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Rezension von Heiner Jestrabek

"Nieder mit den Atheisten!"

Albert Dulk oder Von der Ermahnung an die Linke, den Kampf gegen die Religion nicht zu vernachlaessigen.
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Der Band 3 der Reihe "Klassiker der Religionskritik" des IBDK-Verlages praesentiert Leben und Werk einer aussergewoehnlichen Persoenlichkeit: Albert Dulk. Es ist dies eine Wiederentdeckung eines zu Unrecht in Vergessenheit geratenen, der auf vielfaeltigste Weise Interesse wecken
kann: als Dichter, Dramatiker, Reiseschriftsteller und Abenteurer, Naturwissenschaftler und Philosoph, 1848er und Sozialist - und nicht zuletzt als Religions- und Kirchenkritiker, als engagierter Freidenker, der dies auch noch sehr oeffentlichkeitswirksam verkuendete. Seit Abschluss
seines Studiums lebte er fast ausschliesslich als freier Schriftsteller und Journalist. Trotz seines umfangreichen Werks liegt die letzte Herausgabe seiner Dramen ueber 100 Jahre zurueck. Viele seiner Schriften liegen nur ungedruckt und noch unausgewertet vor; sie warten noch immer auf eine
wissenschaftliche Auswertung und eine Herausgabe als Gesamtwerk. Ein verdienstvolles Werk des Verlages also, der so lange nicht mehr veroeffentlichte Texte nunmehr der Oeffentlichkeit wieder zugaenglich macht.

Annaeherung an einen Vergessenen

Vom 26. 8. bis 1. 11. 1988 stellte das Schiller-Nationalmuseum Marbach eine Kabinett- Austellung, bearbeitet von Jochen Meyer, der Oeffentlichkeit vor. Das 'Marbacher Magazin 48/1988' dokumentierte diese beachtliche Leistung. Der groesste Anteil der Ausstellungsstuecke wurde aus dem literarischen Nachlass Albert Dulks, der sich in Privatbesitz seiner Urenkelin Frau Prof. Dr. Ilse Walther-Dulk in Stuttgart befindet, zur Verfuegung gestellt. Wer sich dort ueber das umfassende Wirken dieser Persoenlichkeit informierte, musste sich fragen, warum dieser umfangreiche literarische Nachlass groesstenteils nur aus Privatarchiven zusammengestellt werden musste. Warum seit ueber 100 Jahren Dulks Werke nicht mehr aufgelegt waren und warum sein Werk weitgehend in Vergessenheit geraten konnte, war nicht recht einzusehen. Dulks Leben selbst haette Stoff fuer mehrere Romane abgegeben (fuer den Held des 'Abu Telfan oder Die Heimkehr vom Mondgebirge' von Wilhelm Raabe stand Dulk tatsaechlich Pate).

Seinen Themen fehlte es nicht an Brisanz, er war hoch gebildet, seine Arbeiten gescheit und haeufig seiner Zeit voraus. Zudem war sein Stil glaenzend. Meine Neugierde war mehr als geweckt. Besonders angetan hatte es mir sein Alterswerk, seine Religionskritik und Philosophie. Also erschoepfte ich mir die zugaenglichen Quellen. Literaturverzeichnisse, Sekundaerliteratur, wissenschaftliche Fernleihe der der Dulk'schen Werke. Ein schier unerschoepflicher Fundus an
Literatur tat sich da auf. Der groesste Teil seiner vielen Schriften war ueber 100 Jahre alt und dringend restaurationsbeduerftig. Warum gab es keine neueren Ausgaben?

Christof Riebers 'Das Sozialistengesetz und die Sozialdemokratie in Wuerttemberg 1878-1890' aus dem Jahr 1984 sollte eine beachtliche Fundgrube werden. Stellte die marbacher Ausstellung Dulks Wirken als 1848er und Dramatiker in den Vordergrund, rueckte Rieber den politisch und religionskritisch wirkenden Dulk, der trotz Sozialistengesetzen mutig in der Oeffentlichkeit
agierte, in den Mittelpunkt. Abgesehen von diesen Schriften war die Ausbeute an westdeutscher Sekundaerliteratur eher duerftig. Der herrschende Literaturbetrieb der letzten 100 Jahre konnte
verstaendlicherweise wenig Interesse an einem Revolutionaer haben. Die sozialdemokratisch inspirierte Geschichtsschreibung - sieht man von Rieber und der lokalen Geschichtsschreibung der SPD in Stuttgart und Esslingen einmal ab - hatte einen ihrer Pioniere einfach vergessen. Viele Fragen blieben offen.

