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Das besondere Dokument
Aus Überzeugung Kundschafter für den Frieden

von  Dieter W. Feuerstein
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Motivation

Bereits im Alter von 16/17 machte ich erste Bekanntschaft mit sozialistischem Gedankengut. Im Jahre 1970 zogen meine Eltern und ich aus der bayerisch/schwäbischen Kleinstadt Neu-Ulm in das hessische Frankfurt am Main. Damit verbunden der Wechsel von einem katholisch geprägten Jungengymnasium auf eine der ersten Versuchsschulen mit reformierter Mittel- und Oberstufe. Ein Klimawechsel, wie er krasser kaum vorstellbar ist.

Die Lehrer - vor allem in den geisteswissenschaftlichen Fächern - waren jung, teilweise noch im Referendariat und trugen die Ideale der 68er Generation noch unverfälscht in sich. Begeistert von der kritischen Haltung zu allen gesellschaftlichen und ökonomischen Fragen beschäftigte ich mich intensiv mit linker Theorie und insbesondere mit den vielgestaltigen Differenzen, die es innerhalb der linken Bewegung gab. Sehr dominant war zur damaligen Zeit und in meinem unmittelbaren Umfeld die Auffassungen der 4. Sozialistischen Internationale, aber auch der Kommunismus maoistischer Prägung. Ebenso wie die Vertreter bürgerlich/reaktionärer Positionen lehnten sie die Politik der sozialistische Staaten entschieden ab.

Zunächst aus einer gewissen Irritation heraus, begann ich, mich mit der Geschichte der Sowjetunion, der KPdSU und natürlich auch mit der DDR und der SED zu beschäftigen. Im Ergebnis stand für mich fest, daß ein theoretisches Träumen von einem "dritten Weg" oder der Glaube an eine ideale Utopie uns bei der Lösung drängender innen- und außenpolitischer Fragen keinen Millimeter weiterhilft. Zu lange wurde die Welt lediglich verschieden interpretiert; die Bolschewiki unter der Führung Lenins hatten sie in Rußland verändert; die Genossen um Walter Ulbricht taten dies in der DDR. Dem Chaos der kapitalistischen Ökonomie wurde eine vergesellschaftete, planmäßige Ökonomie entgegengesetzt, die ihre innere Entwicklungsdynamik an den tatsächlichen Bedürfnissen der werktätigen Menschen orientieren sollte.

Ich suchte daher den Kontakt zur DKP und ihrer Jugendorganisation. Dort fand ich Freunde und spürte auch in moralisch/ethischen Bereichen Gleichklang der Gedanken. Gut ein Jahr war ich dort politisch aktiv und nutzte jede Gelegenheit zur politischen Weiterbildung. Mein weiterer Werdegang schien festgelegt. Schulisch absolvierte ich alle Geisteswissenschaftlichen Fächer mit Auszeichnung, vertiefte mich in Fremdsprachen und begann zusätzlich mit dem Studium der russischen Sprache. Naturwissenschaftliche Fächer lagen mir weniger und ich schaffte es gerade mal das Klassenziel noch zu erreichen. Als Konsequenz meiner politischen Entwicklung beantragte ich 1972 die Aufnahme in die DKP.

Während meine Eltern meine Aktivitäten der letzten zwei Jahre stillschweigend tolerierten, so schlug mir nun krasse Ablehnung entgegen. In Folge eines klaren Verbots zur Mitgliedschaft in der DKP stand ich kurz vor dem Bruch mit meiner Familie. In einer bislang nicht erlebten Härte versuchte mein Vater mich von dieser Entscheidung abzubringen. Da alle Argumente ins Leere schlugen, zog mein Vater quasi die Notbremse und offenbarte sich mir gegenüber. So erfuhr ich, daß meine Eltern im Auftrag der SED in den 50er Jahren in die BRD gegangen sind und seither in der Illegalität lebten und arbeiteten. Ich erfuhr, daß ich zwar im Ausland zur Welt gekommen, dennoch Bürger der DDR bin und daß bei meiner Geburt der Vorsitzende des Staatsrates der DDR Pate stand. (Seither führe ich mit Stolz das Initial meines zweiten Vornamens im Namen.)

