Texte
zur antikapitalistischen
Organisations- und Programmdebatte

03/12

trend
onlinezeitung

Es gibt einen Überblick über alle bei TREND 2011/12 veröffentlichten Texte zur Debatte über Organisation und Programm, angeregt durch die "Sozialistische Initiative Berlin" (vormals Berlin-Schöneberg)

Neue antikapitalistische Organisation?
Worüber sich die antikapitalistischen Linken verständigen sollten…

von der Gruppe Marxistische Initiative (5.3.2012)

Wir, die Marxistische Initiative, beteiligen uns mit einiger Verspätung an der Diskussion über einen neuen Anlauf der antikapitalistischen Kräfte zur Gewinnung von Massenwirksamkeit. Die aktuelle ökonomische, politische und gesellschaftliche Großwetterlage bietet dazu reichlich Anlaß: Die aktuelle Weltwirtschaftskrise hat viele Illusionen in die Fähigkeiten des Kapitalismus zerstört, wenigstens in seinen wichtigsten Metropolen schwere Krisen vermeiden zu können. Immer weniger Menschen glauben, der Kapitalismus könne Wohlstand für alle garantieren. In immer mehr Ländern spitzen sich die Widersprüche so sehr zu, daß die im imperialistischen Zeitalter historische Alternative Revolution oder Konterrevolution greifbare Realität wird.

Die wachsende existentielle Unsicherheit immer breiterer Schichten der lohnabhängigen Bevökerung hat auch in der BRD zu einer Erschütterung des traditionellen politischen Herrschaftssystems geführt – was sich nicht zuletzt in einer Vertrauenskrise zwischen Wählerinnen und Wählern der parlamentarisch vertretenen Parteien niederschlägt, in Unzufriedenheit und dem Wunsch nach tiefgreifenden gesellschaftlichen Veränderungen. So interpretieren wir den Umstand, daß inzwischen sowohl in Ost- wie in Westdeutschland die Mehrheit der Bevölkerung Sozialismus prinzipiell für eine positive Sache hält – leider ohne deshalb ein klares Bild vom Sozialismus zu haben oder eine sozialistische Gesellschaft notwendig für realisierbar zu halten.

Grundlagen für die Einheit der subjektiven Revolutionäre

Soweit dürften alle an der von der SIB angestoßenen Debatte Beteiligten übereinstimmen. Aber hier fangen die Probleme erst an. Das Positionspapier der SIB geht davon aus, daß weder die in der BRD existierenden kleinen Organisationen mit revolutionärem Selbstverständnis noch die revolutionär gesinnten Kleinstgruppen (zu denen auch wir gehören) allein in der Lage sind oder sein werden, die sich entwickelnde gesellschaftliche Umbruchsituation für die Schaffung einer massenwirksamen revolutionären Partei zu nutzen.

Als ersten Schritt dahin propagiert die SIB den Zusammenschluß der subjektiv revolutionären Kräfte. Das ist zur Zeit nicht überwältigend realistisch und blendet die ML-Gruppierungen und womöglich die DKP stillschweigend aus – was wir übrigens bei einem Parteiaufbauprojekt für sinnvoll halten. Als Grundlage werden dann von der SIB neben dem Bekenntnis zu einer umfassenden Debatte 5 unverhandelbare Punkte genannt. In der Abstraktion, mit der diese Punkte benannt sind, haben wir mit ihnen keine Probleme. Wenn das SIB-Papier aber feststellt, „über alles andere müssen wir reden“, so stimmen wir diesbezüglich nicht zu. Es erscheint uns auch nicht hilfreich, bei Programmdebatten von "Schmerzgrenzen" zu sprechen. Es geht ja nicht vorrangig um Identität oder die Sebstbefindlichkeit, sondern um politische Zielsetzungen und strategische Eckpunkte einer gemeinsamen Politik. Wir sollten also im Gegenteil gerade über diese 5 unverhandelbaren Punkte sprechen. Immer wieder, immer konkreter und immer offensiver auch nach außen.

