellungen und der Glaube an das kapitalistische Grundgesetz. Weg mit dem bürgerlich-christlichen Ethikunterricht!

„Pro Ethik“ benutzt zynisch den Slogan „Gemeinsam, nicht getrennt“, um den Ethikunterricht als Integrationsmaßnahme für religiöse/ethnische Minderheiten darzustellen. Bildungssenator Zöllner (SPD) gab für den Berliner Senat den Ton gegen „Pro-Reli“ an: „Jeder der dann [wenn Pro-Reli siegt] nicht in den Ethikunterricht geht, ist aus meiner Sicht ein Verlorener für die staatliche Aufgabe der Integration.“ Das ist der reinste Hohn und stempelt Kinder und Jugendliche ethnischer Minderheiten, die ihre eigene Religion wählen würden, anstatt in den Ethikunterricht zu gehen, als Sündenböcke ab. Es ist der SPD/Linkspartei-Senat, der in Berlin den Staat für die Kapitalisten verwaltet und so dafür verantwortlich ist, systematisch die Lebensgrundlage vieler Immigranten und ethnischer Minderheiten zu zerstören, direkt durch rassistische Abschiebung oder dadurch, dass sie in die Arbeitslosigkeit getrieben werden. Angriffe auf das Bildungssystem gehen einher mit massiven Kürzungen in sozialen Bereichen.

Während ihre Eltern oft in entscheidenden Sektoren der Arbeiterklasse und den Gewerkschaften integriert sind, bekommen Jugendliche nichtdeutscher Herkunft kaum einen Ausbildungs- oder Arbeitsplatz, der die Grundlage wäre für Unabhängigkeit und die Hoffnung, sich integrieren zu können. So bekamen 2006/2007 deutschlandweit nur 14 Prozent aller „jungen Migranten“ einen mittleren oder höheren Schulabschluss, gegenüber 70 Prozent bei den „ethnisch Deutschen“. Bei der Ausbildungsquote ist das Verhältnis 23 Prozent zu 57 Prozent (Tagesspiegel, 20. Dezember 2007). Fast alle Linkspartei-Abgeordneten in Berlin haben kürzlich der Einführung einer reaktionären zentralen Schülerdatei zugestimmt, die neben diversen Personendaten der Schüler insbesondere auch ihre Staatsangehörigkeit und Muttersprache erfassen soll. Wohin das führt, sieht man an einem akuten Fall in Hamburg, wo die 15-jährige Magdalena und ihre Mutter nach Bolivien abgeschoben werden sollen, die von den Behörden durch das zentrale Schülerregister entdeckt wurden.

Gerade in Berlin sieht die herrschende Klasse eine ganze Schicht von Immigranten-Jugendlichen als „überflüssige“ Bevölkerung an, da sie für den Produktionsprozess nicht gebraucht werden. Jegliche Maßnahmen für wirkliche Integration, wie z. B. das Recht auf zweisprachigen Unterricht, widersprechen den Profitinteressen der Kapitalisten und wurden in Berlin fast gänzlich abgeschafft. Gleichzeitig fürchten die Herrschenden Jugendliche nichtdeutscher Herkunft als sozialen Sprengstoff. Der Senat sieht den Ethikunterricht einfach als besseres Mittel an, die ideologische Kontrolle über diese Jugendlichen zu sichern. Petra Pau, Bundestagsabgeordnete der Linkspartei, gibt dem nur einen „linken“ Anstrich: „ ,Ethik‘ lebt vom Dialog aller Kulturen und Religionen. Wer dem eine Religion nach der anderen entziehen will, erstickt den multikulturellen Dialog.“ Das Gerede vom „Dialog der Kulturen“ leugnet die rassistische Diskriminierung der ethnischen Minderheiten, symbolisiert durch die Hetze gegen „Parallelgesellschaften“ oder „gewalttätige Migrantenjugendliche“, wie 2006 gegen die Neuköllner Rütli-Schüler. Nach dem Prinzip „Teile und Herrsche“ benutzen die kapitalistischen Herrscher die Spaltung der Arbeiter entlang ethnischer und religiöser Linien, damit diese nicht vereint für ihre gemeinsamen Interessen kämpfen. Dringend notwendig ist die Verbindung des Kampfes gegen rassistische Unterdrückung mit dem Kampf der Arbeiterklasse, die allein das objektive Interesse und die soziale Macht hat, die materielle Grundlage des Rassismus zu beseitigen, indem sie den Kapitalismus stürzt. Wir kämpfen gegen rassistische Diskriminierung und nationalen Chauvinismus (z. B. Deutsch-Zwang auf dem Schulhof) und sind für die volle soziale, kulturelle und politische Gleichberechtigung, gegen jegliche Hindernisse für die Integration ethnischer Minderheiten in alle Bereiche der Gesellschaft – in Schule, Universität und Beruf. Volle Staatsbürgerrechte für alle, die hier leben! Für Klassenkampf gegen den SPD/Linke-Senat!

