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Aus: STICHWORT BAYER, Ausgabe 1/99

Kaffeanbau mit tödlichen Nebenwirkungen
Staatsanwalt ermittelt gegen BAYER

Von Philipp Mimkes

02/99
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Dem Leverkusener Chemiekonzern droht in Brasilien eine Anklage wegen der Vergiftung von Kaffebauern. Umweltverbände sprechen von schweren Gesundheitsschäden und zahlreichen Todesfällen durch das BAYER-Gift BAYSISTON - das Unternehmen weist jegliche Verantwortung zurück.

Die Staatsanwaltschaft in Manhuacu im Bundesstaat Minas Gerais ermittelt gegen die deutsche BAYER AG, ein leitender Manager soll in einem Strafprozess persönlich angeklagt werden. Hintergrund: Durch das Pestizid BAYSISTON, Nr. 1 auf dem brasilianischen Markt, sollen mehr als 30 Kaffebauern vergiftet worden sein, 12 davon tödlich. Landarbeiterorganisationen schätzen die Zahl der gesundheitlich Geschädigten auf mehrere hundert.

Für den Umgang mit dem extrem giftigen Pestizid, dessen Zusammensetzung in Deutschland seit 20 Jahren nicht mehr zugelassen ist, gelten auch in Brasilien strenge Sicherheitsbestimmungen, wie etwa das Tragen von Atemgeräten und Schutzkleidung. Diese Ausrüstung ist aber für die armen Landarbeiter nicht erschwinglich und wegen der tropischen Temperaturen auch nicht verwendbar. Viele Landarbeiter sind zudem Analphabeten und können daher die Gebrauchsanweisung für die hochtoxischen Stoffe nicht lesen. Außerdem werden durch die omnipräsente Werbung für BAYSISTON die Risiken in den Hintergrund gedrängt, viele Kaffebauern glauben sogar, BAYSISTON sei ein Düngemittel zur Ertragssteigerung. Der ermittelnde Staatsanwalt Eduardo Nepomuceno beklagt denn auch die verharmlosende Werbung, die die möglichen Risiken völlig ausklammert.

Nach Angaben des ARD-Magazins Report, das auf Initiative der COORDINATION GEGEN BAYER-GEFAHREN vor Ort recherchierte, ermittelt der Staatsanwalt gegen das Unternehmen auch in einem Zivilprozess wegen Umweltschäden. Ein BAYER-Sprecher weist hingegen alle Vorwürfe zurück, da sich die Firma "stark in der Anwenderaufklärung engagiere". Trotzdem wurde kürzlich bekannt, dass der Konzern 100.000 Real (rund 140.000 DM) in einen vom Staatsanwalt initiierten Fonds eingezahlt hat - ein gewisses Unrechtsbewußtsein scheint also doch vorhanden zu sein. Nepomuceno zufolge möchte das Unternehmen eine Verurteilung um jeden Preis vermeiden und strebt daher einen Vergleich an.

Nach Ansicht des Pflanzenschutz-Experten Mathias Frost, tätig für die Gesellschaft für Technische Zusammenarbeit (GTZ), verstößt BAYER mit dem Vertrieb von BAYSISTON gegen den Verhaltenskodex der Welternährungsorganisation FAO zum Verkauf von Pestiziden. Danach sollen Hersteller vor allem in tropischen Ländern darauf verzichten, Pestizide in den Handel zu bringen, für deren Handhabung teure Schutzausrüstung erforderlich ist. Frost fordert das Unternehmen auf, das Mittel vom Markt zu nehmen, ,weil die Anwendung gemäß Gebrauchsanweisung in Brasilien nicht sicher gewährleistet ist".

Die BAYER AG kontert, dass die Vergiftungsfälle bekannt seien, diese wären aber nicht die Folge von mangelhafter Aufklärung, sondern allein von ,unsachgemäßer Anwendung". Hierzu Hubert Ostendorf von der COORDINATION GEGEN BAYER-GEFAHREN: ,Es ist zynisch, wenn das Unternehmen den Betroffenen die Schuld für die Vergiftungen mit dem Hinweis zuschiebt, sie müßten selbst für wirksame Schutzkleidung sorgen. Die Verantwortung liegt beim Hersteller, denn ein effektiver Schutz gegen diese Gifte existiert nicht, schon gar nicht in armen Ländern." Ostendorf fordert, der Konzern müsse seiner Verantwortung endlich gerecht werden und den Verkauf der hochgiftigen Agrochemikalien einstellen. ,Denn von dem Pestizideinsatz profitieren lediglich Produzenten wie BAYER sowie skrupellose Plantagenbesitzer; die Gesundheit der Landarbeiter bleibt auf der Strecke. Alle Pestizide, die die Weltgesundheitsorganisation WHO als `extrem gefährlich' einstuft, müssen sofort vom Markt genommen werden!"