Andererseits glauben wir, daß die abstrakte Übereinstimmung nur in diesen 5 Punkten keine tragfähige Grundlage für ein nachhaltiges Einheitskonzept ergibt. Weder Strategie noch taktische Optionen wären damit geklärt. Die SIB selbst meldet vorrangigen Klärungsbedarf bezüglich des Verhältnisses zur Partei "Die Linke" an. Mit dieser Schwerpunktsetzung wären wir mehr als einverstanden.

Voraussetzung für die Klärung dieser Frage ist die Selbstverortung des Projekts. Wir würden diese wie folgt skizzieren wollen:

Aktualität der Revolution

Der Kapitalismus ist seit seinem Übergang in seine imperialistische Phase keine notwendige soziökomische Gesellschaftsformation, um gesellschaftlichen Fortschritt für die Menschheit zu generieren. Die Menschheit erkauft jeden partiellen Fortschritt mit der Entfesselung ungeheuerlicher Destruktivkräfte (Kriege, ökologische Katastrophen, Massenelend, Selbstentfremdung der Menschheit, existentielle Verunsicherung). Der Kapitalismus ist deshalb überlebt und muß aufgehoben werden. Der Kapitalismus ist politisch nicht beherrschbar. Weder Keynesianismus noch Neoliberalismus sind in der Lage, Krisen und Stagnationsperioden abzuwenden. Der Kapitalismus kann seine Krisen nur überwinden durch Kriege, gigantische Kapitalvernichtung und die drastische Absenkung des Lebensniveaus der Lohnabhängigen. In seinen Stagnationsperioden führt ein konjunktureller Aufschwung nicht zu einem allgemeinen Anstieg des Lebensstandards, geschweige denn der Lebensqualität. Reformen werden in der Regel zu Konterreformen. Auch in den reichen kapitalistischen Ländern werden demokratische Freiheiten untergraben und mit repressiven Mitteln ihre Inanspruchnahme verhindert. Jeder Politik der Sozialreformen wird dadurch die Grundlage entzogen. Es geht um Reform oder Revolution, Sozialismus oder Barbarei.

Keine Stellvertreterpolitik

Wir, die Marxistische Initiative, gehen davon aus, daß die Überwindung des Kapitalismus das Werk der Arbeiterklasse – der Lohnabhängigen – sein muß. Diese kann die Klassengesellschaft nicht aufheben, in dem sie den bürgerlichen Staat in Besitz nimmt. Stellvertreterpolitik lehnen wir ab. Die reale Machtausübung der Klasse der Lohnabhängigen als gesellschaftliche Mehrheit während einer Übergangsphase zum Sozialismus ist unabhängig von den konkreten Wegen eines revolutionären Bruchs mit dem bürgerlichen Staat nur als Rätedemokratie denkbar. Diese strategische Zielsetzung ist nur mit einer Klassenorientierung erreichbar und schließt eine Mitverwaltung der kapitalistischen Krise durch eine antikapitalistische Partei strikt aus.

Revolutionäre Minderheit und unzufriedene Masse

Das strategische Dilemma der antikapitalistischen Revolutionäre besteht darin, daß sich trotz aller Unzufriedenheit mit den bestehenden kapitalistischen Verhältnissen und trotz des verbreiteten Wunsches nach grundlegender Veränderung nur eine immer noch sehr kleine Minderheit der Arbeiterklasse an die Möglichkeit eines siegreichen Kampfes für eine sozialistische Alternative glaubt. Hierin sehen wir keinen Grund für Pessimismus. Solange die Klasse der Lohnabhängigen (einschließlich der in Ausbildung Befindlichen, der Erwerbsarbeitslosen und Rentner) in bürgerlichen Verhältnissen lebt, kann deren Bewußtsein in aller Regel nur bürgerlich sein. Und da die Arbeiterklasse in sich differenziert ist im Hinblick auf Tätigkeit, Qualifikationen, etc. sowie unterschiedlichen ideologischen Traditionen verhaftet ist, ist das in ihr vorherrschende Bewußtsein bis in eine unmittelbar vorrevolutionäre Lage hinein vorherrschend bürgerlich – wenngleich in unterschiedlichsten Schattierungen. Der Schlüssel zur Entwicklung sozialistischen Klassenbewußtseins sind Erfahrungen in politischen und gewerkschaftlichen Klassenauseinandersetzungen und organisierte Lernprozesse – bei allen Faktoren können subjektive Revolutionäre hilfreich sein.