Die Konterrevolutionen, die Anfang der 1990er-Jahre in der Sowjetunion, in der DDR und den anderen deformierten Arbeiterstaaten Osteuropas den Kapitalismus wiederherstellten, haben zu Massenarbeitslosigkeit und Elend von Frauen, Minderheiten und Arbeitern geführt. Das ist der Nährboden für den weltweiten Anstieg von religiösem Obskurantismus, und gipfelt oft in blutigen Bürgerkriegen und nationalistischem Terror. Im Gegensatz dazu hat Religion in der DDR kaum eine Rolle gespielt – noch heute ist der Anteil der „Gottlosen“ im Osten dreimal so hoch wie im Westen! Die Enteignung der Kapitalisten und die geplante Wirtschaft bildeten die Grundlage dafür, dass Religion weitgehend überflüssig wurde: es gab keine Arbeitslosigkeit – insbesondere waren 90 Prozent der Frauen berufstätig! – und Kinderbetreuung und Bildung waren von hohem Niveau und praktisch kostenlos. Die herrschenden Stalinisten in der DDR, die jede selbstständige Regung der Arbeiterklasse bekämpften, benutzten jedoch weiterhin die („sozialistische“) Familie als Mittel zur Disziplinierung. Gleichzeitig räumten sie der evangelischen Kirche Freiräume ein, die dann von der SPD als Stützpunkte für die kapitalistische Konterrevolution benutzt wurden.

Anlässlich des 20. Jahrestages der Massenproteste vom Herbst 1989, die zum Zusammenbruch des SED-Regimes führten, läuft auch in den Schulen und Unis eine antikommunistische Kampagne, um diese Ereignisse von vorneherein als Schritte in Richtung einer „freiheitlich-demokratischen“ Konterrevolution zur Wiedervereinigung in einer „sozialen Marktwirtschaft“ umzudichten. Heute soll jeder Schüler und Student die Folgen der Konterrevolution nicht als historische Niederlage für die Arbeiterklasse begreifen und angesichts der kapitalistischen Krise „den Wertekonsens in unserer Gesellschaft“ nicht in Frage stellen. Tatsächlich waren die Proteste in der DDR 1989 der Beginn einer proletarisch-politischen Revolution. Bedeutende Teile der Demonstranten protestierten gegen die Missherrschaft der verknöcherten stalinistischen Bürokratie, aber für eine erneuerte DDR auf sozialistischer Basis. Die Internationale Kommunistische Liga kämpfte als einzige Organisation dafür, die revolutionäre Führung zu schaffen, um die Arbeiter gegen eine kapitalistische Wiedervereinigung und für eine revolutionäre Wiedervereinigung in einem roten Rätedeutschland zu mobilisieren – d. h. für proletarisch-politische Revolution im Osten und sozialistische Revolution zur Enteignung der Kapitalisten im Westen.

Der Kampf für eine Gesellschaft, die den Bedürfnissen aller und nicht den Profiten weniger dient, erfordert den Aufbau einer revolutionären, multiethnischen Arbeiterpartei, die gegen jede Form von Unterdrückung und für ein sozialistisches System kämpft. Die Spartakist-Jugend versucht, Jugendliche, die gegen die unvermeidlichen Übel des Kapitalismus – wie religiöse Rückständigkeit, Frauenunterdrückung und Rassismus – aktiv werden wollen, für diese marxistische Perspektive zu gewinnen. Schließ Dich der Spartakist-Jugend an! Für neue Oktoberrevolutionen weltweit!

Seminarreihe der Spartakist-Jugend Berlin

Freitag, 8. Mai 2009, 19 Uhr, Mehringhof,Blauer Salon,
Gneisenaustraße 2a (U-Bhf. Mehringdamm):

Aufklärung, Rationalismus und die Ursprünge des Marxismus

Themen weiterer Seminare (5. und 26. Juni) sowie Lesematerial:
(030)4439400, spartakist@online.de , www.spartacist.org  

Editorische Anmerkungen

Der Text erschien am 15.4.2009 als Flugblatt und wurde uns von der Spartakist-Jugend zur Veröffentlichung für diese Ausgabe zur Verfügung gestellt..