Die Stufenfolge der Verkehrung
von Subjekt und Objekt oder: Die Logik des Kapitals und
die Logik des Alltagsbewußtseins |
Zur Theorie des bürgerlichen Individuums
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Marx' Rekonstruktion des Konkreten beginnt mit der Analyse des "Kapitals im
allgemeinen", d.h. unter einstweiliger Abstraktion von den "vielen
Kapitalen". Es geht ihm dämm, das beherrschende Verhältnis der bürgerlichen
Gesellschaft zunächst in seiner reinen Gestalt und somit unter Außerachtlassung sowohl der Einwirkung des
Kapitals auf die vorkapitalistischen Verhältnisse, als auch unter Absehung
von den Kategorien der Konkurrenz (etwa: Preis, Angebot-Nachfrage, Faktorentheorie) zu
entwickeln. Von einzelnen Einstreuungen abgesehen, handeln deshalb die ersten beiden Bände des "Kapitals" nur vom "Kapital
im allgemeinen", weshalb dort auch immer
angenommen wird, daß sich alle Waren zu
ihren Werten verkaufen. Um die Erscheinungsformen erfassen zu können, muß zunächst das, was in ihnen erscheint, untersucht werden und dazu muß vom "Kapital
im allgemeinen" ausgegangen werden.
Das Kapital unterscheidet sich vom einfachen Tauschwert bzw. vom Geld dadurch, daß
es sich durch fremde (Lohn-) Arbeit verwertet. Es ist dann der gesellschaftliche Gesamtmehrwert, der mittels
der Konkurrenz nach bestimmten Gesetzen verteilt wird. Die Entstehung dieses Gesamtmehrwertes
kann also nur vor der Analyse der Konkurrenz rekonstruiert werden.
Nur unter der Voraussetzung der Lohnarbeit kann auch jede bestimmte Wert-
bzw.
Geldsumme zu Kapital werden, das dann
seinerseits nur Bruchstück des gesellschaftlichen Gesamtkapitals ist. Der reelle
Charakter des "Kapitals im allgemeinen" tritt
zwar erst auf der Stufe des Aktienkapitals
sinnfällig zutage, er ist jedoch auf jeder Entwicklungsstufe des Begriffs
des Kapitals nachzuweisen. Überhaupt ist Marx' Unterscheidung vom Wesen und Erscheinung
nicht als eine Hierarchie von Strukturen (nicht als Strukturalismus!)
mißzuverstehen. Vielmehr legt er es darauf an, in allen Kategorien der politischen Ökonomie den
entwickelten Ausdruck dieser Kernstruktur
(wie auch ihrer historischen Dimension)
nachzuweisen (17). Mit anderen Worten:
der Bezug auf die Kemgestalt muß ausweisbar sein, wie vermittelt die Verhältnisse auf
der Oberfläche und im Alltagsbewußtsein
auch sein mögen.
Es ist nun deutlich geworden, warum Marx
vorerst von der Konkurrenz der vielen Kapitale absieht und warum er zunächst unterstellt, daß sich alle Waren zu ihrem Wert
verkaufen, daß der Arbeitslohn die Produktionskosten deckt, daß das Grundeigentum
noch nicht existiert etc.: Er will den Entstehungsprozeß des Mehrwerts "rein" herausarbeiten, um dann zu zeigen, wie es die
kapitalistische Logik selbst fertig bringt, den
Ursprung des Mehrwert systematisch zu
verdunkeln.
Ware und Geld:
Gesellschaftliche Macht im
praktischen Format
Die Stufenfolge der Verdunkelung der Natur
und der Entstehung des Wertes und des Mehrwertes beginnt nach Marx bereits
bei den einfachen Kategorien der Ware und des Geldes. In der bürgerlichen
Gesellschaft treten die Individuen vermittels der
Privatprodukte also Sachen in gesellschaftlichen Kontakt. Ihre Beziehungen erscheinen
ihnen deshalb nicht als gesellschaftliches Verhältnis kooperierender
Arbeiter, sondern als "sachliches" Verhältnis.
Der dem Privatarbeiter verborgene primärgesellschaftliche Charakter seiner Arbeit tritt
ihm als Naturaleigenschaft bzw. als Natureigenschaft eines Dings entgegen. Schon die
einfache Ware erweist sich offensichtlich als
"vertracktes Ding". Warum sie Wert "enthält", ist dem Alltagsbewußtsein
durchaus nicht zugänglich. Der gesellschaftliche Zusammenhang, der im Wert ausgedrückt ist,
liegt im Dunkeln. Ebenso "die Macht, die
jedes Individuum über die Tätigkeit der anderen oder über den
gesellschaftlichen Reichtum ausübt", sofern es Eigentümer von Geld ist. Das
einzelne Individuum "trägt seine gesellschaftliche Macht, wie seinen Zusammenhang mit der Gesellschaft, in
der Tasche mit sich." "Der Austausch als
vermittelt durch (...) das Geld setzt (...) die
allseitige Abhängigkeil der Produzenten
voneinander voraus, aber zugleich die völlige Isolierung ihrer
Privatinteressen (...) deren Einheit und wechselseitige Ergänzung
gleichsam als ein Naturverhältnis außer den
Individuen, unabhängig von ihnen, existiert." (18)
Vom Lohn bis zum Zins: Stufen
der Verdunkelung der Quellen
des Reichtums
Bei der Betrachtung der kapitalistischen
Produktion der Ware wird es noch geheimnisvoller. Verschiedene Verkehrungen ergeben sich schon durch die Lohnform. Zum
einen wird durch sie jede Spur der Teilung
des Arbeitstages in notwendige und Mehrarbeit, in bezahlte und unbezahlte Arbeit
ausgelöscht: alle Arbeit erscheint als bezahlte.