"Er starb am selben Tag" Zeugenaussagen zu BAYSISTON

Ich, Marly Avidel Vilete, wohnhaft in Divino, gebe folgende Zeugnis: "Am 8. Dezember 1995 arbeitete mein Gatte Joao Jose Vilete (49) mit dem Mittel, ich fand ihn liegend auf dem Feld. Er hatte keine Kraft zu gehen und glühte, er hatte Kopfschmerzen und er erbrach sich viel, er hatte Schmerzen in der Brust, keine Stimme und hielt sich den Bauch mit geschlossenen Augen und am Ende verlor er gänzlich das Gleichgewicht. Er starb am selben Tag an Atemlähmung. Er hinterläßt eine Tochter."

Ich, Milton Pinto da Silva, wohnhaft in Carolas gebe folgendes Zeugnis: "Ich hatte Wunden am ganzen Körper und Fieber. Ich war acht Tage im Krankenhaus wegen mangelndem Sehvermögen. Die Symptome waren aufgetaucht, nachdem ich Mais aß, den ich mit BAYSISTON behandelt hatte.

Aus den Krankenhausakten des Hospitals Sao Vicente de Paulo von Manhumirim: "Geraldo Ribeiro Camargo, 51 Jahre alt, starb am 8.10 97, vier Tage nach der Einlieferung. Hatte Kontakt mit BAYSISTON".

In dem Krankenhaus werden täglich etwa zwei BAYSISTON- Vergiftungen behandelt. Der dreijährige Fabricio de Andrade wurde ins Krankenhaus von Manhuacu eingeliefert, nur weil er an einem Acker vorbeigegangen war, auf dem BAYSISTON gespritzt wurde. Sein Vater berichtet: "Die Sonne schien heiss und der Geruch des Mittels hing überall in der Luft". Der behandelnde Arzt weist darauf hin, dass die Dämpfe Übelkeit, Sehstörungen und Schüttelfrost hervorrufen.

Der Landarbeiter Adelino Ferreira starb, nachdem er zweieinhalb Tage BAYSISTON ausgebracht hatte. Das Gift drang durch seine Haut und die Atemwege. Für einen Grabstein hatte die Witwe mit den vier Kindern kein Geld.

"Lebensgefahr"

Rüdiger Hillmann, Toxikologe der Universitätsklinik Mainz: »Für die Leute, die das Mittel ohne Schutzkleidung ausbringen, besteht ein hohes gesundheitliches Risiko bis hin zur Lebensgefahr. Das bedeutet, eine Vergiftung mit einem derartigen Stoff führt in der Regel zu Muskelkrämpfen, zu Muskelzittern, zu tiefen Bewußtseinseintrübungen und zu Lähmungen der Muskeln bis hin zum Atemstillstand - dem Tod. Mit einem solchen Stoff umzugehen heißt, man sollte einen chemischen Vollschutzanzug tragen, also einen Anzug, der diesen Stoff nicht bis zu der Haut durchlässt. Und man sollte auch ein Atemschutzgerät tragen, damit Stäube nicht in die Lunge gelangen können.«

"Andere Krankheitsursachen" BAYER zu BAYSISTON

Am Tag nach dem Bericht in der ARD versandte BAYER eine Pressemitteilung an "Entscheidungsträger" in Politik und Aufsichtsbehörden. O-Ton BAYER: "Bayer weist Vorwürfe des Fernseh-Magazins Report entschieden zurück (...). Wären diese Aussagen korrekt, hätte Bayer wegen seiner Selbstverpflichtung zu ,Verantwortlichem Handeln (Responsible Care)" schon längst drastische Konsequenzen gezogen. Tatsache ist, dass BAYSISTON als Standardpräparat im brasilianischen Kaffee-Anbau wegen seiner guten Wirkung sehr bekannt und geschätzt ist. Das Präparat wurde nach den Kriterien der Weltgesundheitsorganisation (WHO) in die Toxizitätsklasse II und damit als mindergiftig eingestuft. (...) Bayer startete vor Ort eine intensive Aufklärungs- und Schulungskampagne - u.a. mit Filmen, Demonstrationen sowie Bilderklärungen für Analphabeten. Außerdem gingen von Bayer beauftragte Mediziner und Toxikologen den von Ärzten und Hospitälern gemeldeten Vergiftungsfällen eingehend nach. Bis auf Einzelfälle mit leichten Symptomen konnten alle anderen angeblichen BAYSISTON-Vergiftungen auf andere Krankheitsursachen zurückgeführt werden. (...) Jeder bekanntwerdende Fall unsachgemäßen Umgangs mit unseren Präparaten wird von Bayer sehr ernst genommen und umgehend untersucht. Das Unternehmen hat stets mit größter Sorgfalt und Verantwortung die Ziele des FAO-Kodexes verfolgt, zu dessen Einhaltung es sich verpflichtet."

