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Die "Nelkenrevolution" in Portugal

Das portugiesische Volk will die ungeteilte Macht!

aus: Die Rote Fahne, Zentralorgan der Kommunistischen Partei Deutschlands, Nr. 18 v. 5. Mai 1974, 5 Jhg, S. 1f

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Dem Militärputsch unter Führung von General Spinola war eine scharfe Auseinandersetzung zwischen Teilen der Armee und der Regierung Caetano vorausgegangen. In einem Buch ("Portugal und die Zukunft") hatte der ehemalige Oberkommandierende der portugiesischen Kolonialtruppen in Guinea-Bissao nachgewiesen, daß der Krieg gegen die Befreiungsbewegungen in den sogenannten portugiesischen Überseeprovinzen nicht zu gewinnen ist. Die Beweisführung, die rein militärtechnisch ist, fand die Unterstützung des Oberkommandierenden der Streitkräfte, General Gornes, stieß aber bei der Regierung, den durch sie repräsentierten kolonialen Grundbesitzern und der übrigen Generalität auf Widerstand. Gomes und Spinola wurden abgesetzt.

Das mittlere Offizierskorps aber und die Teile der Bourgeoisie, die an einer tieferen Zusammenarbeit mit dem EWG-Kapital interessiert sind, sympathisieren offen mit Spinola.

Er konnte deshalb seinen bisher erfolgreichen Putsch gegen die Regierung wagen.

Zumal die Volksmassen und damit auch die Masse der einfachen Soldaten ihre Hoffnungen dahin richten, daß nicht nur die Jahrzehnte dauernde brutale Unterdrückung ein Ende haben würde, sondern auch der Kolonialkrieg, dem das portugiesische Volk ungeheure wirtschaftliche und menschliche Opfer bringen mußte.

Die wirtschaftliche und politische Situation

Nahezu die Hälfte (mindestens 45 Prozent) des portugiesischen Staatshaushaltes verschlingt der Kolonialkrieg. Die Handelsbilanz des Landes, die 1967 noch einen Überschuß von ca. 312 Millionen DM hatte, wurde durch den Krieg auf ein Defizit von mindestens 2,8 Milliarden herabgedriickt. Die Inflation überstieg im letzten Jahr die 20-Prozent-Grenze. 1972 wanderten 80 000 Portugiesen allein nach Frankreich aus; in den letzten zehn Jahren verließ mindestens ein Drittel der arbeitsfähigen Bevölkerung das Land. Die im Ausland lebenden Portugiesen werden auf 1,5 Millionen geschätzt - bei einer Gesamtbevölkerung Portugals von unter neun Millionen.

Der Handel mit den Kolonien ist vergleichsweise niedrig: nur 11,3 Prozent des Imports und 14,7 Prozent des Exports (zum Vergleich: der Handel mit Großbritannien macht 22,9 Prozent aus).

Portugal ist mit das ärmste und unterentwickelste Land Europas.

Seit 1926 wird das Land von faschistischen Diktatoren beherrscht. Kein Portugiese, der jünger als 70 ist, hat jemals freie Wahlen erlebt.

Die blutige Unterdrückung jeder fortschrittlichen Regung, besonders in der Arbeiterklasse, ungezählte Kommunistenverfolgungen, kennzeichnen die politische Situation seit 1926, als Salazar an die Macht kam. aber auch der Widerstand der Volksmassen! Im letzten Jahr kam es am l. Mai zu schweren Zusammenstößen zwischen Polizei und demonstrierenden Arbeitern und Studenten, die besonders die sofortige Beendigung des Kolonialkriegs in Afrika forderten.

Unter den Tausenden, die das Land verließen, waren mindestens 100 000 Deserteure. Die Unzufriedenheit der Volksmassen, die unter den ungeheuren Kosten des Krieges zu leiden hatten, deren Söhne fünf Jahre Wehrdienst leisten mußten, die mehr als 8000 Gefallene in Afrika und Tausende von Verwundeten zu beklagen haben, brachte das Regime der "Ultramar", der Kolonialisten, in ernste Gefahr.

Auf der einen Seite mußte die kapitalistische Bourgeoisie Portugals Massenaufstände befürchten, auf der anderen Seite mußte sie mit ansehen, wie die fähigsten Arbeitskräfte scharenweise auswanderten, wi'e die Kriegskosten jegliche Investitionen zur Entwicklung der schweren Industrie verhinderten. Es ist daher nicht verwunderlich, wenn einer der wichtigsten Kapitalisten Portugals, Enrique Champalimaud, den Putsch und die Junta Spinolas unterstützt (nach Neue Zürcher Ztg. 28. 4.), wie viele portugiesische Kapitalisten erhofft er sich mehr von einer Annäherung an die EWG.

Die militärische Lage in den "Überseeprovinzen"

Eigentliche Auslöser des Staatsstreichs sind, wie die englische Wochenzeitung "Observer" zugeben muß, die Erfolge der Befreiungskämpfer in Angola, Guinea-Bissao und Mozambique.

