Kapitalismus und Lebenswelt
Zur Theorie des bürgerlichen Individuums bei Marx  Teil 3

von Günter Jacob
04/05

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Die Stufenfolge der Verkehrung von Subjekt und Objekt oder: Die Logik des Kapitals und die Logik des Alltagsbewußtseins
Zur Theorie des bürgerlichen Individuums

Marx' Rekonstruktion des Konkreten beginnt mit der Analyse des "Kapitals im allgemeinen", d.h. unter einstweiliger Abstraktion von den "vielen Kapitalen". Es geht ihm dämm, das beherrschende Verhältnis der bürgerlichen Gesellschaft zunächst in seiner reinen Gestalt und somit unter Außerachtlassung sowohl der Einwirkung des Kapitals auf die vorkapitalistischen Verhältnisse, als auch unter Absehung von den Kategorien der Konkurrenz (etwa: Preis, Angebot-Nachfrage, Faktorentheorie) zu entwickeln. Von einzelnen Einstreuungen abgesehen, handeln deshalb die ersten beiden Bände des "Kapitals" nur vom "Kapital im allgemeinen", weshalb dort auch immer angenommen wird, daß sich alle Waren zu ihren Werten verkaufen. Um die Erscheinungsformen erfassen zu können, muß zunächst das, was in ihnen erscheint, untersucht werden und dazu muß vom "Kapital im allgemeinen" ausgegangen werden.  

Das Kapital unterscheidet sich vom einfachen Tauschwert bzw. vom Geld dadurch, daß es sich durch fremde (Lohn-) Arbeit verwertet. Es ist dann der gesellschaftliche Gesamtmehrwert, der mittels der Konkurrenz nach bestimmten Gesetzen verteilt wird. Die Entstehung dieses Gesamtmehrwertes kann also nur vor der Analyse der Konkurrenz rekonstruiert werden. Nur unter der Voraussetzung der Lohnarbeit kann auch jede bestimmte Wert- bzw. Geldsumme zu Kapital werden, das dann seinerseits nur Bruchstück des gesellschaftlichen Gesamtkapitals ist. Der reelle Charakter des "Kapitals im allgemeinen" tritt zwar erst auf der Stufe des Aktienkapitals sinnfällig zutage, er ist jedoch auf jeder Entwicklungsstufe des Begriffs des Kapitals nachzuweisen. Überhaupt ist Marx' Unterscheidung vom Wesen und Erscheinung nicht als eine Hierarchie von Strukturen (nicht als Strukturalismus!) mißzuverstehen. Vielmehr legt er es darauf an, in allen Kategorien der politischen Ökonomie den entwickelten Ausdruck dieser Kernstruktur (wie auch ihrer historischen Dimension) nachzuweisen (17). Mit anderen Worten: der Bezug auf die Kemgestalt muß ausweisbar sein, wie vermittelt die Verhältnisse auf der Oberfläche und im Alltagsbewußtsein auch sein mögen.  

Es ist nun deutlich geworden, warum Marx vorerst von der Konkurrenz der vielen Kapitale absieht und warum er zunächst unterstellt, daß sich alle Waren zu ihrem Wert verkaufen, daß der Arbeitslohn die Produktionskosten deckt, daß das Grundeigentum noch nicht existiert etc.: Er will den Entstehungsprozeß des Mehrwerts "rein" herausarbeiten, um dann zu zeigen, wie es die kapitalistische Logik selbst fertig bringt, den Ursprung des Mehrwert systematisch zu verdunkeln.

Ware und Geld: Gesellschaftliche Macht im praktischen Format  

Die Stufenfolge der Verdunkelung der Natur und der Entstehung des Wertes und des Mehrwertes beginnt nach Marx bereits bei den einfachen Kategorien der Ware und des Geldes. In der bürgerlichen Gesellschaft treten die Individuen vermittels der Privatprodukte also Sachen in gesellschaftlichen Kontakt. Ihre Beziehungen erscheinen ihnen deshalb nicht als gesellschaftliches Verhältnis kooperierender Arbeiter, sondern als "sachliches" Verhältnis.  

Der dem Privatarbeiter verborgene primärgesellschaftliche Charakter seiner Arbeit tritt ihm als Naturaleigenschaft bzw. als Natureigenschaft eines Dings entgegen. Schon die einfache Ware erweist sich offensichtlich als "vertracktes Ding". Warum sie Wert "enthält", ist dem Alltagsbewußtsein durchaus nicht zugänglich. Der gesellschaftliche Zusammenhang, der im Wert ausgedrückt ist, liegt im Dunkeln. Ebenso "die Macht, die jedes Individuum über die Tätigkeit der anderen oder über den gesellschaftlichen Reichtum ausübt", sofern es Eigentümer von Geld ist. Das einzelne Individuum "trägt seine gesellschaftliche Macht, wie seinen Zusammenhang mit der Gesellschaft, in der Tasche mit sich." "Der Austausch als vermittelt durch (...) das Geld setzt (...) die allseitige Abhängigkeil der Produzenten voneinander voraus, aber zugleich die völlige Isolierung ihrer Privatinteressen (...) deren Einheit und wechselseitige Ergänzung gleichsam als ein Naturverhältnis außer den Individuen, unabhängig von ihnen, existiert." (18)  

Vom Lohn bis zum Zins: Stufen der Verdunkelung der Quellen des Reichtums  

Bei der Betrachtung der kapitalistischen Produktion der Ware wird es noch geheimnisvoller. Verschiedene Verkehrungen ergeben sich schon durch die Lohnform. Zum einen wird durch sie jede Spur der Teilung des Arbeitstages in notwendige und Mehrarbeit, in bezahlte und unbezahlte Arbeit ausgelöscht: alle Arbeit erscheint als bezahlte.  

