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Meinhard Creydt

BEMERKENSWERT DÜRFTIG

Ein Kommentar zu den Stellungnahmen aus der grünen Partei und zur Berichterstattung in der Taz anläßlich der Verschleppung Öcalans und der darauf folgenden Ereignisse 

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Die (auch: völkerrechtswidrige) Verschleppung Öcalans wird nicht als der Skandal markiert, den sie darstellt. Von den Grünen ist in der Presse keine Kritik daran zu vernehmen, daß die bundesdeutsche Anteilnahme an den Autonomiewünschen der Kosovoalbaner sogar einen NATO-Einsatz legitimiert, die Autonomie der Kurden aber keineswegs gleichen politischen Rang erhält.

Wer für Öcalan nur einen "fairen Prozeß" fordert, anerkennt schon, wer hier wem den Prozeß machen darf. Kein Wort von den Grünen zum flächendeckenden tagelangen Demonstrationsverbot in Berlin ab Donnerstag.

Zum Video von Öcalan (im Flugzeug) heißt es, es zeige "einen ziemlich betretenen Öcalan" (TAZ 18.2. S.1), als sei der gerade beim Mogeln in der Klassenarbeit erwischt worden. Dabei ist es doch gar nicht so schwer, sich nicht derart unsensibel im Ton zu vergreifen: "Dem Mann wird, nach wer weiß welcher Behandlung, die Augenbinde abgenommen. Ein Mensch, belämmert von Drogen, blinzelt ins Licht. Zum Ergötzen seiner Feinde hat Ankara diese Bilder Öcalans freigegeben - und zum Entsetzen seiner Freunde. Und wir fragen uns: Was ist das für ein Staat, der sich an solcher Erniedrigung weidet? Wer möchte dort leben?" (Züricher Tages-Anzeiger, zit. n. Tagesspiegel vom 20.2.) Den Zweck des Videos teilt die TAZ (18.2. S.3) wie folgt mit: "Um Befürchtungen aus dem Ausland, Öcalan sei vielleicht verletzt oder werde womöglich gefoltert, zu begegnen, veröffentlichte des (?) Amt des Ministerpräsidenten gestern ein Video..."

Glückwunsch für die ´Weitergabe´ d i e s e r ´Information´.  Zu den tödlichen Schüssen auf die kurdischen Botschaftsbesetzer titelt die TAZ "Tödliche Treue zu Abdullah Öcalan" auf S.1. "Tote einkalkuliert. Die PKK ist auf dem Weg in die völlige Isolation". Immerhin heißt es am gleichen Tag im Berliner Lokalteil: " Den Besetzern aber die Verantwortung für die tödlichen Schüsse zuzuschieben, wäre nicht nur zynisch, sondern hieße auch, die Augen davor zu verschließen, daß bislang drei Tote und 16 Schwerverletzte nicht gerade ein Indiz für bloße Notwehrhandlungen sind.

Auch die israelischen Sicherheitskräfte wußten, daß die gestrige Besetzung nicht mit den Anschlägen auf die israelischen Botschaften 1992 in Buenos Aires oder 1994 in London zu vergleichen war, daß es sich bei ihrem Gegenüber nicht um bewaffnete Mitglieder der Hamas, sondern um mit Schlagstöcken ´bewaffnete Kurden´ handelte. Die Eskalation auf Berliner Boden haben die israelischen Sicherheitskräfte deshalb zum größten Teil mitzuverantworten." Diese Erkenntnis bleibt in der TAZ eine Ausnahme und findet auch an den Folgetagen nicht ihren Weg auf die vorderen Seiten der nationalen Ausgabe.

Dabei lassen sich anderen Tageszeitungen Informationen entnehmen, die man in der TAZ vergeblich sucht: "In Israel äußerten Experten, wie bspw. der führende Geheimdienstpublizist Jossi Melman, Zweifel an den eigenen Sicherheitskräften: ´Haben Israels Sicherheitsbeamte einen zu lockeren Finger am Abzug?`, fragte er." Es werde "die Schuld nicht nur wie anfangs ausschließlich der deutschen Polizei zugewiesen, sondern das ´Versagen´ wurde auch in höheren Sicherheitskreisen Israels ausgemacht. Die Sicherheitsbeamten seien ausnahmslos Kämpfer in Eliteeinheiten gewesen, ausgebildet für den Krieg, vermutlich aber nur ungenügend für einen polizeiähnlichen Einsatz, befanden diverse Medienkommentatoren." (Tagesspiegel 19.2., S. 1)

