Die Berliner
Initiative „Deutsche Wohnen & Co. enteignen“
hat schon jetzt wie eine Bombe eingeschlagen.
Noch bevor die erste Unterschrift gesammelt
ist, bringen sich alle Kräfte des politischen
und wirtschaftlichen Establishments in
Stellung.
Die Forderung
nach Enteignung oder Vergesellschaftung aller
gewinnorientierten Konzerne, die in der Stadt
über mehr als 3.000 Wohnungen verfügen, ruft
die VerteidigerInnen des Privateigentums auf
den Plan. Dass es Wohnungsnot und eine massive
Steigerung der Mietpreise in Berlin und anderen
städtischen Ballungsgebieten gibt, bestreiten
zwar auch die KritikerInnen der Initiative
nicht. Doch drohende Eingriffe in das
Privateigentum oder gar die Enteignung ganzer
Unternehmen – beides rein juristisch betrachtet
sogar nach Grundgesetz und Berliner
Landesverfassung zulässig – werden von CDU, FDP
und AfD mit allen möglichen „Argumenten“ madig
gemacht.
Markt statt
Enteignung?
So wittert der
FDP-Politiker Sebastian Czaja in der
„Verzögerung und Verhinderung innerstädtischer
Verdichtung“ eine Hauptursache der Berliner
Probleme. Es müsse eben mehr und höher hinaus
gebaut werden, so der weise Ratschlag. Dann
würden, wenn dereinst das Angebot die Nachfrage
übersteigt, die Mieten wieder sinken. Schön für
alle, die es solange schaffen, bei rasant
steigenden Wohnungskosten nicht in die
Außenbezirke umsiedeln zu müssen.
Die
Wohnungsnot müsse, wie von einem treuen
Anhänger des freien Marktes nicht anders zu
erwarten, mit noch mehr Markt überwunden
wurden. So gelte es, „den Weg zu Wohneigentum
durch Senkung der Grunderwerbssteuer fördern.“
Die GroßinvestorInnen sagen herzlich Danke.
Ähnlich
Burkard Dregger von der CDU: „Gegen Wohnungsnot
helfen nur gemeinsame Anstrengungen, auch der
Baugenossenschaften und privaten
Wohnungsbaugesellschaften.“ Für den Mann ist
nicht nur die Enteignung Teufelszeug, sondern
selbst der Rückkauf privatisierter Wohnungen
oder Wohnungsbaugesellschaften, wie von der
Berliner SPD favorisiert. Schließlich soll lt.
FDP und CDU wie auch der gesamten
Immobilienbranche am Ende eben mehr und nicht
weniger privatisiert werden. Die hohe Miete
sichert schließlich die Rendite.
Im
kapitalistischen Chor darf schließlich auch die
AfD nicht fehlen. Deren Abgeordneter Harald
Laatsch weiß schließlich: „Für Mieter ist es
weitgehend unerheblich, wer Eigentümer ihrer
Wohnung ist.“ Dafür würden „Wohlstand und
Altersversorgung durch Eigentumsbildung
verbessert werden.“ Stimmt – wenn auch nur für
die AktionärInnen der Wohnungskonzerne, denen
er beherzt beispringt:
„Nun erleben
wir die Wiederkehr des sozialistischen
Gedankens. Linke Parteien und Aktivisten wollen
ein neues Experiment auf Kosten der
Allgemeinheit.“
Privatisierung ruiniert MieterInnen
Dabei wollen
offen bürgerlichen Parteien vor allem eins: die
Fortsetzung eines „Experiments“, dessen Kosten
für die Allgemeinheit längst bekannt sind.
Die
Privatisierung im Wohnungssektor hat
hunderttausende MieterInnen spekulativen
Wohnungsbaukapitalien ausgesetzt, die auf eine
schnelle Rendite setzen. Die Deutsche Wohnen
(DW) hat es in Berlin zur Marktführerin auf
diesem Gebiet gebracht. Mehr als 100.000
Wohnungen befinden sich in ihrer Hand.
Steigende Mieteinnahmen – bei der DW im Jahr
2018 bundesweit 3,4 %, in Berlin sogar 3,6 % –
tragen maßgeblich zur Gewinnsteigerung bei.
2018 konnte der Konzern den operativen Gewinn
auf 480 Millionen Euro steigern, was einer
Zunahme von 11 Prozent gegenüber 2017
entspricht. Und das soll längst nicht das Ende
der Fahnenstange sein.
