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Der Artikel ist Teil einer in wenigen Tagen erscheinenden Broschüre zur Kritik der Forderung nach Existenzgeld.

Vorsicht Existenzgeld
[Bericht aus dem intellektuellen Scherbenhaufen eines szenetauglichen Reformismus]

von grundsicherung@junge-linke.de 
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Es gibt soziale Reformen, die wollen nichts anderes sein als soziale Reformen: Die Wiedereinführung des Schlechtwettergeldes und der Lohnfortzahlung im Krankheitsfall durch die neue Bundesregierung, zum Beispiel. Über solche Reformen lassen sich kaum viele Worte verlieren: Es liegt nicht in ihrer Intention, Grundsätzliches zu verändern, und sie verlangen auch keine Dankbarkeit dafür, die unerträglichen kapitalistischen Verhältnisse viel erträglicher gemacht zu haben.

Für GesellschaftskritikerInnen naturgemäß von Belang sind hingegen solche sozialen Reformen, die beanspruchen, die Gesellschaftskritik hinter sich gelassen zu haben. Im Leitartikel der von „Arranca!" und „analyse und kritik" 1999 in Berlin herausgegebenen Zeitung „Schluss mit dem Stress!": „Vorsicht Ambivalenz [Politische Gebrauchsanweisung zur Existenzgeldforderung]" wird dieser Anspruch schon dafür geltend gemacht, eine solche Reform zu fordern und sie durchsetzen zu wollen.

Das zu können und zu tun scheint den AutorInnen von „Vorsicht Ambivalenz" (im Folgenden VA) an sich bedeutsam zu sein. Sie glauben darauf ‚spekulieren‘ zu müssen, „daß theoretische Kritik produktiver Teil einer antikapitalistischen Politik ist", nicht unähnlich der Unterscheidung von † F.J. Strauß zwischen konstruktiver und destruktiver Kritik. Der unbestimmte Artikel läßt den politischen Zweck, dem gedient werden soll, im Willen zum Produktivsein verschwinden. Als ob es eine gute Sache wäre, nicht genau zu wissen, warum man etwas tut, wird gleich damit fortgefahren, die Beliebigkeit der avisierten Forderung zu preisen. „‚Existenzgeld für alle!‘ kann (!) ... eine (!) antikapitalistische Forderung sein..., muß es aber nicht (!)". Wenn es aber explizit gegen den Kapitalismus geht, mag die Forderung immerhin durch eine richtige Gesellschaftskritik begründet sein. „Marxistische Kritiken", so die zentrale Passage von VA zu diesem Thema, weisen auf „die Lücke zwischen dem hin, was angeeignet werden soll, nämlich gesellschaftlichem Reichtum, und der Art und Weise, wie dieser Reichtum dar- und hergestellt wird, nämlich als Geld und durch eine bestimmte Anordnung von Kapital-Lohnarbeit-privatsozialer Existenz, die ja eigentlich verändert werden soll." Wie und wodurch die Anordnung dieser Trinität - deren dritter Teil mir bei der Rezeption von Marx freilich entgangen sein muß - bestimmt ist, bleibt ebenso offen wie die Fragen, warum sich gesellschaftlicher Reichtum ausschließlich in Geld soll darstellen können, wie und wann Reichtum und seine Herstellung mal eines waren, bevor die „Lücke" sich auftat, und letztendlich, wie die Beseitigung jener ominösen Lücke zum Gegenstand der Gesellschaftskritik wurde.

Die Vorstellung vom Kapitalismus als „Integrations-, Selektions- und Verwertungsmonster", ist ebenso diffus, und ein Bedürfnis nach wohlgestalteter und mäßiger Selektion und Verwertung (nach Überwindung des Monsters) überdies fragwürdig. Gesellschaft ist VA schlicht ein Schicksal; es wird „die Tatsache" vorausgesetzt, „daß es kein Außen gibt, kein Außerhalb-Sein von kapitalistischen Suchbewegungen...". Allein, daß es die wirkliche Gesellschaft ein weiteres mal in der Vorstellung von VA gibt, beweist schon das Gegenteil: Man muß die Gesellschaft nicht, wie VA es tut, mit marxistischen Wortbrocken bestreuen; man kann sie statt dessen auch erklären, sich ihr gegenüber ganz ignorant verhalten etc. – offenbar ist keine Reflexion auf die Gesellschaft gänzlich durch diese bestimmt, und insofern befindet sich jede „außerhalb" des Geltungsraumes ihrer Gesetze.

Aber an der Autonomie des Gedankens gegenüber seinen Gegenständen ist VA desinteressiert. Politisches Interesse erschöpft sich für die AutorInnen vielmehr in besonderen gesellschaftlichen Interessen: „feministische Politik, JobberInnen-Inis, Antirassismus-Arbeit usw." sollen „aneinander anknüpfen und sich gegenseitig verstärken" können.

