Vergesellschaftung und Gemeinwirtschaft
Lösungen für die Berliner Wohnungskrise vorgeschlagen von der "Deutsche Wohnen & Co. enteignen"-Kampagne

eingeleitet durch einen Kommentar von Karl-Heinz Schubert

02/2020

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Quelle: KHS Vortragsmaterial "Ein wohnungspolitischer Denkzettel"

"In den nächsten Monaten wollen wir mit euch und der ganzen Stadt diskutieren, was die Chancen einer Vergesellschaftung großer Wohnungsbestände sind und wie diese dafür ganz konkret aussehen muss.", schreiben die Organizer der "Deutsche Wohnen & Co. enteignen"-Kampagne auf Ihrer Website am 31.1.2020 und veröffentlichen dazu eine Broschüre mit dem Titel "Vergesellschaftung und Gemeinwirtschaft – Lösungen für die Berliner Wohnungskrise".

In der Tat ist es zu begrüßen, dass nach Monaten der theoretischen Enthaltsamkeit - immerhin waren 2019 zahlreiche Kritiken an der Kampagne (siehe unten) unbeantwortet geblieben  - diese Broschüre herausgeben wurde und so bleibt zu hoffen, dass sich recht viele Leute davon angesprochen fühlen und ihre Statements dazu abgeben. Es wäre freilich zielführend in der Debatte zu unterscheiden, ob sie immanent geführt wird, dh. ob das darin enthaltene Füllhorn politischer Teilhabe-Vorschläge im Hinblick auf ihre auf Praktikabilität  diskutiert wird oder ob die Debatte sich zunächst auf Grundsatzfragen konzentriert.

In meinem Kommentar zur Enteignen-Kampagne vom Frühsommer 2019  stellte ich diesbezüglich fest:

"Die rechtsformwechselnde Umwandlung einer privatwirtschaftlich betriebenen Immobilie in eine gemeinwirtschaftliche - und umgekehrt - ändert nichts an der Kostenstruktur der (Kalt-) Miete, mit der weiterhin Fremd- und Eigenkapital finanziert werden müssen, da diese Finanzierungsverpflichtung (auf jeden Fall für das Fremdkapital) trotz Rechtsformwechsel grundbuchlich gesichert bestehen bleibt."

Mit anderen Worten: Die "neue" Wohnimmobilie "Ex-Deutsche Wohnen" bliebe auch als Staatsbetrieb in der Form einer Anstalt öffentlichen Rechts (AöR) weiterhin Leihkapital, mit dem Zinsen generiert werden (müssen). Darüberhinaus ließen sich aus der Verfügungsgewalt über die Wohnimmobilie zusätzliche Profitquellen erschließen.


Quelle: KHS Vortragsmaterial "Ein wohnungspolitischer Denkzettel"

Insofern ist der Begriff Vergesellschaftung, wie er in der Broschüre gebraucht wird, irreführend. Von Vergesellschaftung kann im Marxschen Sinne nur die Rede sein, wenn der gesamtgesellschaftlich erarbeitete Mehrwert für die planmäßige Erfüllung gesellschaftlicher und individueller Bedürfnisse seinen Produzent*innen zur Verfügung steht. Das ist hier gerade nicht der Fall, denn der kapitalistische Markt bleibt als Gesamtstruktur bestehen und eine "Ex-Deutsche-Wohnen"-AöR wäre kein externer Wirtschaftssektor, sondern vielmehr dessen Verwertungsmechnismus weiterhin unterworfen.

Ebenso verhält es sich mit dem Begriff "Gemeinwirtschaft", von dem es in der Broschüre heißt:

 "Da Konsumenten und Eigentümer in der Regel Teil derselben wirtschaftenden Gruppe sind, entsteht kein Renditedruck zugunsten externer Investoren."

Mal abgesehen davon, dass eine Personengruppe bestehend aus einer Vielzahl von Einzelmieter*innen schon deswegen mit dem Staatapparat (AöR) keine gemeinsame Gruppe bildet, nur weil zwischen ihnen ein Mietvertragsverhältnis besteht, führt diese Definition direkt in das freie Reich der Phantasie, wo es dann auch keinen externen Renditedruck mehr gibt  - auch nicht von Seiten der finanzierenden Banken oder vom notleidenden Staatshaushalt?

Der entscheidende Kritikpunkt an dem AöR-Modell ist jedoch dort zu finden, wo er im Abschnitt "Demokratie und Verwaltung" ganz deutlich zu Tage tritt. Hier zeigt sich, dass in die Profitstruktur des AöR-Kapitals nicht eingegriffen wird, um diese zugunsten derer, die in den Häusern wohnen und die ihnen auch gehören, zu verändern: Nämlich indem das BGB-Mietvertragsverhältnis in ein unkündbares Nutzer*innenverhältnis überführt wird. Stattdessen bleibt alles beim Alten und es werden keine Selbstverwaltungsstrukturen konzipiert sondern Mitsprachemodelle vorgeschlagen.

Weitere Kritikpunkte bleiben ausdrücklich einem nachfolgenden Beitrag vorbehalten.

Berlin im Februar 2020


Download der Broschüre

Beschluss und Antragstext für den Beschlussvolksentscheid

Stellungnahmen zum Beschlussvolksentscheid und zur Kampagne