Ein Unbekannter im "Realsozialismus"

Sozialistische Arbeiterbewegung und Religionskritik, das musste doch noch mehr hergeben. Also begann ich die Rezeptionen der DDR-Wissenschaft zu durchforsten. Lexika: Fehlanzeige. Literaturgeschichten, der Themen buergerliche, 1848er, sozialistische: Fehlanzeige. Philosophie des 19. Jahrhunderts, buergerliche und sozialistische: Fehlanzeige. Geschichte der Arbeiterbewegung, Zeit der Sozialistengesetze: Fehlanzeige. Dabei war Dulks Bestattungszug die zahlenmaessig groesste Demonstration der Sozialdemokratie in den Zeiten des Verbots (1878-1890). Die Titel aller Standardwerke aufzuzaehlen waere muessig. Dulk war einfach eine
Unperson. Es bestaetigte sich eine Erfahrung, die schon haeuftiger konstatieren werden musste - bei der Rezeption von Jakob Stern anderer bedeutender Religionskritiker und Freidenker: systematisch wurden diese aus dem oeffentlichen Bewusstsein getilgt. Es gibt keine
andere Erklaerung. Denn einen Dulk oder Stern zu wuerdigen ist ohne die Erwaehnung ihrer Religionskritik und ihres Eintretens fuer das organisierte Freidenkertum praktisch nicht moeglich. Und die gesamte Geschichte des Freidenkertums - als einer selbstaendigen emanzipatorischen Bewegung - passte den dogmatischen Buerokraten, die die Dialektik und die kritischen Diskussion des fruehen Sozialismus nicht verstehen wollten und stattdessen eine homogene reine Heilslehre vertraten - nicht ins ideologische Konzept.

Eigenstaendiges freies Denken - ohne Anleitung und Kontrolle durch die Partei - ja, wo kaemen wir den dahin! So fand die Existenz der unabhaengigen Freidenkerbewegung generell in dieser
Geschichtsschreibung nicht statt. Dies traf uebrigens auch auf die anderen "realsozialistischen"
Staaten zu. So wurde etwa die 'Jugendweihe' als "Feier zur Aufnahme der 14jaehrigen Jugendlichen in die Gemeinschaft der Erwachsenen anlaesslich ihres Treugeloebnisses zum sozialistischen Staat" (BI Lexikon A bis Z. VEB Bibliographisches Institut Leipzig, 1981) definiert, also praktisch als eine SED-Erfindung. Dabei sind die Jugendweihen (auch 'Jugendfeiern' oder 'Schulentlassungsfeiern'
genannt) weit ueber 100 Jahre alt und durch Freireligiose und Freidenker entwickelt worden. Zudem war deren Hauptmotivation, sich von weltanschaulicher Fremdbestimmung zu befreien. Eine Feierkultur also, deren Sinn ins Gegenteil verdreht wurde. Sogar Ernst Thaelmann musste hierzu
'umzitiert' werden. In der offiziellen, vom Institut fuer Marxismus-Leninismus beim ZK der
SED herausgegebenen Thaelmann-Biographie (Dietz-Verlag, 1979) wird berichtet, dass Klein-Ernst im Jahr 1900 sehr beeindruckt war von "einer Feier" fuer die "schulentlassene Jugend", die ihn schliesslich zum Kauf seiner ersten sozialistischen Broschuere veranlasst haette.

Um welche Feier es sich gehandelt hatte, bleibt den Lesern unerschlossen. Es war dies die damals schon traditionelle Jugendweihe der Freidenker in Hamburg. Eine Tradition die bis zum Jahr 1933 massenhafte Teilnehmerzahlen hatte. Auch entsprechenden Standardwerken der SED-Literatur zur
Arbeiterjugendbewegung fehlt jeder Hinweis auf eine Freidenker-Jugend-Bewegung. Beispiele fuer das Totschweigen der Freidenkerbewegung liessen sich so fortsetzen. Etwa darin, dass in den von
der SED beim Dietz-Verlag veroeffentlichten Werken Karl Liebknechts ausgerechnet seine beruehmte Rede zum Kirchenaustritt aus dem Jahr 1913 nicht aufgenommen wurde.

