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GELSENKIRCHEN, im JANUAR 1999

Das Elend des gesunden Menschenverstandes
ÜBER ABSTRAKTHEIT UND KONKRETHEIT IM ALLTÄGLICHEN   SPRACHGEBRAUCH

von DIETMAR KESTEN

03/99
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Es gibt wenige Begrifflichkeiten, die sich im alltäglichen Sprachgebrauch so eingebürgert haben, wie "Abstrakt" und "Konkret". Allenfalls "logisch", "identisch", "widersprüchlich", "kausal", "per Definition" usw., kommen noch in deren Nähe. Obwohl alle diese Begriffe mehr oder weniger philosophisch sind, haben "Abstrakt" und "Konkret" immer eine besondere Bedeutung; da sie in die ALLTAGSSPRACHE eingegangen sind, sich im Bewußtsein wiederfinden, und wir darüber Urteile abzugeben bereit sind, die m.E. nur die Widersprüchlichkeit unseres Denkens zeigen. Schon fast mit akribischer Gedankenlosigkeit benutzen wir diese Begriffe, ohne sie auf ihre Bedeutung hin abzuklopfen, sie zu hinterfragen, ohne darüber ernsthaft zu reflektieren. Meistens übersetzen wir im Alltagsleben "Konkret" mit "Real", obschon dieses "Reale" eine Konklusion nach sich zieht, da es einen Schluß folgert, der einen wechselseitigen Zusammenhang und stetige Wechselwirkung mit dem zu untersuchenden Objekt voraussetzt.

"Konkret" bedeutet daher meist dasselbe wie "wirklich", "greifbar" "bestimmt", vor allem aber "gegenständlich". Der latainische Begriff "Concretus" sagt zunächst etwas anderes aus, nämlich "Dicht" oder "Fest". Daran sehen wir, daß mit der richtigen Definition dieser Begriflichkeit vieles, aber auch gar nichts ausgesagt werden kann. "Dicht" kann die Erzählweise, der Handlungsrahmen eines Psychotrhillers sein, was nicht unbedingt den Schluß nach sich ziehen sollte, daß es sich dabei um einen "Konkreten" Aufbau des Ablaufs handelt. "Fest" kann irgendein Material sein; z. B. Gummi, das in verschiedene Härtegrade eingeteilt wird. Es wäre auch hier falsch, "fest" einfach mit "Konkret" zu übersetzen; denn die- se Aussage würde nicht vollständig sein, die Unterscheidungsmerkmale, die zu treffen wären, hätten keinen tatsächlichen Zusammenhang. Selbst als "Bekräftigungsformel" würden wir dabei nichts "Konkretes" in der Hand haben. Wir stoßen immer wieder auf enorme Schwierigkeiten.

Mit "Abstrakt" verhält es sich ähnlich schwierig. "Abstrakt" interpretieren wir meistens mit "nicht faßbar", "nicht greifbar", "unwirklich"; philosophisch ein einziges Desaster, wenn wir uns z. B. der "Abstrakten Ma lerei" zuwenden. Der Facettenreichtum von oftmals fehlgeleiteten Interpretationen: Ist ein Bild des russischen Malers WASSILY KANDINSKY deshalb "Abstrakt", weil es beschreibende Funktion verlassen, sich von der Form gelöst hat, oder weil es erkennbare Gegenstände versteckt oder verborgen darzustellen vermag? Das Bild sei "unpraktisch und deshalb "Abstrakt", es wirke "unanschaulich". "Abstrakt" erscheint hier als etwas "Ungegenständliches", als etwas, was jenseits aller gegenständlichen Elemente angesiedelt ist. Im Lateinischen ist das " Abstrahere" das von der "Dinglichkeit gelöste", etwas was "nur gedacht" ist, oder auch das "Begriffliche", das "Abzuziehende", oder das "zu Entfernende". Das "Wegzunehmende", das "Wegzulassende" kennen wir aus der Mathematik, das was zu "abstrahieren" ist, ist uns allemal geläufig, und wir haben im Alltag keine Schwierigkeiten, damit umzugehen. Erst dann bekommen wir Probleme, wenn wir bei einem zu untersuchenden Gegenstand unterscheiden sollen, was daran "Abstrakt" oder "Konkret" ist? Unser Kopf scheint uns einen Streich spielen zu wollen; denn das, was wir als "Konkret" ansehen, kann durchaus "Abstrakt" sein, das was "Abstrakt" ist, kann "Konkret" - oder muß sogar "Konkret" sein. Das liegt darin begründet, daß wir bei der Definition oft einfach den Fehler begehen, das "Abstrakte" , dem "Konkreten" gegenüberzustellen, viele notwendige Bestimmungen von vornherein weglassen, keine Unterscheidungen treffen. Das menschliche Bewußtsein ist voll von diesen Fehlschlüssen. Andererseits wäre ohne dieses "Abstrahieren" menschliches Erkennen und auch menschliche Kommunikation gar nicht möglich; denn wenn wir nicht mit diesen Begrifflichkeiten operieren, müßten wir jedesmal, stetig, immer und sofort eine neue Etymologie erfinden, um uns zu verständigen, oder uns nur einfach über Gegenstände zu einigen. Menschliche Sprache ist Abstraktion im höchsten Maße; sie beruhte von Anfang an auf das "nur Gedachte!"

