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aus: konkret - 3/99

Die neue Rechte
Mit der »Emma«-Titelgeschichte zur Nazifilmerin Riefenstahl hat sich Alice Schwarzer zur neuen Frauenschaftsführerin gemacht

von Kay Sokolowsky
03/99
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»Down, down, down. Would the fall never come to an end?«  Lewis Carroll: Alice's Adventures under Ground

Wahrscheinlich nicht, solange das Grubenlämpchen noch glüht und die Heldin ihren Fall für eine Karriere hält, welche sie nicht etwa tiefer und tiefer in die hiesige Grundordnung treibt, sondern höher und höher, jenen Kreisen entgegen, in denen Geschichte Mythos, Lüge Legende heißt und deren erlesene Bewohner über das rare Privileg verfügen, schon zu Lebzeiten strenger duften zu dürfen als alle anderen. Down, down, down, um dahin zu gelangen, wo auf den Fläschchen »Trink mich« steht und den Küchlein »Iß mich«, und zwar in Alfred Bioleks Handschrift; hinab, hinab, hinab - dorthin, wo eines Menschen Größe davon abhängt, was zu schlucken er bereit ist und wie wenig es ihn ekelt, gelegentlich am Bodensatz zu lecken; wo, kurz, der blanke Wille zum Wichtigtun triumphiert über jeden Geschmack und Verstand.

Alice Schwarzers Abenteuer mit und in Deutschland, unversieglich larmoyant erzählt und erzählt by herself, bis es nur denen nicht aus den Ohren kam, die eh auf Durchzug geschaltet hatten, oder denen, die vom Sound der Erzählerin schlicht nicht genug kriegen, von diesem kumpelhaften, anmeiernden, keiner rhetorischen Dumpfmeisterei ausweichenden Tonfall - Schwarzers Fährnisse auf dem Weg zur inneren Einheit, ihrer eigenen und der ihrer Nation, haben gleichwohl, im Pöckinger Audienzsaal der Leni Riefenstahl, ein vorläufiges Ende gefunden, dem Schwarzer nur mehr einen Epilog anzufügen vermag, ohne es aber wirklich zu müssen. (Zwingen und mundtot machen freilich ließe die Frau, die 1985, in der Textsammlung Mit Leidenschaft, um gar keinen Preis ... die manchmal recht dünne Luft der Konfrontation wieder tauschen* mochte gegen die stickige des Sich-Einreihens, des Sich-Beugens, diese autonome Feministin, die 1984, als wissenschaftliche Beirätin des blutjungen Hamburger Instituts für Sozialforschung, versprach, den besonderen Freiraum, den wir hier haben und in dem laut etwas gesagt werden kann, was zur Zeit woanders noch nicht einmal mehr leise gedacht werden darf, zu nutzen, pressieren also und knebeln ließe »eine der faszinierendsten Frauen der Gegenwart«, wie ihr Hausverlag Kiepenheuer & Witsch sie nennt, sich nicht einmal durch die Verleihung des Bundesverdienstkreuzes, das Schwarzer, gleich nach Empfang 1996, als indirekte, diskrete Ermutigung für kritisches, eben manchmal auch Ihnen unbequem werdendes Engagement zu verstehen, Herr Bundespräsident, sich genehmigte.)

Der Fall der Alice Schwarzer, der ein echt neudeutscher Aufstieg ist, von der antiautoritären Bewegung durch die bürgerliche Initiative hinan zur bourgeoisen Autorität, die sich nicht länger, d. h. schon seit langem nicht mehr gefallen lassen mag, daß der nivellierende Gruppendruck und gleichzeitig verdeckte Machtstrukturen - hinter deren schützendem »Wir« Einzelne im Namen eines Kollektivs die Drähte ziehen - ihr das obsessive »Ich«-Sagen versauern: Dieser tiefe Fall nach oben wäre der Rede nicht noch der Beobachtung wert, hätte es seine Heldin damit bewenden lassen, sich, wie geübt, bei jeder Gelegenheit für die eigenen Verdienste zu loben - im Namen eines »Wir Frauen«-Kollektivs, das sich nicht wehren kann, weil es so wenig da ist wie ein selbstbewußtes Proletariat -, die Drähte zu zupfen, an denen außer ein paar Volontariaten zum Glück wenig hängt, und ansonsten ein Heft am Leben zu erhalten, das, wäre es ein Kind, geradezu einen Modellfall abgäbe für die »praktische Ethik« des Schwarzer-Freundes Peter Singer. Aber dann - aus der petrifizierten »Bonner« war die steindumme »Berliner« Republik erwachsen - traf Alice auf Leni, und es schlugen unvermittelt zwei Herzen im 08/15-Takt: Wie alle Legenden ist auch die Riefenstahl aus der Nähe nur ein Mensch, in dem Fall noch ein weiblicher dazu, also bescheiden und verbindlich im Auftritt.