Mir war sofort klar, daß ich auf dem besten Weg war, meine Eltern zu gefährden und damit meinen eigentlichen politischen Zielsetzungen entgegen zu arbeiten. Also zog ich mich allmählich von meinen Aktivitäten zurück. Andererseits hatte ich nun in meinem Vater einen kompetenten Ansprechpartner für Politik und Philosophie. (Er war bis zu seiner Übersiedlung Dozent für Marxismus-Leninismus am Franz-Mehring-Institut, der Leipziger Parteihochschule.)

In der Folgezeit kam ich auch mit den Führungsoffizieren meiner Eltern in der DDR zusammen. Als mein Vater - knapp ein Jahr nach seiner Offenbarung - starb, stellte sich für mich die Frage meiner eigenen Entwicklung in dieser klaren Form zum ersten Mal. Von einer nachrichtendienstlicher Perspektive war bis dahin nie die Rede gewesen. Wichtig war einzig, daß ich nicht durch Unwissenheit die konspirative Arbeit von Jahrzehnten zunichte mache.

Nun allerdings hätte ich auch wieder legal in der BRD aktiv werden können; Rücksicht auf die Position meines Vaters war nicht mehr erforderlich. Auch eine Übersiedlung "nach Hause" war real möglich. Eile in der Entscheidung war nicht geboten. Zwar bin ich dann nach Berlin gegangen und hatte nicht vor, in die BRD zurück zu kehren, musste aber erkennen, daß dies bereits eine endgültige Entscheidung gewesen wäre. Die lange Abwesenheit wäre schwer legendierbar gewesen, wenn ich doch hätte als Kundschafter arbeiten wollen.

1974, ein Jahr vor meiner Abiturprüfung waren die Würfel gefallen. Meine Entscheidung stand fest: Ich beantragte die Aufnahme als Hauptamtlicher Informeller Mitarbeiter in der Hauptverwaltung Aufklärung des MfS der DDR.

Daß ich mich für die Stärkung des Sozialismus und die Sicherung des Friedens einsetzen wollte, war schon längst klar; es ging nur noch um die Frage Wie? Ausschlaggebend waren einzig Überlegungen hinsichtlich der Effizienz. Wo, an welchem Platz und in welcher Form konnte ich der gerechtesten Sache der Welt am besten dienen? Und welcher Preis mußte dafür gezahlt werden?

Operative Tätigkeit

Die Geschichte der Kundschafter lehrt, daß die verdeckte Arbeit stets auch die erfolgreichste war. Der Preis, den ich dafür zahlen mußte, war verdammt hoch. Kein Kontakt mehr zu Menschen vor Ort, die mir in ihren Gedanken und Gefühlen so nah waren. Nur gelegentliche und immer viel zu kurze Treffen mit den Genossen der "Zentrale". Mehr noch: Kaschieren der eigenen Vergangenheit durch gegenteiliges Verhalten. So wurde ich kurz darauf Mitglied der Jungen Union Hessen, später stellvertretender Sprecher des Wehrpolitischen Arbeitskreises der CDU Nordhessen. Ich quälte mich durch das Studium der Luft- und Raumfahrttechnik in Westberlin, das ich zur eigenen Überraschung dann sogar sehr gut abschloß.

Das Ziel klar vor Augen, führte mich mein Weg direkt in die Entwicklungszentrale des größten deutschen Rüstungskonzerns bei München, eines unserer Hauptzielobjekte. Die Mühe hatte sich gelohnt, zwölf lange Jahre der Vorbereitung und der Perspektivplanung waren nicht vergeblich. Sechs Jahre war ich dann an der Tornado- und Eurofighterentwicklung beteiligt, integrierte intelligente Raketen mit und wurde sogar Verantwortlicher für den materiellen Geheimschutz. Sechs operative Jahre, die in ihrer Produktivität seitens der BRD-Organe so erfolgreich eingeschätzt wurden, daß ein Strafmaß von acht Jahren verhängt wurde.