Unser Wortschatz ist voll von dieser Sättigung. Die Erkenntnis der uns zugänglichen Welt und ihres Erscheinungsbildes über gedankliche und sprachliche Zusammenhänge geschieht nur auf der Ebene der Abstraktion, mit der wir die Bilder, die entstehen ordnen, um dann erst mit der eigentlichen geistigen Verarbeitung/Umsetzung zu beginnen. Was ist dann hierbei das "Konkrete", auf das sich der normale Menschenver- stand so gerne beruft, wodurch unterscheidet es sich hier von der Abstraktion, der Klasse der Gegenstände, oder auch Zusammenhänge? Das "Abstrahere" ist so alltäglich, so pefekt gesetzt, daß es bereits oftmals Resultate einer Verallgemeinerung impliziert, da es mit den Wortmengen ei- ner Sprache bereits vorgegeben ist. Ist uns die Aufgabe gestellt, das "Abstrakte" "Konkret" zu machen, versagen wir in der Regel, was nun gar nichts mit der Intelligenz eines Menschen zu tun hat; denn das "Konkretisieren" ist von vornherein nicht vorgegeben; es bedeutet in diesem Zusammenhang, daß wir etwas zusammenfügen müssen, zu vervollständigen (vom lat. concresere=zusammenwachsen), in Gedanken einfügen/zusamenzufügen haben. Was da vervollständigt werden muß, ist die unendliche Summe der verschie- denen Abstraktionen in all ihren Seiten und Zusammenhängen, was die eigentliche Schwierigkeit ist. "Konkretisieren" heißt demnach nichts anderes, als von abstrakten Bestimmungen auszugehen, um damit einen Gesamtprozeß/Gesamtzusammenhang vieler Zusammenhänge zu beschreiben. Die Behauptung, daß jemand "tot" sei, sagt nichts darüber aus, wie er/sie umgekommen ist. "Tot" ist hier eine solche Abstraktion, daß selbst die Kon- templation keine Aufschlüsse darüber gibt, WIE "tot" jemand ist. Erst das gesicherrte Wissen eines Mediziners, eines Pathologen, oder im Zweifelsfalle, Untersuchungen mit medizinischen Geräten, geben letztendlich Aufschluß darüber, daß der/die Tote tatsächlich "tot" ist. Erst die Todesursachen zeigen alle Zusammenhänge des Todes auf. Daher gilt es, den Tod zu "konkretisieren": Jemand ist eines natürtlichen Todes gestorben (akuter Hinterwandinfarkt); durch einen Verkehrsunfall, oder ein Verbrechen, durch Selbstmord usw. Das Zusammenfügen dieser sich herauskristallisierenden Tatsachen ergibt das "konkrete" Bild aller wahrscheinlichen Möglichkeiten der Todesursachen- und Umstände. Doch es muß noch mehr passieren, bevor der Leichnam bestattet werden kann: Die Krankheitsgeschichte derjenigen/desjenigen, die/der das Zeitliche gesegnet hat, gilt es, "hinzuzufügen".