Schließlich führt diese Mystifikation durch ihre selbstverständliche Wiederholung der Geldlohn sorgt dafür, daß der Lohnarbeiter immer wieder als solcher auf dem Arbeitsmarkt erscheinen muß dazu, daß alle Arbeit ihrer Natur nach als Lohnarbeit erscheint. Damit werden jedoch auch die Arbeitsbedingungen der Lohnarbeit mit ihrem stofflichen Dasein gleichgesetzt: Kapital zu sein erscheint als natürliche Form der Arbeitsmittel usw. Zwar drängt sich der wirkliche Zusammenhang vermittels des körperdurchdringenden Herrschaftsverhältnisses in der unmittelbaren Produktion den Trägem dieses Prozesses auf und noch jeder Kampf um den Normalarbeitstag enthält deshalb die Möglichkeit, daß richtige Fragen gestellt werden, aber spätestens mit der spezifisch kapitalistischen Produktionsweise des relativen Mehrwerts wird wieder unklar, woraus der Mehrwert entspringt. Die Verkürzung des notwendigen Arbeitstages durch Steigerung der Produktivkraft der Arbeit läßt es so aussehen, als entspringe der Reichtum der Tätigkeit des Kapitalisten, denn aus dessen Kombination des Arbeiterkörpers und der Maschinerie scheinen die gesteigerten Produktivkräfte hervorzugehen: die Produktivkräfte der Arbeit stellen sich als solche des Kapitals dar! Der Gedanke, daß Arbeit und Natur die Quellen des Reichtums sein könnten, muß bereits fragwürdig oder bestenfalls als ethischphilosophische Zutat wirken. Dem Zirkulationsprozeß des Kapitals entspringen, weiterentwickelte Formen der Verdinglichung. Hier treten die Verhältnisse der ursprünglichen Wert- und Mehrwertproduktion noch stärker in den Hintergrund (19). Mehrwert und Wert, die in der Zirkulation erst realisiert werden, scheinen dort selbst zu entspringen, zumal hier die Umschlagszeit und das Geschick des Kapitalisten beim Verkauf eine Rolle spielen. Vom Standpunkt der Zirkulation unterscheiden sich alle Kapitalbestandteile nur noch danach, wie schnell sie durch den Verkauf der Ware wieder als Geld zurückkehren. Von diesem Standpunkt erscheint deshalb das in Arbeitslohn ausgelegte Kapital in der der selben Rubrik wie die Hilfsstoffe und Rohmaterialien (zirkulierendes Kapital) und im Gegensatz zu dem in Arbeitsmitteln verausgabten (fixen) Kapitalteil. Wenn die Lebensmittel des Arbeiters (Arbeitslohn) und die Rohmaterialien auf diese Weise gleichermaßen im Produkt wiedererscheinen und wenn sich dieser Umstand offensichtlich den stofflich-natürlichen Eigenschaften dieser Kapitalteile verdankt, dann kann der durch Verkauf rückverwandelte Wert und Mehrwert nicht der Produktivkraft der Arbeit entspringen, zumal ja dieser Akt der Rückverwandlung vom Geschick des Kapitalisten abhängt (20). Mit der nächsten Stufe in der Marxschen Entwicklung der systematischen Verdunkelung des Ursprungs des Mehrwerts ist die Kategorie des Profits erreicht. In der Form des Profits wird das Ins-Verhältnis-Setzen des Mehrwerts zu seiner Quelle endgültig unmöglich.  

Durch die Verwandlung des Profits in Durchschnittsprofit und der Werte in Produktionspreise und Marktpreise, sodann durch den komplizierten Ausgleichsprozeß der Kapitale, der die Preise von den jeweiligen Werten und die Profite von der jeweiligen Ausbeutung lostrennt, ohne daß dabei das innere Gesetz dieses Prozesses sichtbar ist. werden abermals höhere Stufen der Verdinglichung erreicht (21). Im Falle der erweiterten Reproduktion (Akkumulation) wird außerdem der Profit in Kapital rückverwandelt und erscheint dann erst recht als Quelle des (neuen) Kapitals, zumal es ja in der Willkür des Kapitalisten zu liegen scheint, ob und in welchem Umfang er den Profit als Revenue oder als Kapital verwendet. Die Spaltung des Profits in Unternehmergewinn und Zins und die Zahlung eines Teils des Mehrwerts in Form der Grundrente vollenden die Verselbständigung der Form des Mehrwerts, die "Verknöcherung" (Marx) seiner Form gegen seine Substanz. Das zinstragende Kapital ist die fertige, entwickeltste Fetischgestalt des Kapitals: geldschaffendes Geld. Die "Entfremdung und Verknöcherung der verschiedenen Teile des Mehrwerts gegeneinander" ist nun auf die Spitze getrieben, "der innere Zusammenhang endgültig zerrissen und seine Quelle ' vollständig verschüttet..." (22). Mit dem vollendeten Kapitalfetisch ist aber auch die spontane Vorstellung von der kapitalistischen Produktionsweise in ihrer Grundstruktur gegeben. Marx hat das Zentrum dieser Vorstellung als die "trinitarische Form" bezeichnet, "die alle Geheimnisse des gesellschaftlichen Produktionsprozesses einbegreift." (23) In der Vorstellung, daß Kapital Profit oder gar Zins bringt, Boden Grundrente abwirft und Arbeit Arbeitslohn verdient, "in dieser ökonomischen Trinität als dem Zusammenhang derBestandteile des Werts und des Reichtums überhaupt mit seinen Quellen" ist die ganze Mystifikation der kapitalistischen Produktionsweise ausgesprochen: "die verzauberte, verkehrte und auf den Kopf gestellte Welt, wo Monsieur le Capital und Madame la Terre als soziale Charaktere und zugleich unmittelbar als bloße Dinge ihren Spuk treiben." (24) Aber dieser Schein ist real und die entsprechenden Vorstellungen sind gesellschaftlich gültige, also objektive Gedankenformen dieser Gesellschaftsformen.  