Schließlich führt diese Mystifikation durch
ihre selbstverständliche Wiederholung der Geldlohn sorgt dafür, daß der
Lohnarbeiter immer wieder als solcher auf dem Arbeitsmarkt erscheinen muß dazu, daß alle
Arbeit ihrer Natur nach als Lohnarbeit erscheint. Damit werden jedoch auch die
Arbeitsbedingungen der Lohnarbeit mit
ihrem stofflichen Dasein gleichgesetzt: Kapital zu sein erscheint als natürliche Form
der Arbeitsmittel usw. Zwar drängt sich der
wirkliche Zusammenhang vermittels des
körperdurchdringenden Herrschaftsverhältnisses in der unmittelbaren Produktion den
Trägem dieses Prozesses auf und noch jeder Kampf um den Normalarbeitstag enthält deshalb die Möglichkeit, daß richtige
Fragen gestellt werden, aber spätestens mit
der spezifisch kapitalistischen Produktionsweise des relativen Mehrwerts
wird wieder unklar, woraus der Mehrwert entspringt. Die Verkürzung des
notwendigen Arbeitstages durch Steigerung der Produktivkraft
der Arbeit läßt es so aussehen, als entspringe der Reichtum der Tätigkeit des
Kapitalisten, denn aus dessen Kombination des
Arbeiterkörpers und der Maschinerie scheinen die gesteigerten Produktivkräfte hervorzugehen: die Produktivkräfte der Arbeit
stellen sich als solche des Kapitals dar!
Der Gedanke, daß Arbeit und Natur die
Quellen des Reichtums sein könnten, muß
bereits fragwürdig oder bestenfalls als
ethischphilosophische Zutat wirken. Dem Zirkulationsprozeß des Kapitals
entspringen, weiterentwickelte Formen der Verdinglichung. Hier treten die Verhältnisse
der ursprünglichen Wert- und Mehrwertproduktion noch
stärker in den Hintergrund (19). Mehrwert und Wert, die in der
Zirkulation erst realisiert werden, scheinen
dort selbst zu entspringen, zumal hier die
Umschlagszeit und das Geschick des Kapitalisten beim Verkauf eine Rolle spielen.
Vom Standpunkt der Zirkulation unterscheiden sich alle Kapitalbestandteile
nur noch danach, wie schnell sie durch den Verkauf der Ware wieder als Geld
zurückkehren. Von diesem Standpunkt erscheint deshalb das in Arbeitslohn
ausgelegte Kapital in der der selben Rubrik wie die Hilfsstoffe und
Rohmaterialien (zirkulierendes Kapital) und im Gegensatz zu dem in
Arbeitsmitteln verausgabten (fixen) Kapitalteil. Wenn die Lebensmittel des Arbeiters (Arbeitslohn) und
die Rohmaterialien auf diese Weise gleichermaßen im Produkt wiedererscheinen
und wenn sich dieser Umstand offensichtlich den stofflich-natürlichen Eigenschaften dieser Kapitalteile verdankt, dann kann
der durch Verkauf rückverwandelte Wert
und Mehrwert nicht der Produktivkraft der
Arbeit entspringen, zumal ja dieser Akt der
Rückverwandlung vom Geschick des Kapitalisten abhängt (20). Mit der nächsten
Stufe in der Marxschen Entwicklung der systematischen Verdunkelung des Ursprungs
des Mehrwerts ist die Kategorie des Profits
erreicht. In der Form des Profits wird das
Ins-Verhältnis-Setzen des Mehrwerts zu
seiner Quelle endgültig unmöglich.
Durch die Verwandlung des Profits in
Durchschnittsprofit und der Werte in Produktionspreise und Marktpreise, sodann
durch den komplizierten Ausgleichsprozeß
der Kapitale, der die Preise von den jeweiligen Werten und die Profite von der
jeweiligen Ausbeutung lostrennt, ohne daß dabei
das innere Gesetz dieses Prozesses sichtbar ist. werden abermals höhere Stufen der
Verdinglichung erreicht (21). Im Falle der
erweiterten Reproduktion (Akkumulation)
wird außerdem der Profit in Kapital rückverwandelt und erscheint dann erst recht als
Quelle des (neuen) Kapitals, zumal es ja in
der Willkür des Kapitalisten zu liegen
scheint, ob und in welchem Umfang er den
Profit als Revenue oder als Kapital verwendet. Die Spaltung des Profits in
Unternehmergewinn und Zins und die Zahlung eines
Teils des Mehrwerts in Form der Grundrente vollenden die Verselbständigung der
Form des Mehrwerts, die "Verknöcherung" (Marx) seiner Form gegen seine Substanz. Das zinstragende Kapital ist die
fertige, entwickeltste Fetischgestalt des Kapitals: geldschaffendes Geld. Die "Entfremdung
und Verknöcherung der verschiedenen Teile des Mehrwerts gegeneinander" ist
nun auf die Spitze getrieben, "der innere
Zusammenhang endgültig zerrissen und
seine Quelle ' vollständig verschüttet..." (22). Mit dem vollendeten
Kapitalfetisch ist aber auch die spontane Vorstellung
von der kapitalistischen Produktionsweise
in ihrer Grundstruktur gegeben. Marx hat
das Zentrum dieser Vorstellung als die "trinitarische Form" bezeichnet,
"die alle Geheimnisse des gesellschaftlichen Produktionsprozesses
einbegreift." (23) In der Vorstellung, daß Kapital Profit oder gar Zins
bringt, Boden Grundrente abwirft und Arbeit Arbeitslohn verdient, "in dieser
ökonomischen Trinität als dem Zusammenhang
derBestandteile des Werts und des Reichtums überhaupt mit seinen Quellen"
ist die ganze Mystifikation der kapitalistischen Produktionsweise ausgesprochen: "die
verzauberte, verkehrte und auf den Kopf gestellte
Welt, wo Monsieur le Capital und Madame
la Terre als soziale Charaktere und zugleich
unmittelbar als bloße Dinge ihren Spuk treiben." (24) Aber dieser Schein ist real und
die entsprechenden Vorstellungen sind gesellschaftlich gültige, also objektive
Gedankenformen dieser Gesellschaftsformen.
