Editorial
Grottenschlecht

von Karl Mueller

05/05

trend
onlinezeitung

Egal wo wir auftauchten, sei es bei der Eröffnungsveranstaltung der Maisteine, in Infoläden oder Buchhandlungen, auf den 1. Mai Demos und Festen, die Druckversion des TREND ging weg wie warme Semmeln: 2.000 Exemplare wurden in kürzester Zeit unter die Leute gebracht. Bei vielen war unsere Onlinezeitung bereits bekannt.

Diejenigen, die nun aufgrund der Printausgabe das erste Mal hier online vorbeischauen, haben mit der vorliegenden Ausgabe einen guten Zeitpunkt erwischt. Immer wieder wieder vorgenommen und dann doch verschoben:  Peter Schmitt-Egners "Wertgesetz und Rassismus" erscheint nun endlich in dieser Ausgabe.

Die Scan-Vorlage war schlecht und es war von daher sehr zeitaufwendig, eine lesbare HTML-Version daraus zu machen. Doch das Wiederzugänglichmachen dieses Textes war mittlerweile politisch unabweisbar geworden.

Was derzeit an Erklärungen über Rassismus und Antisemitismus für die Begründung von polittaktischen Winkelzügen herhalten muss, ist nicht nur unter wissenschaftstheoretischen Gesichtpunkten grottenschlecht hohl, sondern ruiniert sämtliche historischen Wahrheiten im Hinblick auf Faschismus und Kapitalismus vollends. Von diesem erschreckenden Resultat aus rückblickend betrachtet, ist es nicht verwunderlich, dass Schmitt-Egners Arbeit - in den 70er Jahren in der BRD verfasst - unter Linken kaum rezipiert wurde, um dann schließlich in Vergessenheit zu geraten.

Schmitt-Egner unterscheidet - gestützt auf die Marxsche Kritik der Politischen Ökonomie - bei der begrifflichen Entwicklung des Rassismus drei Ebenen. Zunächst muss der Rassismus im Kontext der Warenform als notwendige Bewußtseinsform der bürgerlichen Gesellschaft begriffen werden. Dann entsteht mit der Kapitalform die "objektive Möglichkeit des Rassismus als herrschende Bewußtseinsform dieser Gesellschaft". Und in einem dritten Schritt müssen die Bedingungen, unter denen aus der Möglichkeit des Rassismus seine Wirklichkeit wird, untersucht werden.

Zu Unrecht ist Schmitt-Egner vorgehalten worden, dass mit der historisch-logischen Anbindung des Rassismus an die Existenz einer warenproduzierenden Gesellschaft, rassistische Erscheinungen in historisch davor liegenden Epochen nicht dechiffriert werden könnten. Diese Kritik übersieht, dass historische Strukturen erst in ihrer vollen Entfaltung auf den Begriff gebracht werden können und damit ihre Genesis eingeschlossen ist.

Viel weiterbringender wäre eine kritische Bewertung der These von Schmitt-Egner, dass die Erscheinung des Werts in der fetischisierten Form der entfalteten Zirkulation  die "Formen des Rassismus im Innern" erzeuge. Womit unzweideutig der Antisemitismus gemeint ist, was wiederum heißt, dass die Klassenfrage - d.h. die Aufhebung des Lohnsystems - bei der Behandlung des Antisemitismus nicht ausgeblendet werden darf.

Am 1. Mai 2005  wurde dieser Zusammenhang von Teilen der Bewegungslinken bewusst zerrissen, indem sie sich von den 1.Mai Aktivitäten zugunsten einer Mobilisierung zum 8. Mai verabschiedeten. Von daher begrüßen wir ausdrücklich, dass uns die Gruppe Internationaler SozialistInnen ihre Polemik Too sexy for the Antifa gegen diese Kräfte zum Abdruck überlassen hat. In ähnlicher Weise haben die Internationalen KommunistInnen ihre Kritik gegen die Borniertheiten der so genannten Antifas formuliert. Wir brachten dazu im dritten Update der Aprilausgabe einen Artikel von Jens Matt Die Dämonisierung des NS-Faschismus, worauf hier nochmals mit dem Prädikat "Besonders lesenswert" verwiesen wird. Da der TREND kein Verlautbarungsorgan sein will, hoffen wir, dass wir recht bald kritische Anmerkungen zu diesen beiden Artikel zum Abdruck erhalten.

Die Entsorgung linken Geschichtswissens durch Pop- und Antifa-Linke - oder  wie auch immer sie sich labeln möchten - hat durch Katalysatoren wie z. B. Jungle World - ein erschreckendes Ausmaß angenommen. Die damit einhergehenden Zersetzungs- und Spaltungstendenzen in linken Zusammenhängen werden im neuesten Berliner Verfassungsschutzbericht ausdrücklich positiv hervorgehoben.

Anders als z.B. WertkritikerInnen haben wir mit bestimmten Prinzipien der Aufklärung noch nicht gebrochen, sodass wir weiterhin darauf setzen, dass historische Wahrheiten für sich sprechen können, wenn sie dem öffentlichen Raum erhalten bleiben. 1997 haben wir daher ein virtuelles Archiv zur Jugend- und Studentenbewegung angelegt, es folgten Materialien zum KPD-Verbot und zum Polizeistaat 1977, dem so genannten Deutschen Herbst, schließlich dokumentierten wir linke Konzepte aus der Zeit der Löcherung der Mauer, usw. usf..

Aktuell treten wir der herrschenden Geschichtsklitterung dadurch entgegen, indem wir  ein Textarchiv zum 8.Mai 1945 aufbauen, der die Menschen, die in den letzten Kriegswochen  Widerstand in vielfältigen Formen leisteten, um den Sieg über den Hitlerfaschismus zu beschleunigen, vor der Vergessenheit bewahrt.

In zahlreichen Gesprächen während des Vertriebs der Printausgabe wurde immer wieder darauf verwiesen, dass internationale Zusammenhänge, vor allem sozialemanzipatorische Bewegungen in anderen Teilen der Welt, im TREND zu kurz kommen. Indem wir einen redaktionellen Schwerpunkt in der Wiederherstellung bzw. im Erhalt linken Wissens im und durch das Internet haben, mag es so aussehen, dass wir an internationalen Themen weniger interessiert sind. Dies ist ganz und gar nicht der Fall. Intern wurde bereits darüber diskutiert eine weitere Druckversion des TREND dazu heraus zu bringen. Kurz und gut: Ihr seid alle aufgefordert, Texte. Infos, Dokumente usw. zum Thema " Sozialemanzipatorische Bewegungen in anderen Teilen der Welt" (Arbeitstitel) rüberzureichen.