Die Ebene der Konkurrenz als Handlungsebene der bürgerlichen Individuen  

Mit der trinitarischen Form kennen wir also das "gewöhnliche" Bewußtsein der Produktionsagenten in seinem 'Idealen Durchschnitt". Wir kennen nicht den Inhalt des entwickelteren Bewußtseins und auch nicht das gewöhnliche Bewußtsein derjenigen, die nicht aus Arbeit, Kapital und Boden ihre Revenue ziehen. Halten wir dieses Resultat zunächst einmal fest und schauen noch kurz, wie Marx die objektivstrukturelle Ebene der Konkurrenz ableitet.  

Die Konkurrenz ist für Marx keine bloß abstrakte Konstruktion, die zum Verständnis des Kapitalverhältnisses bloß theoretisch konstruiert worden wäre, sondern sowohl eine vom Kapital selbst hervorgebrachte Verwirklichungsbedingung als auch zugleich die Handlungsebene der bürgerlichen Individuen, die sich im praktischen Konkurrieren ihre Vorstellungen bilden und denen gegenüber die Konkurrenz etwas "zeigt" oder "verbirgt". Grundlage der Konkurrenz ist die Differenz zwischen dem Wert und dem Kostpreis einer Ware.  

Da mit der Kategorie des Kostpreises der Unterschied zwischen Lohnausgaben und "Materialausgaben" beseitigt ist, haben gleich große Kapitale unabhängig von ihrer organischen Zusammensetzung gleich große Kostpreise. "Diese Gleichheit der Kostpreise bildet die Basis der Konkurrenz." (25) Dies ist also der Punkt, an dem Marx die Konkurrenz der Kapitale und zugleich ein strukturbestimmendes Moment der idealen Oberfläche der bürgerlichen Gesellschaft (im Unterschied zur VWL, die von der Konkurrenz immer ausgeht!) aus der "Kernstruktur" abgeleitet hat. Das Wertgesetz reguliert als Grundgesetz die kapitalistische Konkurrenz, jedoch über die spezifische Vermittlungsform der Preisbewegung, und es scheint sogar durch letztere aufgelöst zu sein. Dies ist jedoch die charakteristische Form, in der sich das Wertgesetz, d.h. die immanenten Gesetze der kapitalistischen Produktionsweise widerspruchsvoll realisieren. Es ist die Form, in der sich die Gesellschaftlichkeit der Produktion in eine Produktionsweise vermittelt, in der die Gesellschaftlichkeit der Arbeit nicht unmittelbar gegeben ist, sondern nur über die Beziehung der Arbeitsprodukte aufeinander. "Der einzelne wirkt hier nur als Teil einer gesellschaftlichen Macht, als Atom der Masse, und es ist in dieser Form, daß die Konkurrenz den gesellschaftlichen Charakter der Produktion und Konsumtion geltend macht." (26) Obwohl also Konsumtion und Produktion von vornherein gesellschaftlich sind, so zeigt sich dies erst in der Konkurrenz. Dort aber sind die wesentlichen Formbestimmungen ausgelöscht. Es treten sich nicht Klassen gegenüber, sondern Produzenten und Konsumenten. Diese, die Kerngestalt verhüllenden Verhältnisse der Oberfläche, die Konkurrenz, sind der schon erwähnte strukturbestimmende Teil der komplexen Verhältnisse, in welchem die bürgerlichen Individuen praktisch verkehren. Ihre Deutungsmuster und ihre Sinngebung werden vom Schein der Konkurrenz vorstrukturiert. Die Durchbrechung dieses Scheins ist nur wissenschaftlich oder aber durch eine praktische Umwälzung der Kernstruktur möglich, in der die unmittelbare Gesellschaftlichkeit der Arbeit hergestellt wird. Daß sich der praktische Umgang der bürgerlichen Individuen nicht auf die verkehrten Formen der Konkurrenz reduziert, daß ihr Bewußtsein vielmehr noch "zahllos verschiedene Umstände, Naturbedingungen, Racenverhältnisse, von außen wirkende geschichtliche Einflüsse usw." zum Gegenstand hat, darauf wurde wiederholt hingewiesen. Das menschliche Bewußtsein ist kein Photoapparat. der die Verhältnisse nur passiv "widerspiegelt": Die Widersprüchlichkeit der Verhältnisse und die menschliche Fähigkeit zum Erkennen, Handeln und Erleben, zum absichtsvollen Vorgriff auf die Zukunft wie zum Rückgriff auf die Vergangenheit, zur planvollen Zwecksetzung wie zur Selbstreflexivität. ermöglichen die gedankliche Verarbeitung des Vorgefundenen. Ob das Resultat des "Durchdenkens" dann eine pure Affirmation wird, indem sich die Leute theoretisch auf den Standpunkt stellen, zu dem sie sich praktisch gezwungen sehen (also wollen, weil sie müssen) oder ob sie eine partielle Erkenntnis der kapitalistischen Objektivität zur praktischen Kritik ausbauen und dadurch erfahren, wie relativ all die "Notwendigkeiten" sind, es handelt sich in jedem Fall um ihre Willensentscheidung. Die vielen Gründe aber, die in verschiedenen Zeiten oder verschiedenen Ländern einmal zum Überwiegen der Affirmation und ein anderes Mal zum Überwiegen der Kritik führen und führten, müssen jeweils empirisch untersucht werden (27). Mit der trinitarischen Form hat Marx den vollendeten Kapitalfetisch und somit die grundlegenden Vorstellungen von der kapitalistischen Produktionsweise erklärt. Er hat dazu gesagt, daß es sich bei diesem Mystizismus, der die Kategorie des Mehrwerts ganz verschwinden läßt, um gesellschaftlich gültige Gedankenformen handelt, d.h. der Schein ist real oder mit anderen Worten: das verkehrte Sein führt zu einem Bewußtsein, das real ist, wenn es auch verkehrt ist. Es ist gesellschaftlich rational, nicht der Meinung zu sein, diese Gesellschaft sei eine kapitalistische Klassengesellschaft auf der Basis der Aneignung fremder Mehrarbeit. Mit dieser Erklärung des falschen Bewußtseins ist zugleich der Bezugspunkt jeder Kritik benannt: Sie hat anzusetzen an der Kritik des Alltags und des Alltagsverstandes. Mit dem Nachweis, daß die Konkurrenz die Gesetze des Kapitals nicht etabliert, sondern sie nur exekutiert, daß sie diese Gesetze auf verwickelte Weise "sehen läßt" und zugleich verbirgt, daß sie letztlich als äußere Notwendigkeit setzt, was der Natur des Kapitals entspricht, daß sie schließlich den gesellschaftlichen Zusammenhang der bürgerlichen Individuen als Zwang rekonstruiert, den der Druck ihrer wechselseitigen Interessen auf sie ausübt, usw. mit allen diesen Erklärungen der Konkurrenz hat Marx auch die Ebene charakterisiert, auf der sich die bürgerlichen Menschen den falschen Schein tätig und handelnd aneignen. Damit ist klar, daß Marx das Alltagsbewußtsein nicht als Resultat einer passiven "Widerspiegelung" objektiver Strukturen im Gehirn der Betrachter bestimmt, sondern als Resultat des praktischen Alltagslebens.  

Klasse" und Masse" -erste Schlußfolgerungen  

Wir sind nun das Marxsche"Kapital bis zum Ende des dritten Bandes durchgegangen, um zu sehen, wie "nahe" die dort entwickelten Kategorien an die heutigen Verhältnisse heranreichen, in denen sich offensichtlich eine (historisch neue) Figur ganz Zuhause fühlt, die wir in erster Annäherung als klassenunspezifisches, atomisiertes "schillerndes Individuum" bezeichnet haben. Der dritte Band des "Kapital" endet mit dem nur wenige Sätze enthaltendenden, unvollendeten 52. Kapitel "Die Klassen". Wir wissen aber bereits, daß Marx noch im "Kapital" selbst davon ausgeht, d auf der Oberfläche der bürgerlichen Gesellschaft Klassen nicht sichtbar sind.  