Die Ebene der Konkurrenz als
Handlungsebene der bürgerlichen Individuen
Mit der trinitarischen Form kennen wir also
das "gewöhnliche" Bewußtsein der Produktionsagenten in seinem 'Idealen Durchschnitt". Wir kennen nicht den Inhalt des entwickelteren Bewußtseins und auch nicht
das gewöhnliche Bewußtsein derjenigen,
die nicht aus Arbeit, Kapital und Boden ihre
Revenue ziehen. Halten wir dieses Resultat
zunächst einmal fest und schauen noch
kurz, wie Marx die objektivstrukturelle Ebene der Konkurrenz ableitet.
Die Konkurrenz ist für Marx keine bloß abstrakte Konstruktion, die zum Verständnis
des Kapitalverhältnisses bloß theoretisch
konstruiert worden wäre, sondern sowohl
eine vom Kapital selbst hervorgebrachte
Verwirklichungsbedingung als auch zugleich die Handlungsebene der bürgerlichen Individuen, die sich im praktischen
Konkurrieren ihre Vorstellungen bilden und
denen gegenüber die Konkurrenz etwas
"zeigt" oder "verbirgt". Grundlage der
Konkurrenz ist die Differenz zwischen dem
Wert und dem Kostpreis einer Ware.
Da mit der Kategorie des Kostpreises der
Unterschied zwischen Lohnausgaben und
"Materialausgaben" beseitigt ist, haben
gleich große Kapitale unabhängig von
ihrer organischen Zusammensetzung gleich große Kostpreise. "Diese Gleichheit
der Kostpreise bildet die Basis der Konkurrenz." (25) Dies ist also der Punkt, an dem
Marx die Konkurrenz der Kapitale und zugleich ein strukturbestimmendes Moment
der idealen Oberfläche der bürgerlichen
Gesellschaft (im Unterschied zur VWL, die von der Konkurrenz immer ausgeht!)
aus der "Kernstruktur" abgeleitet hat. Das Wertgesetz reguliert als Grundgesetz die
kapitalistische Konkurrenz, jedoch über die spezifische Vermittlungsform der
Preisbewegung, und es scheint sogar durch letztere
aufgelöst zu sein. Dies ist jedoch die charakteristische Form, in der sich das
Wertgesetz, d.h. die immanenten Gesetze der kapitalistischen Produktionsweise widerspruchsvoll realisieren. Es ist die Form, in
der sich die Gesellschaftlichkeit der Produktion in eine Produktionsweise
vermittelt, in der die Gesellschaftlichkeit der Arbeit nicht unmittelbar
gegeben ist, sondern nur über die Beziehung der Arbeitsprodukte aufeinander. "Der einzelne wirkt hier nur als Teil
einer gesellschaftlichen Macht, als Atom
der Masse, und es ist in dieser Form, daß
die Konkurrenz den gesellschaftlichen Charakter der Produktion und
Konsumtion geltend macht." (26) Obwohl also Konsumtion und Produktion von
vornherein gesellschaftlich sind, so zeigt sich dies erst in der
Konkurrenz. Dort aber sind die wesentlichen Formbestimmungen ausgelöscht. Es
treten sich nicht Klassen gegenüber, sondern Produzenten und Konsumenten. Diese, die Kerngestalt verhüllenden Verhältnisse der Oberfläche, die Konkurrenz, sind der
schon erwähnte strukturbestimmende Teil
der komplexen Verhältnisse, in welchem
die bürgerlichen Individuen praktisch verkehren. Ihre Deutungsmuster und ihre
Sinngebung werden vom Schein der Konkurrenz vorstrukturiert. Die Durchbrechung
dieses Scheins ist nur wissenschaftlich oder aber durch eine praktische
Umwälzung der Kernstruktur möglich, in
der die unmittelbare Gesellschaftlichkeit
der Arbeit hergestellt wird. Daß sich der
praktische Umgang der bürgerlichen Individuen nicht auf die verkehrten Formen der
Konkurrenz reduziert, daß ihr Bewußtsein
vielmehr noch "zahllos verschiedene Umstände, Naturbedingungen,
Racenverhältnisse, von außen wirkende geschichtliche
Einflüsse usw." zum Gegenstand hat, darauf wurde wiederholt hingewiesen. Das
menschliche Bewußtsein ist kein Photoapparat. der die Verhältnisse nur passiv "widerspiegelt":
Die Widersprüchlichkeit der Verhältnisse und die menschliche Fähigkeit zum
Erkennen, Handeln und Erleben, zum absichtsvollen Vorgriff auf die Zukunft
