Das willkürliche Verbot bleibt bestehen
Das Bundesverwaltungsgericht weist am 29.1.2020 die Klage gegen das Verbot der Veröffentlichungsplattform "Linksunten" mit Formalargumenten ab

Ein Überblick zur Sachlage von Detlef Georgia Schulz

02/2020

trend
onlinezeitung

Ein großes Polizeiaufgebot durchsuchte am 25. August 2017  in Freiburg die Privatwohnungen von fünf Personen sowie ein autonomes Kulturzentrum und beschlagnahmte technische Geräte, Speichermedien,  Bücher, private Notizen, Flyer und andere Gegenstände. Zuvor hatte das Bundesinnenministerium die Veröffentlichungsplattform "linksunten.indymedia.org" verboten. Dazu konstruierte das Ministerium einen Verein, der angeblich für die Plattform juristisch verantwortlich sei. Diesem wurde nun der Verstoß gegen die verfassungsmäßige Ordnung der BRD durch die Internetplattform vorgeworfen. Mithilfe dieses winkeljuristischen Schachzugs wurde das Medienrecht ausgehebelt.

Die von der Polizeiaktion Betroffenen erhoben unverzüglich Beschwerde beim Freiburger Verwaltungsgericht und reichten Klage beim Bundesverwaltungsgericht gegen das Verbot der Veröffentlichungsplattform ein. Am 29.1.2020 wurde nun die Klage von dem Bundesverwaltungsgericht mit dem formalistischen "Totschlagargument", die Kläger*innen seien nicht klageberechtigt, abgewiesen. Von daher musste das Gericht auch gar nicht prüfen, ob das Verbot zu Recht erging. Danke Rechtsstaat!

Detlef Georgia Schulze, der bei "linksunten" bisweilen publiziert hatte, startete nach dem Verbot zusammen mit Achim Schill und Peter Nowak verschiedene juristische und publizistische Aktivitäten, um die Wiederöffnung von "linksunten" juristisch durchsetzen zu helfen. Die nachfolgenden Texte entstanden in diesem Zusammenhang und wurden uns zur Veröffentlichung überlassen.

Wir veröffentlichen in absteigender Reihenfolge.
red. trend / 1.2.2020

Die juristische Auseinandersetzung um das
Verbot von
linksunten.indymedia ist nicht zu Ende!
Berliner
linksunten-AutorIn treibt eigene Klage gegen das Verbot weiter voran

1. Das Bundesverwaltungsgericht hat gestern das Verbot von linksunten.indymedia nicht inhaltlich bestätigt, sondern eine inhaltliche Überprüfung des Verbotes verweigert.

2. Das BVerwG hat gestern keine Entscheidung zu der Frage getroffen, ob in Bezug auf linksunten.indymedia bzw. den HerausgeberInnen-Kreis die – vom Bundesinnenministerium behaupteten – Verbotsgründe des Artikel 9 Absatz 2 Grundgesetz (Strafgesetzwiderläufigkeit;
Gerichtetheit gegen die verfassungsgmäßige Ordnung) vorlagen.

3. Das BVerwG hat ausschließlich geprüft (und bejaht), ob in Bezug auf den HerausgeberInnen-Kreis von linksunten.indymedia die Vereinsmerkmale des § 2 Vereinsgesetz vorlagen.

4. Damit hat das BVerwG seine langjährige Rechtsprechung bestätigt, daß gegen Vereinsverbote – im Grundsatz und mit Anspruch auf volle inhaltliche Überprüfung des Verbots – ausschließlich die Vereine selbst klagbefugt seien. Klagen dagegen Mitglieder der verbotenen
Personenstruktur mit der Behauptung, die Personenstruktur sei nicht vereinsförmig organisiert,
dann beschränke sich die Überprüfung auf genau diese Frage (Verein oder Nicht-Verein?). Einen Anspruch auf Überprüfung des Vorliegens der Verbotsgründe hätten gegen nur die verbotenen Vereine, aber nicht deren Mitglieder.

5. Unabhängig davon, ob diese Rechtsprechung in Bezug auf das Verhältnis zwischen Vereinen und deren Mitgliedern zutreffend ist, bleiben damit im vorliegenden Fall die Interessen und
Rechte der AutorInnen und LeserInnen von dem
linksunten-Verbot in der gestrigen Entscheidung völlig unberücksichtigt. Deshalb wird Detlef Georgia Schulze, einE frühereR linksuntenLeserIn und AutorIn, eine eigene Klage gegen das Verbot weiterbetreiben.