Also erledigt sich in einem Satz jegliche Mühsal und alles Gewese aus drei Jahrzehnten Radikalfeminismus, schrumpft ein zur Feststellung, daß Frau Riefenstahl eine Frau und sogar ein Mensch ist und, wg. weiblich noch dazu, keine Legende, sondern ein Ausbund an guten Manieren. Was Alice Schwarzer bei der Lieblingsregisseurin Adolf Hitlers zu suchen hatte außer zur Begrüßung ... Kaffee und Kuchen, wird aus der 16-Seiten-Strecke, die »Emma« 1/99 der Chefin freiräumt, nicht auf Anhieb klar. Stark nach Rekonstruktion des Niegewesenen riecht ein Absatz etwa in der Mitte der Huldigung: Mir fiel irgendwann Anfang der 80er der Ton auf, in dem über Riefenstahl geredet wurde. Diese Selbstgerechtigkeit und Gehässigkeit, hinter der immer etwas anderes steckt.

Anfang der 80er? Als über »die Nazisse« (Erich Kuby) ausnahmsweise kein Gerede war? Jedoch sehr viel Aufregung um die Frau, die ihr heute die Standarte hält und die sich damals von Henryk M. Broder eine »Antisemitin« nennen lassen mußte, aus nicht untriftigen Gründen. Bis dahin hatte Schwarzer Beschimpfungen ertragen müssen, deren Motive, Vokabular und Absicht die Korrektheit dessen, was sie schrieb und trieb, nachgerade zu belegen schienen. Nun allerdings - es ging in »Emma« um das Israel-Palästinenser-Problem - hatte die Vor-allem-Feministin sich zu weit aus dem Fenster gelehnt und, indem sie von Angelegenheiten redete bzw. reden ließ, die mit Sexismus nichts, mit deutscher Ideologie alles zu tun hatten, erhebliche Defizite in kritischer und Faschismustheorie bekannt. Ihre Reaktion auf Broders Attacke (unter dem Titel »Ihr seid die Kinder eurer Eltern« 1981 in der »Zeit« erschienen) zeigte nicht allein, daß Schwarzer unfähig ist, irgendeine Kritik anders denn als Diffamierung, lieber noch: persönliche Diffamation wahrzunehmen. Die Apologie pro domo, die sie zunächst in KONKRET, danach in »Emma« und zum dritten Mal - so wichtig war ihr die Rettung eines hart erkämpften Images - in Mit Leidenschaft abdrucken ließ, markiert zugleich den Punkt, von dem aus der freie Fall der Alice Schwarzer hinab an den Kaffeetisch Leni Riefenstahls einsetzte. Die Huldigung an Goebbels' Protegé ist in Sind wir alle Antisemiten? präformiert.

Jede Zeile des Rechtfertigungsartikels von 81 äußert ein Unbewußtsein, dem aufzuhelfen Schwarzer, ganz Kind des Landes, das ich hasse und liebe, durchaus nie bereit gewesen ist. Sie plärrte, Schlimmeres (könne) man einem Deutschen 37 Jahre nach Auschwitz nicht anlasten als die Absicht, »eine zweite Endlösung« anzustreben. Es wird alle diejenigen, die an der ersten »Endlösung« mitgewirkt hatten, gefreut haben zu hören, daß ihre Verbrechen allenfalls das Zweitschlimmste gewesen sind, was einem Deutschen nach Auschwitz angelastet werden kann. (Die erbärmlich schlechte Schreiberin hat sich hier, wie noch zu sehen sein wird, nicht einfach im Ton vergriffen.) In keiner Frage muß man sich darum auch vor Pauschalisierung so hüten wie in dieser. Broder hütet sich nicht. Im Gegenteil, er drischt drauf los, was das Zeug hält. Er ist dabei so leichtsinnig wie demagogisch, seine Methoden sind so fragwürdig wie seine Motive. Die Pauschalierung, die sie meinte, betraf die deutsche Linke, die Broder in seiner Polemik auch meinte, und für die pro toto zu sprechen sich Schwarzer 1981 erlauben durfte, weil die Rechte mit dem »Mannweib« (»Bild«) keinen Bissen Brot, geschweige ein Fernsehkochstudio teilen wollte und weil kaum jemand gemerkt hatte, daß die Frau, die so oft »ich« sagt, sofort von »uns« redet und ein schützendes »Wir« reklamiert, wenn man ausdrücklich ihr an den Karren fährt.