Im Tagesspiegel vom 19.2. erscheint ein Interview mit der (grünen) Ausländerbeauftragten Marieluise Beck. Zwar verwahrt sie sich gegen Abschiebungen in die Türkei. Die Hauptbotschaft aber ist die Beruhigung über die vorhandenen harten Gesetze. Beck gibt der Hetze gegen die PKK voll nach, wenn sie den Protest in Deutschland nach Öcalans Verschleppung nicht auf die Erfahrung mit den Verhältnissen in der Türkei bezieht, sondern dem Fanatismus einer "kleinen Minderheit" von "10.000 PKKlern" zuschreibt. "Sie stehen und sprechen nicht für die über 600.000 (kurdischen - Verf.) Menschen, die friedlich in unseren Alltag integriert sind." Nur ein integrierter Kurde ist ein guter Kurde. Gegen die PKKpropaganda, sie und sie allein stelle die Vertretung der Kurden dar, wird von Beck nur das einfache Gegenteil behauptet. Beck übergeht damit die zigtausendfache Teilnahme an PKKnahen Großveranstaltungen in Deutschland in den letzten 10 Jahren ebenso wie die nicht allzu große Feindschaft der (bislang) legalen kurdischen Partei HADEP zur PKK.

Die Berliner grüne Fraktionsvorsitzende Künast wird in der TAZ vom 18.2. (S.21) mit den Worten zitiert " Wir sind erschrocken von dem Ausmaß der Gewalt." Das bezieht sich ´selbstverständlich´ auf protestierende Kurden. Am Freitag kommt dann noch von ihr der Hinweis auf den "momentan lebensgefährlichen Job der Polizeibeamten" hinzu (Tagesspiegel 19.2.,S. 10). Sicherheit am Arbeitsplatz markiert hier die Grenze der Aufmerksamkeit.

Die Berliner Ausländerbeauftragten Barbara John meint, nicht mit Menschen zusammenleben zu können, denen ihre Ideen wichtiger seien als ihr Leben (TAZ 19.2.1999). Der TAZ-Interviewer jedenfalls hat damit keine Probleme. Nach dieser Anpassermaxime dürfte es keine Menschen geben, die politisches Asyl suchen, sind sie doch selber schuld, Fanatiker eben. Und: Wer sich selbst verbrennt, ist nicht zu verstehen (John). Genauso wie Jan Palach, für den erst vor kurzer Zeit zum 30. Jahretag seiner Selbstverbrennung in Prag eine große Feier ausgerichtet wurde.

Als wäre die TAZberichterstattung nicht schon indolent genug, fehlte es ihr an Urteilskraft, sich nicht wenigstens zu diesem Thema den penetranten Droste zu verkneifen, von dem nichts anderes als ein ebenso läppisches wie geschmäcklerisches Sich-Erheben über jeden und alles zu erwarten ist. Die Taz aber goutiert hämische Witzchen ausgerechnet in der Situation eines verzweifelten Protests von Leuten, denen in der EG an der Symbolfigur Öcalan gezeigt wurde, daß sie unterdrückt und ohne relevante politische Unterstützung sind. O-Ton Droste: "Der Wunsch, die vielbeschworene kurdische Kultur, die vor allem aus Jodeln in Pluderhosen besteht, nachhaltig zu unterdrücken, ist aus ästhetischen Gründen verständlich." (TAZ 19.2., S. 28)

Auch nur ein Wort des Verständnis für den Zorn der protestierenden Kurden wird von Grünenpolitikern nicht bekannt. Es ist ja auch einfacher, Ausstellungen über das Elend von politischen Emigranten aus früheren Zeiten zu eröffnen. Und: Opfer mögen wir besonders, wenn sie sich nicht wehren.

Nach der Überidentifikation mit ´nationalen Befreiungsbewegungen´ in den 70ern wird heute von vielen das Kind mit dem Bade ausgeschüttet. Ursache (die vom türkischen Staat zu verantwortenden Verhältnisse im kurdischen Siedlungsgebiet) und Wirkung (eine militarisierte, autoritäre, keine Abweichler duldende Opposition als Kriegspartei wie die PKK) sollten auseinander gehalten werden, bei aller Kritik daran, daß die Wirkung auch verstärkende Rückwirkungen auf die Ursache zeitigt.

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