Bleiben wir beim erstgenannten Beispiel. Ein akuter Hinterwandinfarkt kann verschiedene Ursachen haben: Ein Mensch mit einem angeborenen Herzfehler kann im Laufe seines Lebens möglicherweise mit mehre- ren Infarkten rechnen, bevor ihn DER entscheidende aus der Lebensbahn wirft. Einer, der zu ungesund lebt (z. B. über Jahrzehnte immer einen hohen Cholesterinwert hat; viel raucht, viel trinkt; an Hyportonie leidet usw.) kann den Umständen nach mit einem früheren Ableben rechnen, als anderer Zeitgenossen; aus der Sportmedizin ist der sog. "Sekundentod" bekannt. Danach kann er bei Sportlern OHNE vorherige Symptome auszuweisen, DIREKT, als akuter Infarkt auftreten, ohne daß es große Chancen auf eine Rettung gibt.

"Konkretisieren" heißt im obigen Falle, nichts anderes, als von den "abstrakten" Bedingungen ausgehend (Tod als Faktum) die inneren Wirkungs- und Funktionszusammenhänge all dieser Unterscheidungskriterien aufzudecken, kurz: ALLE Zusammenhänge des Todes, die eine Rolle gespielt haben, zu begreifen. Erst dann kann verstanden werden, warum jemand gestorben ist, wenn man sich mit den Ursachen des Todes auseinandersetzt.

Wie wir feststellen, ist das "Konkretisieren" tatsächlich viel schwieriger und mühevoller als das "Abstrahieren". Es ist immer einfach, relativ leicht möglich, Aussagen mit obiger Tragweite zu treffen, ohne daß wir uns um deren Vollständigkeit scheren. Allerdings erfordert es großen Aufwand, die Summe der Begriffe zusammenzu- setzen, um zu verbindlichen, gedanklichen und sprachlichen Urteilen zu kom- men. Die Wahrheit ist nicht immer konkret, "konkretisieren" läßt sie sich auch nicht immer. Das ALLTAGSBEWUßTSEIN bleibt nur allzugerne an der Oberfläche, und zieht sich bei der ersten, sich bietenden Gelegenheit auf die Allerweltabstraktionen zurück. Und im übrigen wird es nicht geschärfter, wenn wir versuchen mit dem inflationären "Konkretisieren" diese Tücke des Alltags zu überwinden.

Diese unvermeidliche Autologie (hier=Selbstlauf) bezüglich der erstbesten Ab- straktion in der Erklärung von Zusammenhängen (Tod) oder Gegenständen (Bild eines abstrakten Malers) ist "Abstraktes Denken" im negativen Sinne, also jenes Denken, von dem sich der Menschenverstand am weitesten entfernt glaubt, das aber real sein eigenes Denken ist. Womöglich gibt es zwei Arten des Abstrahierens: Ein "negatives Abstrahieren" (mehr willlkürlich) und ein "positives Abstrahieren". Das "negative Abstrahieren" geht inhaltlich nicht zur echten Konkretisierung über, das "positive Abstrahieren" (in der Systematik angelegt) versucht Gesamtzusam- menhänge konkret/rekonstruierend freizulegen. Willkürliche Abstraktionen sind jene, die gedankenlos sind; sie plätschern an der allgemeinen Oberfläche; die in der Systematik angelegten Abstratktionen erfassen wir nur durch die Distanz zum unmittelbaren Objekt; erst dadurch entfaltet sich die gesamte Vielfalt der Sinnesabbilder, der Wahrnehmungen, der Vorstellungen, der Dinge, der Gegenstände, der Eigenschaften, letztlich die Voraussetzungen für den Gedächtnisprozeß des "Konkretisierens". Das Bild ist "Ungegenständlich", der Mensch ist "tot", bleibt als Syllogismus mit dieser Plattheit eine schlechte Abstraktion, aber es ist die Abstraktion des unmittelbaren vorhandenen. Der/die Tote, wenn er/sie im Leichenschauhaus seziert wird, tritt uns in der Distanz zur genaueren, zur systematischen Be- stimmung gegenüber, die uns innere Zusammenhänge erkennen läßt, zwar kompliziert (da wir als Laien vielleicht am unmittelbar Gegebenen stehen bleiben und das Fehlen eines Magens als Gallenverlust interpretieren), jedoch vielfältige Resultate aufzeigend, die auf bestimmte oder unbestimmte Zusammen- hänge hinweisen.