Was aber nicht heißen soll, sie habe nicht den meisten Linken, die sich anno 81 dafür hielten, aus dem Abgrund des Herzens geschwafelt, als sie ihr Verhältnis zum Völkermord so faßte: Die richtige Haltung scheint mir eine Empfindsamkeit zu sein, die weder unser Deutschsein - mit seinem ganzen schmerzlichen Erbe - verleugnet, noch in die dunklen Niederungen eines fatalistischen mea culpa hinabkriecht. Ja, es schmerzte und schmerzt unsere Heldin in der Tat sehr, dieses Erbe, so sehr, daß sie sich zuletzt von einem Juden polnischer Herkunft vorbuchstabieren lassen mochte, auf wessen Seite tatsächlich gelitten worden ist. Viele Jahre später, in den dunklen Niederungen hoch überm Starnberger See, sollte Schwarzer einer Kreatur begegnen, der wahrlich niemand vorwerfen kann, ihr Deutschsein jemals verleugnet oder auch nur ein Mal »mea culpa« gesagt zu haben, und die degoutante Diktion des Plädoyers wider Broder ohne Problem übertragen auf die so besonders begabte Leni Riefenstahl: (Die) Vereinfacher haben die lauteste Stimme; nicht selten, weil sie eigene Abgründe übertönen müssen. 1981 lautete der gleiche Schwachsinn so: Aber so wenig, wie das Betroffensein vom Sexismus vor Antisemitismus schützt, so wenig schützt, leider, auch das Betroffensein von Antisemitismus vor Sexismus. Folgt eine Bemerkung über Broders mehrfach publizierte gockelhaft selbstgefällige Frauenverachtung, die nur dem einen Zwecke dient, dem Juden, der eine Antisemitin beim Namen genannt hat, retour eins reinzuwürgen: Beides, Antisemitismus und Sexismus, gedeiht auf demselben Boden. Schwarzer ist von diesem monströsen Theorem seit jeher authentisch und felsenfest überzeugt, noch heute schärft mein Blick für Antisemitismus den für Sexismus, und wenn sie auf die Kette der Progrome (!) sieht, dann sieht sie wirklich nichts als den Genozid an meinem Geschlecht. Einen umfassenden politischen Durchblick forderte die Flachdenkerin, die ihresgleichen Masochismus, den Juden Demagogie attestierte, 1981 ein, und daß der alte Text, der sich heute wie ein Empfhlungsschreiben an die Pöckinger Lemure liest, die »Linke« Alice Schwarzer nicht zur persona non grata unter den Linken machte, läßt sich allein mit dem umfassenden politischen Durchblick entschuldigen, für den deutsche Linke (der Akzent liegt auf dem Adjektiv) weltberühmt sind.

Damals, so Schwarzer Ende der Neunziger über Schwarzer Anfang der Achtziger, kannte ich ihre Filme noch nicht und hatte ihre Fotos nur flüchtig betrachtet. Immerhin wußte die selbsternannte Ahnungslose schon 1979 über Riefenstahl so viel, daß sie, im Besinnungsartikel Was ich mit Majdanek zu tun habe, zu Recht empört notieren konnte: In der sich als liberal verstehenden »Zeit« stand jüngst ... ein sogenanntes Psychogramm des ehemaligen NS-Rüstungsministers Albert Speer ... Drei Folgen, in Farbe, hochsensibel, mit Familienfotos und einem ganzseitigen Farbporträt Speers, neu aufgenommen von Leni Riefenstahl (!). Das Ausrufezeichen stammte von Schwarzer (und fehlt auch nicht im Nachdruck sechs Jahre später), die ihren Abscheu vor der Porträtfotografin des Arbeitssklavenhalters aber schon lange vergessen hat und eine NS-Kontinuität nicht mal mehr erkennt, wenn sie ihr die Hand schüttelt. Eine Frage, bei der Gelegenheit, worüber der Architekt und die Abbildnerin der Reichsparteitage denn so geplaudert haben anläßlich des »Zeit«-Klassentreffens, kommt der Frau, der irgendwann Anfang der 80er etwas auffiel, nicht in den Sinn. Sie ist nämlich mächtig beschäftigt damit, einen wirklich offenen Blick ... zu richten.