Auf der Oberfläche erscheinen also nicht nur deshalb nicht die Klassen, Proletariat und Bourgeoisie, weil es auch noch weitere Personenrubriken auf Basis sekundärer Revenuequellen gibt, (alle "Mittelklassen",weil also die innere (objektive) Gliederung der bürgerlichen Gesellschaft "kompliziert" ist, oder weil beispielsweise durch die Ausdehnung der Lohnform auf alle nichtselbständigen Tätigkeiten den produktiven Arbeiter unsichtbar macht usw. Dies sind Probleme der Analyse der ökonomischen Anatomie objektiver Klassen. Genau an diesem Punkt vollzieht sich ja häufig ein folgenschwerer Irrtum, an dessen Ende man auf der einen Seite die objektiven Klassen herauspräpariert hat und auf der anderen Seite plötzlich eine "subjektive Klassenlage" feststellen muß. Durch diese Vorstellung einer Diskrepanz zwischen "Klasse an sich" und "Klasse für sich" eröffnet sich ein weites Feld für Bewußtseinserforschungen, politische Strategien etc., die alle darauf abzielen, diese "Kluft" zu schließen. Nun hat Marx aber auf verschiedene Weise zu zeigen versucht, daß die objektive Analyse nicht bei den Klassen endet, sondern beim persönlichen Individuum, so daß sich der oben genannte Gegensatz von selbst erledigt. Der Kapitalismus selbst ist es, der die Klassen zuerst hervorbringt, sie jedochsofort wieder unsichtbar macht und stattdessen das persönliche Individuum, die Käufer-Verkäufer-Figur als exklusiver Teil einer Masse hervorbringt. Die Klassen sind damit wie noch gezeigt werden soll keine pure theoretische Konstruktion. Das Klassenindividuum ist im persönlichen Individuum sowohl scheinbar ausgelöscht als auch als ein Moment in demselben enthalten. Ob es jedoch wünschenswert ist, daß die bürgerlichen Individuen lernen, sich entsprechend wissenschaftlicher Kriterien der einen oder anderen objektiven Klasse zuzuordnen, ob sie lernen sollen, ihre "Interessen" auf die idealen, charaktermaskenartigen Interessen dieser Klassen zu reduzieren und in diesem Sinne "klassenbewußt" zu werden, das kann bezweifelt werden, und es kann auch bezweifelt werden, daß es ein solches Klassenbewußtsein jemals gab. Es stellt sich vielmehr die Frage, ob es sich bei den politischen Bewegungen, die sich selbst als klassenbewußte Bewegungen verstanden und diese Behauptung nur aufrechterhalten konnten, weil sie sich selbst in exakt abgrenzbare Teile zerlegten, die dann als miteinander im "Bündnis" stehend, gedanktich wieder zusammengefügt wurden (z. B. der Intellektuelle kämpft "an der Seite" der Arbeiter usw.) überhaupt um solche handeln konnte. E. P.Thompsons in einem etwas anderen Zusammenhang benutzte Wendung vom "Klassenkampf ohne Klassen" und Balibars Konstruktion, nach der die Arbeiterklasse kein Subjekt ist, aber es Massenbewegungen geben kann, die "wie ein Subjekt" bzw. "wie ein Proletariat" handeln, diese beiden Interpretationen kommen m.E. den Tatsachen etwas näher (28). Es ist immerhin denkbar, daß es eine Massenbewegung gibt, deren Kern aus "radikalgewerkschaftlich" orientierten Industriearbeitern besteht, die wegen ihrer Radikalität mit dem politischen Staat zusammenstoßen und deshalb ihre Lohnarbeiterinteressen nur in politisierender Weise weiterverfolgen können.  

Wenn hinzukommt, daß diese Arbeiter zu einem bestimmten Zeitpunkt nur in geringem Maße an der bürgerlichen Zivilisation teilnehmen was sich z. B. kulturell als Mischung aus separater politischer "Arbeiterkultur' und bürgerlicher Trivialkultur niederschlägt und wenn sie darüber hinaus aus historischen Gründen noch nicht lange und deshalb noch nicht vollständig in die staatsbürgerliche Sphäre integriert sind (obwohl sie das wünschen mögen), wenn sie es daher noch nicht für selbstverständlich halten, ihren "Privatstand von sich abzutun" und sich in ihre "pure, blanke Individualität" zurückziehen (29), dann kann es sein, daß sie ihre "Marktinteressen" (Verkauf der Arbeitskraft) als ihre zentralen Interessen wahrnehmen und sich dazu der Terminologie einer Klassenanalyse bedienen, die innerhalb ihres wissenschaftlichen Zusammenhangs nur die Bedeutung einer ersten Annäherung an die weitaus komplexere Totalität hat. In diesem Fall würde ein Moment der gesellschaftlichen Realität zweifellos ein zentrales Moment aus politischen Gründen zum wichtigsten, wenn nicht sogar zum allein wichtigen erklärt, und der diesem Moment entsprechende theoretische Ausdruck würde aus dem Zusammenhang der Theorie herausgelöst, verabsolutiert, ideologisiert und für diesen Kampf instrumentalisiert. An dieser Stelle muß nochmals betont werden, daß die Lohnform gerade keine Gewähr für eine "symmetrische" Gegenüberstellung von Arbeiterklasse und Kapitalistenklasse gibt, weil im Kapitalismus alle Arbeit als Lohnarbeit erscheint und da sämtliche nicht-selbständigen Tätigkeiten gegen Lohn verrichtet werden. Die Verallgemeinerung der Revenueform Lohn verdeckt ja gerade, daß sich dahinter ganz verschiedene "soziale Klassen" Handarbeiter, Kopfarbeiter, Dienstpersonal, "Angestellte", "Manager" etc. verbergen. Die unmittelbare Anrufung der Klassentheorie zum Kronzeugen und Leitfaden des Kampfes der "Lohnabhängigen" muß deshalb ideologischen Charakter annehmen. Diese Berufung und ihre Institutionalisierung in der Parteiform und der Parteistrategie zwingt deshalb von Anfang an dazu, alle weiteren Bestimmungen auszuklammern oder als Nebensächlichkeit abzutun. Auf diese weiteren Bestimmungen soll unten noch genauer eingegangen werden. Hier sei nur soviel gesagt, daß die "Interessen" der "Lohnabhängigen" nicht einheitlich sind. Sie sind es auch nicht, wenn man den Begriff des Proletariats enger faßt und dies nicht nur, weil in solchen Zusammenschlüssen die Konkurrenz immer nur temporär zurückgestellt werden kann. Wichtiger als dies ist jedoch der Umstand, daß die Lohnarbeit immer nur Mittel zum "wirklichen Leben" ist, das sich vorzugsweise in einer Institution abspielt, die wie so vieles älter ist als der Kapitalismus: die Familie. Und: In dieser Sphäre der "Nicht-Arbeit" (und auch des Staatsbürgerdaseins!) ist jedes bürgerliche Individuum dem anderen formal gleichgestellt, kann seine Revenue so oder so, auf jeden Fall in eigener Regie, verzehren. Das Ausklammern dieser real existierenden Momente der alltäglichen Totalität des individuellen Horizonts in der Ideologie des "Klassenkampfes" muß unter bestimmten Bedingungen zersetzende Auswirkung auf die als "Klassenkampf" verstandenen gesellschaftlichen Auseinandersetzungen haben. Der ganze Kampf der revolutionären Massenbewegungen seit der Jahrhundertwende gegen Reformismus und Revisionismus und ebenso die verzweifelten Versuche, die Auflösung der "Arbeiterkultur" zu stoppen, haben in diesem Widerspruch m.E. eine entscheidende Quelle. Es wäre aber sicherlich falsch, auf diese Weise alle Niederlagen erklären zu wollen: Auch die zutreffendsten Strategien stoßen auf ihre Gegner und deshalb wäre es reine Spekulation, wollte man z. B. die Niederlagen der revolutionär-sozialistischen Bewegungen allein aus ihren eigenen Fehlern begründen. Obwohl es banal ist, soll auch hinzugefügt werden, daß die im nachhinein als ideologisch erkannten Formen, in denen sich die Kämpfenden über ihre Lage klar zu werden versuchten, an den Gründen und der "Berechtigung" dieser Kämpfe nichts ändern können. Wir haben hier auf verschiedene, erst in den kommenden Kapiteln zu entwickelnde Kategorien vorgegriffen, weil die Unterscheidung zwischen "Klasse" und "Masse" sonst, schwerer zu beurteilen gewesen wäre. Diese Unterscheidung stand von Anbeginn im Zentrum bestimmter praktischer Probleme und erhielt vor allem dadurch ihre Popularität.  