Fazit: in philosophischen, politischen und historischen Nachschlagewerken der DDR-Verlage, ist von allem, was auf eine organisatorisch selbststaendige Freidenkerbewegung hinweist, keine Rede. Wohlordnende Haende hatten dort vorsortiert. So fand in der Literatur dies seinen Ausdruck, was politsch-administrativ schon durch das Verbot des Freidenker-Verbandes in der DDR (das praktisch bis zum Jahr 1988 bestand) vorangegangen war.Albert Dulks Leben und Werk kennenzulernen lohnt
sich deshalb um so mehr.

Zur Lebensgeschichte Albert Dulks

Am 17. Juni 1819 wurde Albert Friedrich Benno Dulk in Koenigsberg, als Sohn eines Apothekers, geboren. Er besuchte das Gymnasium und absolvierte eine Apothekerlehre beim Vater. Es schlossen sich berufspraktische Taetigkeiten in Koenigsberg, Breslau und Schlesien an. Seit 1844 studierte er Chemie in Leipzig. Anlaesslich des Leipziger "Volkskrawalles" hielt er, zusammen mit
Wilhelm Jordan und Robert Blum, eine Rede fuer die Gefallenen. Nachdem er wenig spaeter auch noch die Tochter des Koenig-Attentaeters Tschech besucht hatte, um Stoff fuer ein Drama zu sammeln, wurde er inhaftiert und 1845 aus Sachsen ausgewiesen. 1846 konnte er in Breslau promovieren, ein Berufsverbot beendete jedoch jaeh die angestrebte Hochschulkarriere.Nach Koenigsberg zurueckgekehrt beteiligte er sich aktiv an der Revolution.Er trat als oeffentlicher Redner auf, wurde Korporal der Buergerwehr, gruendete eine 'Arbeiter- Assoziation', die den Charakter eines Arbeiterbildungsvereins hatte und gab ein sozialistisches Sonntagsblatt heraus.

Dulk bekaempfte die preussische Landeskirche und den preussischen Staat. Folgerichtig nutzte er auch die neugeschaffene Religionsfreiheit und trat 1849 aus der evangelischen Kirche aus. Eine, fuer diese Zeit ungewoehnliche, Lebensgemeinschaft fuehrten die Dulks. 1846 heiratete Albert seine Johanna (Hannchen), nunmehr Dulk (1823-1889). Die Freundinnen Pauline (Ini) Butter (1821-1902) und Else Bussler (1824-1899) schlossen sich der Ehe an. In den Jahren 1848/49 kamen gleich drei Soehne zur Welt: Paul Philipp, Ludwig Phillip, Max Phillip; 1854 wurde die Tochter Anna geboren.

In Arabien und auf dem Sinai

Als die Revolution 1849 blutig niedergeschlagen wurde, wanderte Dulk ueber Italien in den Orient aus. Nahezu mittellos bereiste er Arabien, befuhr den Nil auf Felachenbooten, lebte unter Einheimischen, durchquerte die Wueste und lebte monatelang als Eremit auf dem Sinai. Seine
Berichte hierueber und weitere Berichte, wie etwa der ueber seine Lapplandreise, gehoeren zur interessantesten Reiseliteratur dieser Zeit und sollten Dulks Ruf als Abenteurer begruenden. 1850 kehrte er nach Europa zurueck und lebte in einer einsamen Berghuette in den Schweizer Bergen, jetzt wieder mit seiner ganzen Familie.

In Wuerttemberg

1858 uebersiedelte die Familie Dulk nach Stuttgart. Er verkehrte in literarischen Zirkeln und vollbrachte die sportliche Meisterleistung, den Bodensee an seiner breitesten Stelle in sechseinhalb Stunden zu durchschwimmen. Der Mittvierziger Dulk war allseits geachtet und anerkannt. Mit seiner, damals ueberdurchschnittlichen, Groesse von 1,88 m, einem guten und sportlichen Aussehen, zudem rhetorisch sehr gewandt, besass er einen gewissen Bekanntheitsgrad. Sein
soziales Engagement und sein kaempferischer Atheismus bewegten ihn 1875 zum Eintritt in die Sozialistische Partei in Stuttgart. Vorangegangen waren, angesichts zweier miteinander rivalisierender sozialdemokratischer Gruppen, Jahre des Abwartens. Den Ausschlag fuer den Parteieintritt des immerhin schon 56jaehrigen, mochten wohl lange Gespraeche mit seinem spaeteren Schwiegersohn Heinrich Scheu gegeben haben. Zur selben Zeit absolvierte
Dulk noch eine Schriftsetzerlehre in der Druckerei Kroener in Stuttgart. Vorangegangen waren Jahre, in denen die beiden sozialdemokratischen Gruppen gemeinsam heftige Auseinandersetzungen mit dem Pietismus fuehrten. In der stark besuchten Liederhalle wurde auf Veranstaltungen mit Dulk die
evangelische Geistlichkeit wegen ihrer reaktionaeren Haltung zur Arbeiterfrage heftig attackiert. Diese Aktionen verschaffte den Sozialdemokraten grossen Zulauf.