6. Schulze argumentiert: In Bezug auf die LeserInnen und AutorInnen sei nicht der – in dem
heutigen Urteil allein geprüfte Artikel 9 Grundgesetz (Vereinigungsfreiheit), sondern
Artikel 5
Absatz 1 und 2 Grundgesetz
(Meinungsäußerungs- sowie Informationsfreiheit sowie Medienfreiheiten) die einschlägige Norm. Die LeserInnen und AutorInnen müßten das Recht haben, die Verletzung ihrer Grundrechte durch das sog. Vereinsverbot anzugreifen.

7. Bemerkenswert ist allerdings, daß Rechtsanwalt Prof. Wolfgang Roth, der Prozeßvertreter
der beklagten Bundesrepublik Deutschland in Bezug auf den Vorwurf, das Verbot verletzte die
Meinungsäußerungsfreiheit, noch deutlicher als in vorgehenden Schriftsätzen sagte: „Niemand
– weder Ihre Mandanten noch andere – ist gehindert wieder so eine Seite einzurichten, wenn
es nicht gerade eine Fortsetzung der verbotenen Vereinsaktivitäten ist.“
Daher ruft Schulze dazu auf, eine politische Diskussion über die Schaffung einer neuen HerausgeberInnen-Struktur von linksunten.indymedia zu beginnen. Dabei wird zu diskutieren sein,wie politischen Opportunismus vermieden werden kann, als Ersatzorganisation klassifiziert zu werden.

Siehe auch: https://rdl.de/beitrag/reaktionen-auf-abweisung-der-klage-gegen-das-verbot-von-linksuntenindymedia und http://links-wieder-oben-auf.net/juristisches/ .

Zugestellt am 30.1.2020

linksunten.indymedia-Verbot
Eine Linkssammlung

I. Für die Praktischen:

II. Für die, die nichts verpassen wollen:

III. Für die Gründlichen:

IV. Für die Audiophilen:

V. Für HistorikerInnen und ArchivarInnen:

VI. Für die, die auch Juristisches nicht abschreckt

VII. Für diejenigen, die am 29. in Leipzig nicht vor Ort sein können:

VIII. Für die Strategischen

IX. Huhu – an die „Sturmgeschütze der Demokratie“ (ein Prädikat, das sich Der Spiegel selbst verlieh):

Zugestellt am 28.1.2020

OFFENER BRIEF wegen
Verbot der „Internetplattform ‚linksunten.indymedia‘ auf
Grundlage des Vereinsgesetzes“ durch das Bundesinnenministerium vom 14.08.2017
meine neue internet-Seite links-wieder-oben-auf.net


Als PdF-Datei lesen

Zugestellt am 28.1.2020


Links wieder oben auf

Berliner linksunten-AutorIn spiegelt das Archiv von linksunten.indymedia
u
nd bekennt sich namentlich dazu

Am 25.08.2017 verbot der damalige Innenminister Thomas de Maizière – laut Bekunden seines Ministeriums – die „Internetplattform ‚linksunten.indymedia‘ auf Grundlage des Vereinsgesetzes“(1). Wie es möglich sein soll, „auf der Grundlage des Vereinsgesetzes“ et­was anderes als Vereine – im vorliegenden Fall eine internet-Plattform – zu verbieten, blieb bis heute Geheimnis des Innenministeriums.

Am Donnerstag vergangener Woche – zwei Wochen vor dem Prozeß, der am 29.1. vor dem Bundesverwaltungsgericht gegen das Verbot stattfinden wird – haben kürzlich Un­bekannte ein – nach eigenen Angaben – komplettes Archiv von linksunten.indymedia on­line gestellt:

https://linksunten.archive.indymedia.org/

Die VeröffentlicherInnen schreiben:

„Das statische Archiv der Seite ist auch als Download in Form von Zipdateien verfügbar. Die Links zu den Dateien findet ihr auf der Startseite des Archivs […]. Ladet es herunter, teilt es und erstellt Mirrors der Seite.“

Dieser Aufforderung ist jetzt eine frühere AutorIn von linksunten nachgekommen – und zwar mit namentlichem Bekenntnis.