In dem Marx'schen System der Kritik der politischen Ökonomie wird rekonstruiert, wie sich in der bürgerlichen Gesellschaft aufgrund sozialer Existenzbedingungen bestimmte Grundmuster und grundlegende Inhalte der "Weltanschauungen" ergeben: "Die Ökonomie handelt nicht von Dingen, sondern von Verhältnissen zwischen Personen und in letzter Instanz zwischen Klassen; diese Verhältnisse sind aber stets an Dinge gebunden und erscheinen als Dinge." (30) Was so von den Marxschen Schriften überhaupt gilt, das trifft insbesondere auf das siebte Kapitel des dritten Bandes des "Kapitals" zu, an dessen Ende Marx nochmal seine zuvor getroffenen Aussagen über die "drei großen Klassen" zusammenfassen wollte. Worum es ihm geht, ist folgendes: Die Grundlage aller Revenuen ist das Wertprodukt, d.h. das durch die produktive Arbeit geschaffene Nettoprodukt. Zieht man vom Nettoprodukt den Arbeitslohn der produktiven Arbeiter ab, so erhält man das spezifische Nettoprodukt des Kapitals, den Mehrwert. Zieht man davon die Kosten für Kauf und Verkauf, die wegzuzahlende Grundrente, den Zins etc. ab, so erhält man den Profit. Die Kritik der trinitarischcn Formel hat jedoch gezeigt, daß sich die Herkunft von . Lohn, Profit und Grundrente (um nur die wichtigsten zu nennen) auf der Oberfläche (und damit auch auf dem Markt) ganz anders darstellen. Sie werden dort statt auf den Wert als ihre Quelle auf die besonderen stofflichen Produktionselemente bezogen. Die Produktion des gesellschaftlichen Reichtums erscheint nun als Resultat des harmonischen Zusammenwirkens der drei "Produktionsfaktoren". Aber damit nicht genug: Diese "Faktoren" erscheinen nicht nur als gemeinsam den "Wert" schaffend, sondern sie erscheinen auch als Formen der Distribution (31). Die spezifische Form und Höhe, worin nun der Einzelne am gesellschaftlichen Produkt partizipiert, ist bei gegebenem Gesamtprodukt doppelt determiniert: Erstens durch seine klassenmäßige Stellung im Reproduktionsprozeß (Kapitalist, Lohnarbeiter etc.) und zweitens durch das "zufällige" Verhältnis von Angebot und Nachfrage am Markt (wo der Einzelne eben als Teil einer Masse auftritt). Zufällig ist das letztgenannte Verhältnis insofern nicht, weil den Bedürfnissen, die hinter Nachfrage und Angebot stehen, bestimmte "Kräfteverhäftnisse" von (deshalb notwendig unterstellten) Klassen unterliegen. Diese -gewordenen Klassenkräfteverhältnisse sind unterschiedlich zu erklären: Sie beruhen zum einen auf gesellschaftlicher Arbeitsteilung. Maucke hat richtig bemerkt, daß diese nicht einseitig als technisch-funktionale Beziehung gefaßt werden darf (32). Einer spezifisch gegliederten Produktion entspricht eine spezifisch gegliederte Verteilung. Die Verteilung der Produktionsinstrumente und der Produkte, sowie die der Individuen auf die verschiedenen Arbeitsarten, zerfällt wiederum in eine formelle Seite das Eigentum und eine inhaltliche Seite, die besondere Tätigkeit. Hinsichtlich des Eigentums an Produktionsmitteln gibt es lediglich eine dichotomischc Gliederung: Besitzende und Besitzlose. Unter den Bedingungen der Lohnarbeit fällt diesen Eigentümern auch das Produkt zu. Hinsichtlich der besonderen Tätigkeit existiert hingegen, je nach dem Ausmaß der Arbeitsteilung zwischen Stadt und Land, zwischen den Industriebranchen etc. eine Vielzahl von Produktionsund Arbeitsarten. Auf dieser Grundlage und auf der Basis der Trennung von Hand- und Kopfarbeit erheben sich die "beruflich" organisierten Tätigkeiten, einschließlich ihrer durch Aufsichtsund Dispositionstätigkeiten gegebenen hierarchischen Struktur ("betriebliche Arbeitsteilung") (33). Die gesellschaftliche Teilung der Arbeit ist vermittelt durch den Austausch von Waren verschiedener Arbeitszweige, der sich unter dem Druck wechselseitiger Interessen voneinander abhängiger (kapitalistischer) Warenproduzenten herstellt. Das "Gravitationszentrum" dieses Austausches ist die allgemeine Profitrate, die sich infolge der unterschiedlichen Profitraten unterschiedlich zusammengesetzter Branchenkapitale mittels der Konkurrenz herstellt (34). Wie wir bereits wissen, ist der Profit kleiner als der Wert der Waren, weil Teile des Mehrwerts an verschiedene andere Personengruppen fallen, sei es, weil dies die Eigentumsverhältnisse (z. B. Grundrente) verlangen, sei es Folge des Zirkulationsprozesses (z. B. die Kommunikalionskosten). Im Zentrum des Produktionsprozesses stehen Kapital und Lohnarbeit, aber unter Einbezug des Gesamtprozesses differenziert sich die Betrachtung: diejenigen, denen Teile des Mehrwerts zufallen, beschäftigen ihrerseits Dienstpersonal; die Arbeiter bringen ihre Revenue zum Kaufmann, zum Friseur oder kaufen sich die Werke von Kritikern (den "Ideologischen Klassen"); der Staat finanziert aus den Zwangsabgaben sein Beamtenpersonal, aber