Unbequemer Sozialdemokrat

1875 war Dulk bereits Stuttgarter Delegierter beim Vereinigungsparteitag der beiden sozialdemokratischen Parteien in Gotha. Am 25. Juli 1875 hielt Dulk die Festrede beim "ersten Stiftungsfeste der Socialistischen Arbeiterpartei" in Stuttgart. Rund 2.000 Menschen zogen feierlich
mit Musik und Fahnen durch die Stadt.Auch als Parteifunktionaer blieb Dulk ein Querdenker. Er gehoerte zu den Sozialisten, die ihren Sozialismus nicht nur oekonomisch, sondern auch ethisch begruendeten. Im Gegensatz zu manchen Sozialdemokraten in der Zeit vor dem Sozialistengesetz, sah Dulk seinen Sozialismus weniger auf dem "Ideal der Gerechtigkeit" begruendet, als auf
dem "Ideal der Vernunft". Der Naturwissenschaftler Dulk bestand von Anfang an darauf, den sozialistischen Kampf mit dem Kampf gegen religioese Unfreiheit, durch die Verbreitung einer vernunftbegruendeten, atheistischen Religionskritik zu verbinden. Die Emanzipation von der
Bevormundung durch die christliche Religion und Kirche, betrachtete er als unabdingbare Voraussetzung fuer die Verbreitung sozialistischen Bewusstseins.Dulk war kein bequemer Parteigenosse und trug Differenzen nach allen Seiten aus, mal gegen die Rechte, mal gegen die Linke in der Partei.

Nachdem Dulk bei einer Auseinandersetzungen um seine Religionskritik keinen Rueckhalt in der Stuttgarter Partei erhalten hatte,verzichtete er darum 1884 enttaeuscht auf eine weitere Kandidatur bei der Reichstagswahl. In den vorangegangenen Jahren hatte er, als Kandidat der Sozialdemokratie, trotz des Sozialistengesetzes, beachtliche Erfolge bei den Landtags- und
Reichtagswahlen verzeichnet und sogar Unterstuetzung von der linksliberalen Wuerttembergischen Volkspartei erhalten. Bei den Landtags- und Reichstagswahlen 1877 und 1878 errang er einen Stimmenanteil von knapp 28 bzw. 24%; auch 1881 und 1882 errang Dulk in Stuttgart die hoechsten
sozialdemokratischen Stimmenanteile in ganz Wuerttemberg. Dieser mangelnde Rueckhalt war umso ueberraschender, da er schlichtweg die Symbolfigur der wuerttembergischen Sozialdemokratie war und seine Stuttgarter Genossen ansonsten eher Anhaenger linksradikaler Positionen waren. Aber es sollte geradezu ein Symptom des politischen Opportunismus
der Sozialdemokratie werden, dass Religionskritik zunaechst als nebensaechlich und laengst ueberfluessig angesehen wurde und spaeter - oft sogar von den selben Protagonisten - jegliche Ideologiekritik dem politischen Tagesinteresse geopfert wrde.

Sein Verzicht auf weitere Kandidaturen bedeutete aber keineswegs, dass er der Sozialdemokratie keine Aufmerksamkeit mehr gewidmet haette. Sein hauptsaechliches Engagement verwandte er aber kuenftig fuer die Freidenkerbewegung.