wie zum Rückgriff auf die Vergangenheit, zur planvollen Zwecksetzung wie zur
Selbstreflexivität. ermöglichen die gedankliche
Verarbeitung des Vorgefundenen. Ob das
Resultat des "Durchdenkens" dann eine
pure Affirmation wird, indem sich die Leute
theoretisch auf den Standpunkt stellen, zu
dem sie sich praktisch gezwungen sehen
(also wollen, weil sie müssen) oder ob sie
eine partielle Erkenntnis der kapitalistischen Objektivität zur praktischen Kritik
ausbauen und dadurch erfahren, wie relativ all die "Notwendigkeiten" sind,
es handelt sich in jedem Fall um ihre Willensentscheidung. Die vielen Gründe
aber, die in verschiedenen Zeiten oder verschiedenen Ländern einmal zum Überwiegen der
Affirmation und ein anderes Mal zum Überwiegen der Kritik führen und führten,
müssen jeweils empirisch untersucht werden (27). Mit der trinitarischen Form hat
Marx den vollendeten Kapitalfetisch und
somit die grundlegenden Vorstellungen von
der kapitalistischen Produktionsweise erklärt. Er hat dazu gesagt, daß es
sich bei diesem Mystizismus, der die Kategorie des
Mehrwerts ganz verschwinden läßt, um gesellschaftlich gültige Gedankenformen
handelt, d.h. der Schein ist real oder mit anderen Worten: das verkehrte
Sein führt zu einem Bewußtsein, das real ist, wenn es auch verkehrt ist. Es
ist gesellschaftlich rational, nicht der Meinung zu sein, diese Gesellschaft
sei eine kapitalistische Klassengesellschaft auf der Basis der Aneignung fremder
Mehrarbeit. Mit dieser Erklärung des falschen Bewußtseins ist zugleich der Bezugspunkt jeder Kritik benannt: Sie hat
anzusetzen an der Kritik des Alltags und des Alltagsverstandes. Mit dem Nachweis, daß die
Konkurrenz die Gesetze des Kapitals nicht
etabliert, sondern sie nur exekutiert, daß sie diese Gesetze auf verwickelte
Weise "sehen läßt" und zugleich verbirgt, daß sie
letztlich als äußere Notwendigkeit setzt,
was der Natur des Kapitals entspricht, daß sie schließlich den
gesellschaftlichen Zusammenhang der bürgerlichen Individuen
als Zwang rekonstruiert, den der Druck
ihrer wechselseitigen Interessen auf sie ausübt, usw. mit allen diesen Erklärungen der
Konkurrenz hat Marx auch die Ebene charakterisiert, auf der sich die bürgerlichen
Menschen den falschen Schein tätig und
handelnd aneignen. Damit ist klar, daß
Marx das Alltagsbewußtsein nicht als Resultat einer passiven
"Widerspiegelung" objektiver Strukturen im Gehirn der Betrachter bestimmt, sondern als Resultat des
praktischen Alltagslebens.
Klasse" und Masse" -erste
Schlußfolgerungen
Wir sind nun das Marxsche"Kapital bis
zum Ende des dritten Bandes durchgegangen, um zu sehen, wie "nahe" die dort
entwickelten Kategorien an die heutigen Verhältnisse heranreichen, in denen sich offensichtlich eine (historisch neue) Figur ganz
Zuhause fühlt, die wir in erster Annäherung
als klassenunspezifisches, atomisiertes
"schillerndes Individuum" bezeichnet haben. Der dritte Band des "Kapital" endet
mit dem nur wenige Sätze enthaltendenden, unvollendeten 52. Kapitel "Die
Klassen". Wir wissen aber bereits, daß Marx
noch im "Kapital" selbst davon ausgeht,
daß auf der Oberfläche der bürgerlichen
Gesellschaft Klassen nicht sichtbar sind.
Auf der Oberfläche erscheinen also nicht nur
deshalb nicht die Klassen, Proletariat und Bourgeoisie, weil es auch noch
weitere Personenrubriken auf Basis sekundärer
Revenuequellen gibt, (alle "Mittelklassen",weil also die innere (objektive)
Gliederung der bürgerlichen Gesellschaft
"kompliziert" ist, oder weil beispielsweise
durch die Ausdehnung der Lohnform auf alle nichtselbständigen Tätigkeiten
den produktiven Arbeiter unsichtbar macht usw.
Dies sind Probleme der Analyse der ökonomischen Anatomie objektiver Klassen.