Normalerweise agiert ein Kundschafter in seinem Wirkungsbereich als Einzelkämpfer. Ich hatte das großes Glück, zu Beginn meines Studiums eine Frau kennen zu lernen, die ebenfalls bereit war, sich auf diese Weise für eine bessere, sozialere Gesellschaft zu engagieren. Mitte der 80er Jahre wurden unsere Tochter und unser Sohn geboren. Durch den Wunsch meiner Frau, in die Staatsbürgerschaft der DDR aufgenommen zu werden, kamen unsere Kinder dann - wie auch ich selbst - als Bürger der DDR im Ausland zur Welt.

Ende der Kundschaftertätigkeit

Ende der 80er Jahre interpretierte ich die Haltung der Staats- und Parteiführung gegenüber der Politik des neuen Denkens in der SU als historischen Verrat. Ich war im Herbst 1989 nicht länger bereit, meine Tätigkeit in dieser Form fortzusetzen. Bei meiner Kündigung gegenüber der HVA brachte ich den Wunsch zum Ausdruck, weiterhin für den KGB arbeiten zu wollen. Obwohl mir mehrfach versichert wurde, daß die Leitung der HVA eine Übergabe an den KGB ablehnt (Markus Wolf hätte darin, wie er später einmal formulierte, einen handwerklichen Fehler gesehen.), kam es im Mai 1990 zu einem letzten Führungstreffen in Berlin. Bei diesem Treffen wollte mein damaliger vorgangsführende Vorgesetzte Frank Weigelt die Übergabe an den KGB realisieren.

Seinen Worten zu folge warteten bereits zwei Genossen des befreundeten Dienstes auf mich. Allerdings lehnte ich die Übergabe - trotz massiven Drängens von Weigelt - dann doch ab.

Wie ich später in Vorbereitung auf meinen Prozeß den Ermittlungsakten entnehmen konnte, lief mein Führungsoffizier Weigelt bereits im April 1990 zum Verfassungsschutz der BRD über und leistete umfassenden Verrat über alle ihm bekannten Vorgänge der HVA.

Meine Festnahme und die Festnahme der, in meinen Vorgang eingebundenen, Mitarbeiter der HVA erfolgte erst im Oktober ´90, nach vollzogener deutscher Einheit, obwohl das Bundesamt für Verfassungsschutz seit einem halben Jahr über alle Details meiner Kundschaftertätigkeit informiert war. Fakt ist, dass es zu keinem Zeitpunkt einen Versuch der Übergabe zum KGB seitens der HVA gegeben hat. Diese Übergabe erfolgte einzig auf Betreiben des Bundesamtes in Köln unter Verwendung ihres Söldners Frank Weigelt.

Entgegen besseren Wissens und unter völliger Mißachtung der Beweislage in meinem Prozeß stellte das Amt im Verfassungsschutzbericht 1992 die Sachlage falsch dar und führt mich - als einzigen - namentlich für ihre alte Übergabetheorie auf.

Aktuelle Situation

Am 7. Oktober 1994 wurde ich aus der Gefangenschaft entlassen. Das Urteil lautete über acht Jahre und ich musste nur die Hälfte davon verbüßen. Wie sich im übrigen gezeigt hat, eine gängige Praxis des Bayerischen Obersten Landesgerichts, im Gegensatz zu den Oberlandesgerichten in anderen Bundesländern.

Zum Ende meiner Gefangenschaft schulte ich zum Redakteur um, fand kurzzeitig Arbeit und war bis Anfang 1998 arbeitslos. Die vierjährige Trennung von meiner Familie entfremdete meine Frau von mir, so dass ich seit der Entlassung alleinerziehender Vater der beiden Kinder bin. Die Prozesskosten von über 90.000 DM wurden mir aufgelastet und führten mich an den Rand der Zahlungsunfähigkeit.