Ich begann, genauer hinzusehen und hinzuhören. Jetzt, im November 1998, hatte ich einen Anlaß: Im Filmmuseum Potsdam wird die erste Riefenstahl-Retrospektive in Deutschland gezeigt. Die Erregung ist vorprogrammiert. Und die Voreingenommenheit auch. Dem muß begegnet werden, daran hat Schwarzer, die, unbestritten, noch nie gekniffen hat, wenn es galt, Tabus zu brechen, keinen Zweifel mehr. Vorgestern der Paragraph 218, heute der »Triumph des Willens«, die Unterschiede sind, von dem Niveau aus, auf dem die bekennende Dönhoff-Verehrerin sich mittlerweile befindet, kaum als graduelle zu erkennen. »Wer sich Ärger einhandeln möchte, sollte ein Buch über Leni Riefenstahl schreiben«, notiert ... Ausstellungsmacherin Bärbel Dalichow ... Ich entschloß mich, selbst mit Riefenstahl zu reden. Dieser Löwinnenmut vor einem Sprechverbot, das sich die Rechte nie auferlegt hat und dessen Abschaffung eben die Retrospektive in Potsdam (sowie eine simultane in Köln) aufs deutlichste verkündet, diese lächerliche Simulation von Courage, wo es doch spätestens seit Bianca Jaggers flammendem Bekenntnis, Mitte der Siebziger, zu »dieser Frau mit solchen kreativen Kräften« eher schon Schneid erfordert, faschistische Propaganda, statt »cool« oder »Pop«, weiterhin den zu zensierenden Dreck zu nennen, der sie ist - Alice Schwarzers Kämpferinnenpose angesichts dieser Frau, dieses Werks und dieses Landes, das die angeblich Gehetzte nie verkommen ließ, im Gegenteil, entwertet zwar nicht die Meriten, die Schwarzer einst erwarb, erlaubt aber die Frage, ob eine journalistische Karriere, die im Kaffeekränzchen mit Leni Riefenstahl gipfelt, nicht auch ohne den bestialischen Haß, den Schwarzer mal auszuhalten hatte, ohne die »Menschenhatz« (Christian Schulz-Gerstein), die nach dem Kleinen Unterschied (1975) auf sie eröffnet worden war, zu haben gewesen wäre.

Ihr Arbeitscredo formulierte Alice Schwarzer 1985 so: Es ging und geht mir um einen Journalismus, der seine politische Funktion transparent macht und bewußt erfüllt. Darf man unterstellen, daß sie diese Phrase, hereingeweht aus einer sagenhaft banalen Medienkritik, die mal gräßlich in Mode war, als die beteiligten Kritiker noch vergeblich um einen Platz am Fleischtrog anstanden, ernst gemeint hat? Mit Leidenschaft? Dann dürfte ihr Riefenstahl-Stück getrost als Abschied und Überwindung dieser Maxime zu werten sein, bewußt-, ja besinnungslos seiner politischen Funktion - der zur forcierten Normalisierung Deutschlands -, transparent allein in seinem Bemühen, den Frauen, die noch »Emma« lesen, allen Ernstes eine fanatische Herrenmenschin als Vorbild zu empfehlen. Einen Journalismus gelobte Schwarzer 85, der sich gegen die Lüge von der Objektivität wendet und damit die Spielregeln bricht, die nur denen nutzen, die sie aufgestellt haben. Heute, als gefragter Talkshowgast, Quizclown, gleich zwiefach Biographierte, Karnevalsprinzessin und Verdienstkreuzträgerin, als Journalistin also, die nach allen Regeln mitspielt und gar nicht daran denkt, ein System zu verändern, das eben nicht so ist, wie es ist, nur weil es den Männern dient, sondern vor allem weil der Kapitalismus, der alte Hermaphrodit, es so braucht, heute plädiert sie im Umgang mit einer Nazi-Ikone für einen wirklich offenen Blick und genaue Kritik - die objektive Gestsse, die in der Tat eine Lüge ist, regiert die Riefenstahl-Hommage derart rigid, daß kein Satz darin vorkommt, der nicht verkitscht wäre, schönredete, verleugnete oder kurzerhand fälschte.