Gruendung des Freidenkerbundes

Dulk gehoerte zu den Gruendungsdelegierten des 'Internationalen Freidenkerbundes' (IFB) am 29./31. August 1880 in Bruessel. Am 10. April 1881 gruendete er in Frankfurt/Main, gemeinsam mit Ludwig Buechner und August Specht den 'Allgemeinen Deutschen Freidenkerbund'. Neben Buechner und Specht, unterstuetzten die Gruendung des Freidenkerbundes Otto von Corvin, Max von Nordau, Carl Scholl und andere religionskritische Persoenlichkeiten.Am 2. April 1882 kam es, auf Dulks Initiative, zur Gruendung der ersten deutschen 'Freidenkergemeinde' in Stuttgart, deren  erster Sprecher Dulk wurde.

Oeffentlichkeit und Gefaengnis

Dulks Aktivitaeten, oeffentliche Reden und Auftritte, standen schon vorher fast immer in Zusammenhang mit Freidenkertum. Nachdem er Anfang Oktober 1878 als Verfasser eines Flugblattes wegen "Volksverhetzung" fuer ein Jahr ins Gefaengnis musste, bekam er gleich im Dezember zusaetzlich weitere zwei Monate wegen "Gotteslaesterung" und "Kirchenschmaehung" in oeffentlichen Vortraegen aufgebrummt (nach dem heute noch immer bestehenden §§ 166 StGB).
Die Anwendung des §§ 166 des Strafgesetzbuches war schon damals antiquiert und empoerte die kritische Oeffentlichkeit. Eine Verquickung des Gotteslaesterungstatbe standes mit dem
Sozialistengesetz galt den Zeitgenossen als ein Akt von politischer Gesinnungsjustiz. Erst am 22. Dezember 1879, nach insgesamt vierzehn Monaten im Heilbronner Gefaengnis, wurde Dulk aus der Haft entlassen.

Als er bald darauf im Jahr 1880 einen Vortrag mit dem Thema "Die religioese Suendfluth in der Stadt der Beter" ankuendigte, wurde dieser kurzerhand von der Stuttgarter Stadtdirektion, aufgrund des Sozialistengesetzes, verboten. Zur Begruendung wurde insbesondere angefuehrt, dass Dulk systematisch anstrebe, "durch die Bekaempfung der christlichen Religion die Ziele der Socialdemokratie zu foerdern", wie es in der Verbotsbegruendung durch die Stuttgarter Stadtdirektion hiess. Erst 1882 konnte er wieder seine gut besuchten freidenkerischen Vortraege halten. Wieder wurde wegen des ss 166 ermittelt und seine Vortraege am 6. Maerz 1882 verboten. Doch Dulk und seine Genossen verschafften sich immer wieder eine neue Oeffentlichkeit. Als recht
wirkungsvoll erwiesen sich oeffentliche Vortraege in der Freidenkergemeinde und anlaesslich von Bestattungen, wie z.B. in der in der Veroeffentlichung wiedergegebenen "Rede am Grabe von Gottlob Eitle".

Trauerzug und Ehrung am Dulk-Haeusle

1884 starb Dulk, voellig ueberraschend, bei einer Zugfahrt von Stuttgart nach Untertuerkheim. Sein Leichenzug sollte zur groessten Demonstration der wuerttembergischen Sozialdemokratie unter dem Sozialistengesetz werden. In Wuerttemberg war die Feuerbestattung noch nicht erlaubt, deshalb zog ein Leichenkondukt zum Gueterbahnhof, zur Ueberfuehrung nach Gotha. Ein ungewoehnlich grosses Polizeiaufgebot wurde zum "Ordnunghalten" eingesetzt: die circa 80 Stuttgarter Schutzleute nebst 40 eigens herbeigeholten Landjaegern. Waehrend des Leichenzugs war das Militaer der Stuttgarter Garnison zu einem eventuellen Einsatz bereit. Am Trauerzug nahmen dem Stuttgarter Tagblatt zufolge "Tausende und Abertausende von Arbeitern ... mindestens 5-6.000" teil. Insgesamt hatten dem Trauerzug "wohl ueber 25.000 Menschen angewohnt".

Knapp ein Jahr spaeter, am 20. September 1885, gedachten die wuerttembergischen Sozialdemokraten und Freidenker Dulks anlaesslich der Einweihung einer Gedenktafel am "Dulk-Haeusle" im Esslinger Wald, das Dulk zu Lebzeiten bewohnt hatte, wenn er sich zurueckziehen wollte. Zu dieser Feier waren wieder "unter grosser Beteiligung der schwaebischen Genossen ... mehrere Tausend Besucher" zusammengekommen.