Um seine/ihre juristische und politische Überzeugung, daß solche Medien wie linksunten oder auch wie die gedruckte Zeitschrift radikal erscheinen dürfen (= juristischer Aspekt) und erscheinen sollen (= politischer Aspekt), auszudrücken, hat sich Detlef Georgia Schulze, der/die auch früher namentlich bei linksunten publizier­te, entschlossen, das anonym gepostete linksunten-Archiv zu spiegeln, und ein Impressum mit Namensnennung hinzugefügt. Anders als die anonymen Archiv-Veröf­fentlicherInnen hat Schulze auch das Original-Logo (mit dem Schriftzug „linksunten.indy­media.org“ [und nicht nur schüchtern „linksunten Archiv“] – aber ergänzt um die Dachzei­le „Archiv einer not-wendigen internet-Zeitung“), das das Bundesinnenministerium und die Berliner Staatsanwaltschaft als „Vereinskennzeichen“ zu kriminalisieren versuchen, wiederhergestellt:

http://www.links-wieder-oben-auf.net

In einer begleitenden Erklärung schreibt Schulze: »Unnötig, zu betonen, daß ich nicht alles für inhaltlich richtig halte, was ich – im Interesse der Meinungsäußerungs-, Presse- und Informationsfreiheit – für veröffentlichungswürdig halte.(2) Sich alles zu eigen zu machen, was bei linksunten erschienen war, ist schon deshalb unmöglich, weil es – angesichts der Pluralität des AutorInnen-Spektrums von linksunten – heillos selbst-widersprüchlich wäre: Denn bei linksunten spiegelte sich fast die ganze Breite (Pluralität) – und Zerstrittenheit – der außerparlamentarischen Linken.

Meine Äußerungen sind – auch strafrechtlich – nur die Äußerungen, die ich selbst getä­tigt habe. Sie sind daran zu erkennen, daß ich sie mit meinem Klarnamen oder meinem pen name (TaP = Theorie als Praxis) gezeichnet habe. Alles weitere ist bloß die Dokumention einer historisch-diskursiven Tatsache (des publizistischen Phänomens linksunten.indymedia); vgl. Helmut Ridder, In Sachen „Mescalero“. Plädoyer vor dem Landgericht Bielefeld, in: Demokratie und Recht 1978, 224 - 229 (225):

Was die Herausgeber getan haben, ist eines, und was sie gewollt haben, ist ein anderes, soweit es von dem, was sie getan haben, abweicht. Was sie getan haben, ist dies: Sie haben Texte verbreitet, die man unzweifelhaft verbreiten darf, weil sie selbst geschichtliche Tatsachen sind – die in diesem Land wenig genug gekannte Geschichte unterliegt nach der Rechtsordnung dieses Landes vorerst noch nicht strafrechtlich bewehrten Geheimhaltungspflichten –“.

Bleibt trotzdem die Frage:

Mache ich mich mit meinem Tun (erneut3) strafbar?

Ich bin überzeugt, daß ich mich nicht strafbar mache. Ich habe deshalb auch die Landesmedienanstalt Berlin-Brandenburg (mit der Bitte zu prüfen, ob es sich um ein „unzulässiges Angebot“(4) handelt oder es ansonsten etwas zu beanstanden gibt(5) und die Berliner Staatsanwaltschaft, die sich eh bereits mit meinen beiden Ko-Autoren Peter Nowak und Achim Schill sowie mir selbst befaßt, über mein Tun informiert.

1. Was die historischen – bei linksunten erschienen – Text anbelangt, so sind jedenfalls meine eigenen Texte juristisch nicht zu beanstanden. Was die Texte von anderen Auto­rInnen anbelangt (von denen vielleicht einige tatsächlich juristisch zu beanstanden sind), so mache ich mir diese nicht zu eigen, sodaß ich auch durch die Wiederveröffentlichung für sie jedenfalls nicht strafrechtlich verantwortlich bin6.