Mögen einige der vielen Dummheiten und Dreistigkeiten im neueren Werk Alice Schwarzers noch zu »entschuldigen« sein durch die objektiven Bedingungen der bürgerlichen Medien, denen sie sich mit Haut und Haar ergeben hat, kann am Titelstück der Januar-»Emma« freilich kaum ein Wort als bloßes Produkt der allwaltenden Medienmaschine gerechtfertigt werden. Denn Schwarzer unterläßt das, was doch das mindeste ist, um einen Unterschied des bürgerlichen Journalismus von offener Demagogie noch markieren zu können: eine Recherche, die den Namen bloß entfernt verdient hätte. Offenbar über kein anderes Material verfügend als den Begleitband zur Potsdamer Schau (Leni Riefenstahl, Henschel Verlag, Berlin 1998, 250 Seiten, 59,90 Mark), tut Schwarzer so, als wisse sie mehr als dessen Autoren und unterschlägt leichthin, was sie daraus erfahren hat, ihr jedoch nicht in den Kram paßt. Die großteils solid bis vorzüglich gearbeiteten Essays des Buches, die Akribie und Quellensorgfalt, die zumal Claudia Lenssen und Felix Moeller in biographischen Angelegenheiten der Riefenstahl walten lassen, sind Schwarzer so unangenehm, ja ärgerlich, daß sie, die kein plattes Psychogeseich ausläßt, um ihre Leni weißzuwaschen, Lenssens hochpräzisen und nüchternen Aufsatz zu »Leben und Werk« einer unterschwelligen Voreingenommenheit und permanenten Psychologisierung zeiht. Schwer zu sagen, was hier widerlicher anmutet: die Denunziation der Konkurrentin oder die schamlose Unredlichkeit des Verfahrens. (Die »Bild«-Zeitung, die für bestimmte charakterliche Dispositionen durchaus einen Riecher hat, folgte, soviel ist nun klar, nicht nur reklametechnischen Erwägungen, als sie Schwarzer in ihre »Kulturpreis«-Jury berief.)

Die Apologetin kolportiert - offenbar annehmend, es käm' ihr schon keiner auf die Schliche -, Riefenstahl habe nur ein einziges Mal im Auftrag der NSDAP inszeniert, und zwar »Triumph des Willens« (1934), weniger aus politischem Interesse ... und eher in der Hoffnung, danach die Freiheit zu haben, »nie mehr Filme für die Partei machen zu müssen«. Tatsächlich hatte Riefenstahl schon 1933 dem Führer einen Parteitagsfilm geschenkt, »Sieg des Glaubens«, und legte ihm 1935 mit »Tag der Freiheit« eine weitere glühende Beschwörung der NS-Religion zu Füßen, (»Am Ende von ›Sieg des Glaubens‹«, referiert Lenssen, »sieht man eine Hakenkreuzfahne in den Wolken, am Ende von ›Triumph des Willens‹ den Reichsadler - dieses Mal bildet eine Fliegerstaffel ein Hakenkreuz, dazu ist das Deutschlandlied zu hören.«) 70 Jahre Arbeit, davon drei Monate im Dienste Hitlers - und sie gilt lebenslang als Nazi-Künstlerin. Klagt Schwarzer tief erschüttert, womöglich sogar mit der Riefenstahl-Filmographie vor sich.

Wider besseres Wissen - das ihr unterstellt sei, weil sie andernfalls als ignorante Idiotin, die sie nicht ist, noch zu freundlich apostrophiert wäre - betet Alice Schwarzer jede der Sagen und Lügen nach, die Riefenstahl seit 45 um sich und ihr Werk verbreitet. Dem »Triumph des Willens« folgt 1936 der Auftrag (des IOC), einen Film über die Olympischen Spiele in Berlin zu drehen. Beim Historiker Moeller, der für den Ausstellungsband die Verbindungen Riefenstahls zur Parteispitze untersucht hat, liest sich das anders: »Schon bevor die ersten Goebbels-Tagebücher bekannt wurden, war eine weitere Legende ... nicht mehr zu halten. (Beim Olympiafilm) handelte es sich nicht um eine unabhängige Arbeit im Auftrag des Olympischen Komitees, sondern um einen Staatsauftragsfilm des Propagandaministeriums ...« 400.000 Reichsmark Gage plus Zulagen spendierte Goebbels der willigen Helferin für das Stück, in dem die ästhetischen Ideale des Nationalsozialismus so vollendet abgebildet waren wie vormals in den Parteitagsstreifen seine restlos ästhetisierte Ideologie. »Die reine Oberfläche ist schon die Aussage«, konstatiert Georg Seeßlen in Tanz den Adolf Hitler (Berlin 1994), »(Riefenstahls) Körper- und Heldenbilder, ihre Ornamente von Massen und Formen, ihre Raumerfahrungen und -ordnungen ... lassen nichts anderes zu, weisen auf nichts anderes als sich selbst, schließen alles andere aus. Jedes Bild ... von Leni Riefenstahl ist eine Gewalttat, die vollständige Ersetzung der organischen Welt durch die kriegerische Pose.« Schwarzer sieht das, sagen wir mal, nicht so: Der zweiteilige Dokumentarfilm »Fest der Völker« und »Fest der Schönheit« verwandelt simplen Sport in hehre Kunst und setzt bis heute Maßstäbe in der Sportberichterstattung.

