Zu einem Eklat hinsichtlich des Tarifangebotes der öffentlichen Arbeitgeber
kam es am 27. Februar 1999 im OTV-Haus am Engeldamm. "Das kann ich meinen Kollegen
nicht verkaufen", empörte sich Michael Smolinski. Der BSR-Abteilungsvorsitzende der
ÖTV zeigte sich aufgewühlt angesichts der vorliegenden Fakten. Er gehörte mit zu den
Funktionären, die ihr Votum zu dem vorliegenden Verhandlungsergebnis abgegeben haben.
Ernüchternd das Resultat: Von den 24 Anwesenden erteilten 19 dem
"Minusgeschäft",
wie in der Runde genannt, eine entschiedene Abfuhr.
Drei Gewerkschafter enthielten sich der Stimme, zwei gaben der Sache ihren Segen.
Zuvor wurde heftig und kritisch diskutiert. Bis 12 Uhr mußte das Fazit auf dem Tisch der
Großen Tarifkommission in Stuttgart liegen.
"Die haben uns mit 3,1 % geködert, um Zugeständnisse bei den Arbeitszeitregelungen
zu kriegen", stellte Tarifsekretär Werner Schaberg enttäuscht fest. Frank Bäsler
zeigte sich kämpferisch: "Dieses Angebot darf niemals den Status eines
Tarifabschlusses erlangen". Er forderte die Große Tarifkommission auf, die
"Politische Erklärung zu Arbeitszeitfragen" herauszustreichen. "Diese hat
nichts im Tarifvertrag zu suchen", stellte Michel Smolinski klar. "Die ÖTV hat
von Anfang an gesagt: keine Kompensationsgeschäfte" Frank Kirstan, Sprecher der
ÖTV-Betriebsgruppe beim Arbeitsamt Südwest, warnte davor, das Angebot abzulehnen.
"Bei über vier Millionen Arbeitslosen fallen wir damit auf den Bauch. Die Sache mit
der Arbeitszeit sei ein Politikum, so Smolinski. "Hier werden die Weichen für die
Zukunft gestellt, helfen wir mit, durch noch mehr Überstunden weitere Arbeitsplätze zu
vernichten." Man müsse das Gesamtpaket sehen. Wie sich herausstellte, sind vor allem
in den Arbeiterbereichen enorme finanzielle Einbußen zu erwarten. Außerdem sei, so Frank
Bäsler, der Flächentarifvertrag in Gefahr. "Bald machen alle Betriebe und
Verwaltungen im öffentlichen Dienst was sie wollen", äußerte der BVG-Experte
besorgt. Die Entkopplung zwischen Ost und West werde für weitere 15 Monate
festgeschrieben. Unklar sei für viele, warum überhaupt gestreikt werden soll, gab ein
Kollege zu bedenken. 3,1 % mehr Lohn bzw. Gehalt sei mehr, als jemals erwartet wurde. Für
die Jugend sei fast nichts erreicht worden, stellten mehrere Redner betrübt fest. Dennoch
hätte alles viel schlimmer kommen können. Der Horrorkatalog der
Arbeitgeberverbände sei vom Tisch, informierte Werner Schaberg. Dieser sah u.a. vor, den
AZV-Tag im öffentlichen Dienst generell auf den Rosenmontag zu verlegen.
Insgesamt konnte als Bewertung der Berliner Kollegen folgendes festgehalten werden: Die
Anhebung der Löhne und Gehälter ist akzeptabel. Es bestehen jedoch erhebliche Bedenken
hinsichtlich der Laufzeit und ihrer Auswirkungen auf eine gemeinsame Tarifrunde 2000 für
West und Ost. Das fehlende Angebot hinsichtlich einer verbindlichen Übernahmeregelung
für Auszubildende ist nicht akzeptabel.
Mit 19 Nein-, 2 Ja-Stimmen und 3 Enthaltungen wurde das Gesamtergebnis in Berlin daher
abgelehnt - damit standen die Berliner jedoch "mal wieder" allein auf weiter
Flur. |