Gesellschaftliche Interessen kommen jedoch über das Einfordern bürgerlicher Rechte, also Freiheit, Gleichheit und Privateigentum, naturgemäß nie hinaus. Der eine „Jobber" nimmt dem anderen die Butter vom Brot, Frauen und Ausländer möchten gleichberechtigt um den Verkauf ihrer Arbeitskraft konkurrieren usw. Wer den Kapitalismus hingegen als Ganzes kritisiert, muß solche Interessen als kapitalistische Interessen reflektieren, kann sie dann aber nicht mehr als Zweck seines Handelns gelten lassen. Als movens richtiger gesellschaftskritischer Einsichten setzt dieses Argument allerding voraus, ein sich selbst nicht widerstreitendes Bewußtsein vom Gegenstand Gesellschaft haben zu wollen.

Dies ist kein möglicher Ansatz unter vielen anderen, sondern systematische Voraussetzung jeder Praxis, weil sich aus einem Widerspruch einander widersprechende Schlüsse ziehen ließen, also alles und nichts. Zu sagen, was sein könne, aber selten, was sein müsse oder solle, und unzählbare Substantive im Plural zu gebrauchen (Politiken, Praktiken, Arbeiten) sind Bestandteile eines an zeitgenössischer bürgerlicher Sozialwissenschaft geschulten Untertanenjargons. Wo Kritik radikal wäre, ist er frech. Statt auszusprechen, daß der Sozialstaat zum Erhalt einer lohnabhängigen Klasse im Stande dieser Lohnabhängigkeit dient und daß es mit der Wohlfahrt dieser Klasse nicht weit her ist, solange sie diese ist, spricht er vom nur ‚sogennanten Sozialstaat‘ und ‚sogenannten Wohlfahrtsstaat‘. Arbeit hält er für Glück, wenn sie ‚keinen Streß‘ macht und er sie zu seinem ‚Projekt‘ umgetauft hat, daß er ‚machen‘ darf; nicht einmal Geld wagt er zu fordern, ohne gleich laut darüber zweifeln zu müssen, ob das denn überhaupt glücklich mache. Zu guter letzt: Er traut sich nicht einmal, als er selbst keine Revolution zu wollen. Er findet statt dessen, wortwörtlich, daß die Anschlüsse, die politische Forderungen an den gewundenen Frontverlauf der Existenzgeldforderung haben können, Linien einer politischen Auseinandersetzung sind, die darauf setzen will, daß es keine Revolution gibt. Aber wir haben es hier mit Untertanen zu tun, die sich auskennen. Sie wollen mehr Stütze, und sie hören, daß ihre Herren ihnen aus guten Gründen zwar ebenfalls mehr, aber nicht ganz so viel mehr geben wollen, wie sie gern hätten.

Das bringt sie aber leider nicht zum Nachdenken, sondern zur Überzeugung, den anderen ihre Absichten bloß genauer erklären zu müssen: „wer 1500 plus Miete bekommt, geht nicht putzen". Daß Geld ein Titel auf gesellschaftlichen Reichtum ist, als solches diesen Reichtum also voraussetzt und deshalb nicht dazu taugt, die Not, solchen Reichtum herzustellen, aus der Welt zu schaffen, ist der entscheidende Mangel dieser Überlegung. Ihren ‚Realismus‘ scheint sie daraus zu beziehen, alle materiellen Voraussetzungen ihrer Realisierung - Geld, Privateigentum, Staatsbürgerdasein - in der bürgerlichen Gesellschaft vorzufinden, sie deshalb nur noch affirmieren zu müssen. An die Stelle von deren Erklärung und Kritik tritt die Einmischung in die Debatte über die sachgemäße Verwendung dieser Grundzutaten der Herrschaft kapitalistischer Staaten. Obwohl diese macht- und bedeutungslose Einmischung nur im Sandkasten stattfindet, ist VA stolz, sich auf ‚umkämpftes Terrain‘ begeben zu haben. Danach, keine Erklärung für Geld und Sozialstaat haben zu können, sieht denn auch die Agitation aus, mit der VA nach außen tritt. Der Aufruf lautet: In die Abhängigkeit von Almosen jener Gewalt zu geraten, der man die eigenen Notlage überhaupt zu verdanken hat, gibt Anlaß zur Zufriedenheit. Dies ‚könne‘ auch das gute Leben sein. - Wie vergleichsweise harmlos ist da doch der Antikommunismus außerhalb der Szene, der wenigstens seine Herrschaftslegitimation auf der Denunziation der Idee vom guten Leben fußen läßt, statt sie für sich zu vereinnahmen!

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