Genau an diesem Punkt vollzieht sich ja häufig ein folgenschwerer Irrtum, an
dessen Ende man auf der einen Seite die objektiven Klassen herauspräpariert hat und auf der
anderen Seite plötzlich eine "subjektive Klassenlage" feststellen muß. Durch diese
Vorstellung einer Diskrepanz zwischen "Klasse an
sich" und "Klasse für sich" eröffnet sich ein
weites Feld für Bewußtseinserforschungen,
politische Strategien etc., die alle darauf abzielen, diese "Kluft" zu schließen. Nun hat
Marx aber auf verschiedene Weise zu zeigen versucht, daß die objektive Analyse
nicht bei den Klassen endet, sondern beim
persönlichen Individuum, so daß sich der oben genannte Gegensatz von selbst
erledigt. Der Kapitalismus selbst ist es, der die
Klassen zuerst hervorbringt, sie jedochsofort wieder unsichtbar macht und
stattdessen das persönliche Individuum, die Käufer-Verkäufer-Figur als exklusiver Teil
einer Masse hervorbringt. Die Klassen sind
damit wie noch gezeigt werden soll keine pure theoretische Konstruktion. Das
Klassenindividuum ist im persönlichen Individuum sowohl scheinbar ausgelöscht als
auch als ein Moment in demselben enthalten. Ob es jedoch wünschenswert ist, daß
die bürgerlichen Individuen lernen, sich
entsprechend wissenschaftlicher Kriterien
der einen oder anderen objektiven Klasse
zuzuordnen, ob sie lernen sollen, ihre
"Interessen" auf die idealen, charaktermaskenartigen Interessen
dieser Klassen zu reduzieren und in diesem Sinne "klassenbewußt" zu werden, das kann bezweifelt werden, und es kann auch bezweifelt werden, daß es ein solches Klassenbewußtsein
jemals gab. Es stellt sich vielmehr die Frage,
ob es sich bei den politischen Bewegungen, die sich selbst als klassenbewußte
Bewegungen verstanden und diese Behauptung nur aufrechterhalten konnten, weil sie
sich selbst in exakt abgrenzbare Teile zerlegten, die dann als miteinander im
"Bündnis" stehend, gedanktich wieder zusammengefügt wurden (z. B.
der Intellektuelle kämpft "an der Seite" der Arbeiter usw.) überhaupt um solche handeln
konnte. E. P.Thompsons in einem etwas anderen Zusammenhang benutzte Wendung
vom "Klassenkampf ohne Klassen" und Balibars Konstruktion, nach der die Arbeiterklasse
kein Subjekt ist, aber es Massenbewegungen geben kann, die "wie ein Subjekt" bzw. "wie ein Proletariat" handeln,
diese beiden Interpretationen kommen
m.E. den Tatsachen etwas näher (28). Es ist
immerhin denkbar, daß es eine Massenbewegung gibt, deren Kern aus "radikalgewerkschaftlich" orientierten
Industriearbeitern besteht, die wegen ihrer Radikalität mit
dem politischen Staat zusammenstoßen
und deshalb ihre Lohnarbeiterinteressen
nur in politisierender Weise weiterverfolgen können.
Wenn hinzukommt, daß diese Arbeiter zu
einem bestimmten Zeitpunkt nur in geringem Maße an der bürgerlichen Zivilisation
teilnehmen was sich z. B. kulturell als Mischung aus separater politischer
"Arbeiterkultur' und bürgerlicher Trivialkultur niederschlägt und wenn sie darüber hinaus aus
historischen Gründen noch nicht lange und
deshalb noch nicht vollständig in die staatsbürgerliche Sphäre integriert sind (obwohl
sie das wünschen mögen), wenn sie es daher noch nicht für selbstverständlich
halten, ihren "Privatstand von sich abzutun" und sich in ihre "pure, blanke
Individualität" zurückziehen (29), dann kann es sein, daß sie
ihre "Marktinteressen" (Verkauf der Arbeitskraft) als ihre zentralen Interessen
wahrnehmen und sich dazu der Terminologie einer Klassenanalyse bedienen, die
innerhalb ihres wissenschaftlichen Zusammenhangs nur die Bedeutung einer
ersten Annäherung an die weitaus komplexere Totalität
hat. In diesem Fall würde ein Moment der
gesellschaftlichen Realität zweifellos ein
zentrales Moment aus politischen Gründen zum wichtigsten, wenn nicht sogar
zum allein wichtigen erklärt, und der diesem Moment entsprechende theoretische
Ausdruck würde aus dem Zusammenhang
der Theorie herausgelöst, verabsolutiert,
ideologisiert und für diesen Kampf instrumentalisiert. An dieser Stelle muß
nochmals betont werden, daß die Lohnform gerade keine Gewähr für eine "symmetrische" Gegenüberstellung von Arbeiterklasse und Kapitalistenklasse gibt, weil im
Kapitalismus alle Arbeit als Lohnarbeit erscheint und da sämtliche
nicht-selbständigen Tätigkeiten gegen Lohn verrichtet werden. Die Verallgemeinerung der Revenueform Lohn verdeckt ja gerade, daß