Viele Linke ängstigt wegen des immer noch absolut vorherrschenden bürgerlichen und/oder reformistischen Bewußtseins schon die Vorstellung, mit gewöhnlichen Lohnabhängigen über Rätedemokratie zu sprechen. Aber ohne über dieses Ziel zu sprechen, wird man ihm nicht näher kommen. Ein antikapitalistisches Parteiprojekt, das auf Wachstum hofft, muß nicht nur die richtige Diagnose bezüglich des Kapitalismus verbreiten und bewußt machen, sondern die Frustration, die Enttäuschung und die Wut über die Nichtreformpolitik der Linken nutzen. Es gilt zu überzeugen, daß Antikapitalismus positiv in eine revolutionäre Strategie umgesetzt werden muß. Man kann die Arbeiterklasse nicht in den Sozialismus „tricksen“. Die soziale Revolution kann nur als bewußter Akt der Arbeiterklasse stattfinden. Es führt kein Weg an der offenen Benennung des Ziels und der Schritte zum Sozialismus vorbei. In dieser Hinsicht ist eine Auseinandersetzung mit dem sog. realen Sozialismus und anderen Sozialismuskonzepten sicherlich hilfreich. Aber entscheidend ist, klar und offen zu sagen was ist und was wir wollen. Danach kann man sich mit Noch-Nicht-Revolutionären darüber unterhalten, wie trotz unterschiedlicher strategischer Zielsetzungen gemeinsam gehandelt werden kann.

Grundlage einer Bewußtseinsbildung mit dieser strategischen Perspektive sind unserer Ansicht nach positive Beispiele. Die revolutionären Bewegungen im arabischen Raum, in Griechenland, die Massenaktionen auf der iberischen Halbinsel sowie die Occupy-Bewegungen inspirieren sich gegenseitig. Nicht zuletzt vermitteln sie den Beteiligten selbst das Gefühl dafür, daß ihren kollektiven Aktionen ein enormes Stärkepotential innewohnt. Aktionseinheiten, Demonstrationen, Streiks etc., überhaupt jede Aktivität, die das Kollektivbewußtsein stärkt, ist in diesem Sinne ein strategischer Schritt in Richtung Sozialismus. Die Verteidigung demokratischer Freiheiten und der Kampf für Übergangsforderungen können in diesem Zusammenhang wichtige Beiträge zur Entwicklung eines erneuerten Selbstbewußtseins der Lohnabhängigen sein. Aber sie leisten diesen Beitrag nur dann in nennenswertem Umfang, wenn sie in den Massenbewegungen selbst zur Geltung kommen.

Revolutionäre Politik und Wahlen

Wir sehen daher in der außerparlamentarischen Arbeit den notwendigen Schwerpunkt eines neuen revolutionären Parteiprojekts. Wir lehnen die Beteiligung an Wahlen nicht prinzipiell ab. Aber wir halten es für nötig, bisherige Wahlbündnisse und die Erfahrungen mit reinen Wahlparteien bzw. „Wahlbewegungen“ sehr kritisch zu diskutieren.