Die Obszönität der Riefenstahlschen Bilder, diese endlose Serie symbolischer Erektionen, Penetrationen und Ejakulationen, all die sadomasochistischen Inspirationen und die bis zum Exzeß sexualisierte Mise en scène will die »PorNo«-Aktivistin nicht einmal wahrnehmen. Zum »Triumph des Willens« fällt ihr statt dessen dies ein: ... ein Film, der so göttlich war, wie sich die Nazis gerne selbst sahen ... anonyme irdische Menschen, verklärt zur heroischen Verkörperung einer großen Idee. Den Nationalsozialismus als eine große Idee zu bezeichnen, hätte selbst Broder ihr nicht zugetraut. Doch die hemmungslose Identifikation mit dem Gegenstand - vulgo: der offene Blick - nimmt Schwarzer alle Bedenken; der folgende Absatz steht nicht etwa in einem Skinhead-Fanzine, sondern in »Emma«: (Als) die Nazis an die Macht kamen, schwärmte Leni Riefenstahl für den Führer, wie Millionen andere Deutsche auch. Nur bei ihr kam hinzu - der Führer schwärmte auch für Leni. Ihre archaischen, mythischen, poetischen Bilder brachten ihn zum Träumen. Der Führer, ein heimlicher Romantiker. Ein Träumer. Mit einer großen Idee ... Gab es denn keine einzige Redakteurin, die rasende Chefin zur Räson zu bringen? Ist dort, in Köln, Alteburger Straße, nach den zahlreichen Vernichtungsphantasien, die während der letzten Jahre als neofeministische Analyse verhökert wurden (»Ich kastrier und sezier dich«, 2/96; »Eine Waffe haben. Und wenn er dann da steht, sie aus der Tasche ziehen. Langsam, cool. Genießen, wie sich seine selbstgefällige Arroganz, seine Bedrohlichkeit, in Angst verwandelt. Seine Angst. Ihn das Fürchten lehren. Zielen. Abdrücken. Vielleicht wirklich abdrücken«, 6/96; »Rapperin Alina: endlich Klartext«: »Tötet alle Kinderschänder / in unser aller Herrenländer«, 3/98) - ist dort inzwischen jedefrau wahnsinnig geworden?

Einer der ersten Sätze, die Riefenstahl ... zu mir sagt, ist: »Ich möchte auf keinen Fall, daß Sie denken, ich wolle mich rehabilitieren.« Nein. Wie oft soll sie es auch noch sagen. Und sie muß die Rehabilitation gar nicht wollen; das Geschäft erledigt, ohne Not und voll solidarisch, Alice Schwarzer. Warum ... wird gerade Riefenstahl zum Symbol für die nicht geleistete Trauerarbeit von Millionen? Ist es, weil die angeblich besondere Schuld dieser einen Frau den Wahn der Millionen Männer verdeckt? Fünf Propagandafilme für die Nazis, herzliche Freundschaft zu Hitler, bestes Benehmen mit der gesamten politischen Elite, kein Wort der Reue nach dem Krieg, nur Gejammer und ein unermüdliches Prozessieren um die Verleihrechte an ihrer braunen Ware - doch Schwarzer phantasiert sich die exemplarische Faschistin als arme Sündenziege zurecht! Die offenbare Riefenstahl-Lüge, der Nationalsozialismus sei ihr im Grunde fremd gewesen, Politik nie ihre Sache, die »Verstrickung« ins Regime das fatale Resultat einer »dämonischen« Mesmerisierung durch Hitler, wird von Schwarzer affirmativ übernommen und sogar überhöht. Sie will in der Täterin ein Opfer sehen, weil es Täterinnen im Reich des Männerwahns nicht geben konnte (auch das wußte sie, zu Zeiten des Majdanek-Prozesses, einmal besser), stilisiert, mit weit mehr Phantasie als Beweisen, Riefenstahl zum schier prototypischen Opfer männlicher und sexueller Gewalt und scheut sich nicht, die Vita ihrer Leni so lange zu verbiegen, bis es der 96jährigen für eine Ehrenmitgliedschaft im VVN knapp reichen könnte.

