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Editorial

Mythen & Hoffungen

von Karl-Heinz Schubert
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In ihren Erinnerungen an die portugiesische Revolution schreibt 1994 die 68er SDS-Aktivistin Ines Lehmann, die vom Ausbruch der Revolution 1974 bis 1982 in Portugal lebte: "In dieser mehr oder weniger langen Zwischenzeit über eine gescheiterte Revolution zu schreiben, ist nicht leicht."

War die "Nelkenrevolution" wirklich gescheitert? Oder scheiterten nur unsere Hoffnungen, daß man  in einem westeuropäischen Land durch eine Revolution zum Kommunismus kommen könnte? Eigentlich dürfte es eher einfach sein, über einen historischen Vorgang zu schreiben, der als abgeschlossen gilt. Wo liegen dann die Schwierigkeiten? 

Ich denke sie liegen in unseren Köpfen? Der Mythos, der von Oktoberrevolution ausging, wirkte gleichsam als Wahrnehmungsschranke gegen die Wirklichkeit. Im Verlaufe der portugiesischen Revolution entschieden sich nämlich die "Volksmassen" gegen diesen Mythos. Zumindest das portugiesische Industrieproletariat und die neu entstehenden Mittelschichten votierten in Gestalt der sozialdemokratischen PS für den bürgerlich-kapitalistischen Weg, welcher sich schlußendlich durchsetzte. Die Kommunistische Partei, die durch ihren konsequenten und militanten Widerstand gegen den Caetano-Faschismus, unmittelbar nach dem 25.April 1974  über Klassen und Schichten hinweg ein hohes Ansehen in der portugiesischen Bevölkerung genoß, verlor dieses Ansehen im reziproken Verhältnis zu der Vehemenz, wie sie das Modell des sowjetischen Sozialismus propagierte. Selbst linke Splittergruppen, die sich sich bewußt vom sowjetischen Gesellschaftsmodell abgrenzten, hatten dem Sog hin zur bürgerlich-kapitalistischen Welt nicht entgegen zu setzen.

In etwa ähnlich verhielten sich die Werktätigen 1989 in der DDR. Als klar war, daß die SU weder willens noch in der Lage war, das zerbrechende sozialistische Lager zu restabilisieren, gab es für sie zum realsozialistischen Sozialismus nicht etwa den "Sozialismus mit menschlichen Antlitz" als Alternative, sondern nur noch die bürgerlich-kapitalistische Gesellschaft.

Unter der Hegemonie eines Geschichtsverständnis, wo im Kapitalismus die Geschichte im Kreis zu laufen beginnt, erscheint im medial geformten Mainstream der Zusammenbruch der DDR im November 1989 tatsächlich als Vollzug jenes Kreislaufs; erscheint der Beitritt der DDR zur BRD als erfolgreiche Revolution.

Unsere Hoffnung auf eine menschenwürdige Gesellschaft, auf die Möglichkeit einer freien Assoziation freier ProduzentInnen scheint durch beide historischen Ereignisse stark beschädigt. Dieser Beschädigung wollen wir durch Beschäftigung mit der "Nelkenrevolution" 1974 und mit der friedlichen "Revolution" in der DDR 1989 ein wenig entgegen wirken. Besonders die sogenannte "friedliche Revolution" des Jahres 1989 werden wir dahingehend untersuchen, welche konkrete Utopien für eine Gesellschaft jenseits des Kapitalismus sich zwischen November 1989 und den  Volkskammerwahlen im Frühjahr 1990 ausbildeten Entsprechende Texte werden wir mit sogenannten Zeitzeugen wieder aufzufinden suchen, um sie hier im Internet für linke&radikale Zusammenhänge bereitzustellen.

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