Einer der Redner, der sozialdemokratische Reichstagsabgeordnete Bruno Geiser erklaerte, Dulk sei
von seiner Zeit als Dichter, Philosoph und Volksmann nicht voll verstanden worden, bzw. man habe ihn nicht voll verstehen duerfen, denn die "richtige Luft der Geistesfreiheit wehe noch nicht". Er hoffe, "der Geist Dulks moege seinen Freunden in noch kommenden Kaempfen zur Seite stehen!".

Zur Bedeutung Albert Dulks

Dulk gehoerte, neben Georg Herwegh und Johann Jacoby, zu den wenigen 1848ern, die ihrer Gesinnung treu geblieben sind und konsequenterweise eine Bruecke zur spaeter entstehenden
sozialistischen Arbeiterbewegung geschlagen haben. Mit dem preussischen Obrigkeitsstaat hatte er sich nie ausgesoehnt. Konsequent hielt er an seiner Gegnerschaft zu Monarchie, Staat und Militaer fest. Energisch wandte er sich gegen den nationalen Taumel von 1870/71 und die Annexion von Elsass-Lothringen. Mit August Bebel und Wilhelm Liebknecht, die aufgrund der selben Haltung wegen "Hochverrat" zu zwei Jahren Festungshaft verurteilt wurden, solidarisierte er sich oeffentlich. Dulk trat oeffentlich, in den Zeiten des Sozialistengesetz, als sozialistischer Redner, Landtags- und Reichstagskandidat auf. Und dieses politische Engagement verband er immer mit seinem freien Denken. Damit stiess er natuerlich auch viele Zeitgenossen vor den Kopf: die buergerlich-braven
Freigeister (wie z.B. David Friedrich Strauss oder Bruno Bauer), die nur kritisch in der Theologie waren, ansonsten aber ihren Frieden mit der weltlichen Obrigkeit gemacht hatten; die Spiessbuerger und Froemmler, weil er nicht nur im stillen Kaemmerlein bibelkritelte, sondern in grosser Oeffentlichkeit gegen die Dogmen des Glaubens auftrat - und das auch noch in Stuttgart, der "Stadt der Beter", einem bigotten Zentrum des Pietismus; einige seiner sozialdemokratischen Mitkaempfer, die sich schon damals gern um die Religions- und Kirchenkritik herummogeln wollten, indem er ihnen belegte, dass soziale Befreiung nur moeglich ist, wenn sich die Arbeiterklasse auch geistig zu befreien vermoege. Darueberhinaus war seine Lebensgemeinschaft mit drei Frauen natuerlich ein staendiger Skandal.

Zur aktuellen Auswahl Dulk'scher Schriften

In den neuveroeffentlichten Schriften, die Eingang in die, hier besprochene aktuelle Auswahl fanden, zeigt sich sehr anschaulich, wie Dulk agierte: durch oeffentliche Reden, dramatische Dichtungen und volksaufklaererische Schriften. In der dramatischen Satire "Nieder mit den Atheisten!" - Ein Gespraech zwischen Froemmigkeit, Verstand und Liebe" stellte Dulk einen, fuer das damalige Stuttgart durchaus typischen, Dialog dar. Aeusserungen des katholischen (Dr. Orthodoxus) und des evangelischen Geistlichen (Dr. Lichtfreund) werden dem skeptischen bibelfesten Normalmenschen (Michel Menschenverstand) gegenuebergestellt. Die Menschenliebe (Frau Sammliebe) loest den Dialog auf, zu einer menschlichen Zukunftsperspektive, ohne einen Gottglauben.Dulks oeffentliche Vortraege gehoerten wohl - aus der Sicht der Religionskritik - zu seinen wichtigsten Verdiensten. Der sehr starke Besuch und die Reaktionen sprechen dafuer. Exemplarisch hierfuer sein Vortrag in der Stuttgarter Liederhalle: "Die Entwicklung des Christentums". Wuerttemberg war noch immer ein Zentrum eines eifernden Pietismus, in dem ein geistiges Klima der Enge herrschte, wie es sich heute vielleicht noch im sogenannten bible belt im Sueden der USA findet, vergleichbar nur dem, der heutigen USA-Sekten. Noch immer gab es die 'Kirchenkonvente' genannten Sittengerichte, in denen unter dem Vorsitz des evangelischen empfindliche Strafen und Schandurteile ueber die vermeintlichen Sittenverfehlungen der Untertanen verhaengt wurden. Ergaenzt wurde diese Geisteshaltung von einer schwaebisch- bigotten Sexual- und Lustfeindlichkeit, die uns heute nur noch ein Kopfschuetteln abnoetigen kann. Diese spezifisch schwaebische Art des Pietismus, die sich in intolerantem Sektierertum und durch haeusliche Betkreise aeussert, bietet auch gegenwaertig noch eine Spielwiese fuer fanatische Lebensschuetzer und fundamentalistische Jesus-Juenger.