sich dahinter ganz verschiedene "soziale
Klassen" Handarbeiter, Kopfarbeiter,
Dienstpersonal, "Angestellte", "Manager"
etc. verbergen. Die unmittelbare Anrufung der Klassentheorie zum Kronzeugen
und Leitfaden des Kampfes der "Lohnabhängigen" muß deshalb ideologischen
Charakter annehmen. Diese Berufung und ihre
Institutionalisierung in der Parteiform und
der Parteistrategie zwingt deshalb von Anfang an dazu, alle weiteren
Bestimmungen auszuklammern oder als Nebensächlichkeit abzutun. Auf diese weiteren
Bestimmungen soll unten noch genauer eingegangen werden. Hier sei nur soviel gesagt,
daß die "Interessen" der "Lohnabhängigen" nicht einheitlich sind. Sie sind es auch
nicht, wenn man den Begriff des Proletariats enger faßt und dies nicht nur, weil in
solchen Zusammenschlüssen die Konkurrenz immer nur temporär zurückgestellt
werden kann. Wichtiger als dies ist jedoch
der Umstand, daß die Lohnarbeit immer
nur Mittel zum "wirklichen Leben" ist, das
sich vorzugsweise in einer Institution abspielt, die wie so vieles älter ist als der
Kapitalismus: die Familie. Und: In dieser
Sphäre der "Nicht-Arbeit" (und auch des
Staatsbürgerdaseins!) ist jedes bürgerliche
Individuum dem anderen formal gleichgestellt, kann seine Revenue so oder so,
auf jeden Fall in eigener Regie, verzehren. Das Ausklammern dieser real
existierenden Momente der alltäglichen Totalität des individuellen Horizonts in der Ideologie des
"Klassenkampfes" muß unter bestimmten
Bedingungen zersetzende Auswirkung auf
die als "Klassenkampf" verstandenen gesellschaftlichen Auseinandersetzungen haben. Der ganze Kampf der revolutionären
Massenbewegungen seit der Jahrhundertwende gegen Reformismus und Revisionismus und ebenso die verzweifelten Versuche, die Auflösung der "Arbeiterkultur"
zu stoppen, haben in diesem Widerspruch
m.E. eine entscheidende Quelle. Es wäre
aber sicherlich falsch, auf diese Weise alle
Niederlagen erklären zu wollen: Auch die
zutreffendsten Strategien stoßen auf ihre
Gegner und deshalb wäre es reine Spekulation, wollte man z. B. die Niederlagen der
revolutionär-sozialistischen Bewegungen
allein aus ihren eigenen Fehlern begründen. Obwohl es banal ist, soll auch hinzugefügt werden, daß
die im nachhinein als ideologisch erkannten Formen, in denen sich die
Kämpfenden über ihre Lage klar zu werden versuchten, an den Gründen und der
"Berechtigung" dieser Kämpfe nichts ändern können. Wir haben hier auf verschiedene, erst in den kommenden
Kapiteln zu entwickelnde Kategorien vorgegriffen, weil die Unterscheidung
zwischen "Klasse" und "Masse" sonst, schwerer zu beurteilen gewesen wäre.
Diese Unterscheidung stand von Anbeginn im Zentrum
bestimmter praktischer Probleme und erhielt vor allem dadurch ihre Popularität.
In dem Marx'schen System der Kritik der
politischen Ökonomie wird rekonstruiert,
wie sich in der bürgerlichen Gesellschaft
aufgrund sozialer Existenzbedingungen bestimmte Grundmuster und grundlegende
Inhalte der "Weltanschauungen" ergeben: "Die Ökonomie handelt nicht von
Dingen, sondern von Verhältnissen
zwischen Personen und in letzter Instanz
zwischen Klassen; diese Verhältnisse sind
aber stets an Dinge gebunden und erscheinen als Dinge." (30) Was so von den
Marxschen Schriften überhaupt gilt, das trifft
insbesondere auf das siebte Kapitel des dritten Bandes des "Kapitals" zu, an dessen
Ende Marx nochmal seine zuvor getroffenen Aussagen über die "drei großen
Klassen" zusammenfassen wollte. Worum es
ihm geht, ist folgendes: Die Grundlage aller
Revenuen ist das Wertprodukt, d.h. das
durch die produktive Arbeit geschaffene
Nettoprodukt. Zieht man vom Nettoprodukt den Arbeitslohn der produktiven
Arbeiter ab, so erhält man das spezifische
Nettoprodukt des Kapitals, den Mehrwert.
Zieht man davon die Kosten für Kauf und
Verkauf, die wegzuzahlende Grundrente,
den Zins etc. ab, so erhält man den Profit.
Die Kritik der trinitarischcn Formel hat jedoch gezeigt, daß sich die
Herkunft von . Lohn, Profit und Grundrente (um nur die wichtigsten zu
nennen) auf der Oberfläche (und damit auch auf dem Markt) ganz anders
darstellen. Sie werden dort statt auf den Wert als ihre Quelle auf die besonderen stofflichen Produktionselemente
bezogen. Die Produktion des gesellschaftlichen Reichtums erscheint nun als
Resultat des harmonischen Zusammenwirkens der drei "Produktionsfaktoren".