Parlamentarismus als Falle

Festzustellen ist zunächst, daß in der BRD bisher noch jedes Projekt einer von subjektiven Revolutionären ins Leben gerufenen Wahlpartei gescheitert ist. Nicht unbedingt an der 5%-Hürde. Aber gescheitert als Projekt substantieller gesellschaftlicher Veränderung. Aus einst subjektiv revolutionären und ehrgeizigen Aktivisten wurden erst karrieristische Reformisten, dann scheinbar realistische Reformisten und schließlich zynische Neoliberale. Die Integrationskraft des parlamentarischen Systems wurde unterschätzt. Zehntausende von einst linken Grünen ergatterten kommunalpolitische Mandate, wurden in Ausschüssen „sachverständige Bürger“, kämpften um öffentliche Zuschüsse, um den Wortführern von Bürgerinitiativen Büros und fulltime-Jobs zu verschaffen. In den 80-er Jahren wurde fast eine ganze Generation ehemaliger Aktivisten vom bürgerlichen Staat vereinnahmt. Parlamentarische Respektabilität kann zu einer sehr wirksamen Falle für ein revolutionäres Parteiprojekt werden.

Wahlbeteiligung und außerparlamentarische Arbeit ausjustieren

Andererseits kann ein revolutionäres Parteiprojekt nicht darauf verzichten, seine Massenwirksamkeit dadurch zu erhöhen, daß es bei Wahlen antritt und sich – selbstverständlich – darum bemüht, auch zum Sprachrohr der unzufriedenen Teile der lohnabhängigen Massen zu werden, die die revolutionären Ziele des Parteiprojekts noch nicht unterstützen. Aber das Projekt muß sich darüber klar sein, daß eine solche Politik gerade, wenn sie erfolgreich ist, den ideologischen Druck der bürgerlichen Gesellschaft auf das Projekt verstärkt. Dem muß durch die stetig erneuerte Analyse und Diskussion der sozioökonomischen Entwicklung begegnet werden, entscheidend bleibt aber, daß die außerparlamentarische Praxis immer Schwerpunkt der Parteiaktivitäten bleibt.

Das Beispiel der WASG-Berlin

Das Projekt der WASG unterschied sich davon maßgeblich.

Zu bedenken ist: Die WASG war auch in Berlin kein revolutionäres Parteiprojekt, sondern sie präsentierte sich als linksreformistische Alternative zur PDS. Natürlich kann man darüber spekulieren, wieso es der Berliner WASG nicht gelang, einen größeren Teil der sich von der PDS abwendenden Wähler und Wählerinnen zu gewinnen. Aus vielen Gesprächen haben wir den Eindruck gewonnen, daß gerade diese Wähler der Berliner WASG nicht geglaubt haben, daß sie nach den Wahlen ihre Selbständigkeit wahren würde. Ohne die erklärte Bereitschaft zum Bruch mit der PDS auf Bundesebene, ohne gleichzeitige offene Fraktionierung der WASG auf Bundesebene und ohne Kampf gegen die Parteienfusion gab es nicht einmal eine ausreichende Glaubwürdigkeit als linksreformistisches Projekt. Die WASG in Berlin konnte sich für keine strategische Option entscheiden und zerbrach. Die erste Lehre sollte sein: Wer sich denjenigen als Alternative präsentiert, die sich ohnehin von einer Partei abwenden, muß dies ernsthaft und konsequent tun. Sonst braucht er nicht anzutreten. Die zweite Lehre ist die, daß bunt zusammengewürfelte Wahlparteien ohne ein gemeinsames Verständnis der politischen und sozioökonomischen Großwetterlage schnell auseinanderlaufen, wenn es mit den schnellen Erfolgen nicht nach Wunsch verläuft.

Im übrigen war bei der WASG-Berlin nicht der Hauch einer Einheitsfrontperspektive erkennbar. Es gab harte Kritik an der Berliner PDS-Politik. Die war nötig und o.k., aber uns ist nicht aufgefallen, daß die PDS/Die Linke in sonstiger Weise aufgefordert worden wäre, gemeinsam mit der WASG praktische Politik zu machen.

WASG-Berlin: Ein wiederholbares Projekt?

