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Auf dem Weg nach Willnix

Eine Nachbetrachtung über die Arbeitskonferenz von FelS und ak am 19.-21.3. in Berlin

Aus Interim 472 v. 25.3.1999

Von "Timur und sein Trupp"

03/99
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Am letzten Wochenende haben die Redaktionen der Zeitschriften airanca und ana/yse und kritik in der Humboldt-Uni und im Mehringhof unter dem eigentlich schönen Slogan: "Schluss mit dem Stress" eine sogenannte "Arbeitskonferenz" veranstaltet. Die sollte "für Existenzgeld und eine radikale Arbeitszeitverkürzung" eintreten und "zur Kritik der Lohnarbeitsgesellschaft motivieren. Nun, wir fanden natürlich, daß das im Prinzip eine gute Idee ist. Im Unterschied zu der "Lohnarbeits-AG" auf dem Autonomie-Kongress 1995, wo viele alt gewordene Genossinnen einen sentimentalen Abschied aus der Jugendbewegung zelebriert haben, indem sie sich wechselseitig einfach über ihre persönlich-individuelle Lohnarbeit erzählten, ohne daran auch nur den kleinsten politischen Gedanken auszuprobieren, könnte eine solche Konferenz vielleicht den Raum dafür öffnen, politisch über gesellschaftliche Perspektiven heraus aus der Lohnarbeit und hinein in eine bedürfnisgerechtere Organisation gesellschaftlicher Produktion und Reproduktion zu streiten.

Worüber man hätte diskutieren können ...

In dem Einladungspapier fand sich nicht ein einziges Wort zu den Erwerbslosenprotesten aus dem letzten Jahr, an denen sich - nebenbei gesagt - ja auch die Organisation Fels beteiligt hatte. Schon vergessen, Schnee von gestern? Immerhin haben sich da wenigstens zeitweise ein paar tausend Leute "irgendwie" in der Öffentlichkeit versammelt, um "irgendwie" gegen ihren Ausschluß von den gesellschaftlichen Reichtümern zu protestieren. Warum ist diese Form gescheitert, warum mußte sie vielleicht scheitern, oder ist sie vielleicht lediglich unter bestimmten Bedingungen an ihr nur vorläufiges Ende gekommen? Die Konferenz wäre eine gute Gelegenheit gewesen, das schnelle Versinken dieses gesellschaftlichen Protests einmal unter die Lupe zu nehmen. Wenn man einen Zusammenhang herstellen will zwischen dem, was man gestern getan hat und dem, was man heute tut, und zwar um herauszufinden, was man morgen tun will, dann kann es doch nicht ausbleiben, daß man untersucht, warum bestimmte Kämpfe gescheitert sind, vielleicht scheitern mußten.... Auch der gescheiterte Versuch der nicht immer und an allen Stellen nur nominellen Ostblock-Sozialismen, die Lohnarbeit in irgend etwas besseres zu verwandeln, war den Initiatorinnen keine AG wert ... Kurz: Irgendwie fehlte uns im ganzen Programm die Dimension des Überlegens für die Zukunft des eigenen Handelns. Für was, dachten wir, betrachten die Organisatorinnen ihre "Arbeitskonferenz" eigentlich als Zwischenetappe? Wenn's schon öffentliche Manifestationen nicht sind oder vielleicht aktuell auch nicht sein können, so hätte man dort doch wenigstens versuchen können, mit Hilfe von Begriffen ein paar Gedanken für die Zukunft schärfer zu formulieren. Auch wenn die politischen Handlungsspielräume im Kampf gegen Ungerechtigkeit und Armut in den Metropolen derzeit denkbar gering sind, so hätte ein Verdienst der Konferenz doch darin liegen können, einen Durchgriff auf die tatsächliche politische Ökonomie der an ihr teilnehmenden Individuen zu entfalten.

Niemand wird wohl widersprechen, wenn wir sagen, daß der gegenwärtige Kapitalismus ohnehin de fordistischen Hochlohnarbeitsformen insoweit praktisch kritisiert, als er sie abzuschaffen versucht. Das ist der Horizont, in dem jedes Reden über "Lohnarbeit' sich bewegt. Und wir vermissten schon in der Einladung der Konferenzistas den Versuch, das Thema "Lohnarbeit' mit der Kritik des gegenwärtigen Kapitalismus zu vermitteln. Kurz: Wir vermissten den Versuch einer Kritik der politischen Ökonomie auf der Höhe der Zeit. Der (reale) Sozialismus ist in der Weltpolitik kein durch die Sowjetpanzer beglaubigter ideologisch-politischer Anspruch mehr. Darüber hinaus scheidet für die überflüssig Gemachten und Verstreuten der Streik als Waffe aus. Wenn ihr schwacher Arm es will, steht keine der heutigen high-tech-Produktionsstätten mehr still. Wie also können sie sich Gehör verschaffen in dieser Welt?