Nachwirkungen auf die Linke

Einen interessanten Aspekt bildet auch die Nachwirkung Dulks auf die sozialistische Bewegung. Wie ein roter Faden zieht sich durch die Geschichte der Arbeiterbewegung - ob sozialdemokratischer oder parteikommunistischer Richtung - eine Auseinandersetzung zweier
Richtungen in der Frage der Religionskritik. Ideologischen und oekonomischen Kampf verbanden die sozialistischen Freidenker, indem sie sich bemuehten, differenzierte Religionskritik innerhalb der
Arbeiterbewegung zu verbreiten. Die andere Richtung, die eine Ignoranz gegenueber dem freidenkerischen Anliegen pflegte, war aber auch immer um vermehrten Einfluss bemueht. Solange die Freidenker eine Massenbewegung waren, war ihr Einfluss auch nicht zu uebersehen (Mitgliederzahlen der Freidenkerverbaende: Die sozialdemokratisch gefuehrten Verbaende 'Deutscher Freidenker-Verband' (1933): 660.000 und 'Bund sozialistischer Freidenker' (1930): 20.000; der kommunistisch gefuehrte 'Verband proletarischer Freidenker' (1933): 140.000; die buergerlich gefuehrten Verbaende 'Deutscher Monistenbund' (1930): 10.000 und 'Volksbund fuer
Geistesfreiheit' (ein Zusammenschluss von 'Freidenkerbund' und 'Freireligioesen) im Jahr 1914: 50.000 Mitglieder.). Nachdem diese Bewegung 1933 durch die Nazis zerschlagen wurde, konnten sich die Freidenker in Deutschland nie mehr richtig erholen. Die Arbeiterparteien nach 1945 gaben
so auch, nach und nach, freidenkerische Positionen preis.

Fuer die Schriften Dulks fand sich von parteioffizieller Seite kein Interesse mehr. Kein, den
Arbeiterparteien nahestehender, Verlag legte seine Schriften neu auf. Lediglich die Freidenker der Tschechoslowakei besorgten in den 30er Jahren eine Uebersetzung und Herausgabe von
Dulkschen Schriften (Nach den Angaben von Leopold Gruenwald, ehemaliger Sekretaer des tschechoslowakischen Freidenkerverbandes in den 30er Jahren, anlaesslich eines Interviews mit Heiner Jestrabek (Wien, 23. 10. 1991).

Rechristianiserung der Linken

Der geschwundene Einfluss des organisierten Freidenkertums stellte eine parallele Entwicklung zum Untergang des groessten Teils der Arbeiterkulturbewegung dar. Arbeitersaenger, -sprechchoere, -theater, -sportler und -literatur konnten ihre Massenbasis der Weimarer Republik nie
mehr aufnehmen. Natuerlich hat dies alles mit den veraenderten Zeitbedingungen und der Schwaeche der Linken zu tun. Aber warum wir heute immer noch das Phaenomen einer
'Rechristianisierung' innerhalb der Linken konstatieren muessen, ist nicht so recht einzusehen.
Es faellt auf, dass in der Linken nach dem Zweiten Weltkrieg eine an Denkfaulheit grenzende Gleichgueltigkeit ideologischen Fragen gegenueber Einzug gehalten hat; die Begruendungen
hierfuer reichen vom Hinweis, Religionskritik lenke von wichtigereren Fragen ab, bis hin zur These, die Religionsfrage erledige sich sowieso von alleine, wenn der Sozialismus erst oekonomisch gesiegt haette. Dabei ist es gleichgueltig, ob sich dieser Fatalismus linksradikal (etwa Anton
Pannekoek, sozialdemokratischer Theoretiker, der zwischen 1906 und 1914 vor sozialistischem Freidenkertum warnte. In seiner Schrift "Religion und Sozialismus" sprach er von "Kraftvergeudung" und "Nebenzielen", vor denen man sich "hueten" muesse. Zitiert nach Kaiser, Arbeiterbewegung und organisierte Religionskritik, S. 118f) gebaerdet oder rechtsopportunistisch, bis hin zum fatalistischen
ideologischen Eintopf-Syndrom, nach dem die kirchliche Humanismus-Terminologie fuer wahr angenommen wird. Dieser Opportunismus findet sich weit verbreitet innerhalb der Sozialdemokratie
(Vgl. hierzu den programmatischen Kurswechsel der SPD, festgelegt im "Grundsatzprogramm der
Sozialdemokratischen Partei Deutschlands. Beschlossen von Ausserordentlichen Parteitag der SPD in Bad Godesberg vom 13.-15. November 1959". Die altbewaehrten Forderungen nach einer Trennung von Staat und Kirche, sowie nach einer Weltlichkeit der Schule wurden gestrichen. Der Vorsitzende Erich Ollenhauer erklaerte hierzu ausdruecklich, dass sich in dieser Frage die Meinung der Sozialdemokratie geaendert haette und es sich bei diesen neuen Formulierungen nicht nur
um taktische handeln wuerde. Protokoll der Verhandlungen des o.g. Parteitages. Hrsg. Vorstand der SPD Bonn. 1960.), aber auch bei den KPs, die dem Buendnis mit der christlichen Friedensbewegung und denwenigen fortschrittlichen Pfarrern immer wieder hoehere Bedeutung zumassen als der eigenen freidenkerischen Tradition.