So hat der BGH hinsichtlich des Abspielens eines – allerdings rechten – Liedes entschieden:

„Die Feststellungen [des Vorinstanz] tragen nicht den Schluss, dass der Angeklagte seine Förder­handlungen vorsätzlich in Bezug auf eine öffentliche Aufforderung zu Straftaten (§ 111 StGB) er­bracht hat. § 111 StGB ist ein Äußerungsdelikt (Fischer, StGB, 62. Aufl., § 111 Rn. 2; LK/Rosenau, § 111 Rn. 14). Aufgrund dessen ist – wie auch im Fall des § 130 Abs. 1 StGB – bei der Veröffentli­chung einer fremden Erklärung zu fordern, dass der Veröffentlichende diese unmissverständlich zu seiner eigenen machen will (vgl. BGH, Beschluss vom 20. Februar 1990 – 3 StR 278/89, NJW 1990, 2828, 2831; OLG Frankfurt, Urteil vom 17. Dezember 2002 – 3 Ss 317/02, NStZ-RR 2003, 327, 328; Fischer aaO, § 111 Rn. 2a). In dem bloßen Abspielen eines Liedes ist ein derartiges zu Eigen machen noch nicht zu sehen.“

(Beschluss vom 14. April 2015 zum Az. 3 StR 602/14; http://juris.bundesgerichtshof.de/cgi-bin/rechtsprechung/document.py?Gericht=bgh&Art=en&Datum=2015-4&Seite=6&nr=71180&pos=192&anz=265, S. 9 [Tz. 19])

Und bereits zu der Zeit als es noch den weiten Straftatbestand der Werbung für kriminelle und terroristische Vereinigung gab, der zum 30. August 2002 auf Werbung „um Mitglieder oder Unterstützer“ eingeengt wurde (§§ 129 I7, 129a Absatz 38 StGB), hatten

  • das Oberlandesgericht Düsseldorf und der Bundesgerichtshof bezüglich der im GNN-Verlag erschienene Broschüre „Ausgewählte Dokumente der Zeitgeschichte: Bundesrepublik Deutschland (BRD) – Rote Armee Fraktion (RAF)“(9) entschieden,

    ++ daß das Verbreiten der Broschüre keinen hinreichenden Verdacht des ‚Werbens‘ (im damaligen(10) weiten Sinne) für die Rote Armee Fraktion darstelle und daher die Zulassung einer Anklage wegen Verwirklichung des Tatbestandes des § 129a Absatz 3 StGB nicht begründe:

    „Daß die Herausgeber der Schrift sich in den einleitenden und begleitenden Texten nicht von der RAF distanzieren oder neutral bleiben, vermag einen werbenden Charakter zugunsten der RAF noch nicht zu belegen. […]. Aus dem vom Oberlandesgericht zitierten Vorwort wird deutlich, daß die Dokumentation nicht dem Werben für die RAF dient, deren Gewalttaten von den Herausgebern auch an keiner Stelle gebilligt werden, sondern vielmehr das Thema RAF für Zwecke kommunistischer Propaganda genutzt werden soll.“ (BGH11)

    und

    ++ beschlagnahmte Exemplare der Broschüre vom Staat herauszugeben seien (OLG Düsseldorf(12)

    und
     

  • der BGH den vorherigen Beschluß zur Beschlagnahme des von Pieter Bakker Schut herausgebenen Info-Buches(13 mit Briefen von Gefangenen aus der RAF aufgehoben14.

Die – 1997 und 1993 im Verlag ID-Archiv erschienenen – umfassenden Dokumentatio­nen der Texte der Rote Armee Fraktion sowie der Revolutionären Zellen / Rote Zora konnten unbehelligt erscheinen und verbreitet werden und stehen heute im internet völlig legal zum kostenlosen Download(15) zur Verfügung.

Es gibt zwar auch andere BGH-Entscheidungen – Entscheidungen, in denen der Bundesgerichtshof ziemlich leichthändig das Zueigenmachen fremder Texte bejaht hat. Aber ich berufe mich auf die Entscheidungen, die ich für zutreffend halten – und lasse mich von den gegenteiligen nicht einschüchtern. Daher habe ich die Spiegelung des linksunten-Archivs mit einem namentlich gezeichneten Impressum versehen.