Politisch bin ich heute Mitglied der PDS und der DKP. Die PDS bat ich um die Aushändigung meiner Parteidokumente, da ich zu keinem Zeitpunkt aus der SED ausgetreten bin und auch nicht ausgeschlossen wurde. Mitglied in der DKP wurde ich, da ich der Auffassung bin, dass ein Kommunist auch in eine kommunistische Partei gehört.

Wir Kundschafter des Friedens haben uns nach der Haftentlassung bundesweit in der »Initiativgruppe Kundschafter des Friedens fordern Recht« zusammengeschlossen. In dieser Gruppe arbeite ich von Anfang an mit, setze mich für die Freilassung noch inhaftierter Genossen ein und verwalte das Spendenkonto.

Anlage von der Red. trend hinzugefügt:

Appell
"Kundschafter des Friedens fordern Recht"

Ehemalige Mitarbeiter der Nachrichtendienste der DDR in der (alten) Bundesrepublik Deutschland meldeten sich in der "Schlußgesetz"-Debatte am 25.03.1995 zu Wort.

  Wir fordern:

  1. Einstellung der Strafverfolgung aller ehemaligen hauptamtlichen und Inoffiziellen Mitarbeiter der Ausland-Aufklärungsorgane, des Ministerium für Staatssicherheit und des Militärischen Nachrichten Dienstes (Bereich Aufklärung) der Nationalen Volksarmee (NVA).
  2. Freilassung aller in deutschen Gefängnissen inhaftierten ehemaligen Kundschafter der DDR-Auslandsnachrichtendienste.
  3. Aufhebung der ergangenen Urteile und ihrer Rechtsfolgen und Entschädigung für die Verfahrenskosten, Anwaltskosten, Einzug von Privatvermögen, Verdienstausfall, Verlust von Rentenansprüchen und für erlittene Haftzeiten und Haftschäden.

Wir wollen juristische Wiedergutmachung.

Die gegen uns ergangenen Urteile sind rechtlich unhaltbar. Sie verletzen allgemeine Rechtsgrundsätze und Normen des internationalen Rechts. Dies festzustellen, werden wir notfalls auch internationale Instanzen anrufen. Wir erwarten vom Gesetzgeber, daß er die erforderlichen Korrekturen vornimmt.

Es geht nicht um die Frage, ob unserer früherer "Kampf an der unsichtbaren Front" Tatbestände des Staatsschutzstrafrechts der (alten) BRD erfüllt hat oder nicht. Der entscheidende Gesichtspunkt ist, daß eine Strafverfolgung gegen uns aus rechtlichen Gründen nicht länger stattfinden darf, nachdem am 3.Oktober 1990 eine Fusion zwischen BRD und DDR erfolgte ist.

Das internationale Recht knüpft an die Fusion von BRD und DDR, zweier souveräner, völkerrechtlich anerkannter und voneinander unabhängiger Staaten, die Rechtsfolge, daß diese aufhören, als Subjekte des internationalen Rechts zu existieren, und daß ein neuer deutscher Staat auf den Territorien der fusionierenden deutschen Staaten BRD und DDR entstanden ist. Deshalb spricht der Zwei-plus-Vier-Vertrag auch vom "vereinigten Deutschland" und nicht von der Bundesrepublik Deutschland. Eine juristisch korrekte Interpretation der deutschen Vereinigung führt zu der Schlußfolgerung, daß gemäß der Spezifik des Landesverratsrechts im Verhältnis der beiden deutschen Staaten zueinander die strafrechtlich geschützten Güter entfallen.

Die gegen uns ergangenen Urteile verstoßen außerdem gegen den international anerkannten und durch die Verfassung garantierten Grundsatz der Gleichheit vor dem Gesetz.

Wir haben der Sache des Friedens und des Sozialismus gedient und fühlen uns mit allen Opfern des Kalten Krieges verbunden.  

Dr. Hagen Blau
Dieter W. Feuerstein
Dr. Gabriele Gast
Karl Gebauer
Herbert Kloss
Dieter Popp
Klaus v. Raussendorff
Alfred Spuhler
Ludwig Spuhler
Ulrich Steinmann
Gerd Zopp

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