Jenes schlechte "Abstrahieren" bildet die Grundstruktur des ALLTAGSBEWUßTSEINS, die mit tödlicher Sicherheit auftretende plumpe Verballhornung, wenn es darum geht, zu einer Bestimmung weitere Bestimmungen hinzuzuffügen, und sei es noch so schwierig: Tot ist "tot", ist in diesem Sinne die Mißachtung der ein- fachsten Regeln unserer Denkstrukturen. Übertragen wir das auf die Politik, wird zunehmend deutlich, daß diese negativen Abstraktionen mit zu den Übeln unserer Zeit gehören, sie stellen die konkreten Urteile über andere Menschen, politische Reaktionen und sich daraus ergebenden Schlußfolgerungen (z. B. Vorurteile) dar. Es mag mehr als gefährlich sein, diese willkürlichen, negativen Abstraktionen im Alltagsleben einzusetzen; erst recht dann, wenn es darum geht, politische und gesellschaftliche Zusammenhänge zu erkennen und sich darauf zu beziehen. Die Verballhornung tritt in der Regel mit bürgerlichen Allerweltssätzen auf: "Sage mir, mit wem Du umgehst, ich sage Dir, wer Du bist"; oder: "Wer einmal lügt dem glaubt man nicht, wenn er auch die Wahrheit spricht!" Hier finden wir eine geballte Ladung der schlechtesten Abstraktionen des gesunden Menschenverstandes vor, die wir uns nur vorstellen können; in diesen Zusammenhängen ganz unwillkürlich, unkonkret; der gesunde Alltagsverstand tritt uns in diesen allgemeinen Urteilen entgegen; in der von uns so sehr verehrten Platidüde, der höchsten Form der praktischen Weisheit, weil es scheinbar "auf der Hand liegt", das es so ist, und diese Urteile mit der Alltagswelt übereinstimmen, wobei die beiden erwähnten Sprüche noch die harmloseste Form des unzusammenhän- genden Denkens sind.

Immer fehlt die Distanz zu diesen Aufdringlichkeiten des Alltags, zur Gewohnheit, zur Andersartigkeit, zu immerfortwährenden Diskriminierungen usw. Die gemeingefährlichen Aussage, die wir treffen, scheinen mit Macht unser gesellschaftliches Leben zu durchdringen. Als tretende Ignoranz des "gesunden" Menschenverstandes beschränkt sich das leider nicht allein auf das Verhältnis des Abstrakten zum Konkreten; sondern erstreckt sich auf den Prozeß der menschlichen Erkenntnis als Ganzes, weil sie sich einer Reihe von Kurzschlüssen bedient, die um so schrecklicher zu beobachten sind, weil wir nicht vor ihnen gefeit sind. Das Beispiel des Umgangs-Zitat soll das verdeutlichen: Das ALLTAGSBEWUßTSEIN scheitert gewöhnlich schon auf dieser Mikro-Ebene; am Übergang vom Abstrakten zum Konkreten; erst recht bleibt uns verborgen, daß die Dimension, auf die sich der Ausspruch bezieht, eine gesellschaftliche und damit politische hat: Wir werfen ständig die Abstraktion-Ebenen durcheinansder, lösen uns nicht von ihnen und richten dadurch, da die Konkretisierung unterbleibt, heillose Verwirrung, oftmals nicht wieder gut zu machenden Schaden an.