Aber damit nicht genug: Diese "Faktoren" erscheinen nicht nur als gemeinsam
den "Wert" schaffend, sondern sie erscheinen auch als Formen der Distribution (31). Die spezifische
Form und Höhe, worin nun der Einzelne
am gesellschaftlichen Produkt partizipiert,
ist bei gegebenem Gesamtprodukt doppelt
determiniert: Erstens durch seine klassenmäßige Stellung im Reproduktionsprozeß
(Kapitalist, Lohnarbeiter etc.) und zweitens
durch das "zufällige" Verhältnis von Angebot
und Nachfrage am Markt (wo der Einzelne eben als Teil einer Masse auftritt). Zufällig ist das letztgenannte Verhältnis
insofern nicht, weil den Bedürfnissen, die hinter Nachfrage und Angebot
stehen, bestimmte "Kräfteverhäftnisse" von (deshalb notwendig
unterstellten) Klassen unterliegen. Diese -gewordenen Klassenkräfteverhältnisse sind unterschiedlich zu
erklären: Sie beruhen zum einen auf gesellschaftlicher Arbeitsteilung. Maucke hat
richtig bemerkt, daß diese nicht einseitig als
technisch-funktionale Beziehung gefaßt
werden darf (32). Einer spezifisch gegliederten Produktion entspricht eine spezifisch
gegliederte Verteilung. Die Verteilung der Produktionsinstrumente und der
Produkte, sowie die der Individuen auf die verschiedenen Arbeitsarten, zerfällt wiederum
in eine formelle Seite das Eigentum und eine inhaltliche Seite, die
besondere Tätigkeit. Hinsichtlich des Eigentums an Produktionsmitteln gibt es lediglich eine
dichotomischc Gliederung: Besitzende und Besitzlose. Unter den Bedingungen der Lohnarbeit
fällt diesen Eigentümern auch das Produkt zu. Hinsichtlich der besonderen
Tätigkeit existiert hingegen, je nach dem Ausmaß der Arbeitsteilung zwischen
Stadt und Land, zwischen den Industriebranchen etc. eine Vielzahl von Produktionsund Arbeitsarten. Auf dieser Grundlage und auf der Basis der Trennung von Hand-
und Kopfarbeit erheben sich die "beruflich" organisierten Tätigkeiten, einschließlich ihrer durch Aufsichtsund
Dispositionstätigkeiten gegebenen hierarchischen Struktur ("betriebliche
Arbeitsteilung") (33). Die gesellschaftliche Teilung
der Arbeit ist vermittelt durch den Austausch von Waren verschiedener Arbeitszweige,
der sich unter dem Druck wechselseitiger Interessen voneinander abhängiger (kapitalistischer) Warenproduzenten
herstellt. Das "Gravitationszentrum" dieses
Austausches ist die allgemeine Profitrate,
die sich infolge der unterschiedlichen Profitraten unterschiedlich zusammengesetzter
Branchenkapitale mittels der Konkurrenz
herstellt (34). Wie wir bereits wissen, ist der
Profit kleiner als der Wert der Waren, weil
Teile des Mehrwerts an verschiedene andere Personengruppen fallen, sei es,
weil dies die Eigentumsverhältnisse (z. B. Grundrente) verlangen, sei es Folge des
Zirkulationsprozesses (z. B. die Kommunikalionskosten). Im Zentrum des
Produktionsprozesses stehen Kapital und Lohnarbeit, aber
unter Einbezug des Gesamtprozesses differenziert sich die Betrachtung:
diejenigen, denen Teile des Mehrwerts zufallen, beschäftigen ihrerseits Dienstpersonal; die
Arbeiter bringen ihre Revenue zum Kaufmann, zum Friseur oder kaufen sich die
Werke von Kritikern (den "Ideologischen Klassen"); der Staat finanziert aus
den Zwangsabgaben sein Beamtenpersonal, aber auch Transferzahlungen an
Studenten und Sozialhilfeempfänger; die Versicherungen, Sportvereine, Kirchen usw.
kommen den Sicherheits sowie den sportlichen und religiösen Bedürfnissen mit
hauptberuflichen Arbeitskräften nach usw.
Mit anderen Worten: auf der Basis der primären Einkommen sieht man einmal von
den nichtkapitalistischen Eigentümern, z. B.
Bauern, ab erheben sich sekundäre, "abgeleitete" Einkommen (35). Die
ökonomische Existenzbedingung dieses ganzen
Gesellschaftsaufbaus beruht nach Marx auf
der Surplusarbeit, und das heißt: auf dem
Mehrprodukt und auf der Mehrarbeitszeit
der produktiven Lohnarbeiter des Kapitals.
Je größer deren Produktivkraft ist, desto differenzierter kann der Gesellschaftsaufbau
sein, den sie erhalten. Allerdings muß hier
eine wichtige Einschränkung gemacht werden und mit dieser kommen wir wieder zurück zum "Klassenkräfteverhältnis". Wenn
wir mit Marx sagen, daß alle bisherige Zivilisation auf dem Gegensatz von
notwendiger und Mehrarbeit beruht, so ist damit
noch nicht gesagt, wieviel von dieser Mehrarbeit sich die Arbeiter in Form von
Konsum und vor allem von freier Zeit selbst aneignen können, d.h. inwieweit sie an der
Zivilisation teilnehmen können. Die Antwort
ist denkbar einfach: Über ihren Anteil an
der gesellschaftlich verfügbaren freien Zeit
entscheiden die Arbeiter zunächst selbst
und zwar durch den Kampf um die Normierung der Arbeitszeit und der
Arbeitsbedingungen (36). In diesem Kampf befinden sich die Arbeiter
zweifellos in einem Widerspruch zu einer anderen Klasse. Ob sie diese Auseinandersetzung jedoch selbst als
"Klassenkampf" begreifen analytisch ist es
einer! und falls ja, ob sie dann auch das
gleiche meinen wie die wissenschaftliche
Analyse, das kann nur jeweils konkret beurteilt werden. Vor allem ist zu bedenken,
daß in der Realität nicht jede Verbesserung der Lage der Lohnarbeiter eine
Folge ihres Kampfes ist. In der Wirklichkeit des Weltmarktes kann es gerade
die relative Bravheit der Lohnarbeiter einer Nation sein, die
den Sozialstaat (der ja auch mittels Tarifrecht, Koalitionsrecht und
Sozialgesetzgebung die Kämpfe reglementiert und reguliert, z. T. sogar ersetzt) und das Kapital
mit Blick auf ausländische Auseinandersetzungen zu der "vernünftigen" Ansicht
kommen lassen, daß "zivilisierte" Arbeiter
die besseren Arbeiter sind. Hier spielen zudem die technischen Sachzwänge
der permanent modernisierten Maschinerie selbst
hinein: wenn die Ausbildung eines qualifizierten Facharbeiters bis zum 18.