Damit keine Missverstaendnisse entstehen: Freidenker traten immer fuer Dialog und Zusammenarbeit mit Christen ein. Aber eben ohne die Aufgabe der eigenen Identitaet. Schliesslich aeussert sich diese Rechristianisierung der Linken in der voelligen Aufgabe sogar von demokratischen Minimalforderungen, wie der Trennung von Staat und Kirche und der Abwendung von jeglicher Ideologiekritik, bis hin zu offener Gegnerschaft zum Freien Denken. Dies geht so weit, dass durch linke Parteien eine offen klerikale Politik gefoerdert wird, laizistische Positionen von opportunistischen Politikern aufgegeben werden und als traurige Hoehepunkte sogar Verbote gegen die Freidenkerverbaende in der UdSSR und deren Satellitenstaaten verhaengten. (Beispiele fuer die Foerderung klerikaler Politik in der Sowjetunion finden sich bei Karlheinz Deschner: Die Politik der Paepste im 20.Jahrhundert. Reinbek 1991.).Bis heute aeussert sich dieser verhaengnisvolle Opportunismus darin, dass Dulk und andere in Archiven, Standardwerken und Lexika der ehemaligen DDR nicht anzutreffen waren und somit praktisch zu Unpersonen wurden. Die Erfassung und Auswertung seiner Werke wurde straeflich vernachlaessigt und somit ganze Generationen von Wissenschaftlern und Sozialisten zu Analphabeten bezueglich des Freidenkertums.

Diese Denkweise ist eigentlich eine dem wissenschaftlichen Sozialismus fremde Methode, eine
mechanisch-metaphysische Arbeitsmethode und Ideologie, im Kern also ueberlebter buergerlicher Idealismus. Mit seiner Auffassung von Dialektik vertrat Dulk eine aehnliche Position wie seine Zeitgenossen Karl Marx und Friedrich Engels, zu denen er ansonsten in kritischer Distanz stand. Er
verband eine fundamentale Religionskritik, die aktiv gepflegt werden muss, mit einer vielschichtigen Behandlung des Phaenomens Religion als gesellschaftlich wirkender Ideologie. An diese Denkweise anknuepfend bleibt Religionskritik bis heute von Bedeutung: sie ist weltanschauliche Grundlage fuer jene, die sich in ihrem Handeln dem Fortschritt und der Freiheit der Menschheit verpflichtet fuehlen. Das Lebenswerk eines Albert Dulk - auch wenn es wie bei allen Pionieren nicht frei von Irrtuemern und Fehleinschaetzungen ist - bietet hierfuer manche brauchbare Handhabe.

Albert Dulk / "Nieder mit den Atheisten!" Ausgewaehlte religionskritische
Schriften aus der fruehen Freidenkerbewegung. Hrg. von Heiner Jestrabek.
Band 3 der Reihe "Klassiker der Religionskritik" IBDK-Verlag, Postfach 167,
63703 Aschaffenburg, 156 Seiten, kt. DM 25,--

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