Ist es nur die Unsicherheit über die notwendige unbedingte Konkretisierung, die uns davon abhält, den Prozeß "konkret" werden zu lassen, mit wissenschafticher Akribie nachzuforschen, was an dem "Umgangs- oder Lügen"-Spruch so falsch und niederträchtig ist, oder zeigt die unterbliebene Konkretisierung nicht vielmehr an, daß unser Denkvermögen dermaßen erodiert ist, daß wir uns den Urteilen, die zwangsläufig erfolgen, nicht mehr entziehen können? Die Verwechselungs-Identitäten sind gewöhnliche Statements, die im übrigen sehr beliebt sind, (und wieder im negativsten Sinne "abstrakt"), weil diese Gegenüberstellungen überall in der Moderne anzutreffen sind, vor keiner Personengruppe halt machen, uns wie ein Geschwür durchziehen: Individum-Gesellsellschaft. Der modische Vorwurf, der als Implantat wirkt: Wer lügt, verbessert seine Lebenschancen nicht; wer falschen Umgang hat, wird gesellschaftlich geächtet, kriminell usw. Da kriecht uns die ganze Mißachtung der Albernheiten des gesunden Menschenverstandes entgegen. Das Allgemeine ist nicht identisch mit dem Abstrakten, umgekehrt natürlich erst recht nicht das Einzelne mit dem Konkreten. Von letztgenannten Beispielen ausgehend, bezieht sich abstrakt und konkret gleichermaßen auf das Einzelne als auch auf das Allgemeine. Wollen wir einigermaßen zu einem vernünftigen Gedankenaustausch mit denjenigen, die in unserem Kopf abgestempelt, und völlig zu Unrecht einem Werteverlust ausgesetzt sind, kommen, wird uns nichts anderes übrigbleiben, als mit der Konkretisierung des Allgemeinen, des allgemein Abstrakten, oder des abstrakt-allgemeinen Zusammenhangs zu beginnen, uns von den Dogma-Sprüchen zu lösen, vom moralischen Grobdesign - als Verzehr für jedermann gedacht- zu lassen, vom Schubladendenken der abstrakten Vorurteile, die der homo erektus so perfekt beherrscht! Das wird viel mit der Zerstörung der abstrakten Allgemeinheiten in unserem Kopf zu tun haben; die Konkretisierung ist der Abgesang an diese "geheimnisvollen Elemente" des ALLTAGSBEWUßTSEINS, die mehr und mehr "soziale Gefüge" der modernen Warenproduktion zu zerstören scheinen. Die Plötzlichkeit, mit der der Wiedereintritt in die negative Abstraktion erfolgt, ist auch in der Regel mit einer hohen Blendungskraft umgeben. Da verschwindet das "Konkret werden lassen" schnell, meist spurlos, blitz- schnell und hinterläßt bestenfalls eine vage Erinnerungsspur: Das (angeblich) konkret Beobachtbare zerfällt in die Gleichgültigkeit, es verselbständigt sich.

Kommt dieser Verselbständigung noch die abstrakte Öffentlichkeit hinzu, die die ordinären "Erklärungsthesen" vielleicht noch unterstützen, ist die innere Dramatik der Abstraktionen auf dem Höhepunkt angelangt, die "Biertisch- Mentalität" hält Einzug in die Köpfe: Man weiß wieder, was möglich ist, was nicht, was noch und was nicht mehr angmessen erscheint, welche Ansprüche erlaubt sind, wem oder was Einhalt geboten werden muß usw. usf.

Das ALLTAGSBEWUßTSEIN setzt von Anfang an die Abstraktion; es durchläuft im Laufe seiner Existenz erst die ganze Bandbreite der Konstruktion- und Rekonstruktionsprozesse um zu einigermaßen gesicherten Urteilen über das gesellschaftliche Leben und seiner Erscheinungen zu kommen. Die abstrakten Definition werden uns nicht weiterhelfen; erst im "konkreten" Denken sind die Inhalte der Bergriffe angelegt, die wir so bitter benötigen, um negative abstrakte Normalformeln zu absorbieren, aus der Masse der Abstraktionen, die uns umgeben, die Nützlichkeit der "konkreten" Ableitungen zu begreifen, aus den Tauto- logien der abstrakten gesellschaftlichen Begriffszusammenhänge herauszutauchen, die vorgegebenen "werte" und die Glaubenswahrheiten gegen zusammenhängende und sinnbildende Betrachtungen einzutauschen.

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