Ein bißchen öffentliches Vereinsrecht

2. Auch speziell vereinsrechtlich mache ich mich nicht strafbar. Diesbzgl. kommen zwar die Nr. 3 (Unterstützung vollziehbar verbotener Vereine) und 5 (Verwendung von Kennzeichen solcher Vereine), wegen denen Peter Nowak, Achim Schill und ich eh schon angeklagt sind, sowie Nr. 1 von § 20 Absatz 1 Satz 1 Vereinsgesetz in Betracht. Nr. 1 betrifft die Aufrechterhaltung des „organisatorischen Zusammenhalt[s]“ eines solchen Vereins und die mitgliedschaftliche Betätigung in einem solchen Verein.

a) Das Bundesinnenministerium beansprucht, den „Verein ‚linksunten.indymedia‘“ verbo­ten zu haben. Einen Verein diesen Namens gab es aber nie und gibt es auch heute nicht. Eine internet-Plattform ist kein Verein, sondern ein Telemedium; und der Personenkreis, der dieses Telemedium anbot, hieß IMC linksunten(16) – auch dieses (das Independent Media Centre linksunten) scheint es nicht mehr zu geben (jedenfalls scheint es nicht mehr aktiv zu sein); und ich gehörte nie dazu.

Es ist also unmöglich, sich in einem „Verein ‚linksunten.indymedia‘“ mitgliedschaftlich zu betätigen oder dessen „organisatorischen Zusammenhalt“ aufrechtzuerhalten. Der „Verein ‚linksunten.indymedia‘“ ist ein Phantom; das Verbot des „Verein ‚linksunten.indymedia‘“ ein Phantom-Verbot!

b) Das entsprechende gilt für den Straftatbestand der Unterstützung: Unterstützt werden kann nur ein existierender Verein. Ein „Verein ‚linksunten.indymedia‘“ existiert aber nicht und existierte nie – also kann er auch nicht unterstützt werden.

c) Schließlich das gleiche in Bezug auf die Kennzeichenverwendung: Etwas kann jeden­falls nur dann Kennzeichen eines Vereins sein, wenn dieser Verein existiert oder existierte. Ein „Verein ‚linksunten.indymedia‘“ existierte aber nie – und existiert auch heute nicht. Also kann das in der linksunten-Verbotsverfügung Abgebildete (es handelt sich in Wirk­lichkeit um das Logo der internet-Plattform) kein Vereinskennzeichen sein.

Prof. Wolfgang Roth, der Rechtsanwalt der Bundesrepublik Deutschland in Sachen links­unten.indymedia: ‚Es ist gar kein Medium, sondern ein Verein verboten worden.‘ – Ich nehme ihn beim Wort!

Am 09.08.2019 – kurz vor dem zweiten Jahrestag des linksunten-Verbotes – hatte ich beim Bundesinnenministerium die Rücknahme des Verbotes beantragt (s. dazu taz v. 11.08.2019; junge Welt vom 21.08.2019; Kontext : Wochenzeitung v. 21.08.2019; trend 8/2019).

Nachdem das Innenministerium nach drei Monaten immer noch nicht geantwortet hatte, hatte ich am 13.11.2019 beim Bundesverwaltungsgericht Prozeßkostenhilfe für eine Klage gegen die Bundesrepublik Deutschland beantragt.

Mit der Klage soll dann u.a. beantragt werden,

  • die Bundesrepublik bzw. das Innenministerium zu verpflichten, die Nichtigkeit des Verbots festzustellen;

  • hilfsweise: daß das Gericht die Rechtswidrigkeit des Verbotes feststellt und die BRD bzw. das BMI zur Rücknahme des Verbotes verpflichtet.

Zur Begründung hatte ich in den Anträgen ans BMI und das Bundesverwaltungsgericht u.a. wie folgt argumentiert:

„Mag über die Rechtmäßigkeit des Verbotes des HerausgeberInnenkreises von linksunten.indyme­dia auf der Grundlage von Art. 9 II GG noch ernsthaft diskutiert werden können, so ist die Vorstel­lung, das BMI sei

  • auf der Grundlage einer Norm, die das Verbot von Vereinigungen zuläßt,

  • auch befugt, Medien sowie die Logos und URL von Medien zu verbieten,

dermaßen abenteuerlich, daß in Bezug auf diese Teile und Implikationen der Verfügung in der Tat von keiner Person ‚erwartet werden kann, den Verwaltungsakt als verbindlich anzuerkennen‘.“

(s. dort, S. 2)

Darauf erwiderte am 7. Januar Rechtsanwalt Prof. Wolfgang Roth, der Verfahrensvertre­ter der Bundesregierung:

„Die wiederholt vorgetragene Erwägung des Antragstellers, es könnten nur Vereinigungen verboten werden, nicht hingegen Medien, geht schon am Inhalt der Verbotsverfügung vorbei und damit ins Lee­re, da hiernach ausdrücklich der Verein ‚linksunten.indymedia‘ verboten worden ist.“ (S. 2 oben)(17)

Mein Argument würde aber nur dann „am Inhalt der Verbotsverfügung vorbei[…]gehen“, wenn in Wirklichkeit gar kein Medium, sondern vielmehr ein Verein verboten wurde. Das BMI hatte dagegen 2017 noch behauptet, es sei die „Internetplattform ‚linksunten.in­dymedia‘“ – also ein Medium – „auf Grundlage des Vereinsgesetzes“ verboten worden.