Die Erfahrung mit der WASG in Berlin halten wir übrigens zur Zeit auch aus einem anderen Grund kaum für wiederholbar. In das politische Vakuum zwischen den revolutionären linken Gruppen und dem rechtsreformistischen Sumpf der Linken ist die Piratenpartei eingedrungen, die sich auf das Potential der Unzufriedenen stützt. Aber weil es in der gegenwärtigen Phase der kapitalistischen Entwicklung weder für reformistische noch für linksliberale Politik eine realistische Grundlage gibt, wird auch die Piratenpartei scheitern. Es gibt daher unserer Ansicht nach keinen Grund zur Resignation für revolutionäre Sozialisten.

Über das Verhältnis zur Linken

Das SIB-Papier erklärt, es sei nicht vorhersehbar, wie sich die Partei Die Linke entwickelt. Da haben wir doch erhebliche Zweifel.

Wir halten es für vorhersehbar, daß auf absehbare Zeit die herrschende Klasse nur in extremen Ausnahmesituationen wie plötzliche Massenstreiks der Arbeiterklasse und deren rasante Radikalisierung bei gleichzeitiger tiefer politischer Krise der bürgerlichen Parteien, nennenswerte Reformen zuläßt, um die Lage kurzfristig zu befrieden. Dem Reformismus ist damit die politische Grundlage entzogen. Der Reformismus an der Macht verwandelt sich in ein Instrument, der Arbeiterklasse einschneidende Konterreformen mit dem Argument zu verkaufen, es werde noch Schlimmeres verhütet.

Der Reformismus verwandelt sich jedoch nicht nur im Falle von Regierungsbeteiligungen in eine Propagandawaffe des Kapitals. Er bemüht sich in der Opposition, die explosiver gewordene Massenstimmung in das parlamentarische System zu reintegrieren. Selbst scharfe Verbalopposition wie bisweilen von Lafontaine praktiziert, dient nicht dazu, praktischen Massenwiderstand gegen das Kapital und seine Regierung zu organisieren. Stattdessen werden die Krisenopfer auf die nächsten Wahlen vertröstet. Nach den Wahlen heißt es dann, man sei immer noch zu schwach, habe nicht die nötigen Mehrheiten etc. Dementsprechend besteht die Politik der Führung der Linken darin, am laufenden Band Presseerklärungen abzusondern, für die sich niemand interessiert. Praktische, außerparlamentarische Mobilisierung findet so gut wie nicht statt. Außerparlamentarische Aktivisten der Partei Die Linke sind in ihr eher eine Randerscheinung. Dasselbe gilt für den Gewerkschaftsbereich. Die Führung der Linken biedert sich den Sommers des DGB an, anstatt diesen Herrschaften, die sich ihrer Freundschaft mit Merkel brüsten, Dampf zu machen und an der Veränderung der Gewerkschaften zu arbeiten.

Aus sich heraus ist das eine den Kapitalismus und die bürgerlichen Herrschaftsverhältnisse stabilisierende Politik. Diese Politik zementiert die gesellschaftlichen Kräfteverhältnisse und wirkt damit Linksentwicklungen in der Partei Die Linke entgegen.

Kann es dennoch Veränderungen in der Linken geben? Ja, natürlich. Nämlich dann, wenn es OHNE ZUTUN der Partei "Die Linke" zu gesellschaftlichen Radikalisierungsprozessen kommt. Dann müssen sich Reformisten auf die neue Lage einstellen – wenn es sein muß, durch verbale Linksschwenks. Dann ist auch nicht auszuschließen, daß sich Teile der Linken tatsächlich nach links bewegen. Aber diese Kräfte werden nicht Motor dieser Linksentwicklung sein, sondern Getriebene. Wer heute eine Alternative aufbauen will, sollte etwas für sie tun anstatt in der Partei "Die Linke" auf bessere Zeiten zu warten.