Die Rendite
für wenige entspricht den Mietpreiserhöhungen
für viele. In Berlin wurden zwischen 1995 und
2006 über 200.000 kommunale Wohnungen
privatisiert (davon rund die Hälfe unter dem
rot-roten Senat). Die Angebotsmiete stieg
zwischen 2008 und 2015 um durchschnittlich
60 %, in Ortslagen wie Neukölln und Kreuzberg
um 100 %!
Geht es nach
der bürgerlichen Opposition im Berliner
Abgeordnetenhaus, soll noch Öl ins Feuer
gegossen und die private Wohnungsspekulation
weiter angeheizt werden.
Und der
Senat?
Der einzig
richtige Vorwurf dieser HalsabschneiderInnen an
den Senat und die Regierungsparteien besteht
darin, dass diese selbst keine Antwort auf die
Wohnungsnot haben. Kein Wunder, denn der Senat
laviert zwischen den berechtigten Forderungen
der MieterInnen einerseits und dem Druck des
Kapitals andererseits. Ersteren wird eine
Nachbesserung der Mietpreisbremse, ein Rückkauf
der privatisierten Wohnungen und ein
Wohnungsbauprogramm, vor allem der Neubau von
Sozialwohnungen, versprochen. Doch all das
gleicht einem Flickwerk, das hinter den
eigentlichen Anforderungen ständig
zurückbleibt.
Schließlich
will es sich der Senat, vor allem SPD und
Grüne, mit der Bauwirtschaft, den
Wohnungskonzernen und dem Finanzkapital nicht
verscherzen. Wie leicht, schnell und willfährig
die Berliner Koalition vor diesem Druck
einknickt, verdeutlichte gleich am Beginn ihrer
Amtsperiode die Verleumdungskampagne gegen den
linken Staatssekretär Andrej Holm, der
innerhalb weniger Wochen von „seiner“ Regierung
bereitwillig geopfert wurde.
Zum richtigen
Zeitpunkt
Vor diesem
Hintergrund wird der Erfolg von „Deutsche
Wohnen & Co. enteignen“ verständlich. Die
Initiative kam zum richtigen Zeitpunkt.
Hunderttausende MieterInnen wissen, dass es
leider doch einen Unterschied macht, ob man bei
einem profitorientierten Wohnungskapital oder
bei einer kommunalen Wohnungsgesellschaft wohnt
– z. B. wenn sie den/die längst eingesparte/n
HausmeisterIn suchen oder bei einer dringend
notwendigen Reparatur tagelang vom Callcenter
vertröstet werden.
Mittlerweile
haben sich zahlreiche MieterInnenkomitees in
Häusern privater Konzerne gebildet oder
Vollversammlungen ihre Unterstützung für
„Deutsche Wohnen & Co. enteignen“ erklärt. Die
Initiative hat schon jetzt, vor Beginn der
eigentlichen Unterschriftensammlungen für einen
Volksentscheid eine reale Massenbasis aufgebaut
– und ein weiterer Zustrom ist abzusehen.
Dies ist auch
der Grund, warum die SPD nun in der
Wohnungsfrage etwas linker blinkt und auf
Rückkauf privatisierter Wohnungsgesellschaften
als Alternative zur Enteignung setzt. Die
Grünen stehen dem Volksbegehren, das
schließlich in einen Volksentscheid münden
soll, positiver entgegen. Die Linkspartei hat
auf ihrem letzten Landesparteitag die
Unterstützung von „Deutsche Wohnen & Co.
enteignen“ beschlossen und präsentiert die
Initiative fast schon als ihre eigene Idee –
nicht zuletzt auch, um von ihrer eigenen
unrühmlichen Vergangenheit bei der
Privatisierung zehntausender Wohnungen
abzulenken.
Unabhängig
davon sollte die Initiative von allen Linken,
Anti-KapitalistInnen und RevolutionärInnen
unterstützt werden – nicht nur durch das
Sammeln von Unterschriften, sondern auch durch
das Aufbauen von MieterInnenkomitees und
demokratischen Basisstrukturen der Kampagne.
Pferdefüße
Das darf
jedoch nicht über mehrere politische Schwächen
und Pferdefüße der Initiative hinwegtäuschen,
die offen diskutiert und gelöst werden müssen.
Wir schlagen dazu eine Berliner
Aktionskonferenz vor, die nicht nur unten
angesprochene Fragen besprechen, sondern dazu
auch verbindliche Beschlüsse fassen soll.