Der Verfahrensvertreter der Bundesrepublik scheint nun – in einem verzweifelten Rückzugsmanöver – allen Ernstes zu behaupten, die „Internetplattform ‚linksunten.indy­media‘“ sei gar nicht verboten worden, sondern irgendein Verein gleichen Namens. Auf einmal – nachdem sie beim verfassungswidrigen Medienverbot ertappt wurde – beruft sich die Bundesrepublik auf den Unterschied zwischen Medium und Mediums-Herausge­berInnen, den das Innenministerium 2017 in seiner Verbotsverfügung beständig konfundierte!

Daher erlaube ich mir, Prof. Roth beim Wort und zu bekennen:

Ich biete (in der Terminologie des Telemediengesetzes(18) gesprochen) das Telemedium – die internet-Plattform – linksunten.indymedia (wenn auch nur das Archiv) an

vorerst unter der URL

www.links-wieder-oben-auf.net;

aber ich würde mich sehr freuen, wenn mir die InhaberInnen der Domain indymedia.org ihre Subdomain

https://linksunten.indymedia.org

zur Verfügung stellen würden.

Dann würde ich das Archiv-Telemedium auch unter seiner alten URL, deren Verwendung das BMI 2017 unter rechtswidriger Berufung auf das Vereinsgesetz verboten hatte, anbieten.

Ich sind gespannt, ob Prof. Roth und die Bundesrepublik Deutschland Wort halten!

Spätestens, wenn wir die Antwort auf diese Frage kennen, wird es Zeit für eine breite und kollektive linke Diskussion über eine Wiederinbetriebnahme der Plattform auch mit neuen Artikel sein. Diese Entscheidung und Arbeit kann selbstverständlich nicht die einer einzelnen Person sein; hier geht es zunächst nur um eine Art ‚juristisches Experiment‘:

Herauszufinden, ob das Bundesinnenministerium – unter Verletzung von Pressefreiheit und Zensurverbot – (wie zwei Jahre lang alle glaubten) eine internet-Plattform verboten hatte –

oder bloß einen Verein, der nie existierte.

Fußnoten

2 Und noch unnötiger zu sagen: Ich konnte mir die fremden Inhalte im vorliegenden Fall schon deshalb gar nicht zu eigen ma­chen, weil ich selbstverständlich nicht alle rund 200.000 Artikel gelesen habe:

  • Ich habe zur Zeit vor dem Verbot einen Bruchteil der Artikel – mit dieser oder jener Meinung zu den Texten (abgese­hen von meiner Überzeugtheit von meinen eigenen Texten) – gelesen.

  • Und ich habe jetzt die ganze Archivdatei heruntergeladen; entpackt und anschließend inhaltlich unbesehen in mei­nen eigenen Webspace hochgeladen. Allein das Design des Startbereichs habe ich gegenüber der Archivseite links­unten.archive.org etwas verändert, aber auch dies ohne auf die Inhalte zu achten.

  • Denn mir geht es mit diese Webseite ja nicht darum, alle 200.000 Artikel zu kommentieren, sondern meine Überzeu­gung von der politischen Legitimität und juristischen Legalität des publizistischen Konzept von linksunten auszudrü­cken – auch wenn ich vieles anderes formuliert hätte, wenn ich alle 200.000 Artikel selbst geschrieben hätte, und si­cherlich auch, wenn ich ModeratorIn von linksunten gewesen wäre, einige Moderationsentscheidungen anders ge­troffen hätte.

3 Die Staatsanwaltschaft hat bereits gegen mich sowie Peter Nowak und Achim Schill wegen einer Protesterklärung gegen das linksunten-Verbot, die wir 2017 veröffentlicht hatten, Anklage erhoben. Eine Entscheidung des zuständigen Landgerichts über Zulassung oder Nicht-Zulassung der Anklage steht weiterhin aus.