Aktionseinheiten, Einheitsfrontpolitik und die Einheit der subjektiven Revolutionäre

Im Papier der SIB bleibt das Bekenntnis der SIB zur Einheitsfrontpolitik blaß. Das Bekenntnis zu Aktionseinheiten teilen wir natürlich. Allerdings haben die gängigen Aktionseinheiten ihre Schwächen: In der Regel gibt es hinter den Kulissen ein Tauziehen um den Inhalt von Aufrufen, um Redner etc. Oft gibt es faule Kompromisse, ohne daß man sich auf inhaltlich klare gemeinsame Ziele geeinigt hätte und ohne daß über die Beteiligten hinaus eine tatsächliche Mobilisierung stattfindet. Selbst das ist natürlich besser als gar keine Aktionen.

Aber was gibt es über Aktionseinheiten hinaus? Wir sehen derzeit kaum ernsthafte Ansätze zu einer Politik der Einheitsfront, die ja ihrer ursprünglichen Konzeption nach zunächst auf die Schließung von Zweckbündnissen derjenigen Kräfte gerichtet war, die die reale und wenigstens formale Autonomie der Arbeiterklasse gegenüber dem Kapital und seinen Parteien repräsentieren – und Bündnissen der Spitzenvertreter wie auch an der Basis. Das liegt natürlich hauptsächlich an der verkommenen Sozialdemokratie und ihren Gewerkschaftsbürokraten. Aber auch die Partei "Die Linke" verhält sich völlig passiv. Bei der extremen Linken sieht es nicht viel besser aus. Was können bei den jetzigen Kräfteverhältnissen hier die Revolutionäre tun? Resignieren? Kritik üben? Initiativen ergreifen? Wenn ja, wie fangen wir es an? Was kann gemeinsam getan werden?

Bei aller notwendigen Kritik an der Partei "Die Linke" wäre die natürlich ein Adressat, ebenso – wenigstens punktuell – die SPD. Aber nicht zuletzt müßten hier die Gewerkschaften genannt werden.

In diesem Zusammenhang müßte auch die Frage gestellt und diskutiert werden, was eine Klassenorientierung bedeutet. Gar nicht angesprochen ist zudem ein weiterer wichtiger Aspekt der Einheitsfront, nämlich die reale Organisierung von Lohnabhängigen im Rahmen von Bündnisprojekten.

Die vom SIB-Papier propagierte Einheit der subjektiven Revolutionäre wünschen wir uns alle. Aber sie ist schwer zu verwirklichen, wenn es um mehr als Wahlkämpfe geht und gemeinsam praktische außerparlamentarische Politik mit dem Ziel des Aufbaus einer revolutionären Partei gemacht werden soll. Ohne ein gemeinsames Verständnis der Lage und der sich daraus ergebenden politischen Schritte ist u.E. nach die Realisierung einer Einheitsfrontpolitik ein sehr prekäres Projekt. Auch hier mogelt sich das Papier ein wenig an den Schwierigkeiten vorbei.

Parteibildung und Parteiaufbau

Das oben näher bezeichnete strategische Dilemma der Revolutionäre zwischen eigener Schwäche, der zunehmenden Unzufriedenheit immer größerer Teile der Lohnabhängigen bei einer Gemengelage von anhaltenden reformistischen Illusionen und Hoffnungen sowie Resignation und politischer Desorientierung, läßt sich in der Tat mit Karl-Heinz Schubert als Mißverhältnis zwischen der Parteibildung des Proletariats und dem Stand des Aufbaus einer revolutionären Partei beschreiben.

Wir halten die Unterscheidung für nützlich, weil sie darauf verweist, daß der Parteiaufbau nicht unabhängig vom Parteibildungsprozeß in der Arbeiterklasse sein kann – aber der Parteiaufbau ist umgekehrt auch nicht direktes Abbild der Krisenhaftigkeit des Kapitalismus. Das Bild, daß Genosse Schubert vom Parteibildungsprozeß zeichnet, ist noch zutreffend, aber zugleich scheint uns, daß seine Beschreibung das Potential für eine Dynamisierung des Parteibildungsprozesses unterschätzt. Demgegenüber fehlt im SIB-Papier eine vergleichbar realistische Einschätzung des Ist-Zustandes des Parteibildungsprozesses.

