Editorial
Aus der Geschichte lernen - diesmal der Vietnam-Kongress

von Karl-Heinz Schubert

02/2018

trend
onlinezeitung

Vor 50 Jahren fand in Westberlin der legendäre Internationale Vietnam-Kongress mit rund 5.000 Teilnehmer*innen  und 44 Delegationen aus 14 Staaten statt. Er war Ausdruck und zugleich Ziel von Bemühungen der in Aufruhr geratenen Jugendlichen und Student*innen ihrer Bewegung eine revolutionär-sozialistische Orientierung zu geben. Dazu führte Rudi Dutschke in seinem Kongress-Referat folgendes aus:

"Eine ungelöste Frage für die Strategie der Linken in der BRD ist die Verbreiterung des antiautoritären Lagers der Studenten, Schüler und Jugendlichen in die Richtung der die materielle Produktion tragenden Industriearbeiterschaft, ist die Frage nach der Revolutionierbarkeit von Gruppen, Schichten, Abteilungen, Fraktionen und Elementen der lohnabhängigen Massen. Daß unsere Aktionen eine ständige Infragestellung der Macht der Herrschenden darstellen und für die beherrschten Produzenten Beispielcharakter tragen können, scheint uns unbestreitbar. Daß die Arbeiter, Lehrlinge, Angestellten, Schüler etc. in ihren und unseren Aufklärungsveranstaltungen und besonders in den Aktionen gegen die autoritäre staatliche Gewaltmaschine antiautoritäre Verhaltensweisen lernen, ist eindeutig - auch und gerade für die noch unerkannten und noch nicht politisierten Widersprüche in der eigenen autoritären Institutionstotalität -, ob nun Betrieb oder Verwaltung, ob Kirche oder Wohnblock ..."

Seinem Referat gab er den Titel "Die geschichtlichen Bedingungen für den internationalen Emanzipationskampf", denn - so beginnt sein Referat:

"Jede radikale Opposition gegen das bestehende System, das uns mit allen Mitteln daran hindern will, Verhältnisse einzuführen, unter denen die Menschen ein schöpferisches Leben ohne Krieg, Hunger und repressive Arbeit führen können, muß heute notwendigerweise global sein. Diese Globalisierung der revolutionären Kräfte ist die wichtigste Aufgabe der ganzen historischen Periode, in der wir heute leben und in der wir an der menschlichen Emanzipation arbeiten."

Der Vietnam-Kongress wurde für die westdeutsche und westberliner Linke tatsächlich zur Plattform ihrer antiimperialistischen Politik, die 1975 den Sieg des Vietcong über den US-Imperialismus feiern konnte. Nicht zufällig zerfiel aber auch mit diesem Sieg das antiiimperialistische Lager. Die Trotzkist*innen hatten ihre Version der Imperialismuskritik, die DKP-Revisionisten wurden zum Sprachrohr der sozialimperialistischen Interessen der Sowjetunion und auch die maoistische Drei-Welten-Theorie erwies sich nicht als tragfähig für eine gemeinsame revolutionäre internationale Politik.

Die revolutionäre Linke begann sich zu zerfleddern. Übrig blieb für die anpolitisierten Massen ein Wursteln im Hier und Jetzt garniert mit flotten Provo-Sprüchen. Der Tunix-Kongress von 1978 wirkte dafür als Katalysator.

1989 wurde zur Zäsur für den "internationalen Emanzipationskampf" (Dutschke) . Die revolutionäre Linke  steht seitdem vor der Aufgabe sich programmatisch neu auzustellen - und das nicht nur, weil die bruchlosen Übergänge der ökonomisch staatskapitalistisch organisierten Staaten des sogenannten sozialistischen  Lagers in einen von Monopolen und Konzernen strukturierten Kapitalismus in windeseile mit breiter Zustimmung der Massen erfolgten, sondern weil es für die Aufhebung des Kapitalismus in seiner heutigen Gestalt eine politisch tragfähigen Analyse seiner Tendenzen und Widersprüche bedarf.