Uwe Friedrich vom Pestizid Aktions Netzwerk (PAN): "Diese selten schwache Presseerklärung belegt das schlechte Gewissen des Konzerns. Die von der ARD recherchierten Fakten werden nicht entkräftet.

Stattdessen wird lediglich auf die bestehenden Selbstverpflichtungen verwiesen, gegen die bereits seit Jahren Verstöße gemeldet werden. Mit der selben Argumentation reagierte das Unternehmen schon auf Berichte über Missbrauch des Pestizids NEMACUR in Bananenplantagen in Mittelamerika. Eine schlichte Lüge ist die Aussage, eine Einstufung des Pestizids in die Toxizitätsklasse II würde eine Mindergiftigkeit bedeuten. In Wahrheit entspricht einer Klassifizierung der Stufe II die Bewertung "hazardous" (gefährlich), was insbesondere in tropischen Regionen eine reale Gefahr darstellt. Die hohe Wertschätzung, von der BAYER spricht, resultiert aus der flächendeckenden Werbung, die die bestehenden Gefahren schlicht ignoriert, nicht aber aus einer sicheren Handhabbarkeit. Und selbst wenn BAYER vor Ort Aufklärungskampagnen betrieben hat, so können diese nicht sehr umfassend gewesen sein. Denn weder die interviewten Landarbeiter noch der Staatsanwalt hatten von ihnen zuvor gewusst."

Reisebeschreibung nach Minas Gerais von André Schösser

Nach meinem Abitur entschied ich mich, einige Monate nach Brasilien zu gehen, um mich dort in einem Projekt für Straßenkinder zu engagieren. Der Hausmeister dieses Projekts nahm uns an einem Wochenende mit in sein Heimatdorf Espera Feliz, wir sollten seine Familie kennenlernen. Das Dorf liegt weit oben in einer gebirgigen Region im Staate Minas Gerais. Das erste mal in Brasilien begegnete ich dort einer scheinbar intakten Natur.

Da wir seit längerer Zeit die ersten Deutschen im Dorf waren, wurden wir bald vom Bürgermeister eingeladen. Dort wurde ich sehr schnell aus meinen Träumen herausgerissen, wir erfuhren die wahren Umstände, in denen sich die Region befindet. "Kennt ihr die Firma BAYER?" fragte man uns. Wir erfuhren, dass BAYER seit einigen Jahren in Minas Gerais ein hochgiftiges "Pflanzenschutzmittel" namens BAYSISTON vertreibt. Das Mittel führt zwar zu Ertragssteigerungen, aber seitdem es eingesetzt wird treten starke Erkrankungen und sogar Todesfälle unter den Kaffeebauern auf.

Viele Bewohner des Dorfes haben Angst. In immer neuen Regionen wird das "Wundermittel" aus Europa mit großem Erfolg eingesetzt.

Doch immer wieder hören sie erschreckende Nachrichten von schweren Erkrankungen, die nicht selten zum Tode führen. Die Menschen der Region vertrauen blindlings den weiterentwickelten Technologien aus Eruropa, erkennen aber nicht, dass man sie auf Kosten ihrer Gesundheit restlos ausbeutet. Ungenügende Aufklärung durch die Firma BAYER führte mittlerweile dazu, dass die Bauern das Mittel zum Düngen ihrer Mais- und Bohnenpflanzen verwenden. Es gelangt somit direkt in die Nahrungskette, mit fatalen Folgen für die Bevölkerung. Kleine Gruppierungen in den betroffenen Gebieten veranstalten regelmäßig Gegendemonstrationen - mit leider nur geringem Erfolg.