Die Frage der
Beschränkung der Enteignungsforderung auf
Konzerne mit mehr als 3.000 Wohnungen
Wie auch alle
Beteiligten an der Initiative zugeben, ist
diese Höhe letztlich willkürlich. Im Grunde
sollte es darum gehen, alle Konzerne, die
private Wohnungen zu Bereichungszwecken, also
als Wohnungskapital nutzen, zu enteignen. Deren
ganzes Geschäftsmodell beruht darauf, rasch
Rendite zu machen und die Interessen ihrer
AktionärInnen zu befriedigen. Ein solches
Modell ist nur machbar durch eine stetige
Steigerung der Mieten, mit jeder auch nur
beschränkt „sozialen“ Wohnungspolitik ist es
letztlich unvereinbar.
Die Höhe der
Entschädigung
Die
Instrumente Volksbegehren und Volksentscheid
sind selbst in einen recht engen gesetzlichen
Rahmen gezwängt – erst recht, wenn es dabei um
finanzielle Fragen geht, die den Haushalt oder
das in der bürgerlichen Gesellschaft höchste
aller Rechte, das Eigentumsrecht betreffen.
Daher sind Enteignungen großer Unternehmen
selbst gegen Entschädigung so selten. (Anders
ist das natürlich, wenn es sich um die
Entschädigung von Kleineigentum im Interesse
des „Gemeinwohls“ handelt, als z. B. die
Unternehmen der ehemaligen DDR via Treuhand
v. a. an das deutsche Großkapital übergeben
wurden).
Die Initiative
sieht sich nun mit dem Problem konfrontiert,
dass eine entschädigungslose Enteignung
wenigstens rechtlich umstritten ist und leicht
den Vorwand liefern kann, das Volksbegehren zu
stoppen.
Daher findet
dort eine Diskussion über die Höhe einer
möglichen Entschädigung statt. Der Senat und
die Immobilienwirtschaft haben ihrerseits
erkannt, dass in diese Frage eine Chance
besteht, die Enteignungsforderung in den Augen
der Bevölkerung zu diskreditieren.
Eine „amtliche
Kostenschätzung“ des Berliner Senates geht
davon aus, dass die Enteignung von DW & Co.
zwischen 28,8 und 36 Milliarden Euro kosten
würde. Dem liegt der aktuelle Marktwert
zugrunde.
SprecherInnen
des Bündnisses halten dagegen, dass dies ein
weit überhöhter Preis wäre, weil die
Spekulation selbst den Marktwert gesteigert
habe. Damit ließe DW sich ihre überhöhten
Mieten im Falle einer Enteignung gewissermaßen
noch einmal auszahlen. Aber auch andere
„gerechtere“ Modelle gehen noch von 7,3 bis
13,7 Milliarden Euro aus.
Die Zahlen von
28–36 Milliarden wurden zweifellos bewusst und
als Steilvorlage für die Berliner
Immobilienlobby lanciert, die diese auch
freudig aufgreift.
So erklärt der
Verband der Berlin-Brandenburgischen
Wohnungsunternehmen (BBU): „Die Kosten würden
einen gesamten Jahreshaushalt übersteigen und
wären mehr als das Sechsfache der bisherigen
BER-Baukosten.“ Ein solches Desaster müsse
verhindert werden, indem EigentümerInnen
EigentümerInnen bleiben.
In jedem Fall
wird aber deutlich: Die Milliardensummen
müssten aus dem Berliner Haushalt, der jährlich
rund 29 Milliarden beträgt, also aus Steuern
und das heißt vor allem aus denen von
Lohnabhängigen bezahlt werden. So soll ein
politischer Spaltkeil zwischen Initiative und
ArbeiterInnen getrieben werden.
Zum anderen
werden die Entschädigungshöhen in jedem Fall
dazu führen, dass es zu einer Klagewelle kommt.
Die „Schuldenbremse“ wird bemüht werden, um
einen etwaig erfolgreichen Volksentscheid für
illegal zu erklären.
Schließlich
wird der Druck dazu genutzt werden, im
Abgeordnetenhaus ein Enteignungsgesetz zu
verwässern und auf die lange Bank zu schieben,
denn der Volksentscheid bedeutet selbst bei
einer überwältigenden Mehrheit noch lange
nicht, dass er auch umgesetzt werden muss, da
er das Abgeordnetenhaus nur zur Formulierung
eines Gesetzes verpflichtet, nicht jedoch
dessen konkreten Inhalt festschreibt.