6 Ob vllt. im Einzelfall zivil- oder verwaltungsrechtliche Unterlassungs-/Löschungsansprüche gegen mich wegen fremder Texte bestehen, lassen ich an dieser Stelle – der Kürze halber – offen. Ich werde mich zu dieser Frage spätestens dann äußern, falls irgendwelche Personen oder Stellen mit solche Ansinnen an mich herantreten sollen.

12 ebd., Tz. 7: „Das Oberlandesgericht Düsseldorf hat in dem Verfahren auf Einziehung mit Beschluß vom 28. November 1994 – VI 8/94 – die Herausgabe der beschlagnahmten 965 Exemplare angeordnet, weil die Druckschrift nach ihrem Inhalt als Dokumentation nicht geeignet ist, für die RAF zu werben.“

15 Erstklassige .pdf-Datei der RAF-Dokumentation: https://www.nadir.org/nadir/archiv/PolitischeStroemungen/Stadtguerilla+RAF/RAF/raf-texte+materialien.PDF

Fehlerbehaftes Digitalisat (ohne Originalseitenzahlen) der RZ/Rote Zora-Dokumentation: http://www.freilassung.de/div/texte/down/zorn.pdf.

16 Das Bundesinnenministerium selbst spricht in seiner Verbotsverfügung auf S. 11 und 47 von einem „offiziellen ‚linksun­ten.indymedia‘-Media-Account ‚IMC linksunten‘“. Das kann ja wohl nur heißen, daß auch dem BMI klar ist, daß die InhaberIn­nen dieses Accounts nicht – wie das Medium „linksunten.indymedia“ (das soll aber der Name des verbotenen ‚Vereins‘ gewe­sen sein!), sondern vielmehr „IMC linksunten“ hießen, wobei „IMC“ für „Independent Media Centre“ steht. – Also:

  • Das Medium hieß „linksunten.indymedia“ – und Medien sind definitiv keine Vereine.

  • Der HerausgeberInnen-Kreis hieß dagegen „IMC linksunten“ (und nicht ebenfalls „linksunten.indymedia“) – und war vermutlich außerdem auch gar nicht vereinsförmig organisiert (§ 2 Abs. 1 VereinsG: „Verein“ = „Mehrheit natürlicher oder juristischer Personen“, die sich „einer organisierten Willensbildung unterworfen hat“ – ‚Unterwerfung‘ das hört sich nicht so richtig autonom-linksradikal an…).

17 Auch der VGH Mannheim hatte bereits am 19.6.2018 in einem Beschluß über die Beschwerde eines der Durchsuchungs­betroffenen vom 25.08.2017 (u.a. gegen die Durchsuchungen) entschieden:

„Keinen Erfolg hat der Antragsgegner mit seinem Einwand, ‚die Plattform linksunten.indymedia‘ unterfalle nicht dem Vereins­gesetz. Sofern der Antragsgegner mit dieser Bezeichnung ausdrücken möchte, es sei die vormals unter der URL ‚http://links­unten.indymedia.org‘ erreichbare Internetpräsenz verboten worden, nimmt er den Inhalt der Verbotsverfügung nicht hinrei­chend zur Kenntnis. Verboten wurde seitens des Bundesministeriums des Innern der ‚Verein ,linksunten.indymedia‘, mithin eine Vereinigung von Personen zu einem bestimmten Zweck.“

(http://lrbw.juris.de/cgi-bin/laender_rechtsprechung/document.py?Gericht=bw&nr=24556, Tz. 10)

Wenn der VGH Mannheim sagt,

Sofern der Antragsgegner mit dieser Bezeichnung ausdrücken möchte, es sei die vormals unter der URL ‚http://links­unten.indymedia.org‘ erreichbare Internetpräsenz verboten worden, nimmt er den Inhalt der Verbotsverfügung nicht hinreichend zur Kenntnis“,

dann kann das ja wohl nur heißen: Nach Ansicht des VGH Mannheim sei gar keine Internetpräsenz verboten worden – auch wenn es alle anders verstanden (und auch das BMI es anders gemeint) hatte.

18 „Diensteanbieter [ist] jede natürliche oder juristische Person, die eigene oder fremde Telemedien zur Nutzung bereithält oder den Zugang zur Nutzung vermittelt“ (http://www.gesetze-im-internet.de/tmg/__2.html)

Zugestellt am 26.1.2020

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