Lebensjahr andauert und auch dann nie abgeschlossen ist, macht es wenig Sinn, wenn
dieser nur mit 40 Lebensjahren rechnen
kann oder aber nie das Alphabet lernt (37).
Eine Rolle spielt auch, daß jede Produktionsweise mit der Zeit "geregelte und
geordnete" Formen annehmen muß, wenn sie
unabhängig von "bloßem Zufall oder
Willkür" sein will (38). Was gezeigt werden
sollte ist, daß aus dem Verhältnis von Angebot und Nachfrage (Markt) absolut nichts
und insbesondere keine Klassen erklärt
werden können, bevor nicht die Basis entwickelt ist, auf der diese Verhältnisse
beruhen. Alte vordergründigen, "soziologischen" Klassenbestimmungen
ohne Bezugnahme auf das gesellschaftliche Mehrprodukt bleiben notwendig deskriptiv bzw.
schlecht-abstrakt. Die phantasievolle und
angeblich "konkrete" Einteilung der BRD-Bevölkerung in 2-3 Dutzend "Klassen" hat
weit weniger Substanz als das Marxsche
"dichotomische Modell". Wie gezeigt ist es
Marx nicht entgangen, daß es neben Lohnarbeitern und Kapitalisten noch
andere Personengruppen gibt. Er erklärt deren Existenz aus dem Mehrprodukt und seiner umkämpften Verteilung. Er behauptet aber
nicht, daß das, was die Analyse zeigt (und was es als Momente der Totalität
auch wirklich gibt), das gleiche ist, was die bürgerlichen Menschen über die Gliederung der
Gesellschaft denken. Im Gegenteil! Erzeigt,
daß sie diese Zusammenhänge zunächst
notwendig anders sehen müssen, und er
zeigt sogar, wie sie sie sehen müssen. Darüber hinaus sagt Marx auch noch, daß er mit
allcdom keineswegs die Gesamtheit von
Handlungsgegenständen, Handlungsfeldern und Handlungsmotivationen erfaßt hat
(von Staat, Kultur, Tradition etc. war bisher auch noch keine Rede), sondern
eben "nur" das Zentrum gesellschaftlicher Auseinandersetzungen, die ihrerseits eine Geschichte haben und sich wiederum in "Kräfteverhältnissen" (Institutionen. Gesetzen
etc.) materialisieren. Die politischen, moralischen, religiösen etc.
Auseinandersetzungen, die die Menschen im Kapitalismus
ausfochten, finden unter der Bedingung des
"Diebstahls an fremder Arbeitszeit" (39)
stall, aber deshalb sind die Kampagne gegen Asylanten, der Streit um die
Atompolitik und die Auseinandersetzung um die
"Neue Heimat" weder direkt noch immer
indirekt auf eine Klassenstruktur zurückführbar (40).
Anmerkungen (im Text in Klammern):
17) Marx 1974d. S. 521 u. ? 974a, S. 22 f, 210
18) Marx 1974a,S.74f
19) Marx1974bll,S.227ff
20) Marx 1974b III, S. 167f
21) ebd., S. 836
22) ebd., S. 838
23) ebd., S. 822
24) ebd., S. 838
25) ebd., S. 163
26) ebd., S. 203
27) vol. "Kursbuch" 82/1986: "Die
Therapiegesellschaft".
28) vgl. Thompson 1980.
29) vgl. Marx 1972a, S. 248f.
30) vgl. Engels Rezension von: "Karl Marx: Zur Kritik der politischen Ökonomie", in: MEW 13. S.
476.
31) vgl. Marx 1974b III, S. 884 ff.
32) vgl. Maucke 1970, S. 27.
33) ebenda
34) vgl. Marx 1974b 111,5. 172.
35) vgl. Marx 1974c 1, S. 122ff.
36) vgl. Marx 1974c III, S. 507; 1974a, S. 426.
37) vgl. Marx 1974b l, S. 509.
38) vgl. Marx 1974b III, S. 801.
39) siehe Marx 1974a, S. 593.
40) vgl. Heide Gerstenberger:
unveröffentlichtes
Manuskript zu "Stand und Klasse", Bremen 1986,
S. 14.
Editorische Anmerkungen
Der vorliegende Text erschien
in der Hannoveranischen Zeitschrift SPEZIAL links & radikal, Nr. 90,
1993, S. 28ff, OCR-Scan by red. trend
Die SPEZIAl-Säzzer schreiben in dieser Ausgabe als Anmerkung: Diese Anmerkungen enthalten lediglich vergleichende Quellenhinweise. Die
Liste mit den
vollständigen Anmerkungen des Autors schicken
wir auf Wunsch gerne zu.
Der für die SPEZIAL gekürzte Text von Günter
Jacob wurde unter dem Titel "Kapitalismus und
Lebenswelt" in der Nr.3 der linken Zeitschrift "17 Grad Celsius" abgedruckt.
Vorher ist bereits eine (andere) Kurzfassung unter dem Titel "Persönliches
Pech" in "Spex" 3/89 erschienen, die vom "ak", der "Volkszeitung" und in dem
Buch "Die Radikale Linke" (Konkret-Veriag)
nachgedruckt wurde.
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