auch Transferzahlungen an Studenten und Sozialhilfeempfänger; die Versicherungen, Sportvereine, Kirchen usw. kommen den Sicherheits sowie den sportlichen und religiösen Bedürfnissen mit hauptberuflichen Arbeitskräften nach usw. Mit anderen Worten: auf der Basis der primären Einkommen sieht man einmal von den nichtkapitalistischen Eigentümern, z. B. Bauern, ab erheben sich sekundäre, "abgeleitete" Einkommen (35). Die ökonomische Existenzbedingung dieses ganzen Gesellschaftsaufbaus beruht nach Marx auf der Surplusarbeit, und das heißt: auf dem Mehrprodukt und auf der Mehrarbeitszeit der produktiven Lohnarbeiter des Kapitals. Je größer deren Produktivkraft ist, desto differenzierter kann der Gesellschaftsaufbau sein, den sie erhalten. Allerdings muß hier eine wichtige Einschränkung gemacht werden und mit dieser kommen wir wieder zurück zum "Klassenkräfteverhältnis". Wenn wir mit Marx sagen, daß alle bisherige Zivilisation auf dem Gegensatz von notwendiger und Mehrarbeit beruht, so ist damit noch nicht gesagt, wieviel von dieser Mehrarbeit sich die Arbeiter in Form von Konsum und vor allem von freier Zeit selbst aneignen können, d.h. inwieweit sie an der Zivilisation teilnehmen können. Die Antwort ist denkbar einfach: Über ihren Anteil an der gesellschaftlich verfügbaren freien Zeit entscheiden die Arbeiter zunächst selbst und zwar durch den Kampf um die Normierung der Arbeitszeit und der Arbeitsbedingungen (36). In diesem Kampf befinden sich die Arbeiter zweifellos in einem Widerspruch zu einer anderen Klasse. Ob sie diese Auseinandersetzung jedoch selbst als "Klassenkampf" begreifen analytisch ist es einer! und falls ja, ob sie dann auch das gleiche meinen wie die wissenschaftliche Analyse, das kann nur jeweils konkret beurteilt werden. Vor allem ist zu bedenken, daß in der Realität nicht jede Verbesserung der Lage der Lohnarbeiter eine Folge ihres Kampfes ist. In der Wirklichkeit des Weltmarktes kann es gerade die relative Bravheit der Lohnarbeiter einer Nation sein, die den Sozialstaat (der ja auch mittels Tarifrecht, Koalitionsrecht und Sozialgesetzgebung die Kämpfe reglementiert und reguliert, z. T. sogar ersetzt) und das Kapital mit Blick auf ausländische Auseinandersetzungen zu der "vernünftigen" Ansicht kommen lassen, daß "zivilisierte" Arbeiter die besseren Arbeiter sind. Hier spielen zudem die technischen Sachzwänge der permanent modernisierten Maschinerie selbst hinein: wenn die Ausbildung eines qualifizierten Facharbeiters bis zum 18. Lebensjahr andauert und auch dann nie abgeschlossen ist, macht es wenig Sinn, wenn dieser nur mit 40 Lebensjahren rechnen kann oder aber nie das Alphabet lernt (37). Eine Rolle spielt auch, daß jede Produktionsweise mit der Zeit "geregelte und geordnete" Formen annehmen muß, wenn sie unabhängig von "bloßem Zufall oder Willkür" sein will (38). Was gezeigt werden sollte ist, daß aus dem Verhältnis von Angebot und Nachfrage (Markt) absolut nichts und insbesondere keine Klassen erklärt werden können, bevor nicht die Basis entwickelt ist, auf der diese Verhältnisse beruhen. Alte vordergründigen, "soziologischen" Klassenbestimmungen ohne Bezugnahme auf das gesellschaftliche Mehrprodukt bleiben notwendig deskriptiv bzw. schlecht-abstrakt. Die phantasievolle und angeblich "konkrete" Einteilung der BRD-Bevölkerung in 2-3 Dutzend "Klassen" hat weit weniger Substanz als das Marxsche "dichotomische Modell". Wie gezeigt ist es Marx nicht entgangen, daß es neben Lohnarbeitern und Kapitalisten noch andere Personengruppen gibt. Er erklärt deren Existenz aus dem Mehrprodukt und seiner umkämpften Verteilung. Er behauptet aber nicht, daß das, was die Analyse zeigt (und was es als Momente der Totalität auch wirklich gibt), das gleiche ist, was die bürgerlichen Menschen über die Gliederung der Gesellschaft denken. Im Gegenteil! Erzeigt, daß sie diese Zusammenhänge zunächst notwendig anders sehen müssen, und er zeigt sogar, wie sie sie sehen müssen. Darüber hinaus sagt Marx auch noch, daß er mit allcdom keineswegs die Gesamtheit von Handlungsgegenständen, Handlungsfeldern und Handlungsmotivationen erfaßt hat (von Staat, Kultur, Tradition etc. war bisher auch noch keine Rede), sondern eben "nur" das Zentrum gesellschaftlicher Auseinandersetzungen, die ihrerseits eine Geschichte haben und sich wiederum in "Kräfteverhältnissen" (Institutionen. Gesetzen etc.) materialisieren. Die politischen, moralischen, religiösen etc. Auseinandersetzungen, die die Menschen im Kapitalismus ausfochten, finden unter der Bedingung des "Diebstahls an fremder Arbeitszeit" (39) stall, aber deshalb sind die Kampagne gegen Asylanten, der Streit um die Atompolitik und die Auseinandersetzung um die "Neue Heimat" weder direkt noch immer indirekt auf eine Klassenstruktur zurückführbar (40).  