Die Visionen von Gleichheit und Gerechtigkeit, die die beiden politisch dominanten Strömungen der Arbeiterbewegung, der Leninismus-Stalinismus und die Sozialdemokratie vertreten haben, erscheinen am Ende dieses "kurzen Jahrhunderts" blamiert. In welchem Verhältnis sollen die Ziele Gerechtigkeit und Gleichheit in Zukunft zu Vorstellungen von Reichtum und Freiheit stehen? Ist Kollektivität ein erstrebenswertes Ziel, und in welchem Verhältnis steht sie zur Selbstbestimmung der Einzelnen? Diese Fragen hätten unbedingt diskutiert werden müssen, um endlich wieder erste Skizzen eines Gegenbildes zum gegenwärtigen Kapitalismus zu entwerfen. Die Konferenz hätte eine Gelegenheit sein können, darüber zu streiten, wie wir es schaffen können, selbstbestimmte Abhängigkeit machtvoll dem scheinbar übermächtigen Ideologieideal vereinzelter Individualität der privat wirtschaftenden, auf Kosten der Armen reich gemachten Egoistinnen entgegenzusetzen - und zwar in der Perspektive von Glück und Befreiung.

Schlimme Befürchtungen...

Aber schon die schriftliche Ankündigung der Konferenz war in dieser Hinsicht nicht sehr vielversprechend: Kaum hatten wir das vierseitige Einladungspapier gelesen, zerplatzte unsere Hoffnung auf mehr oder weniger zugespitzte Auseinandersetzungen auf dem geplanten Kongress wie eine Seifenblase. Gleich die zweite Überschrift im Papier, "Vorsicht Ambivalenz" (der die erläuternde Bemerkung "Politische Gebrauchsanweisung zur Existenzgeldforderung" hinzugefügt war) verriet die zum Einschlafen vorsichtige Strategie der Veranstalterinnen: Statt mit profilierten Standpunkten innerhalb von Widersprächen und Kontroversen - so fürchteten wir - würden wir mit einer - auf Ausgewogenheit oder vielleicht sogar höfliche Unparteilichkeit bedachten - abwägenden Betrachtung von "Ambivalenzen" konfrontiert werden. Und, das wissen wir alle, angesichts von Ambivalenzen können wir uns ja immer sehr schlecht entscheiden, sind eher hin und her gerissen als einigermaßen klar positioniert. Und ganz passend zur Überschrift lasen wir dann auch eine 'Problemstellung', der anzumerken war, daß ihre Autorinnen es sich offenbar wirklich mit niemandem verderben wollten. Sozialwissenschaftlich ambitioniert führten sie zunächst einmal Fachbegriffe wie "Globalisierung" und "Postfordismus" ein, zählten danach "verschiedene Diskurse zum Existenzgeld' auf, reihten dann brav "verschiedene Praktiken wie feministische Politik, Joberinnen-Inis, Antirassismus-Arbeit" auf, und erwähnten schließlich auch noch die "Marxistische Kritik". Etwas sibyllinisch hieß es, diese Kritik weise auf eine "Lücke" hin, die, und das sollten wir dann wohl bedenken, "niemals im Singular auftaucht". Am Schluß der kleinen Abhandlung gaben uns die Autorinnen den entscheidenden Hinweis: "Im Rahmen der Arbeitskonferenz tauchen diese Fragen in unterschiedlichen AGs auf. Wie sie diskutiert und beantwortet werden, liegt an den Teilnehmerinnen". Wie bitte?!, dachten wir da. Es ist zwar mehr als klar, daß was in den AG's geredet wird, an den Teilnehmerinnen hängt, aber warum mußte das hier so beschwörend erwähnt werden? Und wo sind die Vorschläge, die Positionen und Anforderungen der Initiatorinnen? Uns schwante Schlimmes: Fürchteten sich die Veranstalterinnen der Konferenz etwa, ihnen könnte vorgeworfen werden, sie würden die Konferenzbesucherinnen unterdrücken, wenn sie ihnen eine eigene Position zu den verhandelten Fragen vorlegen würden? Kurz, schon de Einladung machte den Eindruck, als wollten sich die Konferenzistas von niemanden für nichts, aber wirklich für gar nichts, was auf dieser Konferenz möglicherweise gedacht und gemacht werden würde, verantwortlich machen lassen.

... doch es kam noch schlimmer...