Die erhaltenen Zeugnisse über Riefenstahl und ihre herzlichen Kontakte zu diversen Nazigrößen wie Speer oder Martin Bormann erwähnt Schwarzer nicht, obwohl einige davon ihr, im Ausstellungsband, vorlagen. Die Mythisierung, die sie im Namen und nach dem Vorbild der Heroin betreibt, läßt eine Geschichtsschreibung nicht zu, die authentischen Quellen eher vertraut als einer notorischen Leugnerin. Daß Julius Streicher bei Riefenstahl ein- und ausging, sie duzte und mit mehr als freundlichen Briefen bedachte, verschweigt Alice Schwarzer ebenso wie die zahlreichen wohlwollenden Tagebucheintragungen Joseph Goebbels' über die Reichsregisseurin. Lieber käut sie deren alte Mär von dem ihr brutal nachstellende(n) Goebbels wieder, der Leni immerzu an die Wäsche wollte, standhaft abgewiesen wurde und sie mit wachsendem Haß verfolgte, peinigte und boykottierte. Das klingt im Journal der »Verkörperung des Mephisto« (Riefenstahl) doch ein wenig anders: »... bei Frl. Riefenstahl Olympiafilm z. T. angeschaut. Unbeschreiblich gut. ... Eine ganz große Leistung. ... Die Leni kann schon sehr viel. Ich bin begeistert. Und Leni sehr glücklich« (Notiz vom 24.11.37).

Die Leni aber, die der Alice 1998 erzählt, sie habe seit 39 »Aggressionen« gegen Hitler empfunden, denn sie »haßt Kriege«, dieselbe Riefenstahl, von der Schwarzer betroffen berichtet: Auch sie selber kann dem Grauen nicht mehr immer aus dem Weg gehen. Dreharbeiten an der Front in Polen bricht sie nach zwei Tagen ab, nachdem sie ... nach ihren eigenen Worten in den Kriegswirren von einem deutschen Soldaten mit den Worten bedroht wurde: »Schieß das Weib nieder!« - diese Leni Riefenstahl telegrafiert am 14. Juni 1940 ins Führerhauptquartier: »Mit unbeschreiblicher Freude, tief bewegt und erfüllt mit heissem Dank, erleben wir mit Ihnen mein Führer, Ihren und Deutschlands grössten Sieg, den Einzug Deutscher Truppen in Paris. Mehr als jede Vorstellungskraft menschlicher Fantasie vollbringen Sie Taten, die ohnegleichen in der Geschichte der Menschheit sind, wie sollen wir Ihnen nur danken? Glückwünsche auszusprechen, das ist viel zu wenig, um Ihnen die Gefühle auszusprechen, die mich bewegen.«

In Kenntnis solcher Dokumente erfrecht Alice Schwarzer sich zu der Lieblingsbehauptung aller Riefenstahl-Apostel: Wären nicht die Nationalsozialisten 1933 an die Macht gekommen, sondern die Kommunisten - Leni Riefenstahl wäre vermutlich neben Sergej Eisenstein ... eine Ikone der roten Filmkunst geworden. Und sie hätte wohl einen nicht minder beflügelten Film über einen roten Parteitag geliefert, wie sie ihn ... den Braunen ablieferte. Der brillante Werkvergleich beider Regisseure, den Oksana Bulgakowa im Begleitband zur Potsdamer Ausstellung vorlegt und der fundamentale Diskrepanzen in beider Ästhetik benennt, schert Schwarzer ebensowenig wie Siegfried Kracauers nicht gerade verschollenes Standardwerk zur faschistischen Filmästhetik Von Caligari zu Hitler (1947). Leni Riefenstahl gehörte dem Nationalsozialismus mit Leib und einer Art Seele an; daß sie nach 45 nur noch einen Spielfilm (»Tiefland«, 1954) fertigstellte und sich lieber aufs Fotografieren nackter »Naturvölker« und stummer Meerestiere verlegte, war nicht die Konsequenz ihrer inneren Zweifel, sondern die einer nie überwundenen Affinität zum SS-Staat und seiner Ideologie. Zum Schluß ihres irrwitzigen Artikels scheint Schwarzer fast eine Ahnung davon zu beschleichen: Da sieht man die weit über 90jährige im Tauchanzug, wie sie sich ... (einem) Rochen nähert. Der Fisch hat einen Durchmesser von anderthalb Metern und einen Schwanz wie ein Schwert. Er kann mit einem Schlag einen Menschen töten. Ein Fall für Leni.