In Guinea-Bissao hat die Befreiungsfront bereits den größten Teil des Landes befreit. Ihre Regierung wurde mittlerwelle von der UNO und von 74 Staaten anerkannt. Obwohl zur Zeit 40 000 portugiesische Soldaten im Land stehen (1962 waren es nur 1000), haben diese Kolonialtruppen keine Erfolge mehr zu verzeichnen. (Es ist, am Rande bemerkt, außerordentlich belustigend zu vergleichen, wie die bürgerliche Presse vor dem Putsch über den Krieg in den Kolonien berichtete, nämlich, daß es gar keine befreiten Gebiete gibt, daß die portugiesische Armee das gesamte Territorium kontrolliert, daß die afrikanische Bevölkerung die Unabhängigkeit nicht will usw. und wie heute, nach dem Putsch, alle schon immer gewußt haben, daß der Krieg für Portugal nicht nur verlustreich ist, sondern, daß er nicht zu gewinnen ist.) In Angola stehen sich die Kolonialisten einer neuen Offensive der Befreiungsbewegung MPLA gegenüber, die die 70 000 Kolonialtruppen und die 500 000 weißen Siedler ernsthaft bedroht. Obwohl in Angola der Volkskrieg noch nicht die Ausmaße wie in den beiden anderen Ländern angenommen hat, haben die Volksbefreiungstreitkräfte auch hier bereits große Teile des Landes befreit.

Guinea-Bissao hat nicht die ökonomische Bedeutung, wie die beiden anderen "Kolonien", aber die zum Land gehörenden Kapverdischen Inseln sind für die NATO und den USA-Imperialismus militärstrategisch von großer Bedeutung. In Angola sind es neben Kaffee große Vorkommen an Diamanten, Kupfer, Eisenerz und anderen Mineralien große Erdölvorkommen, die noch nicht erschlossen sind. Die dritte portugiesische Provinz, Mozambique ist für die Aufrechterhaltung der Rassisten-Regimes in Zimbabwe (Rhodesien) und Südafrika von großer Bedeutung. Die nationale Unabhängigkeit dieses Landes würde für die Faschisten Zimbabwes den Verlust der Häfen Beira und Laurenco Marques bedeuten. Das Smith-Regime könnte für seinen Import und Export nur über komplizierte Umwege das Meer erreichen. Außerdem befürchten die Rassisten in Salisbury durch eine Unabhängigkeit Mozambiques ein weiteres Anwachsen des Aufstandes der von ihnen unterdrückten Afrikanischen Mehrheit, gegen deren Befreiungskämpfer sich schon jetzt das Regime nur durch Truppenunterstützung aus Südafrika wehren kann.

Die Regierung Südafrikas würde durch die Unabhängigkeit Mozambique ebenfalls wirtschaftliche Verluste erleiden. Sie betreibt einen großen Teil ihrer Industrie mit Zwangsarbeitem, die das portugiesische Koloniaregime in die Minen Südafrikas verkauft. Außerdem sollte der Cabora-Bassa-Staudamm in der Tete-Provinz Mozambiques das Rassistenregime mit billiger Energie versorgen.

Die bisherigen Erfolge der Befreiungsbewegung von Mozambique, FRELIMO, haben, weil Portugal ihrer nicht Herr werden konnte, die Regierung Vorster bereits in den Krieg hineingezwungen. Südafrikanische Söldnertruppen kämpfen auch in Mozambique.

Die Eröffnung neuer Fronten durch die FRELIMO hat auch die portugiesischen Kolonialisten gezwungen, im letzten Monat aus Angola, wo ihre Position ebenfalls geschwächt ist, 10 000 Soldaten nach Mozambique abzuziehen. Trotzdem ist allen Beobachtern klar, daß der Sieg im Volkskrieg nicht mehr aufzuhalten ist. Gerade dieser Sieg der Volksmassen in Mozambique aber würde das ganze System imperialistischer Ausbeutung und Unterdrückung im Süden Afrikas mit seinen beiden Stützpfeilern Rho. desien und Südafrika gefährden.

Ist die nationale Unabhängigkeit der ehemaligen Kolonien wirklich im Interesse der neuen Machthaber in Lissabon?

"Die Überseegebiete sind eine notwendige Bedingung für unser Überleben als freie und unabhängige Nation. Ohne die afrikanischen Gebiete wird das Land (gemeint ist Portugal) zu einer bedeutungslosen Ecke eines gigantischen Europas und es wird keine Trumpfkarte besitzen, die es ihm ermöglicht, sich im Konzert der Nationen zu behaupten."

Dieses Zitat aus Spinolas Buch "Portugal und die Zukunft" zeigt wohl deutlich, daß die neuen Machthaber ebensowenig wie die alten wirklich Unabhängigkeit und Freiheit für die afrikanischen Völker wollen.

Die Sprecher der drei Befreiungsbewegungen haben deshalb zwar den Sturz Caetanos begrüßt, aber sie haben auch klargemacht, daß sie nicht mit den Plänen Spinolas, eines "lusitanischen Staatenbundes" unter Führung Portugals, übereinstimmen.