Anmerkungen (im Text in Klammern):  

17) Marx 1974d. S. 521 u. ? 974a, S. 22 f, 210  
18)
Marx 1974a,S.74f  
19) Marx1974bll,S.227ff  
20) Marx 1974b III, S. 167f  
21) ebd., S. 836  
22) ebd., S. 838  
23) ebd., S. 822  
24) ebd., S. 838  
25) ebd., S. 163  
26) ebd., S. 203  
27) vol. "Kursbuch" 82/1986: "Die Therapiegesellschaft".  
28) vgl. Thompson 1980.  
29) vgl. Marx 1972a, S. 248f. 30) vgl. Engels Rezension von: "Karl Marx: Zur Kritik der politischen Ökonomie", in: MEW 13. S. 476.  
31) vgl. Marx 1974b III, S. 884 ff.  
32) vgl. Maucke 1970, S. 27.  
33) ebenda  
34) vgl. Marx 1974b 111,5. 172.  
35) vgl. Marx 1974c 1, S. 122ff.  
36) vgl. Marx 1974c III, S. 507; 1974a, S. 426.  
37) vgl. Marx 1974b l, S. 509.  
38) vgl. Marx 1974b III, S. 801.  
39) siehe Marx 1974a, S. 593.  
40) vgl. Heide Gerstenberger: unveröffentlichtes Manuskript zu "Stand und Klasse", Bremen 1986, S. 14.  

Editorische Anmerkungen

Der vorliegende Text erschien in der Hannoveranischen Zeitschrift SPEZIAL links & radikal, Nr. 90, 1993, S. 28ff, OCR-Scan by red. trend
Die SPEZIAl-Säzzer schreiben in dieser Ausgabe als Anmerkung:
Diese Anmerkungen enthalten lediglich vergleichende Quellenhinweise. Die Liste mit den vollständigen Anmerkungen des Autors schicken wir auf Wunsch gerne zu.

Der für die SPEZIAL gekürzte Text von Günter Jacob wurde unter dem Titel "Kapitalismus und Lebenswelt" in der Nr.3 der linken Zeitschrift "17 Grad Celsius" abgedruckt. Vorher ist bereits eine (andere) Kurzfassung unter dem Titel "Persönliches Pech" in "Spex" 3/89 erschienen, die vom "ak", der "Volkszeitung" und in dem Buch "Die Radikale Linke" (Konkret-Veriag) nachgedruckt wurde.