Down, down, down. Wird dieser Fall niemals aufhören? Wahrscheinlich nicht, solange das faschistische Bild, an dem Riefenstahl maßgeblich mitinszeniert hat, seine faszinierten Fans von Madonna über Rammstein bis nun auch Alice Schwarzer findet und solange eine Grabesruhe herrscht im neuen Deutschland, wenn die Leihmutter der Nation frechweg hinschmiert: Ohne das mörderische Zwischenspiel des Tausendjährigen Reiches würde die Riefenstahl-Euphorie heutzutage vermutlich noch viel weiter gehen. Den Nationalsozialismus nun aber mal als Zwischenspiel beiseite lassen, um eine so begabte Nazi-Künstlerin für den Kultur- und Traditionsbestand der Berliner Republik zu retten (ihr früher Autorenfilm (!) »Das blaue Licht« von 1932 wäre ein Kultfilm der Frauenbewegung wie der Ökobewegung), die Ergebenheitsadressen der Riefenstahl an ihren geliebten Führer als eine der großen platonischen Romanzen des Säkulums anschmachten, um diesem Führer auch eine menschliche Seite abgewinnen zu können, und jetzt evtl. endlich ein radikalfeministisches Porträt der armen Eva Braun verfassen ... Das wären Aufgaben, die auch dem Fall der Alice Schwarzer eine Fortsetzung (die aber, wie gesagt, nur ein Epilog sein kann) gewährleisteten.

Deutsche sein nach Auschwitz, daran rieb ich mich, politisch wie menschlich, schon sehr früh wund - die Wunden, mit denen sie 1985 noch renommierte, sind verheilt, nicht mal Narben mehr zu sehen. Ihr entspanntes Verhältnis zur moralischen Repression, anläßlich von »PorNo!« 1987 geäußert; ihre Freude über die einheimische Golfkriegsopposition 91, verbunden mit dem öffentlichen Bekenntnis, sie sei zum ersten Mal in meinem Leben stolz ..., Deutsche zu sein; ihre ekelerregend devote Dönhoff-Liebeserklärung 96 (Ein widerständiges Leben), in der die greise Gräfin jeglichen Feudalhirnschamott unwidersprochen, nicht selten abgenickt von der Autorin, ausbreiten darf (Auch Marion Dönhoff findet die ganzen »Nürnberger Prozesse« höchst fragwürdig. »Die Alliierten wollten es den Deutschen mal so richtig zeigen. ...« In Nürnberg, so sieht es Dönhoff auch heute noch, »wollten sie die Guten von den Schlechten trennen. Da sie den deutschen Widerstand leugneten, gab es für sie keine Guten - und so geriet die ganze Veranstaltung zu einer Art Vernichtung der Deutschen ...«); Schwarzers Engagement zur selben Zeit für lebenslange Sicherheitsverwahrung von Kinderschändern und gegen eine liberale Strafprozeßordnung (Ausschließliche Zulassung von spezialisierten Psychiatern als Gerichtsgutachter!) und das berüchtigte »Emma«-Dossier über die Herrlichkeit, Soldatin zu sein, gleichfalls im Dönhoff-Coming-out-Jahr erschienen; schließlich die Romy-Schneider-Biographie (Mythos und Leben) von 1998, ein sogar für Schwarzers Verhältnisse unverschämt schludrig und trivial hingerotzter Text (Romy Schneider ist mit ihren abgründigen Unwertgefühlen also keine Ausnahme ... Ein paar Wochen lang sieht es so aus, als würde der Schmerz sie niederknüppeln), der in jeder Zeile darum bettelt, seiner Verfasserin die Moderation von »Mona Lisa« oder wenigstens »Herzblatt« anzutragen -

- all diese Stationen mußte Alice unter dem Grund passieren, um hinab, hinab, hinab nach Pöcking zu gelangen, weg von der Linken und dem Radikalfeminismus, weiter und weiter und weiter weg; all diese Aventiuren des wertreaktionären Mittelstandes mußte sie bestehen, um als die neue Rechte endlich sogar von Leni Riefenstahl registriert und empfangen zu werden, von dieser erprobten, aber gefährlichen Mischung. »So Alice ran off, thinking while she ran (as well she might) what a wonderful dream it had been.«

Kay Sokolowsky schrieb in Konkret 2/99 über Utopien im Krabbeltierfilm

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