Die Menschen in Minas Gerais baten uns um Hilfe und gaben uns das Gefühl, als seien wir für sie die letzte Hoffnung in ihrem aussichtslosen Kampf gegen die Firma BAYER. Durch ein Telefonat, dass ich in Deutschland mit BAYER führte, erfuhr ich, dass dem Unternehmen bewußt ist, was in der Region geschieht. Ein leitender Mitarbeiter sagte: BAYSISTON darf nur mit einer speziellen Maschine, nicht aber mit der Hand ausgebracht werden. Wenn dies nicht beachtet wird, trifft die Schuld allein die Bauern. Außerdem wurde uns in dem Telefonat versprochen, einen Beauftragen nach Espera Feliz zu schicken. Vier Monate später war noch niemand da.

Zu einer zweiten Reise nach Brasilien lud mich Thomas Reutter, Redakteur des ARD-Magazins Report ein. Der Kontakt kam über die COORDINATION GEGEN BAYER-GEFAHREN zustande. Den ersten Termin hatten wir bei einem Staatsanwalt in Manhuacu, der seit Jahren die betroffenen Kaffeebauern vertritt. Er gewährte uns Einblick in Akten laufender Verfahren, was bekanntermaßen sehr selten ist. Als nächstes befragten wir einen Bauer im Dorf Matipo, der BAYSISTON nach der alten Methode - ohne die geringste Schutzkleidung und nur mit einem kleinen Löffel - ausstreut. Dieser Kaffeebauer bestätigte uns, dass viele seiner Freunde auf diese Weise mit BAYSISTON arbeiten und dass es überhaupt kein Problem sei in den Geschäften BAYSISTON zu kaufen.

Weiter erfuhren wir, daß nahe der Stadt Simonese Bodenproben entnommen wurden, um die Stärke der Vergiftungen durch Pflanzenschutzmittel zu untersuchen. Wir trafen dort auf eine Doktorin der Bodenkunde aus Belo Horizonte. Sie zeigte uns, wie stark errosionsgefährdet die Anbauflächen für Kaffee sind und daß selbst beim Vergraben von BAYSISTON in einer Tiefe von 7-8 cm der starke Regen das Granulat aus dem Boden schwemmt. Selbst durch die Anwendung spezieller Maschinen sickert BAYSISTON ins Grundwasser und verseucht die naheliegenden Bäche.

In Simonese trafen und interviewten wir einige Opfer von BAYSISTON: Da war zum einen die Witwe eines Mannes, der aufgrund einer Vergiftung durch BAYSISTON starb. Er ließ sie mit vier Kindern zurück, die sie nun selbst verpflegen muß. Ein anderes Opfer war ein guter Freund des verstorbenen Mannes. Sie brachten zusammen das Gift auf den Feldern aus, und er vergiftete sich ebenfalls. Er lag 6 Tage im Koma und entging dem Tod, weil er jünger und kräftiger war als sein Freund. Noch heute leidet er stark unter den Folgen der Vergiftung.

Das dritte Opfer hatte die Aufgabe, den Feldarbeitern die nötigen Mengen BAYSISTON in Dosen abzufüllen. Da er dazu keinerlei Schutzanzüge benutzte, erlitt er starke Verätzungen an Armen, an Beinen und besonders am Bauch. Lange hatte er mit Lähmungserscheinungen zu kämpfen und noch heute muß er täglich Medikamente gegen die unerträglichen Schmerzen einnehmen. Von BAYER hat er bis heute keinen Pfennig Entschädigung bekommen, obwohl er seit 4 Jahren zusammen mit seinem Anwalt dafür kämpft. Jedes der Opfer konnte bezeugen, daß die Verpackungen kaum erkennbare Warnhinweise hatten und daß die Lieferanten kein Wort über die Gefährlichkeit des Produktes verloren, ja sogar damit warben, man könne BAYSISTON sogar als Düngemittel verwenden.

Am letzten Tag versuchten wir, auf eigene Faust BAYSISTON zu kaufen, denn nach den Angaben von BAYER sollte gerade dies unmöglich sein. Nur mit Vorlage eines Rezeptes und der Zusicherung, daß man einen Großbetrieb unterhält, sollte es überhaupt noch möglich sein, BAYSISTON zu erhalten. Ein befreundeter Radiomoderator war uns hierbei sehr behilflich und schon nach kurzer Zeit bekam er ohne das geringste Problem eine Kiste BAYSISTON verkauft, ohne auch nur den geringsten Hinweis auf eventuelle Gefahren.

STICHWORT BAYER, Zeitschrift der Coordination gegen BAYER-Gefahren
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