Auch wir glauben nicht, daß kurzfristig eine revolutionäre Partei aufgebaut werden kann, die auf Augenhöhe mit der Partei "Die Linke" bei Wahlen konkurrieren kann. Aber wir sehen in der sich abzeichnenden Dynamik des Parteibildungsprozesses eine gute Chance, den Parteiaufbau voranzubringen. Dafür wäre ein Verschmelzungsprozeß der subjektiv revolutionären Kräfte ein wichtiger Schritt nach vorn. Das würde auch dann gelten, wenn die ersten Schritte auf diesem Weg noch bescheiden bleiben.

Ein Vorschlag

Wir halten es allerdings für möglich, diesen Verschmelzungsprozeß der Revolutionäre und den Parteibildungsprozeß zu dynamisieren, indem die beteiligten Gruppen neben den strategischen Debatten zugleich ein gemeinsames politisches Projekt entwickeln. Anzustreben wäre die Einigung auf eine gemeinsame, längerfristig angelegte Mobilisierungskampagne, die sich auf offene lokale Personeninitativen bzw. Stadtteilkomitees stützt, die vor Ort Agitation für konkrete politische Ziele betreiben, dort kleinere Aktionen und Veranstaltungen, durchführen, und nach einer ausreichenden Vorlaufzeit auch regionale bzw. bundesweite Aktionen organisieren – gestützt auf Delegiertentreffen der lokalen Initiativen.

So etwas hat es z.B. in den 70-er Jahren in Hamburg bei Anti-AKW-Mobilisierungen gegeben, später in einigen Städten zur Unterstützung der Metallerstreiks zur 35-Stundenwoche und im Rahmen der Friedensbewegung der 80-er Jahre in der BRD. In den vergangenen Jahren gab es so etwas auch in Frankreich. Die Initiativen für Montagsdemonstrationen gegen die Hartz-IV-Gesetze gingen in dieselbe Richtung. Ein solches Projekt müßte auf die Einbeziehung möglichst vieler bisher unorganisierter Jugendlichen und Lohnabhängigen und deren aktive Einbeziehung zielen, aber zugleich dafür kämpfen, Parteien und Gewerkschaften in die Pflicht zu nehmen.

Wir könnten uns folgende Zielsetzung bzw. das folgende Sofortprogramm gegen die Krise als Zielsetzung vorstellen:

  • Gesetzliche Einführung eines Mindestlohns von 10 Euro

  • Rückgängigmachung der Hartz-Gesetze

  • Rückkehr zur Altersrente mit 65

  • Verbot der Privatisierung öffentlichen Eigentums

  • Verstaatlichung der Banken

  • Wiedereinführung der Vermögenssteuer, drastische Erhöhung des Spitzensteuersatzes und die Höchstbesteuerung aller Spekulationsgewinne

  • internationale Solidarität gegen neoliberale Standortverteidigung

Unserer Ansicht nach wäre das ein Projekt, mit dem der Parteibildungsprozeß und mittelbar der Parteiaufbauprozeß beschleunigt werden könnte. Die Forderungen dieses Sofortprogramms setzen nicht voraus, daß die Teilnehmer an Komitees mit ihren reformistischen Illusionen brechen. Aber der tatsächliche Kampf dafür wird Erfahrungen generieren, die helfen, diese Illusionen zu überwinden. Ein solches Projekt würde also nach unserem Verständnis in embryonaler Form das Konzept der Einheitsfront verwirklichen. So sehr wir übrigens mit den Forderungen des Bochumer Programms sympathisieren, so wenig sehen wir dort die Möglichkeit der Einbeziehung von Krisenbetroffenen mit reformistischen illusionen gegeben. Trotzdem halten wir das Bochumer Programm für sehr diskussionswürdig. Aber wir halten es für wenig geeignet als Grundlage einer Einheitsfrontinitiative.

Editorische Hinweise

Den Text erhielten wir von den AutorInnen.