Dass der Emanzipationskampf des Vietkong  zur Plattform für eine zeitgemäße antiiimperialistische Politik werden konnte, beruhte auch auf der intensiven theoretischen Beschäftigung mit dem Imperialismus nach 1945. Davon zeugt Rudi Dutschke Referat. Hinzu kam das Faszinosum, dass der scheinbar unbesiegbare US-Imperialismus mit jedem Kriegstag sich als potentiell besiegbarer "Papiertiger" erwies.  Die politische Aktraktivität dieses Befreiungskrieges bestand aber vor allem darin, dass er signifkanter Ausdruck der anschwellenden kolonialen Revolution war. Kurt Steinhaus schrieb 1966 dazu im Auftrage des SDS:

"Der Kampf, der um die Auflösung dieser gesellschaftlichen Widersprüche dort geführt wird, kann ebenso wie die Widersprüche selbst als exemplarisch gelten. Der Versuch der gewaltsamen sozioökonomischen und politischen Emanzipation in Vietnam ist kein isoliertes Phänomen. Ähnlich strukturierte revolutionäre Bewegungen entfalten sich in verschiedenen Ländern Asiens, Afrikas und Lateinamerikas, und die internationale koloniale Revolution wird an Intensität noch zunehmen." K.S. Vietnam, Ffm 1966, S.8

Es spricht einiges dafür, dass Efrîn das Vietnam von heute werden könnte. Alle sozialrevolutionären  Kräfte richten ihren Blick nach Syrien und zeigen sich solidarisch mit den Kampf der Menschen in Rojava - gerade jetzt wo der türkische Imperialismus sich als militärischer Machtfaktor in der Region aufschwingt und sich dabei in ein faschistisches Regime transformiert. Im Gegensatz zu 1968 besteht allerdings keine strategisch-politische Einigkeit zwischen den Gruppen und Strömungen, die sich an die Seite Rojavas stellen. So herrscht tiefe Unklarheit über die Rolle des russischen Imperialismus, in dem von den USA, der EU und NATO provozierten Syrienkrieg. Obwohl direkt am Überfall der türkischen Neoimperialisten durch die Freigabe des Luftraums über Efrîn für türkische Bomber beteiligt, gilt Russland unter etlichen Linken als friedliebend. Im Aufruf gegen die Sicherheitskonferenz der NATO am 17.2.18 in München heißt es dazu: "Kein Konfrontationskurs mit Russland. Frieden in Europa gibt es nur mit und nicht gegen Russland."

Indem das Anti-SiKo-Bündnis die Kritik am neoimperialistischen Russland ausklammert, beweist es leider nur, dass es solche politischen Ereignisse nicht mithilfe einer Imperialismustheorie auf der Höhe der Zeit zu erkären vermag.

Es ist doch unübersehbar, dass sich im Kampf um die Beherrschung des Weltmärkte gewaltige Machtverschiebungen in diesem Jahrhundert vollzogen haben. Mensch denke nur an die weltpolitisch veränderte Rolle Chinas im Ringen mit den USA. Etliche Staaten sind nach dem Ende der Bipolarität der  Supermächte USA und UdSSR zu imperialistischen Staaten herangereift. Die MLPD zählt u.a. dazu: China, Russland, Indien und die Türkei.

Wenn es etwas aus der Geschichte am Beispiel des Vietnam-Kongresses zu lernen gibt, dann ist es zumindest die Erkenntnis, dass die revolutionäre Linke heute für ihre Friedenspolitik eine antiimperialistische Plattform braucht, in der die zentralen Widersprüche und ungleichen Kräfteverhältnisse der miteinander konkurierenden imperialistischen Länder ungeschminkt benannt werden, anstatt aus Nostalgie sich ein friedfertiges Russland oder China zusammenzureimen, nur weil dort einmal die Chance auf eine sozialistische Zukunft bestand.

++++++++++++++++++

https://www.alexa.com/topsites/category/World/Deutsch/Medien/Alternative_Medien


Stand: 10. Februar 2018