Was uns dann mit der Konferenz geboten wurde, war noch viel deprimierender als alles, was wir uns vorher vorgestellt hatten. Wir machen's kurz, denn wir finden, daß es auch irgendwie billig ist, noch nachzutreten, wenn etwas für alle Augen sichtoar am Boden liegt. Vom Anfangspodium in der Humboldt-Uni an boten die Veranstalterinnen und Vorbereiterinnen der Plena und Arbeitsgruppen (die wir mitbekommen haben) ein Bild organisierter Hilflosigkeit. Uns wird zur Zeit immer klarer, was Immanuel Kant mit dem Ausdruck "selbstverschuldete Unmündigkeit" gemeint hat, denn de Beliebigkeit der Vorbereitung war selbstverschuldet. Die Leute hätten es tatsächlich viel besser machen können - und zwar jede/r einzelne von ihnen -, wenn sie nur Verantwortung dafür übernommen hätten, was in den 2 1/2 Tagen der Konferenz passiert. Wir haben keine/n einzigen der Vorbereiterinnen auch nur drei Minuten lang für irgendeine Position Stellung beziehen hören. Außer völlig in der Luft hängenden und werbesloganartig daherkommenden pro-Existenzgeld-Äußerungen gab es wirklich keinen einzigen Punkt, an dem sie sich positioniert hätten. Es war völlig unklar, von welchem Ort diese Leute eigentlich sprachen und in welcher Perspektive. Entsprechend hingen die Referentinnen z. B. der Auftaktveranstaltung in der Luft. Wenn man nichts gefragt wird und trotzdem zu antworten versucht, dann ist es halt sehr schwierig, einen roten Faden in die eigene Rede zu bringen. Wer nicht in der Lage war, das Vakuum mit eigenen Forderungen zu füllen wie z. B. de Leute von der Frankfurter Erwerbsloseninitiative, trudelte irgendwo zwischen sozialwissenschaftlichem Nichts und dem Nirgendwo der Konfliktvermeidung und wurde zum Komplizen einer ganz fürchterlichen, entmutigenden, traurigen Kollektivpräsentation von lauter Versuchen, sich als vereinzelte/r Einzelne/r irgendwie zu plazieren. Daß wir so vielen nette Freundinnen und Bekannte aus allen Ecken der Welt getroffen haben, darüber haben wir uns natürlich gefreut. Daß die meisten davon ebenfalls total deprimiert waren, hat unsere Freude gedämpft. Wir sind moralisch richtig enttäuscht von den Vorbereiterinnen, und eins ist sonnenklar: Wenn sich dereinst mal wieder wirklich was bewegt in der Gesellschaft, dann wird es sein, als hätte diese Veranstaltung nie stattgefunden. Und das frostet uns dann doch ein bißchen...

Ein kleines P.S. findet ihr noch auf der nächsten Seite

Zwischenbemerkung: Über das kleine Autonomen - Kerlchen ...
Auf jeder Seite des Konferenzeinladungspapieres ist de Computer-Grafik eines jungen, fitten, tumschuh- und Basecaptragenden "Autonomen"-Kerlchens abgebildet, das über eine Mauer klettert. Ob es jenseits der Mauer etwas neues anfangen will, oder ob es einfach nur abhaut, bleibt ein Rätsel. Ob es sich auf dem Weg zur kulturell codierten Eigenvermarktung in der expandierenden Medienindustrie macht? Oder ob es vielleicht gerade von der einsamen Tätigkeit des Einklauens, zurückkommt? Allein ist es jedenfalls, vielleicht ist sein graphisches Einzelgängertum auch eine Antwort darauf, daß de Kollektivitätsformen der 80iger in keine befreiende Politik gemündet sind. Nimmt man das Kerlchen als Symbol für die Existenzweise der Konferenzbesucherinnen (vereinzelt und hochmobil), dann läßt sich vermuten, daß es - vorbehaltlich eines möglicherweise noch zu erwartenden Erbes - arm an Geld, dafür aber reich an Jugend, Kontakten, Sexualität und Gesundheit ist. und daß, es manchmal sicher au im Internet surft. Abgesehen davon, daß jede/r WerbegraphikerIn das Kerlchen bestimmt für etliche Kampagnen gut gebrauchen könnte, müssen wir uns allerdings fragen: Wollen wir diese hochmobile und durchtrainierte Existenzweise wirklich feiern? Oder geht es vielleicht eher darum, die Verführung zurückzuweisen, uns selber mit den Bildern von Stärke und Geschwindigkeit zu identifizieren, die doch nur da auffordern, ganz von uns selbst aus (im doppelten Sinne frei, wie das Karl Marx damals treffend genannt hat) an den Arbeitsmärkten zu reussieren, - solange wir können...? Wir ahnen da eine seltsame Berührung: Kann es sein, daß einige von uns, individualisiert, älter werdend und ganz unbewußt vom verbreiteten Ideal der Smart- und Coolnes geleitet, die Lohnform aus der Perspektive künftiger ökonomische Selbständigkeit kritisieren.

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