Spinolas Vorstellungen sind nämlich die einer Ablösung der brutalen kolonialen Unterdrückung durch eine neokoloniales System der Ausbeutung, das das Geschäft der Unterdrückung einer Kompradorenbourgeoisie überträgt (nicht von ungefähr ist dieser Begriff der "Zwischenhändler-Bourgeoisie" in der portugiesischen Kolonialgeschichte entstanden). Es bleibt abzuwarten, welche der von den Befreiungsbewegungen zum Kolonialismus übergelaufenen Gruppen der General demnächst aus der Tasche zaubern wird, um mit ihnen über eine "begrenzte Autonomie" zu verhandeln.

Die Befreiungsbewegungen haben daher auch eine Verstärkung ihres Kampfes angekündigt und die Aufgabe der Antiimperialisten in unserem Lande ist es, diesen Kampf um wirkliche Unabhängigkeit und Freiheit noch mehr als bisher zu unterstützen.

Wer ist General Spinola?

Der Werdegang dieses Mannes macht ihn über den Verdacht, Demokrat zu sein, erhaben. Offizier seit 1933 kämpfte er im spanischen Bürgerkrieg auf Seiten der Faschisten in der Portugiesischen Legion. Im Zweiten Weltkrieg war er als "Beobachter" in der Armee der Nazifaschisten und war mehrmals in der besetzten Sowjetunion.

1961, bei Ausbruch der Aufstände in Angola, meldete er sich freiwillig dorthin. 1968 wurde er Oberbefehlshaber in Guinea-Bissao und versuchte dort bereits eine Politik der Afrikanisierung des Krieges, indem er Regimenter afrikanischer Söldner gegen die Befreiungsstreitkräfte aufstellte und auf politischem Gebiet versuchte, mit einigen Scheinreformen und begrenzten Autonomiebestrebungen derUnabhängigkeitsbewegung die Spitze abzubrechen.

1973 kam er wegen dieser "Verdienste' in den Generalstab.

Spinolas Schwierigkeit ist folgende: er vertritt die Interessen des Teils der Bourgeoisie, die den aufwendigen Krieg beenden möchte,, ohne auf die Reichtümer der Kolonien zu verzichten. Dem stehen gegenüber die Interessen der "Ultramar"-Fraktion, derjenigen, die Besitzungen in den Kolonien haben und der Militärs, die nicht einmal begrenzte Autonomie oder ein - wie auch immer eingeschränktes - Mitspracherecht der Afrikaner wollen.

Um diese Gruppe auszuschalten, bzw. auch, um einer vollständigen Machtergreifung durch diese Gruppe zuvorzukommen, mußte er zulassen, daß die Volksmassen sich das demokratische Recht der Demonstrationsfreiheit nahmen und er mußte die Stützen der alten Kolonialisten zerschlagen, wie z. B. die Geheimpolizei und die Republikanische Garde. Damit aber hat er zwangsläufig eine Bewegung ausgelöst, die leicht seiner Kontrolle entgleiten kann.

Die reaktionäre Neue Zürcher Zeitung stellt deshalb auch besorgt fest: "Daß diese Entwicklung mit Gefahren verbunden ist, liegt auf der Hand. Das für so lange Zeit autoritär regierte Land könnte in ein Chaos versinken, wenn die autoritären Zügel allzu abrupt gelockert würden."

Welche "Gefahren" gemeint sind, konnte man in den ersten Fernsehberichten aus Portugal sehen: Menschen mit roten Fahnen, Transparente mit Hammer und Sichel, der Gesang der -Internationale auf den Straß ßen und bei Massenkundgebungen in der Universität, ohne daß die Soldaten eingriffen.

Das neue Regime ist aber in der Zwickmühle. Es braucht die mobilisierten Massen noch, denn die Gefahr eines Gegenputsches ist nicht auszuschließen - und dann wären die Hoffnungen der EWG-orientierten portugiesischen Bourgeoisie auf lange Zeit dahin. Bürgerliche Beobachter befürchten z. B. einen Putsch der in Mozambique konzentrierten reaktionären Militärs zusammen mit den an der Beibehaltung des alten Kolonialsystems interessierten Siedlern und damit eine vergleichbare Situation wie in Spanien 1936, als die bürgerliche Republik auch von faschistischen Truppen aus den Kolonien her angegriffen wurde.

Es ist sicherlich positiv, daß die neue Junta - wenn auch nicht im Interesse der portugiesischen und afrikanischen Volksmassen - demokratische Freiheiten wieder einsetzt, wenn die oppositionellen und revolutionären Kräfte nicht mehr unter faschistischem Terror arbeiten müssen, aber es wird nur eine Frage der Zeit sein, und spätestens wenn sich die EWG-Kapitalisten fest im Sattel glauben, werden sie versuchen, diese Volksbewegung für die Demokratie wieder abzuwürgen.

Für die revolutionären Kräfte kann diese - durch Auseinandersetzungen in der Bourgeoisie entstandene - Atempause nur bedeuten, sie zur Organisierung der Volksmassen zu nutzen, das portugiesische Volk auf den Kampf für den Sozialismus vorzubereiten.

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