Editorial 
Von Gramsci lernen!

von Karl Müller
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Mit dem Sturm aufs Winterpalais versetzten 1917die russischen Revolutionäre dem Zarentum den Todesstoß. Eine anschließende Übertragung dieses Revolutions- und Aufstandskonzepts auf die Staaten des Westens gelang jedoch bekanntlich nicht.

Es ist unzweifelhaft ein Verdienst des italienischen Kommunisten Antonio Gramsci, dieses  Scheitern schlüssig erklärt zu haben:

"Im Osten war der Staat alles, die bürgerliche Gesellschaft steckte in ihren Anfängen und ihre Konturen waren fließend. Im Westen herrschte zwischen Staat und bürgerlicher Gesellschaft ein ausgewogenes Verhältnis und, erzitterte der Staat, so entdeckte man sofort die kräftige Struktur der bürgerlichen Gesellschaft. Der Staat war ein vorgeschobener Schützengraben, hinter dem eine robuste Kette von Befestigungswerken und Kasematten lag, natürlich mehr oder weniger von Staat zu Staat, aber gerade dies erforderte eine eingehende Erkundung nationalen Charakters."

Wenngleich sich auch das kapitalistische Akkumulationsregime,  seitdem diese Zeilen geschrieben wurden, fundamental gewandelt hat, so hat sich doch die von Gramsci entworfene These vom durch Konsens mit den Unterdrückten abgefederten Gewalt- und Unterdrückungsapparat anschaulich bewahrheitet.  

Freilich war am diesjährigen 1. Mai in Berlin-Kreuzberg nicht etwa in Verkennung der Kräfteverhältnisse von revolutionären Linken der Sturm aufs Winterpalais ausgerufen worden, sondern es ging  für die Linke schlicht nur darum, gegen das politische Personal dieser Stadt anzukämpfen, welches das vom bürgerlichen Staat verbriefte Demonstrationsrecht zugunsten der Nazis in Kraft hielt, während es gleichzeitig der antifaschistischen Linken das Recht auf die Nutzung des öffentlichen Raums für ihre Zwecke untersagte.

Pikanterweise wurde diese politische Entscheidung zu einem Zeitpunkt getroffen, als die PDS  grad frisch den Bezirksbürgermeister für dieses Territorium stellte. Hatte man seitens dieser Partei damit gerechnet,  auf dem Mariannenplatz Ringelpietz als staatsbürgerliche Unterweisung  im Verein mit Fischers Kriegsgrünen jenseits der autonomen und linkskommunistischen 1.-Mai Aktivitäten unbehellligt anbieten zu können, stand man nun durch Werthebachs Demo-Verbot vor dem Problem sich neu einstellen zu müssen.

Einerseits sollte sichergestellt sein, dass die eigene PR-Arbeit auf dem Mariannenplatz ungefährdet von den zu erwartenden Riots im Kiez ablaufen konnte. Andererseits bot sich für die PDS die einmalige Chance, die es in der Gunst der Stunde unbedingt zu nutzen galt, nämlich sich politisch mit der Nummer "Retter in der Not" im autonomen Spektrum zu verankern - was man - by the way - seit 10 Jahren in Kreuzberg mit  unterschiedlichsten Maskeraden und Methoden ohne nennenswerten Erfolg versucht hatte. 

So meldete, nachdem die Rechtsmittel gegen das Werthebachsche Verbot bei den Verwaltungsgerichten nicht griffen, die Berufsjugendliche der Partei und Gysi-Vertraute, Angela M.,  zusammen mit anderen "aufrechten Demokraten" eine Protestdemo gegen das Demoverbot für den 1. Mai um 15.00 Uhr auf dem Lausitzer Platz an. Telefonketten und Mailinglisten wurden aktiviert, das parteieigene und -nahe Fußvolk wurde zum Lausitzer Platz beordert.

Dass das herrschende politische Personal dieser Stadt auf die  "Konsensfähigkeit/-bereitschaft" der AnmelderInnen vertrauen konnte, bewies die PDS sogleich: Sie kam dem polizeilichen Verlangen auf Vorverlegung des Demo-Termins auf 13.00 Uhr eilfertig nach. Damit stellte die PDS wiederholt eigennützig unter Beweis, als tragendes Element der "Befestigungswerke und Kasematten" des bürgerlichen Staates zu gelten.

"In der Politik ist allem Anschein zum Trotz die Belagerung wechselseitig, und die bloße Tatsache, daß der Herrschen de alle Hilfsquellen aufwenden muß, beweist, wie er seine Gegner einschätzt." (Gramsci)

Leider ging die Nummer mit dem Hauselefanten, der als Lockmittel zum Einfangen der wilden dienen sollte, nicht auf. Denn obgleich mithilfe der PDS die Lausitzer Platz-Demo zur linkskommunistischen O-Platz-Demo zeitgleich angesetzt und damit räumlich entzerrt war; und - logistisch & geografisch betrachtet der Mariannenplatz, die PDS-Domäne, zum eigenen Vorteil sozusagen außen vor lag, sah es tatsächlich - ganz spontan -  in der Oranienstr. gegen 16.00 Uhr so aus, als fände die verbotene revolutionäre 1.-Mai-Demonstration nun doch noch statt, indem sich das autonome und linkskommunistische Spektrum dort gemeinsam versammelte.

Nun schienen die zivilgesellschaftlichen "Hilfsquellen" der Herrschenden ausgereizt und Werthebach und Co. bliesen zum Einsatz der hinter den "Kasematten" formierten Kerngestalt des bürgerlichen Staats (Polizei, BGS, Zivis, militärisches Gerät vom Hubschrauber bis zum Wasserwerfer).

Und Rücksichtnahme auf die Hauselefanten war nicht mehr angesagt. Auch sie bekamen den Prügel auf den Kopf.