Enteignung –
ja, Entschädigung nein!
Unserer
Meinung nach kann dieses Problem nur gelöst
werden, indem wir eine Entschädigung
kategorisch ablehnen. Allenfalls kann, um
rechtlichen Vorgaben zur Durchführung der
Volksbegehrens und später des Volksentscheids
Genüge zu tun, eine rein symbolische
Entschädigung von einem Euro versprochen
werden.
Der Grundsatz
sollte jedoch klar sein: Die Kapitale, die sich
ohnedies schon an den MieterInnen bereichert
haben, sollen nicht aufgekauft, sondern ihre
Wohnungen entschädigungslos enteignet und unter
Kontrolle von MieterInnenkomitees kommunal
verwaltet werden.
Damit würden
wir erstens eine politische Flanke schließen.
Es wäre unmöglich, die MieterInnen gegen
lohnabhängige SteuerzahlerInnen auszuspielen.
Es wäre – gewissermaßen als Nebeneffekt – auch
unmöglich, die Enteignung mit dem Hinweis auf
deren hohe Kosten für den Haushalt in Frage zu
stellen.
Politisch
würde also die Initiative klarer argumentieren
können.
Plan B
notwendig
Zum anderen
kann natürlich niemand bestreiten, dass die
Weigerung, eine „angemessene“ Entschädigung an
die Immobilienhaie zu zahlen, zu einer
rechtlichen Auseinandersetzung um die Legalität
eines Volksentscheides führen kann.
Aber zu einer
solchen Auseinandersetzung wird es
wahrscheinlich ohnedies kommen. Es wäre doch
recht verwunderlich, wenn DW, Vonovia & Co.
eine Enteignung in Berlin zuließen, ohne die
Gerichte anzurufen und notfalls jahrelang
dagegen zu prozessieren.
Hinzu kommt,
dass es nur einen Zusammenbruch bzw. eine
Abwahl des gegenwärtigen Senats und andere
parlamentarische Mehrheiten braucht – und schon
wäre jede legale Umsetzung wahrscheinlich auf
parlamentarischer Ebene gekippt oder zumindest
in Frage gestellt.
In jedem Fall
müssen wir damit rechnen, dass eine „einfache“,
legale Enteignung der großen Unternehmen nicht
einfach aufgrund des Drucks hunderttausender
Unterschriften stattfinden wird. So „legal“ und
„verfassungskonform“ kann die Initiative nicht
sein, weil die Frage letztlich keine
rechtliche, sondern eine des
Kräfteverhältnisses zwischen den Klassen ist –
und daher auch nur mittels Mobilisierung von
Klassenkräften gelöst werden kann.
Daher tut die
Initiative gut daran, sich strategisch und
taktisch folgendermaßen zu orientieren: Das
Volksbegehren für den späteren Volksentscheid,
also das Sammeln der Unterschriften zum
Erreichen dieser zweiten Stufe sollte vor allem
als politisches Mobilisierungsinstrument und
Mittel zur Sammlung und Organisierung von
UnterstützerInnen begriffen werden.
Entscheidend
ist jedoch, dass damit eine Bewegung aufgebaut
wird, die (a) die Komitees zum Sammeln von
Unterschriften, MieterInnenkomitees,
Vollversammlungen usw. als Kampfinstrumente für
weitergehende Aktionen versteht (z. B.
Massenproteste der MieterInnen, Besetzungen von
Büros der DW …, organisierten Mietenboykott)
und (b) sich über Unterzeichnungskampagnen in
den Betrieben, Gewerkschaften, Büros, Unis,
Schulen zu verbreitern sucht. Letztlich geht es
darum, die Mietenfrage auch in
gewerkschaftliche und betriebliche
Auseinandersetzungen zu tragen – z. B. indem
Mietsteigerungen durch angemessene zusätzliche
Lohnerhöhungen kompensiert werden und
letztlich, indem die Forderung nach
entschädigungsloser Enteignung auch mittels
politischer Streiks stark gemacht und ihre
Einlösung erzwungen wird.
Auf diese Art
könnte die Initiative ihr volles Potential im
Kampf für ein radikales, Wohnungsprogramm
entwickeln, das den Kampf gegen Mietwucher und
Wohnungsnot mit dem gegen das kapitalistische
System verbindet.
Quelle:
http://arbeiterinnenmacht.de/2019/04/04/deutsche-wohnen-vonovia-co-enteignung-ja-klar-entschaedigung-nein-danke/
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